E. R. Varner: Mutilation and transformation

Cover
Titel
Mutilation and transformation. Damnatio Memoriae and Roman imperial portraiture


Autor(en)
Varner, Eric R.
Reihe
Monumenta Graeca et Romana 10
Erschienen
Anzahl Seiten
VIII, 340 S.
Preis
$249.00
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Christiane Kunst, Historisches Institut, Universität Potsdam

Varners Buch thematisiert eines der interessantesten Phänomene der Römischen Kaiserzeit: die Schmähung und Vernichtung der Erinnerung an gescheiterte Kaiser und ihre Angehörigen, landläufig als damnatio memoriae bezeichnet. Bestimmte Kaiser wurden zu Staatsfeinden (hostes) erklärt und als Tyrannen gebrandmarkt. Häufig genug war dies keine Frage der Qualität eines Herrschers, sondern Ergebnis dessen, dass es ihm nicht gelang, eine geregelte Nachfolge zu sichern oder die dauerhafte Anerkennung der eigenen Herrschaft zu erreichen. Die Interessen der jeweiligen Nachfolger spielten im Prozess der Erinnerungsächtung eine entscheidende Rolle. Nero beispielsweise wurde vom Senat zum hostis erklärt, Otho und Vitellius restituiierten jedoch vorübergehend die Erinnerung an ihn. Eine offizielle Erklärung Caligulas zum hostis verhinderte sein Nachfolger Claudius, er tolerierte jedoch eine faktische Ächtung des Vorgängers. Hadrian wiederum verfiel nie einer Gedächtnisstrafe, seine Konsekration wurde jedoch gegen den ausdrücklichen Willen des Senats von seinem Adoptivsohn und Nachfolger durchgesetzt. Kaiserliche Frauen verfielen dagegen selten im Zuge der Aburteilung ihrer Männer der damnatio memoriae, sondern wurden Opfer von Erinnerungsverlust, weil sie beim regierenden Princeps in Ungnade fielen.

Varner dokumentiert umfangreiches Material vom späten 1. Jahrhundert v.Chr. bis zum Beginn des 4. Jahrhunderts n.Chr. mit Ausblicken in den Alten Orient, ins pharaonische wie ptolemäische Ägypten, nach Athen, Syrakus und in die späte römische Republik. Obgleich der Schwerpunkt auf einer Analyse plastischer Darstellungen liegt, werden umfangreiches Material aus der Glyptik sowie numismatische und epigrafische Zeugnisse einbezogen. Im Mittelpunkt des Bandes steht dabei die Behandlung der Bilder von "Verurteilten", die als reale Abbilder in Ungnade gefallener Kaiser und kaiserlicher Frauen gezielt verstümmelt, umgearbeitet oder eingelagert wurden. Immer wieder bemüht Varner die Analogie der körperlichen Bestrafung eines Verbrechers nach dessen Tod (poena post mortem) zur Zerstörung der Bilder eines ungeliebten Kaisers und zu den Ausschreitungen gegen seine Leiche. So werden in erster Linie die Sinnesorgane der Bildwerke attackiert oder die Köpfe abgeschlagen. Wie die Körper von Verbrechern werden die entstellten Kaiserbilder in der Stadt ausgestellt. Dagegen reicht die Entfernung der kaiserlichen Bildnisse aus dem öffentlichen Raum von der schlichten Deponierung in Lagerräumen bis zur sorgfältigen Herauslösung der Köpfe aus Staatsreliefs zusammen mit der gleichsam rituellen Bestattung des entfernten Körperteils. Die Vorgänge zielen gleichermaßen auf ein Vergessenlassen der Entmachteten wie auf die warnende Erinnerung ihres Sturzes, wenn beispielsweise die Häupter eliminiert werden, die Körper aber bleiben oder die verstümmelten Porträts und ausgeschlagenen Inschriften für einige Zeit weiterhin sichtbar sind und somit den Sturz der Mächtigen im Bewusstsein bewahren.

Im ersten Jahrhundert war es eine verbreitete Praxis, die Köpfe gestürzter Kaiser in die ihrer siegreichen Nachfolger oder aber in die renommierter Vorgänger umzuarbeiten. Varner bezeichnet diese Procedere als "visual cannibalism" von hohem symbolischem Wert. Während im 2. und 3. Jahrhundert, mit Ausnahme der Umarbeitung von Bildnissen Elagabals in Porträts seines Vetters Alexander Severus, keine derartigen Transformationen vorgenommen wurden, lebte die Praxis mit Konstantin wieder auf, der in großem Stil die Bilder des von ihm niedergerungenen Maxentius in Darstellungen seiner Person umarbeiten ließ. Interessant ist Varners Beobachtung, dass im 1. Jahrhundert Porträttypen wie Nerva oder Galba ganz wesentlich dadurch bestimmt waren, dass sie aus bereits vorhandenen Bildern gearbeitet worden waren. Während bei den Severern und Soldatenkaisern die Umarbeitungspraxis fehlte, prägte sich dafür ein rigiderer Umgang mit Vernichtung und Verstümmelung von Bildnissen aus. Getas Bildnisse und Ehreninschriften etwa wurden - mit Hilfe des Militärs - mit weit größerer Systematik ausgelöscht als das bisher der Fall gewesen war.

In Varners Studie, die Überarbeitung seiner bereits 1993 in Yale bei Diana E. E. Kleiner fertiggestellten Dissertation (Damnatio Memoriae and Roman Imperial Portraiture), folgen nach einem Einleitungskapitel, das frühere Entwicklungen bis in die römische Republik beschreibt und kursorisch den Zusammenhang von Bild und Körper herausstellt sowie die oben erwähnten Elemente des Phänomens darlegt, zehn chronologisch angelegte Kapitel. Zunächst wird die julisch-claudische Dynastie besprochen, wobei Caligula samt Frau und Schwester ebenso ein eigenes Kapitel gewidmet ist wie Nero und Poppaea. Alle anderen Angehörigen des Hauses inklusive Seian und Ptolemaeus von Mauretanien, der weitläufig mit der Dynastie verwandt war, werden separat in einem weiteren Kapitel behandelt. Kapitel fünf wendet sich dem Vierkaiserjahr 69 n.Chr. zu. Das sechste Kapitel ist für Domitian reserviert, das siebente debattiert die wechselvolle Geschichte des Commodus zusammen mit Schwester, Gattin und Cousine. Besonders spannend sind gerade die Fälle wie Commodus, der zunächst aus der Erinnerung ausgeschieden und dann wieder aufgenommen wurde. Hier wäre es besonders interessant nach der Funktion der Erinnerungssuspension im Kontext der politischen Struktur des Principats zu fragen. Weitere Kapitel folgen zu den Severern und Soldatenkaisern. Den Schluss bilden die Angehörigen der Tetrarchie bis zu Konstantins Ächtung seines Sohns Crispus und seiner Gattin Fausta. Abgerundet wird die Arbeit durch den umfangreichen Katalog entstellter und umgearbeiteter Porträts. Die Binnengliederung der jeweiligen Kapitel umfasst eine kurze historische Einordnung der "Verurteilten", eine Typologie des Porträts, die Dokumentation der Verstümmelung bzw. Zerstörung der jeweiligen Bildnisse sowie Umarbeitungen und Entfernungen aus dem öffentlichen Raum; die Kapitel schließen mit kurzen meist nützlichen Zusammenfassungen.

Varners Buch ordnet sich in eine Fülle von Einzelpublikationen zum Themenkreis der damnatio memoriae ein, die hier erstmals eine umfassende archäologische Zusammenschau erfahren, bei der auch die kaiserlichen Frauen angemessen gewürdigt werden, was einmal mehr ihre Bedeutung in der Bildpropaganda belegt. Archäologisch ist seit den 1980er-Jahren mit dem Erscheinen einer Reihe von Studien zu umgearbeiteten Herrscherporträts erhebliche Bewegung in die Forschung gekommen.1 Monografische Arbeiten suchte man dagegen vergeblich. Varner selbst hat 2000 den auch methodisch reichen Ausstellungskatalog "From Caligula to Constantine. Tyranny and Transformation in Roman Portraiture" vorgelegt. Leider wurde im vorliegenden Band gänzlich auf einen Forschungsbericht verzichtet.

Nachdem jahrzehntelang Friedrich Vittinghoffs 1936 erschienenes Buch "Der Staatsfeind in der römischen Kaiserzeit" die Vorstellung geprägt hat, damnatio sei eine streng rechtlich gefasste Kategorie, bietet Varners Buch nun eine weitere Grundlage zur Neukonzeption. Es kann nicht oft genug betont werden, dass damnatio memoriae ein reiner Wissenschaftsterminus ist, der erst im 17. Jahrhundert geprägt wurde und auf das von antiken Autoren verwendete memoriam damnare, condemnare, abolere rekurriert. Das ist Varner durchaus bewusst, schließlich zeigt er minutiös die Praxis der Bildbehandlung auf und dokumentiert, dass keineswegs immer eine offizielle Anweisung vorlag, dass Prozesse umgekehrt oder abgebrochen wurden, dass es halboffizielle Verfahrensweisen gab usw. Dennoch erweckt Varner wiederholt den Eindruck, damnatio memoriae sei ein feststehendes Verfahren. Sein Befund zeugt vom Gegenteil. Am deutlichsten wird diese Diskrepanz bei der Behandlung der Republik, für die Varner trotz seines Verweises auf Unstimmigkeiten im literarischen Zeugnis "established [...] practices" (S. 17, vgl. S. 1f.) annimmt. Für die juristische Sphäre lässt sich das klar verneinen.2 Bei damnatio memoriae handelt es sich vielmehr um eine flexible Praxis der Manipulation und Redaktion des allgemeinen Gedächtnis in Form negativen Erinnerns, die durch einen juristischen Akt initiiert werden konnte aber nicht musste. Von besonderer Bedeutung ist vielmehr die Suggestion allgemeiner Akzeptanz des Verfahrens, was gerade nicht den Eindruck des Zwangs einer Erinnerungsunterdrückung aufkommen lässt.

Auch wenn Varners Hauptinteresse dem archäologischen Material gilt, formuliert er dennoch den Anspruch, die römische Manipulation der memoria als "defining attribute of Roman cultural identity and romanitas" (S. 224) zu identifizieren. Daher ist es schade, dass der literarische Diskurs zu memoria und memoria damnata so wenig thematisiert wird und stattdessen die literarischen Belege synchrone Verwendung finden. Trotz wichtiger Beiträge und Vorarbeiten zu memoria,3 vor allem aber zu damnatio im Kontext der Bestrafung von Staatsfeinden 4 bleibt eine einschlägige historische Behandlung der damnatio memoriae weiterhin ein Desideratum, das Harriet Flower versprochen hat zu beseitigen. Varners gut lesbare und lehrreiche Darstellung des archäologischen Befundes wäre damit ideal ergänzt.

Anmerkungen:
1 Vgl. zu Nero und Domitian: Bergmann, M.; Zanker, P., Damnatio memoriae. Umgearbeitete Nero- und Domitianporträts. Zur Ikonographie der flavischen Kaiser und des Nerva, Jahrbuch des Deutschen Archäologischen Instituts 96 (1981), S. 317-412; Born, H.; Stemmer, K. (Hgg.), Damnatio memoriae. Das Berliner Nero-Porträt (Sammlung Axel Guttmann 5), Mainz 1996.
2 Vgl. Pesch, A., De perduellione, crimine maiestatis et memoria damnata, Aachen 1995.
3 Walter, U., Memoria und res publica. Zur Geschichtskultur im republikanischen Rom, Frankfurt am Main 2004.
4 Hinard, F., Les proscriptions de la Rome républicaine (Collection de l'École Française de Rome 83), Rom 1985; LeGoff, J., Storia e memoria, Bari 1977; Mustakallio, K., Death and Disgrace. Capital Penalties with post mortem Sanctions in Early Roman Historiography, Helsinki 1994; Stewart, P., The Destruction of Statues in Late Antiquity, in: Miles, R. (Hg.), Constructing Identity in Late Antiquity, London 1999, S. 156-189; Hedrick Jr, Ch. W., History and silence. Purge and Rehabilitation of Memory in Late Antiquity, Austin 2000.

Redaktion
Veröffentlicht am
Redaktionell betreut durch
Klassifikation
Mehr zum Buch
Inhalte und Rezensionen
Verfügbarkeit
Weitere Informationen
Sprache der Publikation
Sprache der Rezension