H.P. Willmott: Der Erste Weltkrieg

Cover
Titel
Der Erste Weltkrieg.


Autor(en)
Willmott, H. P.
Erschienen
Hildesheim 2004: Gerstenberg Verlag
Anzahl Seiten
319 S.
Preis
€ 39,00
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Andreas Rose, München

Werke zum Ersten Weltkrieg haben es in deutschen Buchhandlungen im Vergleich zum Zweiten Weltkrieg nicht leicht. So wundert es nicht, dass es sich bei Hedley Willmotts populäre Gesamtdarstellung um eine Übersetzung aus dem Englischen handelt, die ihresgleichen aus deutscher Feder nicht findet. Schon aus diesem Grunde ist der Verlag für seine Entscheidung zur Übersetzung zu beglückwünschen. Willmotts Buch überzeugt vor allem durch seine aufwendige Gestaltung mit zahllosen, beeindruckenden wie aussagekräftigen Fotographien, Tabellen, topographischen Karten zu den wichtigsten Schlachten des Krieges, vielen Kurzbiographien und Feldpostzitaten etc. Auch an der souveränen Darstellung ist kaum etwas auszusetzen. Ohne Zweifel richtet sich das flüssig geschriebene Werk an ein breites Publikum. Zum Maßstab gehören weder Forschungskontroversen, noch kernige Thesen oder gar neue wissenschaftliche Erkenntnisse. Das Hauptziel ist die unterhaltende Information, weshalb auch dem Spezialisten der Materie ohne weiteres zugemutet werden kann, auf einen ausführlichen Quellen- und Anmerkungsapparat zu verzichten. Dafür entschädigt das Buch mit seiner anschaulichen und abwechslungsreichen Darbietung des Materials.

Willmott, ein bekannter Militärhistoriker, der bereits an der Royal Military Academy in Sandhurst sowie am National War College in Washington lehrte, sich aber bisher zumeist zum Zweiten Weltkrieg äußerte, geht es keineswegs bloß um den operationsgeschichtlichen Pulverdampf früherer Tage. Er zielt augenscheinlich auf ein möglichst facettenreiches Panorama des Krieges, der, wie Richard Overys Vorwort formuliert, „die Grundlagen unserer modernen Welt" legte. Gleichwohl orientiert sich der Verfasser am chronologischen Schlachtenverlauf, den er durch eine kurze Skizze der langfristigen Ursachen sowie der Folgen einer „Neuen Weltordnung 1919-1923“ (S. 290-309) einrahmt.

Den „Weg in den Krieg“ (S. 8-33), sieht er bereits seit 1878 beschritten. Das sich nach dem Berliner Kongress herausgebildete Bündnissystem und der Balkan rücken auf diese Weise in den Blickpunkt, während die koloniale Expansion und insbesondere das Zeitalter des Imperialismus zu stark vernachlässigt werden. Hier ist die Arbeit zu eurozentrisch. Auch beschreibt er das bismarcksche Bündnissystem und dessen Entwicklung nach 1890 zu sehr aus der Perspektive der unmittelbaren Vorkriegszeit. Das komplizierte diplomatische Spiel der Großmächte ist Willmotts Sache nicht. So fehlt auch jeder Hinweis auf die diplomatische Verlegenheitskonstruktion zwischen Rückversicherungsvertrag, Orientdreibund und deutsch-österreichischem Zweibund. An dieser Stelle wäre sicherlich ein Blick in die neuesten Forschungsergebnisse auch zur gehäuften Krisenfrequenz nach der Fashodakrise (1898) hilfreich gewesen. Auffällig ist hingegen, wie geschickt und elegant er die alte Schuldfrage umschifft. Statt dessen richtet sich seine Konzentration auf den allgemein militärisch-chauvinistischen Zeitgeist, das Wirtschaftswachstum der sechs maßgeblichen Großmächte, bei dem allerdings Japan keine Berücksichtigung findet, sowie die militär-technologischen und gesellschaftlichen Entwicklungen. Sodann geht es um den Kriegsausbruch und die ersten Kriegshandlungen, womit Willmott sich in seinem Element befindet. Dabei achtet er insbesondere auf Ausgewogenheit, indem er alle Fronten gleichermaßen berücksichtigt.

Gerade im Hinblick auf die Schauplätze im Osten oder den Kolonien nicht immer eine Selbstverständlichkeit. Vom Einmarsch in Belgien, den Fronten im Osten und auf dem Balkan, von der Marne bis zur ersten Ypern Schlacht, weitet sich der Krieg für den Leser in Richtung des Desasters des als Kanonenfutter dienenden ANZAC (Australian and New Zealand Army Corps) bei der Gallipoli-Expedition, dem Kaukasus und den türkischen Massakern an den Armeniern, den deutschen Kolonien im Fernen Osten und in Afrika aus, bis es 1915 zum Stillstand im Westen und den Abnutzungsschlachten in Verdun, an der Somme und zur Brussilow-Offensive im Osten kommt.

Der Krieg zu Wasser und in der Luft wird ebenso wenig ausgelassen wie der eher selten behandelte Untertagekrieg (S. 214-215). Letzterer illustriert den Erfindungsgeist und den Aufwand des gegenseitigen Tötens. Speziell ausgebildete Mineure gruben dabei mehrere hundert, Hundert Meter lange Tunnel unter die feindlichen Linien, um diese in die Luft zu sprengen. Einzig zu diesem Zweck entwickelte Atemgeräte mußten dabei die Bergleute vor der schlechten und zum Teil giften Atmosphäre in den Gruben schützen. Zur mit Abstand größten Explosion kam es am 7. Juni als 600 t Sprengstoff in 15 bis 30 Meter Tiefe unter den deutschen Stellungen südlich von Ypern explodierten. Die gewaltige Detonation war selbst im 50 km entfernten Südosten Englands noch zu hören.

Immer wieder lockern einzelne Exkurse die anschauliche historische Darstellung auf. Willmott nutzt dabei sowohl zeitgenössische Perspektiven und Situationsschilderungen als auch technische Erläuterungen wie beispielsweise zu den Risiken des Funkverkehrs, zu verschiedenen Flugzeugtypen wie der Rumpler Taube, dem ersten Aufklärungsflugzeug, oder den benutzten Kameras für die Luftaufklärung. Topographisches und farblich aufwendig gestaltetes Kartenmaterial zu den einzelnen Schlachtverläufen sind ebenso selbstverständlich, wie einzelne Details zur Uniformen- und Waffenkunde der jeweils beteiligten Heere und den Biographien ihrer Führer. Viele Bilder zeigen darüber hinaus Postkarten, Lebensmittelkarten, Kriegssouvenirs und Propagandaposter etc. So erfährt der Leser neben vielen ingenieurtechnischen und interessanten Details zum Aufbau verschiedener Geschützarten oder Motorfahrzeuge, auch etwas zum Einsatz von Meldehunden oder dem Sanitätswesen. Aber auch das persönliche Schicksal und die schrecklichen Erfahrungen des Krieges werden nicht verschwiegen. Grausame Bilder über Gefallene und bereits kaum mehr zu erkennende Leichen werden ebenso dargestellt wie die jugendliche Begeisterung deutscher Studenten zu Beginn des Krieges. Zeitzeugenberichte aus Feldpostbriefen wie politischen Reden und Memoiren komplettieren eine facettenreiche und komplexe Perzeption des Krieges, bei dem sich die anfängliche Hoffnung auf einen schnellen Sieg mehr und mehr als Trugschluss herausstellte.

Grund genug auch die Rolle der Staaten, ihrer Kriegspropaganda und die Heimatfront zu behandeln. Willmott legt auch hierbei Wert darauf, kurz die Situation aller Großmächte zu schildern. Auf die interventionistische Politik Frankreichs, der britischen Wirtschaftslenkung, die wachsenden Kriegskosten oder die Lebensmittelengpässe in Deutschland, Kriegsdienstverweigerer und die Rolle der Frauen in Industrie und Landwirtschaft. Am Beispiel Britanniens illustriert Willmott wie sehr sich die gesellschaftliche Rolle der Frauen vom traditionellen Muster „Kinder, Küche Kirche" erweiterte um Frauen am Steuer von Omnibussen, Krankenwagen, Frauen in Hosen oder Overall und an Arbeitsplätzen in der Schwerindustrie. Frauen unterstützten auch die zahlenmäßig unterlegenen irischen Aufständischen beim Osteraufstand 1916. Das gezeichnete Panaroma des Ersten Weltkrieges kennt kaum Grenzen und so werden wie selbstverständlich auch die Kriegsgedichte, Romane und auch der Krieg in der Malerei und die Kriegsneurosen behandelt. Bei dieser umfassenden Perspektive überrascht es nicht, daß auch die Spanische Grippe von 1918 als mittelbare Folge des Krieges erkannt wird, die zu den bereits vorhandenen verheerenden Verlusten noch einmal 21 bis 25 Millionen Opfer weltweit hinzuaddierte.

Auch wenn das Buch gegen Ende mit der politikgeschichtlichen Betrachtung des „Friedens,
der keiner wurde“ (S. 292-295) wieder etwas abfällt, so überwiegt das facettereiche Bild des großen Krieges, bei dem nicht nur angesichts der aufwendigen Fertigung und konzisen, keineswegs überladene Darstellung, auch der Preis von EUR 39,- vollauf gerechtfertigt erscheint.

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