Cover
Titel
Bildung im Bild. Bilderwelten als Quellen zur Kultur- und Bildungsgeschichte


Autor(en)
Keck, Rudolf W.; Kirk, Sabine; Schröder, Hartmut
Erschienen
Bad Heilbrunn 2004: Julius Klinkhardt Verlag
Anzahl Seiten
218 S.
Preis
€ 19,80
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Jens Jäger, Arbeitskreis Historische Bildforschung, Hamburg

Die Diskussion um das Bild, mehr aber noch dessen Verwendung als didaktisches Mittel gehören fast zum Kernbestand abendländischer Pädagogik. Dass Bilder zur Unterweisung, Belehrung und Überzeugung genutzt wurden und werden, unterstreicht deren hohe Bedeutung für eine weit gefasste Bildungs- und Erziehungsgeschichte. Folgerichtig hat die Bildungsforschung bzw. Geschichte der Pädagogik das Bild frühzeitig als Forschungsgegenstand entdeckt, und eine Reihe an Beiträgen zur Bildforschung stammt von Pädagogen und Bildungshistorikern. Der vorliegende Band hätte eine willkommene Zusammenfassung des Forschungsstandes erwarten lassen, doch bleibt er weit hinter einer solchen Erwartung zurück.

Die hier versammelten sechs Vorträge wurden im Rahmen einer Ringvorlesung am Institut für Angewandte Erziehungswissenschaft und Allgemeine Didaktik an der Universität Hildesheim mit engem Bezug zu dem DFG-geförderten Projekt "Retrospektive Digitalisierung ausgewählter Bibliotheksbestände" gehalten. Das Projekt zielt darauf, Bilder mit pädagogischem Inhalt im weitesten Sinn aus drei Bibliotheksbeständen (Herzog-August-Bibliothek Wolfenbüttel, Universitätsbibliothek Helmstedt und Universitätsbibliothek Göttingen) einer erweiterten Fachöffentlichkeit zugänglich zu machen. Dieses geschieht zurzeit in Form der Bilddatenbank Pictura Paedagogica Online, über die inzwischen auf etwa 20.000 Bilder (www.bbf.dipf.de/VirtuellesBildarchiv) zugegriffen werden kann. Die Bestände umfassen visuelles Material aus der Zeit seit dem Spätmittelalter mit einem Schwerpunkt in der Frühe Neuzeit und beinhalten verschiedenste Bildträger: von Buchillustrationen bis hin zu illustrierten Postkarten. Insofern ist der Band als ein Medium zu verstehen, das versucht, die Entstehungsgeschichte und Vielfalt von Sammlung und Datenbank zu präsentieren. Als Beitrag zum Umgang mit dem Bild in der bildungsgeschichtlichen Forschung besticht er weniger. Das hat einerseits damit zu tun, dass die sicherlich schwierig zu beantwortende Frage, was denn ein bildungsgeschichtlich relevantes Bild ist, kaum ansatzweise diskutiert wird. Erst im abschließenden Beitrag wird zumindest über die Auswahlkriterien gesprochen (S. 202), die allerdings so umfassend sind, dass sie kaum zur Abgrenzung dienen können. Zum Zweiten kommen die drei bildanalytischen Beiträge eigentlich nicht über eine deskriptive Beschreibung ihrer Gegenstände hinaus und haben auch bis auf den Aufsatz von Sabine Kirk mit Bildungsforschung nur am Rande zu tun. Die abschließenden zwei Artikel erläutern die spezifischen praktischen Überlegungen und Erfahrungen der retrospektiven Digitalisierung von Bilddaten und deren Aufbereitung für die Präsentation im Internet.

Sowohl der Titel als auch Untertitel und einleitender Beitrag von Rudolf W. Keck versprechen also weit mehr, als sie halten können. In dem Forschungsüberblick von Rudolf W. Keck, der gewissermaßen als Übersicht zur Verwendung des Bildes als Bildungsinstrument seit dem Mittelalter angelegt ist, entsteht der Eindruck, dass die Bildungsforschung in ihrer Reflexion zum Bild etwa Mitte der 1980er-Jahre verharrt ist. Zudem wird für Spätmittelalter und Frühe Neuzeit davon ausgegangen, dass visuelle Kommunikation vor allem auf die Leseunkundigen gezielt habe und der Kirche wird für die Zeit vor der Reformation eine weit strengere Bilderfeindlichkeit unterstellt, als tatsächlich nachweisbar ist. Die bildmethodische Debatte wird im Großen und Ganzen auf Erwin Panofsky und dessen ikonografisch-ikonologisches Verfahren reduziert. Ein kurzer Hinweis auf Pierre Bourdieu öffnet kaum eine Perspektive auf soziologisch geprägte Forschung. Die gesamte literaturwissenschaftliche Forschung um Wolfgang Harms oder auch neuere geschichtswissenschaftliche Ansätze, mit Ausnahme eines Beitrages von Heike Talkenberger 1 oder gar neuere kunstwissenschaftliche oder medienwissenschaftliche Methodik bleiben undiskutiert und auch unerwähnt. Selbst Titel aus der bildungsgeschichtlichen Forschung 2 oder der Forschung zur ästhetischen Erziehung sind, milde ausgedrückt, unterrepräsentiert.

Dieser verengte Blick auf das Thema zeigt sich in den Aufsätzen von Kirk, Peter Müller und Otto May. Kirk fragt in ihrer Untersuchung (vermeintlicher) Darstellungen von Lehrern und Schülern aus dem Zeitraum zwischen dem 15. und 17. Jahrhundert nach Veränderungen in Lehr- und Lernsituation und den Lernorten. Auf besondere mediale Spezifika, wie etwa die verwendete Technik (z.B. Holzschnitt oder Kupferstich), geht sie dabei ebenso wenig ein, wie sie überhaupt diskutiert, ob die von ihr verwendeten Bilder tatsächlich Lehr- bzw. Lernsituationen darstellen. Symbolik und Allegorie sind Kategorien, in denen ihre Analyse sich kaum bewegt, stattdessen wird häufig die Feststellung der Realitätsnähe der Abbildung als wichtigstes Erkenntnisziel hervorgehoben. Letzteres wird auch bei Müllers Darlegungen zum inhaltlichen Gehalt von spätmittelalterlichen Stifterbildern und Stadtchroniken immer wieder hervorgehoben: Die Güte der Bilder als Quelle wird aus deren Zuverlässigkeit in der Abbildung von Realien (Kleidung, Gebäude, Gegenstände) abgeleitet. Das verwundert umso mehr, als einleitend ausführlicher auf die Quellenproblematik eingegangen wird und - mit Hinweisen auf den Mediävisten Hartmut Boockmann - Umsicht beim Umgang mit dem Bild als Quelle angemahnt wird. Mays Beitrag über die Ansichtskarte stellt diesen Bildertypus in groben Zügen dar und versucht auch eine Einordnung in den Kommunikationszusammenhang zwischen Kaiserreich und Drittem Reich. Über einfache Inhaltsbeschreibungen der Bilder kommt seine Analyse jedoch auch nicht hinaus und die Vermutungen über den Gebrauch und die Rezeption der Ansichtskarte sind wenig überzeugend: So heißt es etwa, dass die Ansichtskarte um 1900 deshalb zum Massenkommunikationsmittel wurde, weil es die heutigen Medien noch nicht gab (S. 137). Was die Ansichtskarte als mentalitätsgeschichtliche Quelle auszeichnet - und eine solche ist sie zweifellos - bleibt bei May im Dunklen. Auch sind die abgebildeten Illustrationen bibliografisch ungenügend erfasst. Einfachste Regeln werden missachtet: Selbst wo auf der Abbildung zu erkennen ist, wer als Bildautor signiert hat und welcher Verlag die Karte vertrieben hat, werden diese Angaben im Abbildungsverzeichnis nicht aufgeführt. Dass die letzte im Beitrag abgebildete Karte nicht einmal im Abbildungsverzeichnis aufgeführt ist, rundet diesen negativen Befund nur noch ab. Dabei ist May als Sammler von Ansichtskarten mit seinem Material sicherlich bestens vertraut. Außerdem stellt sich die Frage, was dieser Beitrag mit dem Thema des Sammelbandes zu tun hat: Unterricht, Lehrende, Lernende, Schule oder Unterweisung - die sicherlich auch nur Teilaspekte einer umfassenden Bildungsgeschichte sind - finden dort, wie übrigens schon bei Müller, keine Erwähnung.

Den Beiträgen ist gemeinsam, dass zwar teilweise für die äußere Quellenkritik nützliches Detailwissen vermittelt wird, Reflexionen über die Bilder als Kommunikationsmittel, die mehr als oberflächliche Analysen sind, aber nicht geleistet werden. Die funktionale, symbolische oder allegorische Dimension bleibt ausgeblendet, ebenso weitergehende Überlegungen zu ikonografischen Traditionen und Brüchen.

Ihrer Aufgabe angemessener sind die Beiträge zur spezifischen Sammlungs- und Erschließungsarbeit in Hildesheim von Müller und Schröder, doch hätte hier ein gemeinsamer Beitrag ausgereicht und Wiederholungen wären vermieden worden. Zumindest über Entstehung und inhaltliche Breite der Bilddatenbank Pictura Paedagogica Online ist man nach der Lektüre orientiert. Für die Historische Bildforschung und die Historische Bildungsforschung ist der Ertrag des Sammelbandes gering, geradezu enttäuschend. Hier wäre weit mehr zu erwarten gewesen.

Anmerkungen:
1 Talkenberger, Heike, Historische Erkenntnis durch Bilder? Zur Methode und Praxis der Historischen Bildkunde, in: Schmidt, Hanno u.a. (Hgg.), Bilder als Quellen der Erziehungsgeschichte, Bad Heilbrunn 1997, S. 11-26. Erwähnung finden die Beiträge Rainer Wohlfeils zur historischen Bildkunde, jedoch nicht das Beiheft zur Zeitschrift für Historische Forschung, das von Brigitte Tolkemitt und Rainer Wohlfeil 1991 herausgegeben wurde: Tolkemitt, Brigitte; Wohlfeil, Rainer (Hgg.), Historische Bildkunde. Probleme - Wege - Beispiele (Zeitschrift f. Hist. Forschung, Beih. 12), Berlin 1991.
2 Nur ein Beispiel sei erwähnt: Wilharm, Irmgard (Hg.), Geschichte in Bildern. Von der Miniatur zum Film als historische Quelle, Pfaffenweiler 1995.

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