H. Morisse: Jüdische Rechtsanwälte

: Jüdische Rechtsanwälte in Hamburg. Ausgrenzung und Verfolgung im NS-Staat. Hamburg 2003 : Hans Christians Verlag, ISBN 3-7672-1418-0 € 24,00

: ... weil er nicht arischer Abstammung ist.. Jüdische Juristen in Köln während der NS-Zeit. Köln 2004 : Verlag Dr. Otto Schmidt, ISBN 3-504-010126 € 29,80

Rezensiert für H-Soz-Kult von
Angelika Königseder, Zentrum für Antisemitismusforschung, Technische Universität Berlin

Ernst Herrmanns wurde am 13. Oktober 1874 als Spross einer alteingesessenen jüdischen Familie in Köln geboren und 1902 beim Landgericht Bonn als Rechtsanwalt zugelassen. Als so genannter Altanwalt (vor 1914 zugelassen) fiel er unter die Ausnahmebestimmungen des „Gesetzes über die Zulassung zur Rechtsanwaltschaft“ vom 7. April 1933 und durfte nach der nationalsozialistischen Machtübernahme als Rechtsanwalt tätig bleiben. Fünf Jahre später, am 27. September 1938, erließen die Nationalsozialisten die „Fünfte Verordnung zum Reichsbürgergesetz“. Juden war nach Art. I § 1 der Verordnung der Beruf des Rechtsanwalts nun verschlossen. Bis 30. November 1938 sollte die Zulassung aller noch verbliebenen 1.612 jüdischen Rechtsanwälte im Altreich zurückgenommen werden. Zum Zweck der rechtlichen Beratung und Vertretung von Juden ließ die Justizverwaltung „jüdische Konsulenten“ zu. Eine Bekanntmachung des Reichsjustizministers vom 17. Oktober 1938 sah vor, dass 172 „jüdische Konsulenten“ im Altreich zugelassen werden sollten, darunter sechs in Köln und je einer in Bonn und Aachen. Ernst Herrmanns war bis 31. Januar 1939 der in Bonn zugelassene „Konsulent“. Ob ihm die Justizverwaltung die Zulassung nach so kurzer Zeit entzog oder Herrmanns zermürbt von den jahrelangen Schikanen aufgab, ist unbekannt. Mit Frau und Tochter musste er am 1. Juli 1941 in das Kloster „Zur ewigen Anbetung“ in Bonn-Endenich ziehen, von wo aus er am 27. Juli 1942 nach Theresienstadt deportiert wurde. Dort starb Herrmanns am 9. März 1943 im Alter von 68 Jahren.

Ari Meyer, 1873 in Linz am Rhein geboren, war seit 1900 am Landgericht Köln als Rechtsanwalt zugelassen. Von 1920 bis 1927 war er Vorstandsmitglied im Kölner Anwaltsverein. Auch er blieb 1933 zunächst als „Altanwalt“ zugelassen. Mit der „Fünften Verordnung zum Reichsbürgergesetz“ wurde ihm zum 30. November 1938 seine Zulassung jedoch entzogen, und der angesehene Rechtsanwalt emigrierte, um sein Leben zu retten, nach Kuba.

Häufig war der Novemberpogrom 1938, bei dem sich die brutale Seite des NS-Regimes in voller Deutlichkeit zeigte, Anlass für ernsthafte Bemühungen um eine Auswanderungsmöglichkeit. Bis dahin war bei vielen Juristen die Bindung an die Heimat und das Wissen um die Bedeutungslosigkeit der juristischen Ausbildung im Ausland stärker gewesen. So auch bei Dr. Richard Robinow, der 1867 als Sohn einer alteingesessenen angesehenen Hamburger Kaufmannsfamilie geboren worden war und seit 1895 in Hamburg als Rechtsanwalt zugelassen war. Als Freiwilliger nahm er am Ersten Weltkrieg teil. Robinow war von 1918 bis 1933 im Vorstand der Hanseatischen Anwaltskammer und langjähriger Vorsitzender des Hamburgischen Anwaltvereins sowie Schriftführer des Deutschen Anwaltvereins. Zudem betätigte er sich ehrenamtlich in zahlreichen sozialen Einrichtungen. Robinow und seine Ehefrau waren evangelisch getauft, galten den Nationalsozialisten jedoch als „Nichtarier“. Während des Novemberpogroms am 9./10. November wurde er im Alter von 71 Jahren in das Konzentrationslager Sachsenhausen verschleppt. Aufgrund der „Fünften Verordnung des Reichsbürgergesetzes“ wurde Robinow zum 30. November 1938 seine Anwaltszulassung entzogen. Als „jüdischer Konsulent“ wollte er nicht tätig werden, mit seiner Frau und dem jüngsten seiner fünf Kinder emigrierte er im Juni 1939 nach London, wo er im November 1945 starb.

Landgerichtsrat Karl Emil Meyer, 1900 in Köln geboren, hingegen wurde im April 1933 „beurlaubt“ und zum 1. November 1933 nach § 3 des „Gesetzes zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums“ mit 33 Jahren in den Ruhestand versetzt – selbstverständlich ohne Anspruch auf Ruhegehalt. Er blieb unter falschem Namen publizistisch tätig und emigrierte schließlich 1939 nach London. Nach Kriegsende kehrte Meyer nach Deutschland zurück und amtierte seit 1949 als Landgerichtsdirektor in Köln und von 1952 bis 1964 als Bundesrichter am Bundesgerichtshof in Karlsruhe.

Diese Einzelschicksale vor dem Vergessen zu bewahren und an die Verdienste jüdischer Juristen für die Rechtspflege zu erinnern, ist Verdienst der Publikationen von Klaus Luig, emeritierter Professor für Bürgerliches Recht, Römisches Recht und Neuere Privatrechtsgeschichte an der Universität zu Köln, und Heiko Morisse, Richter am Hanseatischen Oberlandesgericht Hamburg. Beide Autoren beginnen mit der Beschreibung des Ausgrenzungs- und Entrechtungsprozesses in Köln bzw. in Hamburg und deren Auswirkungen auf die Betroffenen und schließen daran einen ausführlichen biografischen Teil zu den Einzelschicksalen an. Damit liegen nun nach den Publikationen von Simone Ladwig-Winters zwei weitere lokalhistorische Untersuchungen zum Schicksal jüdischer Juristen vor. 1 Die kenntnisreiche Studie von Morisse macht dabei deutlich, dass es durchaus Unterschiede im Ausgrenzungs- und Ausschaltungsprozess der jüdischen Rechtsanwälte gab. Der kommissarische Leiter der preußischen Justizverwaltung Hanns Kerrl etwa versuchte im Zusammenhang mit dem Boykott „jüdischer Geschäfte, Waren, Ärzte, Rechtsanwälte“, zu dem die NSDAP für den 1. April 1933 aufgerufen hatte, eigenmächtig und ohne gesetzliche Grundlage, seine Vorstellung von der Zurückdrängung jüdischer Rechtsanwälte in die Tat umzusetzen. Er rief am 31. März 1933 dazu auf, dass „nur noch bestimmte jüdische Rechtsanwälte und zwar in einer Verhältniszahl, die dem Verhältnis der jüdischen Bevölkerung zur sonstigen Bevölkerung etwa entspricht“, vor Gericht auftreten sollten. Falls eine diesbezügliche Vereinbarung zwischen Anwaltskammern oder „sonstigen geeigneten Stellen“ mit den betroffenen Anwälten nicht erreichbar war, sollten jüdische Rechtsanwälte am Betreten der Gerichtsgebäude gehindert werden. 2 In Berlin wurde dieser „Kerrl-Erlass“ konsequent umgesetzt, jüdische Rechtsanwälte und Richter durften die Gerichtsgebäude nicht betreten. Ganz anders in Hamburg: Justizsenator Curt Rothenberger ordnete am Vortage des Boykotts an, dass in den Gerichten „jegliche Belästigung jüdischer Richter und Rechtsanwälte auf das strengste zu vermeiden ist und unbedingt unterbleiben muss“ (Morisse, S. 17f.). Auch der vorsichtige – und erfolglose – Versuch des Vorstandes der Hamburger Anwaltskammer, wenigstens einigen der 204 jüdischen Kollegen nach der Verabschiedung des „Gesetzes über die Zulassung zur Rechtsanwaltschaft“ vom 7. April 1933 die Zulassung zu erhalten, unterscheidet sich vom Verhalten des Berliner Kammervorstandes, der bei der Ausschaltung der jüdischen Anwälte in Preußen eine Vorreiterrolle spielte.

Bedauerlicherweise haben sich in die Publikation von Luig einige Fehler eingeschlichen. Ärgerlich ist etwa die falsche Schreibweise eines der berühmtesten deutschen Anwälte und späteren Präsidenten des Obersten Gerichtshofes für die britische Zone, Ernst Wolff (S. 89) oder die Behauptung, dass auf der Wannseekonferenz am 20. Januar 1942 die „Endlösung der Judenfrage“ beschlossen worden sei und damit die Deportationen der Juden in die Vernichtungslager im Osten begonnen hätten. Begriffe wie „nichtarisch“ (S. 25) oder „Judenfrage“ (S. 39) sähe man zudem gerne durchweg in Anführungszeichen. Auch die Reduzierung des Personenregisters auf den biografischen Teil, der ohnehin durch seine alphabetische Anordnung leicht zu erschließen ist, ist wenig leserfreundlich. Insgesamt wird jedoch in beiden Publikationen das Schicksal der jüdischen Juristen eindrücklich deutlich.

1 Ladwig-Winters, Simone, Anwalt ohne Recht. Das Schicksal jüdischer Rechtsanwälte in Berlin nach 1933, Berlin 1998; dies./Bergemann, Hans, Richter und Staatsanwälte jüdischer Herkunft in Preußen im Nationalsozialismus. Eine Dokumentation im Auftrag des Bundesjustizministeriums, Berlin 2003.
2 Geheimes Preußisches Staatsarchiv Berlin, Rep. 84a (2.5.1.), Nr. 67.

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