B. Holtz (Bearb.): Die Protokolle des Preussischen Staatsministeriums

Titel
Die Protokolle des Preussischen Staatsministeriums 1817-1934/38, Band 3: 9. Juni 1840 bis 14. März 1848


Herausgeber
Holtz (Bearb.), Baerbel
Reihe
Acta Borussica Neue Folge, 1. Reihe, Bd. 3, hgg. von Juergen Kocka und Wolfgang Neugebauer
Anzahl Seiten
Preis
DM 198,00
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Manfred Jehle, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften, Berlin

In der Reihe "Protokolle des Preussischen Staatsministeriums" erschliesst Band 3 die Zeit vom Tode Friedrich Wilhelms III. am 9. Juni 1840 bis zum 14. Maerz 1848. Die Bedeutung der Herausforderungen der Zeit des Vormaerz an die staatlichen Verwaltungen in Preussen und Deutschland steht ausser Frage. Zu einer Zeit, als staatliches Handeln noch immer von der absolutistischen Vorstellung der "guten Polizei" beeinflusst war, der kein Problem der Untertanen und der Staende gleichgueltig bleiben konnte, musste die wirtschaftliche, technische und soziale Entwicklung auch die Staatsverwaltung in ihre Dynamik hineinziehen. Die fruehe Industrialisierung, die soziale Frage, Verkehrswesen und Medien, Schul- und Kirchenwesen provozierten staatliche Massnahmen, die von konventionellem Gestaltungswillen einer Verwaltung, die sich im Sinne Hardenbergs und Hegels noch immer fuer die Verkoerperung eines allgemeinen Prinzips hielt, ebenso zeugen wie von der zunehmenden Eigendynamik wirtschaftlicher und sozialer Prozesse, die den Staat und seine Beamtenschaft zum reagierenden Handeln zwangen. Das zeigt sich in der Gesetzgebung ueber das Eisenbahnwesen oder die Aktiengesellschaften ebenso wie in den Verordnungen der vierziger Jahre ueber die Verhaeltnisse der Juden, die im Gesetz vom 23. Juli 1847 kulminieren. Bei allen Vorgaengen spielen die preussischen Beamten, die Ministerien und das Staatsministerium, eine entscheidende Rolle. Durch die Arbeiten von Koselleck sind die verfassungsrechtlichen Aspekte der Taetigkeit der preussischen Beamten gut bekannt, Der frueher ueberbewertete direkte Einfluss der Ministerien und ministeriellen Deputationen auf die wirtschaftliche und technische Dynamik ist durch wirtschaftsgeschichtliche Arbeiten, vor allem von Wolfram Fischer, relativiert worden. Wenig Aufmerksamkeit wurde hingegen der Rolle einer Staatsverwaltung geschenkt, die politische und rechtliche Rahmenbedingungen herstellen sollte, unter denen Rechtssicherheit und Rechtseinheit ebenso fundamental waren wie das Abschaetzen von wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Folgen der Entwicklung. Hinsichtlich des preussischen Staatsministeriums, des obersten Beratungs- und Beschlussgremiums der preussischen Verwaltung, werden jetzt durch die Reihe "Protokolle des Preussischen Staatsministeriums" die wichtigsten Quellen erschlossen. In insgesamt zwoelf grossformatigen Baenden werden die Sitzungen des Staatsministeriums waehrend knapp 120 Jahren durch Regesten zugaenglich gemacht. Parallel zu diesem Regestenwerk veroeffentlicht der Verlag Olms-Weidmann eine Microfiche-Edition der Protokolle des Staatsministeriums.

Mit dieser Reihe wird, wie die Herausgeber im Vorwort schreiben, "eine Stammquelle zur preussisch-deutschen Geschichte des 19. und 20. Jahrhunderts" erschlossen. Im Staatsministerium waren alle Fachminister vertreten, zum Teil auch weitere Mitglieder, die aus den Berliner Verwaltungen ebenso kommen konnten wie aus den Provinzen, es war das oberste beratende und beschliessende Kollegialorgan in Preussen. Ueber die Geschichte des Staatsministeriums informiert in gedraengter Form das Vorwort der beiden Herausgeber, Juergen Kocka und Wolfgang Neugebauer; hier wird auch die ganze Reihe der "Protokolle des Preussischen Staatsministeriums" mit insgesamt 5500 Protokollen in 12 Baenden vorgestellt. Diesen 12 Baenden sollen spaeter noch einige "sachthematische Baende zu exemplarischen Themen" folgen, etwa zur Verwaltungspraxis und zur Selbstverwaltung im 19. und 20. Jahrhundert, zur Zensurpolitik und Oeffentlichkeit in Preussen.

In der ausfuehrlichen Einleitung fasst die Bearbeiterin Baerbel Holtz die Schwerpunkte der preussischen Innenpolitik der ersten Regierungsjahre von Friedrich Wilhelm IV. zusammen. Vor allem ging es in diesen Jahren um die Gesetzrevision, fuer die in diesen Jahren (seit 1832) ein eigenes Ministerium eingerichtet war, an dessen Spitze die beiden wohl bekanntesten preussischen Juristen der ersten Haelfte des 19. Jahrhunderts, Karl Albert von Kamptz (1832-1842) und Friedrich Karl von Savigny (1842-1848) standen. Ausserdem spielten die Staende, Provinzial- und schliesslich Vereinigten Landtage und die Verfassungsdebatten, das Verhaeltnis von Justiz und Verwaltung, die Integration der neu erworbenen Landesteile, die gutsherrlich-baeuerlichen Regulierungen, Volksschule und Bildungswesen, Kirchen- und Konfessionsfragen eine erhebliche Rolle.

Die insgesamt 461 Beratungsprotokolle aus acht Jahren werden chronologisch geordnet mitgeteilt. Davon sind nur 338 Protokolle in den eigentlichen staatsministeriellen Protokollbaenden ueberliefert, waehrend nicht weniger als 123 weitere Protokolle von der Bearbeiterin aus Aufzeichnungen zusammengetragen wurden, die vor allem gemeinsame Beratungen des Staatsministeriums mit der Immediatkommission fuer staendische Angelegenheiten dokumentieren. Der Zusammenhang dieser Bestaende mit dem Staatsministerium ist bisher nicht beachtet worden, sie werden mit der vorliegenden Veroeffentlichung der Forschung ueberhaupt erst vorgelegt. Dies ist umso bedeutsamer, als diese Akten die Materialien zur Verfassungsfrage enthalten, die im Zusammenhang mit den Landtagen und den Landtagsabschieden des Koenigs von zentraler Bedeutung fuer die Geschichte des Vormaerz sind.

Die Protokolle werden zu Beginn jedes Eintrags beschrieben, Abschriften in anderen Akten (meist Akten der Ministerien und des Zivilkabinetts, aber auch in Archivbestaenden wie Obertribunal, Seehandlung etc.) und Veroeffentlichungen in Editionen werden nachgewiesen. Die Teilnehmer der Beratungen werden getrennt nach Mitgliedern des Staatsministeriums und weiteren Anwesenden vorgestellt, die entsprechenden Daten zu den Personen finden sich in der Aufstellung der Mitglieder des Staatsministeriums im Anhang und im Personenregister. Es folgen die Tagesordnungspunkte, im Anschluss daran vorausgegangene oder folgende Immediatberichte, Voten und Beschluesse sowie Hinweise auf die Literatur.

Die Regesten gestatten in chronologischer Reihenfolge einen zuverlaessigen sequentiellen Zugriff auf die Verhandlungen des Staatsministeriums in den knapp acht Jahren von 1840 bis 1848. Den gezielten thematischen Zugriff erschliessen die Register, und hier zeigt sich ganz besonders die Staerke des Konzepts dieses Werks. Die Register verweisen naemlich nicht nur auf die Regesten, sondern auf die Quellen selbst. In den Sach-, Personen- und Ortsregistern finden sich deshalb zum grossen Teil Verweise, die in den Regesten vergeblich gesucht wuerden. Den Zugriff auf die Originalquellen erschliesst inzwischen die Mikrofiche-Edition im Verlag Olms-Weidmann, die freilich angesichts ihres Preises nur in den groesseren wissenschaftlichen Bibliotheken zu finden sein wird.

Ein haeufiger Nachteil von Regestenwerken und erst recht von Archivinventaren wird mit der vorliegenden Bearbeitung der Protokolle des Staatsministeriums also umgangen: Eine vollstaendige Information ueber den Inhalt der Akten und oft genug auch die korrekte Paraphrasierung sind unmoeglich, und wer sich der Illusion der ausreichenden Erschliessung der Akten durch die Regesten hingibt, verschliesst sich gerade dadurch den Zugang zu wichtigen Informationen. Das Konzept der Bearbeitung der Staatsministeriums-Protokolle erweist gerade dadurch seine Staerke, dass es in den Registern auf die Quellen verweist und den kursorischen Charakter der Regesten nachdruecklich betont.

Die Register erweisen sich durch Aufbau und offensichtliche Sorgfalt als brillanter Schluessel zu den Quellen. Das Personenregister enthaelt die wichtigsten biographischen Daten, das Ortsregister die noetigsten Hinweise auf die regionale Zugehoerigkeit. Im Sachregister, das topographische Nennungen enthaelt, wenn es sich um Verwaltungseinheiten handelt, werden sinnvoll angelegte hierarchische Ordnungen ergaenzt durch einleuchtende, in die Breite gehende Verweise, die den Zugriff unter ganz verschiedenen Aspekten sicherstellen. So finden sich etwa Eintraege wie "Feldmesser - Juden" oder "Gastwirtschaften - Juden" wieder unter "Juden - Konzessionsbeschraenkungen". "Pfaendungen" verweisen auf "Exekutionen", "Expropriationen" auf "Subhastationen". Im Sachregister finden sich erwartungsgemaess haeufige Hinweise auf Beamten- und Disziplinarsachen, Domaenen, Staende und Landtage, und ganz besonders auf Rechtsprechung und Gesetze. Der Bearbeitungszeitraum war ja die Zeit, als das Staatsministerium durchaus selbstbewusst gegenueber dem Koenig wie auch den Provinzialstaenden Spielraeume fuer gesamtstaatliche Initiativen nutzte, vorrangig in den Bereichen, die durch die Provinzialstatuten nicht zu regeln waren. Deshalb finden sich hier zahlreiche Verhandlungen zu Bau und Finanzierung von Eisenbahnen, zum Aktienrecht, Bergbau und Huettenwesen, Chausseebau, Handelsrecht und zu Vertragswerken mit auswaertigen Staaten. Verhandlungen ueber die einheitliche Regulierung der Verhaeltnisse der Juden und der juedischen Gemeinden entsprechend den Vorgaben der Bundesakte finden sich ebenso wie die Verhaeltnisse der christlichen Kirchen, das brisante Thema des Eherechts, Rittergueter, Lehen und Fideikomisse. Die Cholera wurde ebenso verhandelt wie die Arbeiterfrage (sie blieb aber noch erstaunlich peripher) und die Armenfuersorge, Pressefreiheit, Universitaetswesen oder Alkoholismus. Angesichts der Breite und Tiefe der Erschliessung durch die Register ist es nicht verwunderlich, dass der Regestenteil 289 Seiten, der Registerteil 195 Seiten umfasst. Aber um es nochmals zu wiederholen: Der Registerteil und der Regestenteil beziehen sich gar nicht in erster Linie aufeinander, wie es in konventionellen Regestenwerken der Fall ist, sondern sie ergaenzen sich gegenseitig durch die sequentiell-chronologische und die thematische Erschliessung der Originalquellen selbst.

Es darf ohne weiteres festgestellt werden, dass das durchdachte Konzept dieses Projektes, die Verbindung des kursorischen Ueberblicks der Regesten und der moeglichst vollstaendigen, in die Tiefe gehenden Erschliessung der Quellen in den Registern, den ausserordentlich bedeutenden Quellenbestand des Staatsministeriums ueberhaupt erst der Forschung zur Verfuegung stellt. Eine Durchsicht des Quellenbestandes entsprechend den jeweiligen Fragestellungen eines Vorhabens waere ohne diese Veroeffentlichung schon aus Gruenden der Zeitoekonomie schier unmoeglich.

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