Titel
Death Comes in Yellow. Skarzysko-Kamienna Slave Labor Camp


Autor(en)
Karay, Felicja
Erschienen
Anzahl Seiten
288 S.
Preis
$ 25.00
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Mark Spoerer, Fg. Wirtschafts- u. Sozialgeschichte, Universitaet Hohenheim

Welches privatwirtschaftliche Unternehmen war im Dritten Reich am stärksten an der "Vernichtung durch Arbeit" beteiligt? In der Diskussion um die Entschädigung ehemaliger NS-Zwangsarbeiter wurden in den letzten Jahren immer die IG Farbenindustrie oder allenfalls noch Siemens und Daimler-Benz an prominenter Stelle genannt. Doch spätestens nach Lektüre der Dissertation von Felicja Karay möchte man diesen zweifelhaften Spitzenplatz einem ganz anderen Unternehmen zusprechen: der Hugo Schneider AG, Leipzig (HASAG).

Schon in den Aussagen, die leitende Mitarbeiter des für den KZ-Einsatz zuständigen SS-Wirtschaftsverwaltungshauptamts in den Vernehmungen für die Nürnberger Prozesse machten, erscheint die auch in der Forschung fast völlig unbekannte HASAG nach der IG Farbenindustrie und den Reichswerken Hermann Göring an dritter Stelle. Doch zählt man, wie mittlerweile üblich, die "Arbeitsjuden" im Generalgouvernement zu den Häftlingsarbeitern, so dürfte die HASAG mit insgesamt mindestens 60.000 Zwangsarbeitern aus Judenlagern bzw. KZs die IG noch deutlich überflügelt haben. Über 50 % von ihnen kamen bei der HASAG um. Was jedoch den besonderen Charakter des Zwangsarbeitseinsatzes bei der HASAG ausmacht, ist die Tatsache, daß das Unternehmen selbst initiativ und unmittelbar die Ermordung durchführte: die Werksleitung plünderte die aus den umliegenden Ghettos herangekarrten Juden hemmungslos aus, setzte sie tödlichen Arbeitsbedingungen aus, selektierte sie und brachte sie zu tausenden auf dem Werksgelände um.

Die Autorin ist eine Überlebende der "Hölle von Kamienna" 1. Sie hat ihre Erlebnisse 1987 zu einer Dissertation verarbeitet, die 1996 auch auf Englisch erschienen ist. Das erste Kapitel heisst treffend "The HASAG enigma". Es ist in der Tat zumindest auf den ersten Blick ein Rätsel, weshalb dieses Unternehmen oder wenigstens einer seiner Betriebe bislang weder in der unternehmenshistorischen noch in der überbordenden Zwangsarbeiterliteratur behandelt worden ist, zumal sein Generaldirektor, Paul Budin, in der Munitionsindustrie sehr einflussreich und zudem als Sonderbeauftragter in der Zwangsarbeiterrekrutierung aktiv war. Unter seiner Leitung stieg die HASAG, ursprünglich ein Lampenhersteller, zu einem bedeutenden Munitionslieferanten auf und zögerte nicht, Ende 1939 Munitionsbetriebe im Generalgouvernement zu übernehmen, die 1943 unter dem Dach der neugegründeten Tochter HASAG Metall-GmbH zusammengefasst wurden.

Karay beschreibt im folgenden Kapitel die Personalpolitik der HASAG im Generalgouvernement. Eine sehr dünne, als politisch zuverlässig eingeschätzte Schicht deutscher Führungskräfte kontrollierte 14.000 polnische Arbeitskräfte. Diese Arbeitskräfte, ohnehin nicht allzu erpicht darauf, für die deutschen Besatzer Munition zu produzieren, blieben im Laufe der Zeit immer häufiger dem Arbeitsplatz fern. Die Ursache lag in der immer ungünstigeren Relation von Lohn und Nahrungsmittelpreisen, so daß die Arbeiter Lebensmittel "organisieren" mussten. Weder Ernährungszulagen noch ein betriebseigenes Arbeitserziehungslager konnten dieses Problem lösen. Zudem kam 1942 eine weitere, durchaus sehr lukrative Alternative zur Arbeit bei der HASAG hinzu: der Handel mit Waren, die von den Juden an ihre Nachbarn verkauft werden mussten, da in den Ghettos und Lagern nur leicht zu transportierende Tauschmittel wie Bargeld, Gold und Schmuck zählten. Hier zeigten sich Teile der polnischen Bevölkerung genauso habgierig wie zuvor Teile der deutschen.

In dieser Situation erwies sich die Räumung der Ghettos im Generalgouvernement als Lösung der Personalprobleme. Die HASAG sorgte dafür, daß sie stets Nachschub an "Arbeitsjuden" bekam. Diese wurden auf dem Werksgelände in völlig unzureichenden Lagern festgehalten und als Ungelernte in der Produktion eingesetzt, wobei die Polen häufig als Vorarbeiter fungierten und dadurch in den Ausplünderungs- und Vernichtungsmechanismus einbezogen wurden. Die "Arbeitsjuden" als Sklaven zu bezeichnen, wie Karay das tut, ist eigentlich ein Euphemismus: nicht mal ihre Beschaffung kostete das Unternehmen nennenswerte Beträge.

In den folgenden Kapiteln beschreibt die Autorin eine Arbeitseinsatzpolitik im Hauptwerk Skarzysko-Kamienna, wie sie zynischer nicht sein kann. Die HASAG legte zunächst gar keinen besonderen Wert auf junge, leistungsfähige Arbeitsjuden. Viel wichtiger war dem leitenden Personal, daß viele ältere, und das heisst tendenziell wohlhabendere Juden unter den Ankömmlingen waren. Nach ihrer Ankunft wurden sie ausgeplündert; Wertsachen und wertvolle Kleidungsstücke wechselten sofort in die Hände der HASAG-Mitarbeiter über. Schwangere wurden direkt erschossen. Anschliessend wurden die kräftigeren Juden in die Werksteile A und B eingewiesen; die älteren und schwächeren dagegen in den Werksteil C. Dort wurde ohne Schutzkleidung mit hochgiftigen Chemikalien gearbeitet. Haare, Nägel und Gesichtshaut der dort eingesetzten Menschen nahmen eine grüngelbliche Färbung an. In der Regel waren sie nach drei Monaten abgearbeitet und fielen dann den regelmässig stattfindenden Selektionen und Massenerschiessungen auf dem Werksgelände zum Opfer. Die Erschiessungen wurden vom Werkschutz durchgeführt, der auf diese Weise einige tausend oder zehntausend Menschen auf dem Gewissen haben dürfte.

Erst als alle Ghettos aufgelöst waren und der Nachschub somit ab Anfang 1944 nicht mehr unerschöpflich war, bekamen die Arbeitsjuden Wert für die HASAG. Die Werksleitung führte einige Verbesserungen durch, die die Sterblichkeit der Häftlinge etwas absinken liess. Die Schikanen des Werkschutzes blieben davon jedoch unberührt. Beim Herannahen der Roten Armee wurden noch einmal mehrere hundert Arbeitsjuden ermordet und die anderen nach Westen getrieben. Dort fand sich ein Teil von ihnen, nun als KZ-Häftlinge, im Leipziger Stammwerk und anderen deutschen Zweigbetrieben der HASAG wieder, wo die Arbeits- und Lebensbedingungen weniger schlecht waren als in Kamienna. Doch auch von diesen starben noch viele auf den Todesmärschen gegen Kriegsende.

Felicja Karay hat nicht ihre Memoiren geschrieben, sondern eine sehr solide wissenschaftliche Studie vorgelegt. Die Quellenbasis beruht überwiegend auf Dokumenten aus Yad Vashem, darunter auch Zeitzeugeninterviews, den einschlägigen Akten des Bundesarchivs in Freiburg und (damals) Koblenz sowie polnischen Dokumenten. So kann Karay Opfer- und Täterperspektive schlüssig miteinander verweben. Zugleich beschreibt sie sehr plausibel die Interessenlagen der einzelnen Besatzungs- und Rüstungsinstitutionen, deren Konflikte sich die HASAG-Führung geschickt zunutze machte. Fast schonungslos erscheint auch ihre Analyse der Häftlingsgesellschaft, die von den Deutschen ebenfalls - und mit Erfolg, wie Karay betont (S. 247) - segmentiert wurde. Inwieweit eigenes Erleben bei der Einschätzung des Quellenwertes einzelner Zeitzeugeninterviews eine Rolle gespielt hat, läßt sich natürlich nicht überprüfen. Das Literaturverzeichnis ist mit ganz wenigen Ausnahmen auf dem Stand von Mitte der achtziger Jahre, so daß etwa die Ergebnisse der Studien von Dieter Pohl 2 und Thomas Sandkühler 3 nicht in die Arbeit eingeflossen sind.

Allerdings liegt der Wert dieser Studie gerade darin, daß sie Licht in ein heute noch fast genauso wie Mitte der 80er Jahre völlig unbekanntes Kapitel der deutschen Besatzung in Polen bringt, nämlich die Tätigkeit deutscher Unternehmen. Nicht nur bei der HASAG war es so, daß die besetzten Ostgebiete Bewährungsfeld für zwei Spezies waren: junge, karrierehungrige Manager oder umgekehrt solche, die möglichst weit weg von der Unternehmenszentrale eingesetzt werden sollten. Ihnen wurden Lebens- und Arbeitsbedingungen geboten, die ihrem vermeintlichen Status als "Herrenmenschen" entsprach. So verhielten sie sich auch, zumindest bei der HASAG in Skarzysko-Kamienna. Die von Karay mitgeteilten Verhaltensweisen sind schlicht bestialisch. Immerhin wurden 1948 in Leipzig 25 deutsche Mitarbeiter der HASAG in Kamienna zum Tode bzw. schweren Haftstrafen verurteilt. Die Arbeit von Karay zeigt, daß durchaus Quellenmaterial in Israel und Polen vorhanden ist, die ausreichen, die eher spärliche deutsche staatliche und privatwirtschaftliche Überlieferung zu ergänzen. Insofern wären weitere Studien über Ableger deutscher Unternehmen im besetzten Polen wünschenswert, die Aufschluss darüber geben, ob die Verhältnisse bei der HASAG typisch waren oder ein Extremfall, wie Karay - wohl zu Recht - vermutet (S. 235).

Interessant ist Karays Arbeit aber auch, weil sie den Blick auf ein Unternehmen lenkt, das in der Forschung bislang komplett ausgeblendet worden ist. Schon die schiere Zahl der von der HASAG in Polen und später Deutschland, v.a. Leipzig, eingesetzten Arbeitsjuden und KZ-Häftlinge sollte doch wenigstens eine Darstellung rechtfertigen, die über Nebensätze und Fussnoten hinausgeht. Dazu kommt die Figur des Generaldirektors SS-Obersturmbannführer Paul Budin, zu dem nach Recherchen des Rezensenten ebenfalls nichts publiziert worden ist. Budin hatte offenbar im September und November 1941 Sonderaufträge bei der Rekrutierung kroatischer Zivilarbeiter bzw. sowjetischer Kriegsgefangener, über die bislang nichts Konkretes bekannt geworden ist. Im Herbst 1944 bewährte er sich als Koordinator einer gewaltigen Steigerung der Panzerfaustproduktion, bei der die Werke seines Konzerns (und die darin eingesetzten 20.000 überwiegend weiblichen KZ-Häftlinge) eine grosse Rolle spielten.

Daß weder die HASAG noch Paul Budin bislang Beachtung in der Forschung gefunden haben, mag zwei Gründe haben. Die HASAG hatte ihren Sitz und fast alle Werke in Sachsen und wurde nach 1945 verstaatlicht. Sie ist somit kein so attraktiver, Publizität heischender Untersuchungsgegenstand wie etwa Siemens oder Daimler-Benz. Die Quellenlage dürfte allerdings nicht besonders gut sein: beim Herannahen der alliierten Truppen im April 1945 liess Budin das Verwaltungsgebäude in Leipzig sprengen. Seitdem fehlt von ihm jede Spur.

Anmerkungen:
1 Hans Frey: Die Hölle von Kamienna. Unter Benutzung des amtlichen Prozessmaterials, Berlin/Potsdam: VVN-Verlag 1949.
2 Dieter Pohl: Von der Judenpolitik zum Judenmord. Der Distrikt Lublin des Generalgouvernements 1939-1944, (Münchner Studien zur neueren und neuesten Geschichte, 3), Frankfurt a.M. u.a.: Lang 1993; ders.: Nationalsozialistische Judenverfolgung in Ostgalizien 1941 - 1944: Organisation und Durchführung eines staatlichen Massenverbrechens, (Studien zur Zeitgeschichte, 50), München: Oldenbourg 1996, 2. Aufl. 1997.
3 Thomas Sandkühler: "Endlösung" in Galizien. Der Judenmord in Ostpolen und die Rettungsaktionen von Berthold Beitz 1941-1944, Bonn: Dietz 1996.

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Reaktionen von Ulrich Hess vom 26.07.2000:
Zur Publikation von Felicja Karay:
Im Zusammenhang mit einer Studie zur Ruestungswirtschaft in Sachsen habe ich (W. Bramke /U. Hess, Wirtschaft und Gesellschaft in Sachsen im 20. Jahrhundert, Leipzig 1998) auf die Entwicklung der HASAG un die Rolle Budins verwiesen; vgl. dazu auch den Beitrag von Frank Schulz im gleichen Sammelband. Auf Budins Rolle in den letzten Kriegstagen gehen ein: D. und S. Kuerschner, Das Kriegsende in Leipzig und Nordwestsachsen, in: Kriegsschauplatz Sachsen 1945. Daten, fakten. Hintergruende, Altenburg 1995. Ausserdem entsteht m.W. im Auftrag des Umweltforschungszentrums Leipzig-Halle (UFZ), das sich auf dem Gelaende der ehemaligen HASAG befindet, gegenwaertig eine Darstellung zur HASAG-Geschichte. Die Gruende fuer die voellig unzureichende Untersuchung der HASAG im Kontext der Ruestungsindustrie, aber auch als frueher Entwickler und Zulieferer von Auto-Elektrik liegt m.E. tatsaechlich vorrangig in der voellig unzureichenden Quellenlage und in der Tatsache, dass dieses Unternehmen mit dem Kriegsende faktisch nicht mehr praesent war.
Dr. Ulrich Hess, Saechsisches Wirtschaftsarchiv e.V., V.u.U.HESS-WURZEN@t-online.de

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