Cover
Titel
Die Burgunder.


Autor(en)
Kaiser, Reinhold
Reihe
Urban Taschenbücher
Erschienen
Stuttgart 2003: Kohlhammer Verlag
Anzahl Seiten
284 S.
Preis
€ 18,60
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Oliver Salten, Bonn

Eine Geschichte der Burgunder zu verfassen, ist aus zweierlei Gründen ein recht problematisches Unterfangen. Zum einen sind uns keine historiografischen Aufzeichnungen der Burgunder selbst überliefert, sodass wir auf römische und fränkische Aussagen angewiesen sind, um die Geschichte dieser gens näher zu beleuchten. Zum anderen sind auch die auf uns gekommenen archäologischen Zeugnisse äußerst spärlich und lassen uns an keiner Stelle etwas erkennen, das man als „spezifisch burgundisch“ bezeichnen könnte (S. 87). Dennoch zeichnet sich zumindest eine wichtige fassbare Kontinuität von der Spätantike bis auf den heutigen Tag ab, nämlich der Name „Burgund/Burgunder“. Mit dieser Feststellung ist bereits einer der zentralen Aspekte angesprochen, mit denen sich Reinhold Kaiser in seinem Werk auseinandersetzt, dem Auftreten eines Namens und seiner Kontinuität.

Mit der Nennung ihres Namens durch Plinius den Älteren im ersten nachchristlichen Jahrhundert beginnt auch die für uns greifbare Geschichte der Burgunder. Kaiser folgt ihrem Auftreten in Mittel- und Osteuropa bis zu ihrem Übergang über den Rhein zu Beginn des 5. Jahrhunderts. Er verzichtet dabei ausdrücklich auf hypothetische Überlegungen zu burgundischen Herkunftsgebieten und betont mit guten Argumenten, dass die lange rezipierte These eines angeblichen skandinavischen Ursprungs der Burgunder jeglicher Grundlage entbehrt. Inwiefern jedoch die spätantiken ethnogenetischen Deutungen der burgundischen Geschichte durch Orosius und Ammianus Marcellinus sowie die Darstellung ihres Königtums durch letzteren auf die Burgunder selbst zurückgehen oder ein römisches Produkt sind, muss seiner Ansicht nach offen bleiben.

In einem zwangsläufig skizzenhafteren Rahmen widmet sich Kaiser dem Burgunderreich am Rhein, das zwischen 413 und 436 Bestand hatte. Mit der herrschenden Forschungsmeinung lokalisiert er es am Mittelrhein bei Worms. Über dieses erste Burgunderreich ist sonst kaum mehr bekannt als sein Untergang, literarisch eindrucksvoll verarbeitet im Nibelungenlied. In der historischen Realität scheint es vor allem der Druck der Hunnen gewesen zu sein, der die Burgunder zu einem Ausgreifen nach Westen veranlasste, einer Aktion, die mit ihrer Niederlage gegen den gallorömischen Heermeister Aetius und ihrer Ansiedlung in der Sapaudia endete.

Hier liegt nun der Ursprung des um 443 gegründeten und 532/34 durch die Franken eroberten Burgunderreiches an der Rhône, das jüngst einer ausführlichen Untersuchung durch J. Favrod unterzogen wurde, zu der Kaiser aber einige wichtige Ergänzungen anbringen kann.1 Eine besondere Schwierigkeit besteht für die Forschung seit langem darin, die Lage der Sapaudia zu klären, die entweder mit dem heutigen Savoyen oder einer „Großdiözese“ Genf, die im Wesentlichen den Raum der civitates Genf, Nyon und Avenches/Windisch umfasst haben soll, gleichgesetzt wird. Kaiser stimmt der letzteren These zu, lässt sich dabei aber weniger von sprachlichen Annahmen leiten, sondern stellt zusätzlich die ansprechende Vermutung an, dass es Aetius bei der Ansiedlung der Burgunder daran gelegen war, die Sapaudia als Teil eines älteren Militärbezirks zu reorganisieren. Vor allem die militärisch-strategische Funktion der Sapaudia spräche dafür. Die Geschichte des zweiten Burgunderreiches zeigt, dass es die ihm zugedachte Funktion als Puffer zwischen Gallien, Alemannien und Italien erfüllte. Eine Politik des Ausgleichs zwischen Romanen und Nichtromanen, zwischen Arianern und Katholiken nach innen, sowie das Abschließen von Bündnissen mit rivalisierenden Mächten nach außen, sicherte den burgundischen Königen zunächst die Ausdehnung entlang der Rhône und dann bis 532/34 den Bestand ihres Reiches, das allerdings letztlich der merowingischen Expansion nichts entgegenzusetzen vermochte.

Die von den Burgundern hinterlassenen Selbstzeugnisse sind äußerst spärlich gesät. Aus ihrer Sprache ist nur ihr eigener Name überliefert und archäologische Zeugnisse lassen sich ihnen nur sehr selten eindeutig zuweisen.2 Der Grund für dieses „Verschwinden“ der Burgunder ist wohl in ihrer hohen Integrationsbereitschaft und -fähigkeit zu suchen. Schon recht früh müssen sie also offen für andere kulturelle Einflüsse gewesen sein, was zu einer raschen polyethnischen Strukturierung der Burgunder führte. Da sie ihren mächtigen gotischen und fränkischen Nachbarn dennoch zahlenmäßig unterlegen waren, scheint sich bei den Burgundern ein „bevölkerungspolitisches Denken“ (S. 81) herausgebildet zu haben, wie Kaiser überzeugend belegen kann.

Im Bereich der Binnenstruktur des Burgunderreiches ist zunächst die territoriale Unbestimmtheit der Bezeichnungen des burgundischen Herrschaftsraumes als regnum, regio, sors u.ä. interessant. Hier werden die fließenden Grenzen deutlich, denen das Reich je nach Kriegsglück des Königs unterworfen war. Auch in Bezug auf die gentile Ordnung des Reiches stand der König im Mittelpunkt. Er „erschuf“ in gewissem Sinne die gens Burgundionum, indem die burgundische Polyethnie, die sich auch im Bereich der Rechtsetzung im Liber constitutionum zeigte, unter ihm zu einer „ethnischen“ Einheit wurde. Demgegenüber stand der Begriff des populus noster, der am Ende einer sprachlichen Entwicklung die gesamte Reichsbevölkerung, also auch die Romanen, umfasste. Vor allem der königliche Hof war ein zentraler Begegnungsort für Burgunder und Romanen. Die Bemerkungen Kaisers zur Erbfolgeregelung bei den burgundischen Herrschern lassen eine „Mischung aus Anwachsungs- und Senioratsprinzip“ vermuten (S. 116), wobei es unter König Gundobad offenbar zu einer Durchsetzung der Individualsukzession kam. In einem längeren Abschnitt widmet sich Kaiser der Sozial- und Wirtschaftsstruktur des Burgunderreiches, die im Wesentlichen die Kontinuität, die seit der Römerzeit bestand, erkennen lässt.

Die religiöse Struktur der Burgunder scheint allem Anschein nach arianisch-katholisch gemischt gewesen zu sein. Die durch Aussagen von Orosius und Sokrates bezeugte katholische Phase ist nach Kaisers Auffassung nicht durch die Annahme eines allgemeinen burgundischen Arianismus zu widerlegen. Seiner Ansicht nach waren es erst arianische Könige, durch die sich diese Glaubensrichtung stärker im populus verbreitete. Auch der Übertritt König Sigismunds zum Katholizismus zu Anfang des 6. Jahrhunderts, bedeutete nicht das Ende des Arianismus und der polykonfessionellen Struktur bei den Burgundern. Man wird eher an eine behutsame Bekehrungspolitik denken dürfen, wie es etwa die Bestimmungen des Konzils von Epao 517 vermuten lassen. Dennoch konnte Sigismund gerade im religiösen Bereich eine bedeutende Fernwirkung entfalten, vor allem durch die Gründung des Klosters Saint-Maurice im Jahre 515, die erste Klostergründung eines germanischen Herrschers.

Dem „Nachleben“ der Burgunder widmet sich Kaiser in seinem letzten Kapitel. Nachdem er die Kontinuität des Namens Burgundia nach der Eroberung des Burgunderreiches durch die Franken bis in die Gegenwart verfolgt hat, wendet er sich der Frage zu, inwiefern man vom „Bewusstsein einer burgundischen Ethnizität“ (S. 200) sprechen kann. Das Aufgehen des Burgunderreiches im merowingischen Frankenreich führte zu einer wechselseitigen Beeinflussung burgundisch und fränkisch geprägter Gebiete auf verschiedenen Ebenen, politisch wie kulturell. Im Zuge dieser Umbrüche verlor der Begriff Burgundiones seinen Sinn als kollektive Bezeichnung einer gens und wurde stattdessen im 7. Jahrhundert territorialisiert und auf das Teilreich Burgund bezogen. Ein burgundisches Abstammungsbewusstsein ist jedoch vereinzelt noch bis um 700 nachzuweisen. Die Verwendung „burgundischer“ Namen bei den Merowingern im 6. Jahrhundert signalisierte nicht nur die Gewissheit einer burgundischen Abstammung von der mütterlichen Seite her, sondern auch den politischen Anspruch, den man auf das ehemalige Burgunderreich erhob. Mit dem literarischen Nachleben der Burgunder im Nibelungenlied beschließt der Autor das Buch.

Kaisers Werk wird ergänzt durch ein umfangreiches Literaturverzeichnis, ein Orts- sowie ein Personenregister, vier Stammtafeln und zehn Karten. Insgesamt kann man dem Verfasser nur zu einem vorzüglichen Werk gratulieren, das eine lebendige Darstellung der burgundischen Geschichte und ihrer Probleme mit eigenen Bewertungen zum Forschungsstand verbindet und großen Anklang finden dürfte.

Anmerkungen:
1 Favrod, Justin, Histoire politique du royaume burgonde (443-534), Lausanne 1997.
2 Zur Aufarbeitung der archäologischen Hinterlassenschaft der Burgunder, vgl. Gaillard de Semainville, Henri (Hg.), Les Burgondes. Apports de l’archéologie. Actes du collque international de Dijon (5-6 nov. 1992), Dijon 1995.

Redaktion
Veröffentlicht am
Beiträger
Redaktionell betreut durch
Klassifikation
Region(en)
Mehr zum Buch
Inhalte und Rezensionen
Verfügbarkeit
Weitere Informationen
Sprache der Publikation
Sprache der Rezension