R. Börrnert: Wie Ernst Thälmann treu und kühn!

Cover
Titel
Wie Ernst Thälmann treu und kühn!. Das Thälmann-Bild der SED im Erziehungsalltag der DDR


Autor(en)
Börrnert, René
Reihe
Studien zur historisch-systematischen Erziehungswissenschaft
Erschienen
Bad Heilbrunn 2004: Julius Klinkhardt Verlag
Anzahl Seiten
210 S.
Preis
€ 27,00
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Sabine Hering, Fachbereich Erziehungswissenschaft, Universität Siegen

Nicht nur in der DDR, sondern auch in weiten Teilen der westdeutschen 68er-Studentengeneration ist Ernst Thälmann lange Zeit eines der wenigen Idole gewesen, das von der Demontage verschont blieb, weil er die „gute Seite des Kommunismus“ zu repräsentieren schien: Der „Arbeitersohn“ Thälmann als Führer der KPD in der Weimarer Republik und danach als Opfer des Faschismus – auf eine solche „Karriere“ konnte eigentlich kein Schatten fallen, zumal die Person, um die es ging, nicht nur über alle Kritik erhaben schien, sondern auch – liebevoll „Teddy“ genannt – das Zeug zum „Darling“ hatte.

Da es bis heute keine kritische Thälmann-Biografie gibt, welche geeignet wäre, die Realität von den Mythen zu scheiden, hat René Börrnert bei seiner Auseinandersetzung mit dem Thälmannbild in der DDR und dessen Funktionalisierung für die Erziehung der Jugend vor der schwierigen Aufgabe gestanden, so „nebenbei“ auch die bisher vorliegenden (vorwiegend aus der DDR stammenden) Darstellungen des Lebenslaufs und der politischen Machenschaften Thälmanns bereinigen zu müssen. Dabei geht es u.a. um die Richtigstellung der Herkunft, da Thälmann keineswegs der „Sohn seiner Klasse“ (Willi Bredel 1953) gewesen ist, sondern aus einer Kaufmannsfamilie stammte. Weiterhin bedurfte es umfangreicher Korrekturen bei der Darstellung der Rolle Thälmanns in der Partei und Reichstagsfraktion der KPD, da er in keiner Weise – wie in der DDR gerne behauptet – der Gegenspieler der „ultralinken Chaoten“ (Fischer/Maslow) gewesen ist, sondern bis zu seiner von Stalin unterstützen Machtergreifung innerhalb der KPD am 31. Oktober 1925 die rechte Hand der damaligen – nunmehr von ihm gestürzten - Parteivorsitzenden Ruth Fischer war.1 Die letzte, vielleicht wichtigste Begradigung, die Börrnert vornimmt, bezieht sich auf die Situation Thälmanns während seiner vom Mai 1933 bis zu seiner Ermordung in Buchenwald im August 1944 dauernden Haft. Angesichts des in der DDR gerne zum unbeugsamen Helden verklärten Häftlings („Thälmann ist niemals gefallen“) bemängelt Börrnert die fehlende Darstellung seiner Verzweiflung und Wut über die mangelnde Solidarität der Genossen. Weniger deutlich wird leider der Umstand, dass es im Rahmen der DDR-Rezeption Thälmanns auf alle Fälle die Frage zu vermeiden galt, warum es der KPdSU in der Zeit des Hitler-Stalin-Paktes nicht gelungen ist, so wie in vielen anderen Fällen auch, die Freilassung Thälmanns zu erwirken. Und dass auch der Exil-KPD in Moskau mehr daran gelegen war, Thälmann zum Opfer des Faschismus zu stilisieren, als um seine Befreiung zu kämpfen.2

Dieses alles ist aber – wie gesagt – nicht der eigentliche Gegenstand des Buches, sondern zählt zu den notwendigerweise zu erläuternden Rahmenbedingungen, durch welche die üppigen Verdrehungen der Thälmann-Biografie in den Jugend- und Schulbüchern der DDR erst die hinreichende Dramatik erhalten. Börrnert konzentriert sich deshalb zum Zweck der kritischen Auseinandersetzung mit der Thälmann-Rezeption und der Funktionalisierung des Thälmann-Bildes für die politische Erziehung auf drei Bereiche: „Formen der Darstellung Ernst Thälmanns in der DDR“, „Beziehung der SED zu Ernst Thälmann“ und „Vermittlung des Thälmann-Bildes“. Er hat dafür Monografien und Aufsätze über Thälmann ebenso ausgewertet wie Kinder-, Jugend- und Schulbücher und Unterrichtspläne - insgesamt weit über 500 gedruckte Quellen - sowie Lieder und Filme. Dazu gibt er einen Überblick über die „Thälmann-Ecken“, „Traditionszimmer“, „Thälmann-Kabinette“ und die ihm gewidmeten Gedenkstätten.3

Das „Konstruktionsschema“, das seiner Auswertung des Thälmann-Bildes in der DDR zugrunde liegt, ist an dem Lebenslauf Thälmanns orientiert und gliedert sich in die Abschnitte: „Sohn seiner Klasse“, „Teddy – Anführer des Hamburger Arbeiteraufstands 1923“, „Der beste Freund der Sowjetunion“, „Führer seiner Klasse“, „Unbeugsam hinter Kerkermauern“, „Thälmann ist niemals gefallen“ und „Frau und Tochter“. Ohne denunziatorischen Gestus, aber auch ohne Nachsicht, sichtet er die zahllosen Thälmann zugedachten Publikationen, die mehrheitlich eher dazu beigetragen haben, die Mythenbildung voranzutreiben, anstatt bei ihrer Aufklärung mitzuwirken. Die von ihm aufgeführte stattliche Reihe der Fälschungen von Fotos und Texten im Zusammenhang mit Thälmann (S. 59 und 60) verweist in dieselbe Richtung der Unverbesserlichkeit und des Unwillens zum Umdenken in der DDR-Führung, welche diese Publikationen gesteuert hat.

Nach einem kurzen Intermezzo (S. 73-82), in dem das Verhältnis der SED und ihrer Führungsriege zu Thälmann skizziert wird, begibt sich Börrnert mit großer Akribie (und leider nicht ohne gewisse Wiederholungen) an die Analyse der Lehrmaterialschlacht zur Wahrung des „Vermächtnisses von Ernst Thälmann“. Er widersteht dabei der Versuchung, sich durch die Skurrilitäten und unfreiwillige Komik einer Vielzahl der Schriften, welche „Teddy“ den Kindern und Jugendlichen näher bringen sollten, zu einer eher satirischen Betrachtung hinreißen zu lassen. Mit geradezu bewunderungswürdigem Ernst untersucht er die Appelle an die Pioniere („Thälmanns Namen tragen wir – sei seiner würdig, Pionier!“) und an die FDJ („Thälmannsche Garde“) und analysiert Kampflieder („Wenn Ernst Thälmann bei uns wär´“), Unterrichtseinheiten („Nenne Namen von Antifaschisten deines Heimatortes“) sowie die zahlreichen Kinderbücher („Paul und Janni finden Teddy“).

In der Zusammenfassung dieser Analysen schlussfolgert er, dass Thälmann nicht nur die „wichtigste Leitfigur der SED“, sondern auch das „bedeutendste Vorbild“ innerhalb der politisch-ideologischen Erziehung gewesen ist (S. 188). Dieses Resultat ist nicht wirklich überraschend. Interessanter ist aber, dass Börrnert überzeugend auf den Umstand hinweist, dass das Thälmann-Bild nicht durch seine rationale Vermittlung, sondern durch die zumeist „emotional aufgeladene Präsentation“ seine besondere Wirkung erzielt hat – und dass sich diese Wirkung bei den drei DDR-Generationen durchaus unterschiedlich eingestellt hat: „Zu gleichen Teilen positiv aufgeladen und verklärt ist das Thälmann-Bild der letzten in der DDR politisch sozialisierten Generation (geboren 1973 bis 1978). Gerade sie hat [...] das positivste DDR-Bild überhaupt“ (S. 189). Als Grund für diesen überraschenden Thälmann-Mythos der Nachgeborenen, der sich auch nach der Wende aufrecht erhalten hat, vermutet Börrnert, dass Thälmann „als Symbol eines nicht verwirklichten Sozialismus/Kommunismus gesehen wird; er bietet die Projektionsfläche für untergründige, wenn auch nicht revolutionäre Hoffnungen auf eine noch immer mögliche praktische Umsetzung dieser politischen Idee“ (S. 190). Wenn Börrnert mit dieser Vermutung Recht hat, ist dies ein Argument mehr für die dringliche Notwendigkeit einer kritischen Thälmann-Biografie – und damit verbunden einer Revision des Thälmann-Bildes.

Anmerkungen:
1 Vgl. Hering, Sabine; Schilde, Kurt, Kampfname Ruth Fischer. Wandlungen einer deutschen Kommunistin, Frankfurt am Main 1995, S. 45.
2 Vgl. Weber, Hermann, Die Wandlung des deutschen Kommunismus, Band 2, Frankfurt am Main 1969, S. 320.
3 Die Beschäftigung mit der Rezeption und Tradierung von „Leitbildern“ in der DDR zeigt in den vergangenen Jahren einige erfreuliche Resultate. Neben den Arbeiten von Börrnert ist hier auf die leider unveröffentlichte Diplomarbeit von Kerstin Eilers über die Klara-Zetkin-Rezeption in der DDR (Universität Siegen 1996) und die in Druck befindliche Arbeit von McLellan, Josie, Remembering Spain. The contested history of the International Brigades in the German Democratic Republic hinzuweisen.

Redaktion
Veröffentlicht am
Beiträger
Redaktionell betreut durch
Klassifikation
Epoche(n)
Region(en)
Mehr zum Buch
Inhalte und Rezensionen
Verfügbarkeit
Weitere Informationen
Sprache der Publikation
Sprache der Rezension