Titel
Körper Macht Geschichte - Geschichte Macht Körper. Körpergeschichte als Sozialgeschichte


Herausgeber
Bielefelder Graduiertenkolleg Sozialgeschichte
Erschienen
Anzahl Seiten
351 S.
Preis
€ 24,00
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Gudrun Silberzahn-Jandt

Die Auseinandersetzung mit dem menschlichen Körper, der Leibhaftigkeit, und der Zeichenhaftigkeit der Körper ist en vogue. Wortspielerisch - Aussage und Frage zugleich - verrät der Titel die Komplexität des Vorhabens Körpergeschichte zu schreiben und dabei mehrere theoretische Implikationen miteinzubeziehen: den "Werkzeug-und Zeichencharakter" (Jeggle) des Körpers und die Historizität von Körperwahrnehmungen.

Eher zurückhaltend kündet der Klappentext die Beiträge an, wenn es heißt "Auch Historiker entdecken den Körper." Und selbstkritisch schreiben die HerausgeberInnen in der Einleitung, von der bis in die 80er Jahre dauernden "Vernachlässigung, ja Negierung der Relevanz des Körpers von der historischen Sozialwissenschaft." (S. 7)

Die insgesamt 14 Beiträge von 6 Autorinnen und 8 Autoren wurden bei der gleichnamigen Tagung des Graduiertenkollegs "Sozialgeschichte von Gruppen, Schichten, Klassen und Eliten" an der Universität Bielefeld präsentiert. Gemeinsam ist den allen Arbeiten zunächst einmal ein sozialgeschichtlicher Ansatz. Inwieweit eine körpergeschichtliche Perspektive eher am Rande eingenommen wird, oder es sich um ein Eintauchen in andere Zugänge handelt ist sehr unterschiedlich und wohl auch von dem eigentlichen Forschungsschwerpunkt abhängig. Noch in der Einleitung wird der eher fremde körpergeschichtliche Zugang als "Experiment" (S. 9) bezeichnet und durchaus zu erkennen gegeben, dass es für den einen oder die andere sich eher um ein Nebengleis und eine abseitige auch nicht immer gewinnbringende Frage handelt und Sozialgeschichte das Hauptgleis bleiben wird.

Die Beiträge umfassen eine große zeitliche und geografische Breite: Von der Körper- und Selbstthematisierung in der mittelalterlichen Beichtpraxis (Thorsten Freimuth) hin zu einem Beitrag von Antonio Saéz-Arance über die Politische Ordnung in der Vormoderne, die Körpermethaporik in der spanischen Monarchie. bis hin zu Arbeiten über Heldenkörper in Deutschland 1813-1945 (René Schilling)oder den Siechendiskurs in Deutschland in den Jahren 1880-1960 (Kennar Holger Irmak) und die Veränderung der Körperbilder und Körperwahrnehmung durch die Radiologie als Repräsentationstechnologie, den Aufsatz von Monika Dommann.

Schwerpunktmässig sind es Arbeiten zur deutschen Geschichte, jedoch auch neben den bereits genannten auch noch Untersuchungen zur sowjetischen , ungarischen und US-amerikanischen Historie. So untersucht Susanne Conze die Körpervorstellungen des Arbeiterkörpers im Stalinismus, Árpád von Klimó spürt der Bedeutung der heiligen rechten Hand, der Reliquie des Königs Stephan von Ungarn nach und Eva Pietsch untersucht Aussagen von und über IndustriearbeiterInnen.

Die Gliederung folgt nicht den üblichen chronologischen Vorgaben oder staatsräumlichen Zuordnungen. Nach der theoretischen Auseinandersetzung Jakob Tanners über die Frage "Wie machen Menschen Erfahrungen?" "Haben oder sind wir Körper?" (S.17) folgen drei Auseinandersetzungen mit Körperbildern im politischen Raum. Wie eine Annäherung an den Körper nach dem Blick von außen kann dann der nächste Themenschwerpunkt gelesen werden, der "Körper zwischen Selbstinszenierung, Ideal und Stigma" betrachtet und hier auch nach unterschiedlichen Konzeptualisierungen fragt. So legte Angelika Epple vorzüglich sowohl die bürgerlichen als auch die adligen Körperkonzepte an der Autobiografie Johanna Eleonora Isabella von Wallenrodts dar.

Mit fünf Aufsätzen besonders gewichtig präsentiert sich dann der Abschnitt über den "Körper im Spannungsfeld sozialer Räume und Milieus" Hier zugeordnet wurden die Arbeiten von Heike Uffmann über den "Körper und die Klosterreform" , die von Thorsten Freimuth über "den Körper und Selbstthematisierung in der mittelalterlichen Beichtpraxis" , sowie die Untersuchung von Stefan Kleinschmidt eines Gnadenverfahrens Ende des 16. Jahrhundert, in dem der kranken Körper zum Thema gemacht wird. Ebenfalls diesem Bereich zugeordnet jedoch drei Jahrhunderte später angesiedelt sind die Arbeiten von Eva Pietsch über die Studien zur klassengebundene Körperlichkeit von IndustriearbeiterInnen in den USA Ende des 19. und Anfang des 20. Jahrhunderts, und die Studie von Georg Goes über Körpertypen in der Glas- und Porzellanindustrie in Deutschland in den Jahren 1925-1960.

Eher wieder eine Abwendung und den Blick von außen auf fremde Körper zeigen sich in den Arbeiten von Monika Dommann zur Radiografie und Kenan Holger Irmak zum Siechendiskurs.

Die thematische Gliederung der Beiträge bedeutet auch stets eine Perspektivenveränderungen auf den Körper. Die Theorien von Michel Foucault oder die von Feministinnen wie Judith Butler oder Donna Harraway gehören zum Standardrepertoire der Auseinandersetzung mit dem Thema. Erstaunlich offen werden über die Fachgrenzen hinweg Arbeiten angrenzender Disziplinen, von der Soziologie oder Empirischen Kulturwisenschaft und der Philosophie und Kunstgeschichte rezipiert, mit deren Erträgen umgegangen und so die eigenen Studien in das große Feld der körpergeschichtlichen Forschungen eingebunden.

Gerade die Breite und Vielfalt, die durchaus unterschiedlichen Gewichtungen des körpergeschichtlichen Zugangs machen diesen Band zu einem spannenden und empfehlenswerten Werk. Und es bleibt zu wünschen, dass die Körpergeschichte nicht nur ein Experiment oder ein kleiner Exkurs bleibt.

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