Titel
Typisch deutsch. Wie deutsch sind die Deutschen?


Autor(en)
Bausinger, Hermann
Erschienen
München 2000: C.H. Beck Verlag
Anzahl Seiten
176 S.
Preis
€ 8,90
Rezensiert für den Rezensionsdienst "Europäische Ethnologie / Kulturanthropologie / Volkskunde" bei H-Soz-Kult von:
Manuela Ribeiro-Sanches, Departamento de Estudos GermanÝsticos Faculdade de, Letras da Universidade de Lisboa

Was ist typisch deutsch? Schon die Frage kann irritieren. Weiß man doch nur zu gut, daß verallgemeinernde Beschreibungen und Wahrnehmungsweisen selten den beobachteten Gegenstand treffen. Und man weiß auch, daß hinter jeder typisierenden Geste eine negative Bewertung stecken kann. Was soll das also sein, das "typisch Deutsche"? Darf man davon sprechen? Egal wie die Antwort lauten mag, die Neugierde ist nicht zu umgehen, eben gerade als Gast aus Portugal bei den europäischen Ethnologen in Berlin.

Dieser Fragen ist sich der Autor von "Typisch deutsch" durchaus bewußt, setzt er sich doch selbst mit ihnen im ersten Teil auseinander. Eine vermeintlich aufklärerische Geste wird dabei aber vermieden, um aus dem Ansatz eine fruchtbare Auseinandersetzung mit Stereotypen und ihren Halbwahrheiten vorzuschlagen. Daß Typisierungen bzw. Stereotypen unvermeidlich und sogar notwendig sind, ist ein wesentliches Argument des Buches. Es gibt aber Hetero- und Autostereotypen. Wenn die ersten mit ihren Klischees als etwas fast Notwendiges für den Umgang mit dem Fremden angesehen werden können, bieten die letzteren eine problematischere und dennoch in manchen Fällen beruhigende Selbstbeschreibung, da sie ebenfalls eine identitätsstiftende Wirkung haben können. Dies mag im deutschen Fall besonders notwendig sein, da die Deutschen nach Nietzsche jeglicher Definition zu "entschlüpfen" scheinen (S. 7). Eine Sache aber ist es, Stereotypen als Resultat einer "fremden" Wahrnehmung abzulehnen; etwas ganz anderes, wenn sie der eigenen Einschätzung - egal wie kritisch-distanziert - entsprechen. Der Autor betont ganz explizit, daß er nicht beabsichtige, "das deutsche Wesen von den Verunreinigungen durch falsche Einschätzungen zu reinigen, um es in seinem vollen Glanz zu präsentieren", es gehe eher "um die konkreten deutschen Wesen, um Männer, Frauen und auch Kinder, und um die Frage, was sie gemeinsam haben - angeblich oder tatsächlich" (S. 8).

Nachdem, es sei allerdings gesagt, auf "typisch deutsche" Art und Weise Theorien über Typisierungen eingeführt worden sind, wendet sich der Text manchen Verhaltensweisen zu, die im Ausland als "typisch deutsch" gelten. Da geht es, um bei den anschaulichsten Beispielen zu bleiben, um das Rasen auf der Autobahn oder um das Bauen von Sandburgen an fremden Stränden als Beleg für das Ausgrenzende und Ordentliche an den Deutschen - dies übrigens eine der vielen "deutschen Tugenden", die im Ausland noch allzu oft mit der nationalsozialistischen Vergangenheit assoziiert wird.

Aber das Buch handelt eher von Selbstbildern, die eine Hauptrolle bei internen Diskussionen spielen. Der Autor weist darauf hin, wie sich dabei negative mit positiven Vorstellungen vermischen, wenn es darum geht, ein Selbstbild zu liefern, das das kollektive Verhalten und die entsprechenden Folgen anschaulich machen soll. Die Rede ist dann, ambivalent, von "Kampfgeist, Ausdauer, Ordnung, Disziplin, Härte" (S.29), oder, positiver gewertet, von "Zuverlässigkeit", "Fleiß", "Perfektion", "Ordnung", "Pünktlichkeit", die aber schnell als Passivität und Umständlichkeit gedeutet werden (S. 30). An diesen Stereotypen kann sogleich nachvollzogen werden, wie schwer es die Deutschen noch immer mit jenen Zuschreibungen haben, die sie selbst vermutlich noch mit dem Nationalsozialismus in Verbindung bringen.

Dieses Motiv wird aber von dem Autor nicht weiter verfolgt. Bausinger begibt sich nicht auf die Suche nach dem "Preußentum" in und an Deutschen, sondern will darüber hinausweisend einigen Selbstbildern nachforschen, um auf diesem Weg, einen reflektierteren Zugang zu der Frage "Was ist typisch deutsch" zu gewinnen. Das erste Problem wird an der Tatsache anschaulich gemacht, daß Deutsche ihre Identität nicht nur über die Nation, sondern auch über Regionen artikulieren, eine Tatsache, die im Ausland selten wahrgenommen wird. Was vereinigt sie aber sonst, was ist "typisch deutsch" an diesen lokal unterschiedlichen Deutschen, Bayern und Preußen, Schwaben und Sachsen, Friesen und Rheinländern? Weniger Härte, Fleiß oder Disziplin als Seßhaftigkeit und Enge, trotz der weltberühmten Reiselust deutscher Touristen? Ein typisch deutscher Ausdruck - und ein ganz besonderes Erlebnis für "teilnehmend beobachtende" Touristen - ist die "Gemütlichkeit", zu der "Kachelofen, gedämpftes Lampenlicht, Sofakissen, Hauskleidung und Hausschuhe" gehören, nicht zu sprechen von den berühmten Gartenzwergen (S. 61), die ebenfalls als etwas typisch Deutsches gelten.

Diese Deutschen sind alles andere als erhaben, wie Kant sie im 18. Jahrhundert, wahrscheinlich aus einer preußischen Perspektive betrachtet, noch haben wollte. Enge, eine gewisse Biederkeit, vermischt mit dem Hang zur Anpassung und einem fast manischen Festhalten an Ordnung und Regeln entsprechen weniger den militärischen Tugenden eines preußisch-aristokratischen Ethos als einem philisterhaften bäuerlich-kleinbürgerlichen Weltbild, wie Heine es schon zu denunzieren wußte, und von Bausinger als Folge der Anpassung des deutschen Bürgertums an den autoritären feudalen Verhältnissen im 19. Jahrhundert erklärt wird (S. 62).

Aus dem ironisch distanzierten und dennoch verständnisvollen Blick, den der Autor auf die Deutschen wirft, ergibt sich ein Selbstbild, an dem man das Kosmopolitische, das Befreiende vermißt. Man fühlt sich beengt in dieser biederen Atmosphäre unter diesen Deutschen, die trotz ihrem Hang zur Natur auf der Autobahn rücksichtslos weiterrasen, was sie nicht weniger seßhaft macht, und die am Ecktisch regional unterschiedliches aber immer deftiges Essen genießen, indem sie - um mit Nietzsche in "Götzendämmerung" zu reden - humorlos zuviel Bier und Philosophie verdauen.

Solche "Leitvorstellungen über die Deutschen" werden anhand ihrer historischen Entstehung verfolgt. Geschichte spielt in dem Buch eine entscheidende Rolle, nicht als etwas Objektives, sondern als Moment des Erinnerns, als kollektives Aneignen von Vergangenheit und subjektive Erfahrung. Erzählt wird Geschichte anhand identitätsstiftender Symbole: Die Rede ist etwa vom Schwarz-Rot-Gold der Fahne, vom verschlafenen nur kurz erwachenden deutschen Michel, jenem Anti-Held, der sowohl das Spießig-Biedere als auch das Revotionäre an den Deutschen zu symbolisieren vermochte, von der "sehr männliche[n] Gestalt" des Faust als "Mann der Tat" (S.116), von der Erfindung des Teutoburger Walds, des romantischen Rheins und anderen "deutsche[n] Landschaften". Als "typisch deutsch" gilt die "altdeutsche Prägung" einzelner Städte wie Heidelberg und besonders von Rothenburg ob der Tauber, wo "die bemühte Stilisierung aufs Alte [...] einem gängigen Muster [entspricht], das unabhängig von der konkreten historischen Entwicklung als 'deutsch' empfunden wird". Und Bausinger betont die Art und Weise, in der Stichworte wie "Enge" und "Gemütlichkeit" ihren entsprechenden "architektonischen und atmosphärischen Ausdruck" in solchen "altdeutschen" Städten finden (S. 125).

Der letzte Teil spricht schließlich von den Grenzen des Nationalen in einer zunehmend globalisierten Wirklichkeit, von Multikulturalismus in Deutschland, von Tendenzen also, die dazu beitragen, daß das, "was lange Zeit als typisch galt", nicht mehr so ohne weiteres wiedererkennbar ist (S. 154). Ein solcher Ansatz macht aus dem Buch ein "reichlich kurioses Unternehmen", denn, wie Bausinger selbst schreibt, "der Autor balanciert zwanzig Kapitel lang auf einem schon etwas morschen Ast, um ihn im letzten Kapitel selbst abzusägen" (S. 154).

Jetzt darf gehofft werden, daß es bunter und befreiender unter den Deutschen wird. Dies entspricht einer diffenzierteren Ansicht von Globalisierungseffekten, die nicht einseitig negativ einzuschätzen sind, wie es bei manchen Kulturkritikern noch oft zu lesen ist. Dennoch ist bei aller positiven Einschätzung von multikulturellen Erfahrungen zu befürchten, daß die Reaktion auf fremde Einflüsse sich lediglich in der Ansicht erschöpfen könnte, daß "fremde Dinge" und "fremde Gedankenwelten, Ausdrucksmittel und Lebensformen" "teils kritisch, teils empfehlend" einfach nur übernommen werden. Positiv hervorzuheben ist aber der von Bausinger gebrauchte erweiterte Begriff von deutscher Kultur, der es erlaubt, fremde Einflüsse als "feste[n] Bestandteil deutscher Kultur" zu beschreiben (S. 146). Fragwürdiger erweisen sich Behauptungen wie diejenige, das Fremde sei "neutralisiert", zumindest "bis zu einem gewissen Grad" (S. 146), dem wohl auch in einem postnationalen Zeitalter nicht immer zuzustimmen ist.

Obwohl Konflikte mit Immigranten nicht verwischt werden, sieht Bausinger "Integration" als langfristigen Prozeß. Und auf lange Sicht, so Bausinger, ist "damit zu rechnen, daß ein großer Teil der zugewanderten Ausländerinnen und Ausländer in der deutschen Gesellschaft aufgehen wird, sicher nicht ohne bewußt bewahrte Rückstände des Andersseins, aber keineswegs nur in Äußerlichkeiten 'eingedeutscht'" (S. 142). Doch wenn die Rede von "Eindeutschung" und nicht von "Einbürgerung" ist, befürchtet man eben einen Begriff von Nationalität wiederzuerkennen, der noch als ethnisch fundierter verstanden werden könnte. Multikulturelle Politik zu betreiben erschöpft sich nicht in der Übernahme von südländischen Lebensstilen oder im türkischen Breakdance. Wenn Einbürgerung mehr als schlichte Assimilation, d.h. Anpassung an die vorherrschenden "deutschen" Modelle sein soll, dann müssen Identitätskonflikte stärker in Betracht gezogen oder zumindest ernster genommen werden.

Dieselbe Unterschätzung von Konfliktpotentialen und ungelösten Auseinandersetzungen kann man ebenfalls am Kapitel über deutsch-deutsche Beziehungen feststellen, wenn entweder "Internationalität" (S. 133) und "Gemeinsamkeit von aktuellen Entwürfen und Zukunftsorientierungen" (S. 135) als mögliche Lösung erwähnt werden, oder die "älteren historischen Traditionen", die in den "Neuen" Bundesländern noch zu finden sind, als Mittel gedeutet werden, die den "vereinigten" Deutschen "ein Gefühl der Zusammengehörigkeit" (134) liefern könnten, ohne expliziter auf soziale und politische Konflikte hinzuweisen.

Solche Bemerkungen sollen aber nicht so verstanden werden, als ob dieses Selbstbild von den Deutschen nicht gelungen sei. Dank der unterschiedlichen Perspektiven und den reichhaltigen Materialien, die angeboten werden, gelingt es dem Autor nicht nur, ein facettenreiches, geschichtlich fundiertes und problemorientiertes Bild von dem "typisch Deutschen" zu liefern, sondern es auch gleichzeitig in Frage zu stellen und ernst zu nehmen. Für die Auslandsgermanistik erscheint mir das Buch besonders anregend und geeignet und zwar nicht nur wegen der erwähnten reichhaltigen Informationen, sondern auch dank der anschaulichen Darstellung und der leicht zu verstehenden Schreibweise. Dies erfordert allerdings eine um so aufmerksamere Lektüre nicht zuletzt wegen des erwähnten ironisch distanzierten Verfahrens und der einfühlsamen Deutung einer sich stets verändernden deutschen Kultur, in der auch emotionale Faktoren, "Gefühlsstrukturen" (R. Williams), eine entscheidende Rolle spielen. Kultur wird also als ein stetes Verhandeln mit Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft, dem Regionalen, dem Nationalen und dem Globalen, dem Inneren und dem Äußeren, dem Eigenen und dem Fremden verstanden, was auch heißen kann, Identität als einen sich stets verändernden und immer neu zu bestimmenden Prozeß zu verstehen.

Ein solcher Ansatz scheint um so notwendiger zu sein zu einem Zeitpunkt, zu dem in Europa virulente Ethnizismen und Nationalismen die Oberhand zu gewinnen drohen. Der Autor ist sich bewußt, daß es unterhalb der Ebene des öffentlichen Diskurses "noch Vorstellungen von den Deutschen gibt, die ziemlich unkritisch und von Selbstzweifeln kaum angekränkelt sind" (S. 27-28), was allerdings auch für Heterostereotypen gelten kann.

Und dies macht den Nutzen der Auseinandersetzung mit Stereotypen aus. Daß Ethnologen oft für die Produktion von Stereotypen verantwortlich gemacht worden sind, sollte sie nicht daran hindern, sich damit auf differenzierte Weise auseinanderzusetzen. Denn: "It is not necessary to endorse stereotypes in order to study them with a measure of pained self-recognition; and doing so may be a better assurance of good faith than all the antiracist declarations in the world." 1.

"Wie deutsch sind die Deutschen?" bleibt eben eine offene Frage. Jedenfalls: Deutsch genug, um sich in manchen Typisierungen zu erkennen, zu wenig deutsch, um sich immer wieder neu gestalten zu müssen.

Anmerkung:
1 Michael Herzfeld, Cultural Intimacy. Social Poetics in the Nation-State, New York and London: Routledge 1997, S. 157.

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Diese Rezension entstand in Kooperation mit dem Rezensionsdienst "Europäische Ethnologie/Kulturanthropologie/Volkskunde" http://www.euroethno.hu-berlin.de/forschung/publikationen/rezensionen/
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