I. Mari i Mayans: Die Katalanischen Länder

Cover
Titel
Die Katalanischen Länder. Geschichte und Gegenwart einer europäischen Kultur


Autor(en)
Mari i Mayans, Isidor
Reihe
Kultur und Gesellschaft der katalanischen Länder 3
Anzahl Seiten
227 S.
Preis
€ 17,80
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Jenny Brumme, Facultat de Traducció i Interpretació, Universitat Pompeu Fabra

Der Überblick über die Geschichte von Kultur und Gesellschaft der Katalanischen Länder bietet einen interessanten und gut dokumentierten Einstieg in die Problematik eigenständiger Kultur- und Sprachgemeinschaften, die jedoch keinen Staat bilden. Sehr häufig musste ich bei meiner nun fast schon dreißig Jahre andauernden Beschäftigung mit dem Katalanischen feststellen, dass dieses Phänomen vielen Menschen, seien sie historisch vorgebildet oder nicht, erhebliche Probleme bereitet – oder bei vielen schlichtweg auf Unverständnis stößt. Eine Kultur, Sprache – und ich will gar nicht das wenig hilfreiche, weil viel zu belastete Wort „Nation“ gebrauchen – ohne eigenes Staatswesen, die noch dazu auf vier Länder (Spanien, Frankreich, Andorra und Italien) verteilt ist, die gibt es nicht!

Nach mehr als zehnjährigem Aufenthalt in Barcelona kann ich zweifellos behaupten, dass dabei Deutsche den unsinnigsten Auffassungen aufgesessen sind. Die Nations- und Staatsbildung, die im 19. Jahrhundert in Europa ihren Höhepunkt erreichte, hat anscheinend tiefgreifende Spuren im kollektiven Bewusstsein hinterlassen. Nach dem Motto „Eine Nation, eine Sprache“ werde, meinen Landsleuten zufolge, in Deutschland nur Deutsch gesprochen, in Spanien nur Spanisch, in Frankreich nur Französisch usw. Aber leben in Deutschland nicht auch Menschen, die Dänisch, Friesisch und Sorbisch sprechen? Ganz zu schweigen von Einwanderern mit Türkisch, Spanisch, Portugiesisch usw. als Muttersprache? Sieht nicht auch das deutsche Grundgesetz in Artikel 3, Absatz 3 vor, dass niemand wegen seiner Sprache benachteiligt oder bevorzugt werden darf?

Da sich zwischen theoretischem Wissen und Praxis wohl immer ein Abgrund auftut, ist es also nur zu begrüßen, wenn ein Verlag mit Hilfe einer vom Verfasser aktualisierten und bearbeiteten Studie den Versuch unternimmt, diese europäische Kultur vorzustellen und im deutschen Sprachraum zu vermitteln (S. 9). Ob dazu tatsächlich eine Übersetzung eines für das spanische Publikum abgefassten Buches (zunächst „Conocer la lengua y la cultura catalanas“. Palma de Mallorca: Llull, Federació d’Entitats Culturals dels Països Catalans, 1993, ISBN 84-604-7744-4) wirklich geeignet ist, sei zunächst einmal dahin gestellt. Wenngleich Isidor Marí in den letzten Unterkapiteln einen Vergleich mit anderen Sprachsituationen und die Verankerung des Katalanischen in der europäischen Vielsprachigkeit anstrebt (S. 197-212), hätte eine stärkere Ausrichtung auf das deutschsprachige Zielpublikum – z.B. mittels Gegenüberstellung zu historischen Abläufen im mitteleuropäischen Raum – sicherlich wesentlich zu einem besseren Verständnis der aufgezeigten Entwicklungen beigetragen. Immerhin können die LeserInnen anhand des Zahlenmaterials nachvollziehen, dass die Osterweiterung der EU das Sprachenproblem gar nicht verschärft hat, sondern dass es bereits vor 2004 innerhalb der Mitgliedsstaaten bestand (Katalanisch sprechen etwa 7 Millionen, wogegen Slowakisch 5,4 Millionen, Litauisch 3,7 Millionen oder Lettisch 2,4 Millionen Menschen beherrschen, S. 211).

Marí vollzieht das Wachsen und Werden der katalanischen Sprach- und Kulturgemeinschaft entlang historischer Eckdaten nach, wobei er stets Entwicklungen auf sprachlichem Gebiet (z.B. die Romanisierung, S. 16ff.), in der Kunst, Literatur oder der Sachkultur und später im Bereich der Industrie, Wissenschaft und Technik im Auge behält. Bereits die ersten Seiten weisen ihn als Kenner wichtiger neuer Konzepte aus der Geschichtswissenschaft und der Schriften ihrer Vertreter aus (Braudel, Pierre Vilar, Vicens Vives, S. 11f., 26ff.). Marí gelingt es dabei, auf sehr subtile Art und Weise bestimmte Auffassungen gegeneinander abzuwägen und seine These von zwei sich diametral gegenüber stehenden Staatsauffassungen, die sich im Verlaufe der Jahrhunderte auf der Iberischen Halbinsel herausbilden, zu untermauern: die im katalanisch-aragonesischen Raum vertretene pluralistische Vorstellung (S. 36) und der vom Zentrum aus vertretene Unitarismus, der sich später in der Stärkung einer einheitlichen Zentralmacht (18. Jahrhundert) bis hin zur Negierung jeglicher „Abweichungen“ von einer Linie (wie vom Franco-Regime vertreten) äußern sollte.

Ausführlich widmet sich Marí der Epoche, in der die katalanische Eroberungspolitik (13.-15. Jahrhundert) dazu beiträgt, die Sprache in andere Gebiete zu tragen (S. 43-71), wo sie auch heute noch gesprochen wird (València, Balearen, Sardinien). Er stellt die Besonderheiten des katalanischen Imperiums mit der wiederholten Erklärung eines seiner Schlüsselelemente, nämlich des ‚Paktismus’ („das Wirken der Landesvertreter bei der Festlegung von Regierungsformeln“, S. 49) heraus und erklärt die Einzigartigkeit dieses Gebildes, das nur im britischen Commonwealth (S. 54) eine weitere Auflage erfährt.

Sehr intensiv bemüht sich Marí darum, nicht in das Netz katalanisch national gesinnter Geschichtsschreibung zu gehen, indem er die tradierte Einteilung ‚Goldenes Zeitalter – Niedergang – Wiedergeburt’ bewusst in Frage stellt („Renaissance oder Niedergang?“, S. 72). Dennoch sitzt er bestimmten hartnäckigen Stereotypen auf, die mittlerweile von der Forschung revidiert worden sind. So entspricht das Nebrija-Bild (ca. 1441-1522, verfasste die erste spanische Grammatik; „Ein Reich, eine Sprache“, S. 76ff.) nicht mehr dem neuesten Forschungsstand und auch der der kastilischen Krone unterstellte Verfolgungswahn gegenüber dem Katalanischen („Eine verfolgte aber notwendige Sprache“, S. 107ff.) hat in den letzten Jahren eine genauere und nuancenreichere Einschätzung erfahren.1 Hier zeigt sich, dass trotz aller Spezialisierung das Überwinden des strikten Fachwissens wichtig ist. Spanischsprachige (oder spanische) und katalanische Historiografie bzw. Sprachgeschichtsschreibung müssen zusammengehen, um Missverständnisse auf beiden Seiten auszuräumen, wobei sicherlich Fehleinschätzungen auf der spanischsprachigen Seite häufiger sind.

Die nachfolgenden Kapitel sind dem Wiederaufleben der katalanischen Kultur im 19. Jahrhundert und dem Kampf um die Institutionalisierung im 20. Jahrhundert gewidmet (S. 117-197) – ein Prozess, der von Rückschlägen, insbesondere der Ächtung unter dem Franco-Regime, gekennzeichnet ist. In diesem Zusammenhang sind die Seiten über die Benennung dieser europäischen Sprache und Kultur von besonderer Bedeutung (Katalonien, Katalanische Länder, Land València, Katalanisch, Valencianisch, Mallorquinisch usw.; S. 175ff., auch Fußnote 2, S. 9), hat sich doch die Diskussion darüber in der letzten Zeit arg zugespitzt. So hat die Europäische Kommission kürzlich zwei gleichlautende Verfassungstexte aus den Händen des spanischen Regierungspräsidenten erhalten (5.11.2004), einen valencianischen und einen katalanischen. Damit sollte die Neutralität in diesem selbstverständlich politisch motivierten Streit um die „Namensgebung“ gewahrt werden, was sich letztendlich jedoch als illusorisch erwies.

Für das Verständnis einer nicht im Fach bewanderten Leserschaft sicherlich sehr hilfreich ist das von Heike Nottebaum erstellte „Glossar“ (S. 219-226), in welchem die im fortlaufenden Text mit einer gestrichelten Linie versehenen Begriffe kurz erläutert bzw. Daten zu Persönlichkeiten ergänzt werden. Nicht ganz kohärent ist in diesem Zusammenhang der Umgang mit den Lebensdaten, die z.B. bei Jaume Vicens Vives (S. 26) erscheinen, die aber bei anderen zitierten Wissenschaftlern fehlen.

Die Arbeit der Übersetzerin erstreckt sich darüber hinaus auch auf ergänzende Fußnoten (z.B. S. 168f.). Dabei ist die Entscheidung, die Bezeichnung von Institutionen usw. im Original zu belassen und eine deutsche Übersetzung in Klammern hinzuzufügen, nur zu begrüßen (z.B. Col.legi de Sant Jordi 'St. Georgs-Schule', Associació Protectora de l’Ensenyança Catalana 'Gesellschaft zum Schutz des katalanischen Bildungswesens', S. 148).

Eine Auswahl weiterführender Literatur zu den Katalanischen Ländern (mit Internetadressen, S. 217f.) gibt einen guten Überblick über deutschsprachige Veröffentlichungen zu Geschichte, Sprache und Literatur. Die reiche Bebilderung der Originalausgabe ist allerdings einer schlichten Karte zum katalanischen Sprachgebiet (S. 227) gewichen.

Anmerkung:
1 Kailuweit, Rolf, Vom eigenen Sprechen: eine Geschichte der spanisch-katalanischen Diglossie in Katalonien (1759-1859), Frankfurt am Main 1997; Lüdtke, Jens, Acerca del carácter imperial de la política lingüística de Carlos III, in: Holtus, Günter; Lüdi, Georges; Metzeltin, Michael (Hgg.), La Corona de Aragón y las lenguas románicas, Tübingen 1989, S. 267-274.

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