J. Zimmer: Weinbaupolitik in Deutschland

Cover
Titel
Weinbaupolitik in Deutschland. Der Gesetzgebungsprozess zum 71er Weingesetz: Akteure, Willensbildung und Folgen


Autor(en)
Zimmer, Jan
Erschienen
Stuttgart 2004: Ibidem Verlag
Anzahl Seiten
103 S.
Preis
€ 19,90
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Henning Türk, Fachgruppe: Geschichte des 19. und 20. Jahrhunderts, Universität Duisburg-Essen

Die historische Rekonstruktion weinrechtlicher Prozesse steckt noch in den Kinderschuhen. Zu oft wurde und wird Weingeschichte als Kulturgeschichte betrieben, ohne zu bemerken, wie stark politisch-rechtliche Weichenstellungen die Weinbereitung beeinflusst und gelenkt haben. Aus diesem Grund ist das Buch von Jan Zimmer über die deutsche Weinbaupolitik, das auf seiner Magisterarbeit beruht, sehr zu begrüßen.

Zimmer beschränkt seine Studie auf die Gesetzgebung zum 1971er-Weingesetz und begründet seine Auswahl plausibel mit der erstmaligen Berücksichtigung europäischer Normen für das Weinrecht.

Im ersten Teil der Arbeit schildert der Autor die Rahmenbedingungen der Weingesetzgebung. Zunächst liefert Zimmer einen Überblick über die deutschen Weingesetze. Er stellt fest, dass die ersten Weingesetze von 1892, 1901 und 1909 noch ganz im Zeichen der Weinherstellung gestanden hätten. Sie galten als „Sondergebiet des Lebensmittelrechts“ (S. 13). Erst das Weingesetz von 1930 habe wirtschaftspolitische Lenkungsfunktionen entfaltet, indem es die Einfuhr ausländischen Weins beschränkt habe. Mit dem 1969 verabschiedeten Weingesetz habe man die veralteten Regelungen aufheben und gleichzeitig eine Anpassung an die bisherigen EWG-Weinrechtsnormen vornehmen wollen. Da die EWG aber erst mit ihren Verordnungen 816/70 und 817/70 am 28. April 1970 endgültig die Errichtung eines gemeinsamen europäischen Weinmarktes beschloss, trat das Gesetz nie in Kraft. Stattdessen musste ein neues, den EWG-Verordnungen Rechnung tragendes Weingesetz erarbeitet werden - das 1971er-Weingesetz.

In den weiteren Kapiteln verfolgt der Autor den Entstehungsprozess des 1971er-Weingesetzes. Zunächst geht er auf die Vorbereitung des Regierungsentwurfs zum Weingesetz ein. Federführend war immer noch das Gesundheitsministerium - ein Relikt aus den Tagen, als Weinbaupolitik und Weinrecht noch dem Schutz des Verbrauchers vor gesundheitsschädigenden Zusätzen dienen sollte. Nach diversen Hearings und juristischen Prüfungen wanderte der Entwurf an den Bundesrat und, da das Gesetz als eilbedürftig eingestuft war, ohne Stellungnahme des Bundesrats weiter an den Bundestag. Nach der ersten Lesung, den Ausschussberatungen sowie der zweiten und dritten Lesung verabschiedete der Bundestag am 13. Mai 1971 das Weingesetz. Der Bundesrat lehnte jedoch das Gesetz ab und rief auf Antrag Bayerns den Vermittlungsausschuss an. Damit reagierte das südliche Bundesland auf einen Protest Österreichs gegen §20 des Weingesetzes. Dieser bestimmte, dass die Verwendung der Prädikate Kabinett, Spätlese, Auslese, Beerenauslese und Trockenbeerenauslese ausschließlich für in Deutschland geerntete und hergestellte Weine gelten sollte. Da diese Bezeichnungen auch in Österreich üblich sind, protestierte dessen Regierung. Nachdem sich der Vermittlungsausschuss darauf verständigt hatte, dass die Bezeichnungen nicht ausschließlich für deutschen Wein gelten sollten, konnte das Gesetz dann am 16. Juli 1971 in Kraft treten.

Im folgenden Abschnitt des Buches geht Zimmer auf die Weinbaupolitik nach dem Weingesetz von 1971 ein und möchte die „allgemeine Auswirkung des Gesetzes auf den Weinbau [...] analysieren“ (S. 75). Im Mittelpunkt der Ausführungen steht dabei das europaweite Überschussproblem, das zu einem Preisverfall des Weines führte. Bei Qualitätswein versuchte man den Preisverfall vor allem durch Mengenreduzierung zu stoppen.

Einen Imageschaden und große Absatzeinbußen erlitt der Wein durch den Glykolskandal in den 1980er-Jahren. Dieser ging zwar von Österreich aus, aber auch deutsche Weinhersteller waren darin verwickelt.

Zu Beginn der 1990er-Jahre konnte der Weinabsatz durch die neuen Bundesländer gesteigert werden. Weiterhin zentral blieb jedoch die Mengenregulierung. 1991 wurde dann die Zuständigkeit für den Weinbau komplett an das Landwirtschaftsministerium übertragen. Damit wurde eine langjährige Forderung der Weinbauverbände erfüllt. Kurz darauf begannen die Beratungen für ein neues Weingesetz, das 1994 verabschiedet wurde. Damit wurde erneut eine Anpassung an die zwischenzeitlich ergangenen EU-Normen vorgenommen. Zufrieden zeigten sich die Weinbaupolitiker und -verbände, laut Zimmer, mit der in Brüssel verabschiedeten Agrarreform der agenda 2000.

Abschließend fasst der Autor seine Ergebnisse zusammen. Er diagnostiziert eine kritische Situation für die deutsche Weinwirtschaft und sieht keine Verbesserung der finanziellen Lage der Winzer.

Das Ziel der Arbeit, den Gesetzgebungsprozess zu untersuchen, wird durchaus erreicht. Aber was ist damit gewonnen? Hier liegt das Problem der Studie, denn der Ansatz ist nicht produktiv. Der Gesetzgebungsverlauf im Weinbau unterscheidet sich ja nicht von der Entstehung anderer Gesetze. Stattdessen hätte man viel stärker auf die Lobbygruppen eingehen können, was der Autor nur hin und wieder durch die unkritische Wiedergabe offizieller Verbandsstellungnahmen tut. Weinbauverbände, Weinhandel, Importeure, Winzergenossenschaften, Verbraucher usw. hatten aber sicherlich unterschiedliche Interessen im Gesetzgebungsprozess, die man hätte herauspräparieren müssen.1 Man hätte auch stärker auf die Rückkoppelungen mit den Verhandlungen in Brüssel eingehen sollen. Welche Position nahm die Bundesregierung auf EWG-Ebene ein, welche gegenüber den eigenen Winzern? Auch die Beantwortung der Frage, ob das 1971er-Weingesetz zum Niedergang des deutschen Weinbaus beigetragen hat, vermeidet der Autor.2

Als Fazit lässt sich festhalten, dass die Studie an einem Beispiel aus dem Bereich des Weinrechts zeigt, wie Bundesgesetze in Deutschland zustande kommen. Wer eine inhaltliche Auseinandersetzung mit dem 1971er-Weingesetz erwartet, wird enttäuscht.

Anmerkungen:
1 Siehe hierzu unter anderem: Michel, Franz Werner, Weinrechtsreform als Instrument der Wettbewerbspolitik, in: Urff, Winfried von (Hg.), Der Agrarsektor im Integrationsprozeß. Hermann Priebe zum 65. Geburtstag, Baden-Baden 1975, S. 199-216, hier S. 204f.
2 Horst Dippel hat in einem Aufsatz sehr klar herausgearbeitet, wie stark das Gesetz von 1971 noch in der Tradition der vorhergehenden Weinbaugesetze seit 1890 steht und wie fatal sich der deutsche Weinrechtssonderweg auf die Marktstellung des deutschen Weines auswirkt. Siehe Dippel, Horst, Hundert Jahre deutsches Weinrecht. Zur Geschichte eines Sonderwegs, in: Zeitschrift für neuere Rechtsgeschichte 20 (1998), S. 225-237.

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