"Was damals Recht war..."

"Was damals Recht war..."

Veranstalter
Stiftung Denkmal für die ermordeten Juden Europas in Kooperation mit der Bundesvereinigung Opfer der NS-Militärjustiz, der Bundeszentrale für politische Bildung, der Gedenkstätte Deutscher Widerstand, der Stiftung Sächsische Gedenkstätten und der Stiftung Gedenkstätten Sachsen-Anhalt/Gedenkstätte Roter Ochse Halle (Saale) (15101;12307;12314;12466;10390)
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15101;12307;12314;12466;10390
Ort
Berlin
Land
Deutschland
Vom - Bis
22.06.2007 - 01.08.2007

Publikation(en)

Baumann, Ulrich; Koch, Magnus; Stiftung Denkmal für die ermordeten Juden Europas (Hrsg.): "Was damals Recht war...". Soldaten und Zivilisten vor Gerichten der Wehrmacht. Berlin 2008 : be.bra Verlag, ISBN 978-3-89809-079-7 264 S., 143 Abb. € 19,90
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Claudia Bade, Projekt "Dokumentationsstelle Militärjustiz", Torgau/Hannah-Arendt-Institut für Totalitarismusforschung e.V., Technische Universität Dresden

„Was damals Unrecht war…“
Soldaten und Zivilisten vor Gerichten der Wehrmacht

Die Wanderausstellung „Was damals Unrecht war…“ wurde von der Stiftung Denkmal für die ermordeten Juden Europas erarbeitet, die damit ihren gesetzlichen Auftrag erfüllt, zu einem würdigen Gedenken an alle Opfer des Nationalsozialismus beizutragen. Bis zum 1. August 2007 ist die Schau noch in Berlin zu sehen; die nächsten Stationen werden Köln, Wilhelmshaven, München und Halle/Saale sein.1 Der Titel der Ausstellung könnte nicht treffender gewählt sein, handelt es sich doch um ein Zitat des ehemaligen Marinerichters und baden-württembergischen Ministerpräsidenten Hans Filbinger („Was damals Recht war, kann heute nicht Unrecht sein“). Dieses Zitat aus dem Jahr 1978 verweist auf den schwierigen gesellschaftlichen Umgang mit der Justiz des NS-Staates nach 1945, aber auch auf den schwierigen rechtsstaatlichen Umgang mit den ‚Richtern des Unrechts’. Diese Schwierigkeiten liegen zum einen im Prinzip des Rückwirkungsverbotes begründet, zum anderen darin, dass in einem bestimmten gesellschaftspolitischen Klima die Exkulpation des eigenen Berufsstandes – wie im Falle der Wehrmachtrichter – besonders effektiv war.

Dass die historische Einordnung der Wehrmachtjustiz als einer der zentralen Säulen der Machtsicherung des „Dritten Reiches“ bis heute politisch brisant ist, zeigte sich erst jüngst im Frühjahr 2007 in der Diskussion um die Trauerrede des baden-württembergischen Ministerpräsidenten Günther Oettinger am Grab von Hans Filbinger. Glücklicherweise kommt die Schau aber fast ganz ohne Filbinger aus, da ihre Macher lieber eine sachliche und wissenschaftliche Herangehensweise wählten, als diesen viel diskutierten Fall erneut auszubreiten.2 So ist der aktuelle Stand der Forschung repräsentiert; Forschungslücken werden auch als solche benannt. Die Ausstellung ist klar strukturiert und wurde zurückhaltend gestaltet. Auf diese Weise kann man sich voll auf die Texte konzentrieren; der Medieneinsatz hält sich mit vier Hörstationen und einem kleinen Filmausschnitt ohnehin in Grenzen. Man sollte etwas Zeit mitbringen, denn die Schau ist – völlig zu Recht – sehr leseintensiv. Die Präsentation des komplexen Themas ist den Ausstellungsmachern gelungen, auch weil die Sprache trotz der juristischen Sachverhalte allgemein verständlich ist.

Schwerpunkte der Ausstellung sind zum einen die Fallgeschichten von unterschiedlichen Opfern der Militärjustiz, die auf elf Säulen über den gesamten Raum verteilt sind, sowie zum anderen die Darstellung der Funktionsweisen und Mechanismen der Militärgerichtsbarkeit. Die Entwicklung der Rechtsnormen und die stetige Verschärfung der Verfahrenspraxis werden auf einer großen hufeisenförmigen Stellwand in der Mitte nachgezeichnet. Einen dritten Schwerpunkt bilden biografische Porträts von Richtern und Gerichtsherren, deren Karrieren vor und nach 1945 gegenübergestellt werden. Kontrapunktisch dazu erfährt man von den Bemühungen ihrer ehemaligen Opfer und deren Angehörigen um Anerkennung und gesellschaftliche Auseinandersetzung.

Fast alle Arten von Widerständigkeit und Unangepasstheit in der Wehrmacht sind unter den Fallgeschichten zu finden. Besonders interessant, weil noch kaum bekannt, sind Geschichten wie diejenige von Erich Batschauer. Die Ausstellung verdeutlicht, dass nicht jede Fahnenflucht oder „unerlaubte Entfernung“ von der Truppe in einer politischen Widerstandshaltung begründet war. Oft geschahen diese „Entziehungen“ aus Sorge um die eigene Familie, aus Sehnsucht nach der Freundin oder – wie im Fall Batschauer – aus Furcht vor Disziplinarstrafen, zu denen er bereits mehrfach verurteilt worden war. Doch in der Begründung von Batschauers Todesurteil stand das eigentliche Delikt, die Desertion, im Hintergrund. Eine größere Rolle spielten seine soziale Herkunft, zivile Vorstrafen und das Privatleben des Angeklagten. Marinekriegsgerichtsrat Becker sprach sich gegen eine Begnadigung aus, damit Batschauers Leben, „das bisher keinen Wert hatte, […] dann vielleicht nicht nutzlos gewesen sein [wird], wenn er jetzt durch seinen Tod anderen Kameraden ein abschreckendes Beispiel gibt“. In diesem Zynismus wird deutlich, dass die Wehrmachtjustiz tatsächlich nicht nur nach dem Gesetzestext urteilte, wie später oft behauptet wurde, sondern dass sie explizit dazu beitrug, einen verbrecherischen Angriffskrieg durch „Überwachen und Strafen“ zu flankieren.

Hier setzt der zweite Schwerpunkt der Ausstellung an: die Darstellung der Entwicklung von Rechtsnormen und Verfahrenspraxis im Laufe des Krieges. Juristen verschärften die Militärstrafgesetze und arbeiteten verbrecherische Befehle aus. Juristen konzipierten die Kriegssonderstrafrechtsverordnung (KSSVO) und den Straftatbestand der „Wehrkraftzersetzung“. Immer mehr genuin nationalsozialistische Elemente hielten Einzug in die Militär-Gesetzgebung und später auch in die Rechtsprechung. Die Formel „nach gesundem Volksempfinden“ ist nur ein kleines Beispiel dafür. Wie generell jedes Verbrechen wurde die Fahnenflucht als „Treuebruch gegenüber der Gemeinschaft“ gewertet. Die Schau führt vor Augen, dass nach nationalsozialistischer Rechtsauffassung nicht allein die Straftat beurteilt wurde, sondern auch die Haltung und Gesinnung des Täters, der durch die Tat die Gemeinschaft schwäche. Die „elastische“ Auslegung der bestehenden Gesetze (Manfred Messerschmidt) zeigt aber zugleich, dass es trotz der bestehenden Weisungen – das Urteil musste immer durch den „Gerichtsherren“ bestätigt werden – durchaus Handlungsspielräume in der Rechtsprechung gegeben hat. Diese Zusammenhänge sind so deutlich noch nicht zu sehen gewesen.

Der Volksgerichtshof verurteilte über 5.000 Menschen zum Tode; von deutschen Gerichten insgesamt (außer Kriegsgerichten) wurden über 17.000 Todesurteile gesprochen.3 Die Forschung zur Wehrmachtjustiz geht demgegenüber von etwa 30.000 Todesurteilen durch Kriegsgerichte aus, von denen vermutlich rund 20.000 vollstreckt wurden – eine erschreckende Bilanz, der in der Ausstellung zudem noch die Zahlen der in anderen Ländern vollstreckten Todesurteile gegenübergestellt werden.4 Zwar erging ein Großteil der Urteile wegen kleinerer Delikte und wurde mit kürzeren Haftstrafen belegt – doch ein riesiges Strafsystem aus Frontbewährung und Erziehung zur ‚Wehrhaftigkeit’ sollte für die Disziplinierung der Truppe sorgen. Eine im Sinne der Kriegsführung möglichst effiziente Mischung aus Strafvollzug und Kriegseinsatz sorgte dafür, dass der Wehrmacht ihre Soldaten, ihr ‚Menschenmaterial’ erhalten blieben.5 Die Haftbedingungen beispielsweise in Feldstrafeinheiten waren äußerst hart. Tausende von Soldaten haben diese Einheiten durchlaufen; ihr Schicksal ist größtenteils noch ungeklärt. Auch darauf wird in der Ausstellung hingewiesen.

Relativ großen Raum nimmt die Frage der Rehabilitierung der Opfer der Militärjustiz ein. Auch in der DDR wurden von NS-Militärgerichten Verurteilte eher selten als „Verfolgte des Naziregimes“ (VdN) anerkannt. Dies war nur dann möglich, wenn sie nachweisen konnten, dass sie mit ihrem Handeln den antifaschistischen Untergrundkampf unterstützt hatten. In der Bundesrepublik gab es diese Anerkennung hingegen zunächst überhaupt nicht; zudem arbeiteten viele ehemalige Kriegsrichter wieder im juristischen Staatsdienst. Erst 1995 sprach der Bundesgerichtshof (BGH) ein bemerkenswertes Urteil: Er entschied, dass es sich bei den in der NS-Zeit gefällten Todesurteilen um Rechtsbeugung gehandelt habe. In der Folge wurden 2002 wesentliche Urteile der Kriegsgerichte durch den Bundestag pauschal aufgehoben – mit Ausnahme derjenigen Urteile, die aufgrund von „Kriegsverrat“ erfolgt waren. Sie müssen jeweils einzeln geprüft werden, um eine Aufhebung des Urteils zu erwirken. Doch auch dieses damalige Delikt wird demnächst möglicherweise unter die generelle Urteilsaufhebung fallen – das zumindest kündigte Bundesjustizministerin Brigitte Zypries bei der Ausstellungseröffnung an.6 Das BGH-Urteil von 1995 ist vor allem deshalb bemerkenswert, weil der BGH damit seine eigene bisherige Rechtsprechung kritisierte, die unter anderem dafür gesorgt hat, dass bis heute kein ehemaliger Kriegsrichter wegen seiner Rechtsprechung von einem deutschen Gericht verurteilt worden ist.

Die komplizierten Machtstrukturen innerhalb eines Kriegsgerichtsverfahrens werden sehr gut anhand eines großen Fotos veranschaulicht, das einer der seltenen Filmaufnahmen von einem solchen Verfahren entnommen wurde. Eine Propaganda-Einheit der Wehrmacht filmte im Jahr 1942 ein Verfahren gegen 27 Angehörige des französischen Widerstandes. Auf dem Foto werden alle Beteiligten des Prozesses gezeigt sowie ihre Rechte und Pflichten in knappen Sätzen beschrieben. Gestalterisch zu bemängeln ist an der Schau höchstens, dass viele der auf den Tafeln abgebildeten Dokumente viel zu klein sind und häufig zu niedrig hängen, um sie überhaupt lesen zu können. Das ist insbesondere deshalb schade, weil diese Dokumente doch ein zusätzliches Angebot an die Besucher sein sollen. Ein Katalog und Unterrichtsmaterialien zum Thema sind in Vorbereitung, werden aber erst sukzessive zu den folgenden Ausstellungsstationen erscheinen. Trotz der genannten Einschränkungen ist die Ausstellung konzeptionell und inhaltlich sehr gelungen.

Anmerkungen:
1 Vgl. die Liste der Ausstellungsorte unter <http://www.stiftung-denkmal.de/var/files/pdf-dateien/20070612_stationen_ausstellung.pdf> (25.7.2007).
2 Hingewiesen sei an dieser Stelle trotzdem auf eine aktuelle Publikation zum Fall Filbinger: Wette, Wolfram (Hrsg.), Filbinger – eine deutsche Karriere, Springe 2006.
3 Vgl. Wachsmann, Nikolaus, Gefangen unter Hitler. Justizterror und Strafvollzug im NS-Staat, München 2006, S. 446ff.
4 Vgl. Messerschmidt, Manfred, Die Wehrmachtjustiz 1933–1945, Paderborn 2005, S. 160ff. Eine höhere Anzahl an vollstreckten Todesurteilen findet sich während des Zweiten Weltkriegs nur in Japan und der Sowjetunion; in den USA wurden 146 Todesurteile vollstreckt, in Großbritannien 40.
5 Vgl. Rass, Christoph, „Menschenmaterial“: Deutsche Soldaten an der Ostfront. Innenansichten einer Infanteriedivision 1939–1945, Paderborn 2003, hier bes. S. 291f.
6 Vgl. dazu jetzt: Wette, Wolfram; Vogel, Detlef (Hrsg.), Das letzte Tabu. NS-Militärjustiz und Kriegsverrat, Berlin 2007.

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