: Geschichte des Waldes. Von der Urzeit bis zur Gegenwart. München 1998 : C.H. Beck Verlag, ISBN 3-406-44058-4 267 S., 53 Abb., davon 47 farb DM 58,00

: Wald - Von der Gottesgabe zum Privateigentum. Gerichtliche Konflikte zwischen Landesherren und Untertanen um den Wald in der frühen Neuzeit. Stuttgart 1998 : Lucius & Lucius, ISBN 3-8282-0079-6 361 S. € 62,00

Rezensiert für H-Soz-Kult von
Thomas Zeller, Dept. of History and Sociology of Science, University of Pennsylvania

Über den deutschen Wald hat der Bielefelder Umwelthistoriker J. Radkau vor einiger Zeit geschrieben, er habe im 18. Jahrhundert "gleichsam die letzten offenen Grenzen dieser Gesellschaft" enthalten 1. Für die Waldgeschichte, oder besser für die Umweltgeschichte des Waldes, trifft dies heutzutage nicht mehr zu. Einige Historikerinnen und Historiker haben historiographische Schneisen in das scheinbare Dickicht geschlagen; Waldgeschichte interessiert heute nicht nur angehende Forstwirte, die im Studium aus professioneller Selbstvergewisserung heraus entsprechende Literatur lesen. Geschichtswissenschaftler sehen in den Wäldern einen historischen Schnittpunkt von Mensch und Umwelt, an dem Wirtschaftsweisen, Landschaftsveränderung und Mythenproduktion zusammenkommen und stossen damit bisweilen auf breiteres Publikumsinteresse. Eine der hier vorzustellenden Neuver-öffent-lichungen zur Geschichte des Waldes richtet sich explizit an eine weit verstandende Leserschaft, bei der anderen handelt es sich um eine komparative Spezialstudie.

Hansjörg Küster, Pflanzenökologe an der Universität Hannover, ist vor einigen Jahren bereits mit einer umfassenden Darstellung zur "Geschichte der Landschaft in Mitteleuropa" (München 1996) an die breite Öffentlichkeit getreten. Auch seine "Geschichte des Waldes" überspringt Epochen und Eiszeiten mit einer bei Historikern selten anzutreffenden Behendigkeit. Der Untertitel verspricht eine Zeitspanne "von der Urzeit bis zur Gegenwart", und in der Tat beginnt Küsters Darstellung mit der Entstehung von Landpflanzen vor 400 Millionen Jahren. Im folgenden entfächert Küster ein breites Tableau von Pflanzen, Pflanzengemeinschaften und Wäldern. Thema ist, "wie sich der Wald im Lauf der Zeit veränderte" (7). Das Buch ist reich illustriert und anschaulich, im Stil einer breit interessierenden Vorlesung geschrieben. Fussnoten existieren nicht, dafür verfügt jedes Kapitel über eine kleine, bisweilen allzu spärliche Bibliographie. Die Darstellung beschränkt sich weitgehend auf Mitteleuropa, mit gelegentlichen Vergleichen Deutschlands zu anderen Ländern. Diese Einschränkung erschliesst sich dem Leser allerdings erst im Lauf der Darstellung.

Kapitel 1 bis 12 reichen bis zum Mittelalter, erst mit Kapitel 13 (von 23) beginnt Küsters Darstellung mittelalterlicher Dorfgründungen und der damit verbundenen Rodungen. Diese Gewichtung verweist auf eines der grundlegenden Anliegen des Buches: Küster will verdeutlichen, daß Wälder - wie Natur im allgemeinen - auch ohne die und vor der menschlichen Prägung ständigem Wandel und Dynamik unterlagen. Damit schliesst sich Küster einem derzeit gängigen Erklärungsmuster der Ökologie an: Vorstellungen einer dynamischen, sich ständig verändernden Natur bestimmen weitgehend das Forschen, während stabile Endzustände nach zeitlich begrenzter Dynamik noch vor zwei Generationen oft als Leitideen dienten. Für den Wald bedeutet dies, daß an einem bestimmten Standort mehrere verschiedene Wälder zu verschiedenen Zeiten existiert haben können, ohne daß dieser Wandel menschlich verursacht war. So kann Küster anhand von Pollenanalysen nachweisen, daß auf dem Gebiet des heutigen Deutschland während der Warmzeiten zwischen den Eiszeiten zunächst Kiefern und Birkenwälder entstanden, bis die Fichte nachwanderte. Zwischen dem neunten und siebten Jahrtausend vor unserer Zeit bildeten sich dann verschiedene Waldtypen heraus. Die Frage, welchen Flächenanteil jeweils Wald und offenes Gelände einnahmen, weist Küster als unbeantwortbar zurück. Die Vorstellung einer "Grenze" des Waldes ist für ihn ein rein menschliches Konstrukt der frühen Neuzeit. Allmähliche Übergänge zwischen Waldgebieten und offeneren Landschaften waren vorherrschend, nicht scharfe Trennlinien, wie sie die verschiedenen Farben oder Schraffuren auf heutigen Landkarten aufweisen.

Breiten Raum nimmt die neolithische Revolution, also die Verbreitung von Ackerbau und Viehzucht in Verbindung mit einem sesshaften Lebensstil ein. Hier referiert Küster aus der Umweltgeschichte Bekanntes, trifft dann aber folgende wichtige Feststellung: Die Rotbuche, die in der älteren naturhistorischen Literatur (und bei vielen Naturschützern noch heute) als besonders "natürlich" und standorttypisch für deutsche Waldlandschaften gilt, ist keineswegs ohne menschliche Mithilfe einer der ehemals dominanten Bäume geworden. Vielmehr begünstigen von Menschen verlassene Lichtungen ihre Ausbreitung. Ähnlich revisionistisch behandelt der Autor Eichen-Hainbuchen-Wälder, die nicht Ziel, sondern Produkt mittelalterlicher Siedlungen waren. Keineswegs wurden im Mittelalter unkultivierte Urwälder kolonisiert, sondern bereits menschlich überformte Waldungen. Küster wiederholt sein berechtigtes Anliegen, das Historiker wohl als soziale Konstruktion von Natur bezeichnen wurden, immer wieder anhand neuer Beispiele. Bezeichnenderweise enden Kapitel 9 und 10 mit denselben Worten: Natur aus zweiter Hand. Küster verficht keinen philosophischen oder methodologischen Sozialkonstruktivismus, sondern einen empirischen. Ohne das Wesen des Waldes ergründen zu wollen, präsentiert er in den letzten Jahrzehnten gewonnene Erkenntnisse, um den steten Wandel der Waldlandschaften zu beleuchten.

Insofern ist diese Darstellung für jeden, der am Verhältnis des Menschen zu seiner Umwelt interessiert ist, aufschlussreich. Umso bedauerlicher ist es, daß Küster die Ergebnisse der von Historikern betriebenen Umweltgeschichte nur vereinzelt in seine Überblicksdarstellung einfliessen läßt. So wird die im 18. Jahrhundert vielerorts beklagte Holznot als Tatsache dargestellt. Dabei haben Radkau und andere in den 1980er Jahren heftigst diskutiert, ob die zeitgenössischen Klagen nicht vielmehr in höchstem Masse interessegeleitet gewesen seien und von einem Zusammenbruch der Holzwirtschaft keine Rede sein könne. Doch diese Debatte wird schlicht übergangen. Ebenso stellt Küster den Aufstieg der Forstwissenschaft und ihre zunehmende Kontrolle über die Wälder als weitgehend unproblematischen und notwendigen Vorgang dar. Dabei gingen bei der zunehmenden akademischen Dominanz über den Forst neue Formen sozialer Herrschaft und Verwissenschaftlichung Hand in Hand. 2 Diese Einwände sollen aber das Verdienst von Küsters anschaulicher Studie nicht schmälern, die konzise zeigt, wie scheinbar aussermenschliche Bereiche wie der Wald anthropogen geprägt sind.

Das Anliegen von Belows und Breits Studie ist da bescheidener. Sie untersuchen zwei Rechtsstreitigkeiten, um wandelnde Vorstellungen vom Eigentumsbegriff am Wald zu verorten. Nach einer systematischen Diskussion des Eigentumbegriffs wird knapp die vorhandene Literatur zur Waldnutzung referiert. Die erste Fallstudie, von Stefan Breit untersucht, widmet sich einem seltenen Fall: Um ihre Nutzungsrechte an einem Waldbereich feststellen zu lassen, strengten 1607 zwölf oberbayerische Gemeinden eine Klage gegen den Landesherrn, Herzog Maximilian I., vor dem Reichskammergericht in Speyer an. Streitpunkt war ein östlich von München gelegenes Waldstück namens "Gemain", das die Anwohner für Schweinemast und Holzproduktion nutzten. Der Jesuitenorden im nahegelegenen Ebersberg erhob darauf ebenfalls Nutzungsansprüche. Es war höchst selten, daß der Herzog selbst zum Hauptbeklagten in einem solchen Verfahren wurde. Der Prozessverlauf ist äusserst spannend.

Breits ausgiebig aus den Quellen schöpfende Darstellung orientiert sich vor allem an den verschiedenen Eigentumsbegriffen und Herrschaftsansprüchen. Die Untersuchung des dreissigjährigen, letztlich erfolglosen Kampfes der Schweinehirten und Landwirte gegen den Herzog vertieft zum einen die Debatten von Frühneuzeithistorikern um Verrechtlichungs- und Disziplinierungsprozesse. Gleichzeitig traten in den Visitationen, Verhören und Gerichtsverhandlungen divergierende handlungsleitende Vorstellungen vom Wald zutage. Die örtlichen Landwirte zitierten die unbegrenzte Regenerationsfähigkeit des Waldes, wenn sie gegen die neuen Regulierungen argumentierten. Bäuerliche Nutzung war dem Wald also in ihren Augen durchaus angemessen, während die Jesuiten sich über den schlechten Zustand des Waldes beklagten und Forstordnungen als Ordnungs- und Heilungsmittel vorschlugen. Auch auf der Ebene der mythischen Qualitäten des Waldes und der Schenkungslegenden konterten die Bauern geschickt die Argumente der Jesuiten. Breits Analyse endet mit dem Befund, daß die Kluft zwischen organischem Naturverständnis der Bauern und dem Ordnungsfetischismus von Jesuiten und Herzog zu gross gewesen sei, so daß der Konflikt nicht zu entschärfen war.

Belows Untersuchung konzentriert sich auf einen Konflikt zwischen dem Amt Büren und der Stadt Bern im 18. Jahrhundert. Die Bürener drängten darauf, ihre jahrhundertelange Nutzung in ein zeitgemässes Eigentumsrecht umzumünzen, waherend der Berner Rat auf seinen Eingriffsmöglichkeiten beharrte. Eindringlich zeigt Below die Verschiebungen des Eigentumsbegriffs, innerhalb derer Wald von einem polyfunktionalen Bedarfsträger zum privaten Kapital der Bürgemeinde wurde.

Diese beiden Einzelstudien werden am Ende miteinander verglichen, wenn auch weitaus zu knapp. Besonders über die verschiedenen Vorstellungen vom Wald hätten sich wohl grössere komparative Erkenntnisgewinne erzielen lassen. Auch vermisst man Karten und weitere optische Orientierungshilfen. Trotzdem stellt das Buch von Below/Breit eine wichtige Ergänzung sowohl zur Literatur über den wandelbaren Eigentumsbegriff als auch zur Geschichte des Waldes dar. Solche Mikrostudien sind enorm nützlich, um in Zukunft besser fundierte, allgemeinere Aussagen über Waldnutzung und die Konstruktion von Wald als sozialem und kulturellem Streitobjekt treffen zu können.

Anmerkungen:
1 Joachim Radkau: Holzverknappung und Krisenbewusstsein im 18. Jahrhundert, in: Geschichte und Gesellschaft 9 (1983), 513-543, 523.
2 Henry E. Lowood: "The Calculating Forester: Quantification, Cameral Science, and the Emergence of Scientific Forestry Management in Germany", in: Tore Frängsmyr/J.L. Heilbron/Robin E. Rider (Hg.), The Quantifying Spirit in the 18th Century, Berkeley 1990, S. 315-342.

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