Titel
Großer Atlas zur Weltgeschichte. Erweiterte Ausgabe des Standardwerkes von 1956


Herausgeber
*
Erschienen
Braunschweig 1997: Georg Westermann Verlag
Anzahl Seiten
245 S. davon 187 S. Ktn, 80 S. Reg.
Preis
€ 66,00
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Dr. Benno Schlindwein

Seit der herzogliche Kosmograph Gerhard Kremer, lat. Mercator, im 16. Jahrhundert Atlas als Titelträger seinen Kartenwerken aufdruckte, gab es viele Sammlungen von Himmels-, Land- und Seekarten. Ein Großer Atlas zur Weltgeschichte wird hier unter die Lupe genommen.

Einführende Vergleiche

Welche Erwartungen erfüllt ein Geschichtsatlas? Wenn wir als erste Orientierung den weitverbreiteten, nicht historisch interessierten Diercke Weltatlas (1957 in 100. Auflage) heranziehen, treffen wir darin auf einige wenige Einzelkarten zur Strukturgeschichte. Ein Geschichtsatlas transponiert nur Ereignis- und Strukturgeschichtsdaten in anschauliche Bilder. Die geographischen Abbildungen dienen als bekannt vorausgesetzte Hintergründe, um davor Geschichte als prozesshaftes Geschehen anschaulich und einsichtig zu machen. Ein aufklärerischer Impetus bestimmt die Auswahl der Themen und die Darstellung selbst.

Ein weiterer Vergleich bietet z.B. der vom Titel her fast gleiche Weltgeschichtsatlas von John Haywood, welcher die historischen Karten als gleichgewichtete Informationen zum ausführlich bebilderten Begleittext verwendet. Demgegenüber beschränkt sich Westermanns "Großer Atlas zur Weltgeschichte" auf reine Kartendarstellungen (mit zahlreichen graphisch aufbereiteten Informationen) mit ausführlicher Legende.

Ein Vorwort zu unserem Atlas, welcher wohl "Völker, Staaten und Kulturen. Ein Kartenwerk zur Geschichte" ablöst, hätte die Interessen der Herausgeber illustrieren können. Man denke etwa an F.W. Putzger: Historischer Weltatlas von 1963, 85. Auflage mit dem informativen 'Vorwort zur Jubiläumsausgabe'.

Das Angebot
Umrahmt von zwei doppelseitigen Vorsatz-Weltkarten "Weltkulturerbe", welche auf den Schlussseiten 244 und 245 nach Ländern namentlich aufgeführt sind, gliedert sich der Atlas in das Kartenwerk (Seite 1 - 187) und in einen Registerteil, welcher nach zwei Seiten 'Abkürzungen' die Seiten 190 bis 243 umfaßt. Das Register erklärt ausführlich die Kriterien der Registernennung, der Namen und deren Schreibweise bei historische wechselnden Benennungen.
Das Inhaltsverzeichnis von Seite I bis IX bietet durch seine Kapiteleinteilung dem Leser und Betrachter schon zu Beginn einen Einblick in die Konzeption des Verlags:
Kulturen und Reiche der Frühzeit (Seite 1 - 9)
Griechische Kultur und Staatenwelt (10 - 21)
Die hellenistische Welt, Karthago und der Aufstieg Roms (22 - 29)
Das Reich der Römer (30 - 44)
Die geistigen Mittelpunkte der christlichen Welt ( 45)
Das frühe Mittelalter (47 - 57)
Das Reich und Europa im Mittelalter (58 - 73)
Recht, Wirtschaft und Kultur im Mittelalter (74 - 91)
Das Zeitalter der Entdeckungen und Glaubenskämpfe (93 - 105)
Das Zeitalter des Absolutismus (106 - 123)
Das 19. Jahrhundert (124 - 144)
Das Zeitalter der Weltpolitik und der Weltkriege (145 - 161)
Die Welt seit 1945 (161 - 186)
Wirft man einen Blick auf die Karten, so spürt man geradezu die Vorliebe zum antiken Rom, welches in vielen Detailschilderungen bis hin zu den berühmten Schlachtskizzen vorgestellt wird. Auch den Ostsiedlungen im Mittelalter hat man große Aufmerksamkeit geschenkt. In der Neuzeit ist das Bemühen, Industrie- und Siedlungsentwicklungen sinnfällig vorzustellen, beachtenswert.
Die Fülle der unter den obigen Einteilungen aufgegriffenen Fragestellungen, die detaillierten optischen Hilfen bei historischen Verdeutlichungen, das Niveau der Forschungsergebnisse (aktueller Stand bis 1997) machen Lust auf Lernen und Erkennen. Es wäre beckmesserisch, nach Schwächen in Einzeldarstellungen zu graben. Das ist Profiarbeit für Monographien. Wer in der antiken Geschichte des Vorderen Orients, im Mittelmeerraum, im 'europäischen' Mittelalter und in der neuzeitlichen Geschichte der sog. Ersten Welt Gediegenes sucht, findet im vorliegenden Atlas, was er dazu braucht. Weltgeschichte für Schulalltag ist trefflich aufbereitet.

Einige kritische Hinweise sind angebracht.

Kritische Bemerkungen
Im Register eines historischen Atlasses hätten bei bedeutenden "Siedlungen" historische Kerndaten zu Gründung, Aufstieg und Zerfall gut angestanden.
Das Inhaltsverzeichnis verrät schon in seiner Gliederung der "Weltgeschichte" die europäische Nabelschau des Verlags. Chinas Geschichte z.B. ist auf Kartensegmenten - im Vergleich etwa zur Mittelmeerwelt - angedeutet, taucht bei Völkerwanderungen wieder auf, im Rahmen von Religionsfragen und ist in der Neuzeit angebunden an europäische, bzw. sowjetische Außenpolitik. Eine eigenständige Fragestellung nach strukturellen Entwicklungen in China selbst ist auf einer Kartenseite "Asien nach 1945" zum Thema: 'Der Kommunismus in China 1934 - 1950' und 'Raumentwicklung seit 1955' beschränkt.
Ähnlich vernachlässigt ist der Kontinent Afrika und "Das alte Amerika", welche nur entdeckt werden. Offensichtlich treiben in der Denkweise von Kartographen immer noch die auf der Seite 99 säuberlich abgebildeten 'Weltbilder der Araber' aus dem Jahr 1154, das christliche Weltbild des 13. Jahrhunderts, das des Kolumbus oder das des Benedetto Bordone aus Venedig (1528) ihr Unwesen.

Was leistet ein gewichtiger Weltatlas "alter Machart" in einer Umgebung, in der jeder User zu Hause historische Weltkarten ohne Zahl auf den Monitor holt und - noch nicht optimal - durch den Drucker jagt; dabei das Haus von Amor und Psyche in Ostia betrachten kann und neueste Forschungsergebnisse von Ausgrabungen und deren Interpretationen im Internet verfolgen kann! Was macht unseren Großen Atlas zur Weltgeschichte neben Weltgeschichts-CDs auf multimedialer Ebene noch attraktiv, wenn dort eine Fülle von Karten, Grafiken, Fotos, Video- und Audiosequenzen scheinbar mühelos ausgebreitet wird!
Am Besten blättert man direkt in diesem fest gebundenen Sammelwerk bunter Geschichtsdaten, freut sich über den Detailreichtum der Informationen, kramt seine historischen Kenntnisse oder Schulerinnerungen aus und genießt die Musestunden beim technikunabhängigen Spaziergang in der Weltgeschichte.

Redaktion
Veröffentlicht am
Redaktionell betreut durch
Klassifikation
Mehr zum Buch
Inhalte und Rezensionen
Verfügbarkeit
Weitere Informationen
Sprache der Publikation
Sprache der Rezension