B. Commandeur: Event zieht - Inhalt bindet

Cover
Titel
Event zieht - Inhalt bindet. Besucherorientierung von Museen auf neuen Wegen


Herausgeber
Commandeur, Beatrix; Dennert, Dorothee
Reihe
Schriften zum Kultur- und Museumsmanagement
Anzahl Seiten
193 S.
Preis
€ 22,80
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Bert Pampel, Stiftung Sächsische Gedenkstätten, Dresden

Museen in Deutschland stehen – wie vergleichbare Einrichtungen in anderen Ländern – vor einer dreifachen Herausforderung: Zum einen verändern sich die Erwartungen und Wahrnehmungsgewohnheiten ihrer Besucher, zum Beispiel dahingehend, dass sie im Museum nicht mehr allein einen Ort der Hochkultur, sondern zunehmend auch einen Ort der Unterhaltung sehen. Zum anderen wird die Konkurrenz mit Zoologischen Einrichtungen sowie Themen- und Freizeitparks um das wachsende Freizeitbudget potentieller Besucher härter. Schließlich werden die staatlichen Zuschüsse an die Museen insgesamt geringer. In der Diskussion über die richtigen Reaktionen auf diese Veränderungen taucht immer wieder ein Begriff auf: Besucherorientierung. Aber was ist damit eigentlich gemeint? Wird hier einer Anpassung sämtlicher Museumsaktivitäten an die Erwartungen der zahlenden Besucher das Wort geredet? Müssen möglicherweise eigene Bildungsansprüche zu Gunsten vermeintlicher oder tatsächlicher Besucheransprüche nach Spektakel, Zerstreuung und Unterhaltung aufgegeben werden? Zwei weitere Schlagworte, die in der Diskussion zunehmend häufiger fallen, geben solchen Befürchtungen Nahrung: Eventkultur und Erlebnisorientierung. Hat das Museum als „Lernort“ ausgedient, wird es nun zum Spaßtempel? Muss den klassischen fünf Aufgaben eines Museums – Sammeln, Bewahren, Forschen, Dokumentieren und Vermitteln – als sechste hinzugefügt werden: Unterhalten!?

Die im Bundesverband Museumspädagogik e.V. zusammengeschlossenen Museumsmitarbeiter, für die Lernen im Museum ein zentrales Ziel ihrer Arbeit war und ist, haben diese und ähnliche Fragen zum Gegenstand ihrer Jahrestagung im Oktober 2003 erhoben. Unter dem etwas sperrigen Titel „Event zieht – Inhalt bindet“ hatten sie Museumsexperten aus dem In- und Ausland, Psychologen, Freizeitwissenschaftler und Vertreter von Wettbewerbern um die Publikumsgunst (Zoos und Themenparks) eingeladen, um die genannten Schlagwörter im Lichte eigener Erfahrungen und wissenschaftlicher Erkenntnisse kritisch auf ihren Gehalt zu prüfen und Schlussfolgerungen für die eigenen pädagogischen Vermittlungsformen zu erörtern. Dabei wurde schnell deutlich, dass Events aus den deutschen Museen schon lange nicht mehr wegzudenken sind: Lange Nächte und Tage der offenen Tür, Konzertveranstaltungen und Theater, Kindergeburtstage und Preisausschreiben. Die Frage lautet längst nicht mehr: Event ja oder nein? Gefragt wird stattdessen: Wie lassen sich Events sinnvoll mit museumspädagogischen Aktivitäten verbinden, so dass Besucherinteresse geweckt und Stammpublikum gewonnen werden kann? Welche Art von Events ist für welche Museumssparte und welchen Zweck sinnvoll? Wo liegen die Chancen und wo die Grenzen von Eventkultur und Erlebnisorientierung im Museum?

Die in dem vorliegenden Band ansprechend aufbereiteten und dokumentierten Tagungsbeiträge nähern sich den zentralen Themen Besucherorientierung, Museumserlebnis und Event auf unterschiedliche Weise. David Anderson zeigt anhand einiger Beispiele in seinem englischsprachigen Aufsatz anschaulich, wie Besucher des Victoria and Albert Museums in London nicht nur als Interpreten, sondern sogar als Gestalter von Museumsinhalten in die museumspädagogische Arbeit einbezogen werden können. Der Freizeitpädagoge Wolfgang Nahrstedt bedient sich des Begriffs „Erlebnis“ als zentraler Kategorie für die Beschreibung des besonderen Charakters der Museumserfahrung. Er stünde für die Wiederentdeckung eines ganzheitlichen Lernens mit Kopf, Herz und Hand, für die Entwicklung vom formalen zum informellen, vom belehrenden zum selbstgesteuerten Lernen. Der Umweltpsychologe Holger Höge präsentiert eigene Ergebnisse empirischer Untersuchungen im Museumsdorf Cloppenburg, die Nahrstedts Thesen vom Erlebnischarakter eines Museumsbesuches unterstreichen. Die Erwartungen der Besucher – historische Gebäude betreten, frühere Lebensbedingungen nachempfinden und dabei etwas lernen -- wie auch ihre Beschreibung der eigenen Besuchserfahrungen als Einfühlung, Nachvollzug und Nachempfindenkönnen wiesen in diese Richtung. Carol Schreider, Head of Education der Minnesota Historical Society, setzt sich in ihrem ebenfalls englischsprachigen Beitrag auf erfrischend klare Weise mit den oben bereits angesprochenen Befürchtungen auseinander, Besucherorientierung bedeute den Besuchern zu geben, was diese erwarteten: „Does it mean, that we let our audience tell us how to do our work? Absolutely not! [...] Knowing about audience broadens our perspective, so that we are not just listening to people like ourselves.“ (S. 64) Anschließend fasst Schreider prägnant zusammen, in welcher Hinsicht Besucherforschung das Wissen darüber erweitert und vertieft hat, wie und was Besucher in Museen lernen. Ihre diesbezüglichen Ausführungen decken sich zu großen Teilen mit den vom Präsidenten der Stiftung Haus der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland Hermann Schäfer skizzierten Ergebnissen der überaus zahlreichen Evaluationsprojekte in seinem Hause 1: Besucher wollen in Museen lernen – aber nicht wie in der Schule. Lernen in Museen und aus Museumsbesuchen ist freiwillig und informell. Besucher lernen aus Museumsbesuchen – aber nicht wie in der Schule. Museumslernen vollzieht sich nicht als bloßer Transfer oder Hinzufügung von Sachwissen, sondern in der Form der Prüfung und Reorganisation vorhandenen Wissens, wobei die Zuschreibung persönlicher Bedeutung zu Informationen oder Objekten eine entscheidende Rolle spielt. Eindeutige Besucherführung, semantisch optimierte Texte, interaktive Medien mit persönlichen Bezügen und interessante Objekte verstärken diese Lernprozesse.

Schreiders und Schäfers Einsichten basieren auf den Erkenntnissen von Besucherforschung in historischen Museen und Ausstellungen, deren Besucher offensichtlich mit einer größeren epistemischen Neugier solche Einrichtungen aufsuchen. Dagegen betonen der Direktor des Museums für Kommunikation Berlin Joachim Kallinich und Sabine Schormann, Ausstellungs- und Projektleiterin bei der EXPO 2000 Hannover, stärker das Bedürfnis ihrer Besucher nach Unterhaltung. Kallinich plädiert wohl am deutlichsten von allen Autoren dafür, die Trends zunehmender Unterhaltungs- und Erlebnisorientierung nicht nur widerwillig zur Kenntnis zu nehmen, sondern fordert eine Anpassungsleistung der Museen an die veränderten Bedingungen. Ob allerdings unterhaltsamere Formen der Vermittlung tatsächlich zu größeren Lernerfolgen führen, wie Kallinich vermutet, ist noch empirisch zu prüfen. Sämtliche Beiträge, auch diejenigen, auf die hier nicht separat eingegangen werden konnte, werden mit einem inhaltlichen Abstract eingeleitet und mit der Kontaktadresse der Autoren und Hinweisen auf weiterführende Literatur abgeschlossen.

In einem zweiten Teil des Bandes stellen die wichtigsten Bonner Museen aktuelle Angebote ihrer Einrichtungen mit mehr oder weniger Event-Charakter vor. Außerdem werden die von Museen und Ausstellungen auf der Tagung im Rahmen eines „Ideenmarktes“ vorgestellten Projekte dokumentiert.

Wie der Sammelband insgesamt, so lässt auch der abschließende Aufsatz von Annette Noschka-Roos erkennen, wie sich das Selbstverständnis der deutschen Museen in den letzten Jahren in Richtung Besucherorientierung verändert hat. Die ausgewiesene Expertin für Besucherforschung in deutschen Museen verweist diesbezüglich auf die Zunahme museumspädagogischer Aktivitäten, die immer mehr auf Dialog statt Belehrung setzen und die längst nicht mehr nur als Anhang zu den klassischen Aktivitäten des Museums fungieren, sondern zum integralen Bestandteil von Museumsarbeit geworden sind. Die am Ende des Buches abgedruckten, von Hermann Schäfer aus dem Englischen übersetzten „Visitor's Bill of rights“ zeigen abschließend noch einmal eindrucksvoll, worum es geht, wenn von Besucherorientierung die Rede ist: Um Anerkennung elementarer Besucherbedürfnisse (Sitzmöglichkeiten, Orientierung, Kommunikation) um Respekt vor dem Wissenstand und den Fähigkeiten der Besucher sowie um Einsichten darin, wie Besucher in Museen lernen. Der Sammelband vermittelt auf anschauliche, lebendige und anregende Weise, dass die deutschen Museumspädagogen mit innovativen Ansätzen auf gutem Wege sind, die eingangs genannten Herausforderungen zu bewältigen, ohne ihre Ansprüche an die Bildung ihrer Besucher aufzugeben.

Anmerkung:
1 Dieser Beitrag ist weitgehend identisch mit: Schäfer, Hermann, Anlocken – fesseln – vermitteln. Was Besucherforschung und lehrt(e). Ein Plädoyer für die Grundrechte der Besucher, in: Noschka-Roos, Annette (Hg.), Besucherforschung in Museen. Instrumentarien zur Verbesserung der Ausstellungskommunikation, München 2003, S. 83-109.

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