G. Mühlpfordt u.a.: Der Spirituskreis (1890-1958)

: Der Spirituskreis (1890-1958). Eine Gelehrtengesellschaft in neuhumanistischer Tradition. Vom Kaiserreich bis zum Verbot durch Walter Ulbricht im Rahmen der Verfolgungen an der Universität Halle 1957 und 1958. Band 1: 1890-1945. Halle 2001 : Hallescher Verlag, ISBN 3-929887-23-1 536 S. € 51,00

: Der Spirituskreis (1890-1958). Eine Gelehrtengesellschaft in neuhumanistischer Tradition. Vom Kaiserreich bis zum Verbot durch Walter Ulbricht im Rahmen der Verfolgungen an der Universität Halle 1957 und 1958. Band 2: 1945-1958. Halle 2004 : Hallescher Verlag, ISBN 3-929887-28-2 736 S. € 59,95

Rezensiert für H-Soz-Kult von
Ilko-Sascha Kowalczuk, Abteilung Bildung und Forschung, Bundesbeauftragte für die Unterlagen des Staatssicherheitsdienstes (BStU)

In der Tradition bürgerlicher Hauskreise und literarischer Salons stehend entwickelten sich im 19. Jahrhundert an vielen Universitäten informelle Vereinigungen von Professoren, die bildungsbürgerliche Kommunikationsbedürfnisse bedienten. Das waren in sich geschlossene Kreise, die den Zugang streng reglementierten, zumeist in Privaträumen tagten und intensiv darum bemüht waren, den Schein politik- und ideologieferner Wissenschaft zu bewahren. Es war typisch, dass diese Kreise zumeist streng zwischen Geistes- und Naturwissenschaften unterschieden und sich entsprechend zusammensetzten. Das „Vortragskränzchen“ an der halleschen Universität, das als „Spirituskreis“ in die Geschichte einging, konstituierte sich 1890 und war maßgeblich von dem berühmten Althistoriker Eduard Meyer initiiert worden. Andere Erstmitglieder waren der Nationalökonom Johannes Conrad, der Altphilologe Wilhelm Dittenberger, der Philosoph Benno Erdmann, die Theologen Erich Haupt, Friedrich Loofs und Emil Kautzsch, der Jurist Edgar Loening, der Philologe August Müller und der Indologe Richard Pischel. Insgesamt gehörten dem Kreis immer zwölf Professoren an. Schied jemand durch Wegberufung, Austritt oder Tod aus, bestimmten die verbliebenen Mitglieder den Nachfolger.

Die Zusammensetzung garantierte lebhaften Meinungsaustausch und divergierende Ansichten über wissenschaftliche Fragen. Neben regelmäßigen Vorträgen und Diskussionen kam dem Kreis auch eine wissenschaftspolitische Funktion zu. Zum einen kamen ganz bewusst universitätsinterne Fragen und Probleme zur Sprache. Der Kreis bildete so ein den universitären Selbstverwaltungsgremien vorgeschaltetes informelles Meinungsbildungsorgan, das ganz offensichtlich bis zum Beginn der nationalsozialistischen Diktatur über erheblichen Einfluss verfügte. Zwischen 1898 und 1932 stellte der Kreis 20 Rektoren. Hinzu kamen Senatoren und Dekane (Bd. 1, S. 409). Allein diese Zahl belegt, dass der Kreis Universitätspolitik betrieb.

Zum anderen konstituierte sich der Kreis aber auch „gegen die wachsende Geltung der voll emporstrebenden und auf der Ministerialebene sichtbar geförderten Naturwissenschaften, die dem zeitgenössischen Naturwissenschaftler eigenen Denkformen eines mechanischen Materialismus und der Kausalität wie auch gegen den Prozess der fortschreitenden Spezialisierung bzw. Differenzierung mit ihren geistigen, material- und personalaufwendigen Begleiterscheinungen“ (Bd. 1, S. 187). Der Kreis bildete gewissermaßen „eine Verteidigungsgemeinschaft“ (ebd., S. 189), um die für evident aufgefassten Werte zu erhalten.

Die faszinierende Publikation über diesen halleschen Gelehrtenkreis zeichnet en detail seine Geschichte nach. Auch wenn die Lektüre nicht immer ganz einfach ist, so lohnt sie, weil sie ein Stück Universitäts- und Geistesgeschichte wachruft, über das wir bislang aufgrund der schwierigen Materiallage recht wenig wissen.

Vielleicht wäre der Spirituskreis wie viele andere ähnliche Kreise längst in Vergessenheit geraten, wenn er nicht 1958 in einer spektakulären Aktion von Walter Ulbricht persönlich angegriffen und verboten worden wäre. Hatte der Kreis bereits nach 1933 erheblich an Bedeutung und Einfluss verloren, so verstärkte sich diese Tendenz nach 1948/49 nochmals. In mehreren Studien über die Nachkriegsgeschichte von Hochschulen und Bildungsbürgertum in der SBZ/DDR ist dies in den letzten Jahren aufgezeigt worden. Zu den bekannteren Mitgliedern des Spirituskreises nach 1945 gehörten zum Beispiel der letzte Leiter des Kreises, der Philosoph Paul Menzer, die Theologen Otto Eißfeldt und Kurt Aland, die Historiker Martin Lintzel, Carl Hinrichs und Hans Haussherr, der Musikwissenschaftler Max Schneider, der Erziehungswissenschaftler Hans Ahrbeck, der Geologe Hans Gallwitz, der Agrarwissenschaftler Erich Hoffmann sowie Erhard Hübener, Ministerpräsident Sachsen-Anhalts, der in der Geschichte des Spirituskreises das einzige Mitglied war, der nicht Ordinarius war.

Der Spirituskreis geriet ins Fadenkreuz von SED und MfS als es darum ging, die Universitäten endgültig auf den kommunistischen Weg zu bringen. Zwar wurde von SED-Funktionären behauptet, der Spirituskreis würde an der Universität eine Art Nebenregierung beanspruchen, aber wie wenig substanziell solche Vorwürfe waren, zeigte sich allein an dem Umstand, dass weder im SED-Apparat noch im MfS Mitte der 1950er-Jahre irgendjemand über Geschichte und Zusammensetzung des Kreises präzise Bescheid wusste. Vielmehr ging es darum, an den Universitäten die bürgerlichen Wissenschaft auszutreiben. Der Kampf gegen den Spirituskreis geriet dabei zum exemplarischen, aber längst nicht alleinigen Fall.

Einer der Autoren dieser wichtigen Publikation, der Historiker Günter Mühlpfordt, geriet damals selbst ins Räderwerk kommunistischer Verfolgungspolitik. Weil er sich weigerte, den Anmaßungen der Ideologiewächter Folge zu leisten, erhielt er 1958 erst Lehrverbot und dann 1962 seine fristlose Entlassung als Professor. Zwanzig Jahre lang fristete er in der DDR das Leben als Privatgelehrter, was ihn nicht daran hinderte, ein außerordentlich produktiver und international anerkannter Historiker zu werden.1 Das Buch profitiert von dieser Zeitzeugenschaft, obwohl Mühlpfordt nie Mitglied des Spirituskreises war, weil er und auch sein Mitautor Günter Schenk eine Reihe von Informationen in die Darstellung einfließen lassen können, die in Archiven kaum zu finden sind. In dieser Nähe zum Gegenstand liegt aber auch ein gewisser Nachteil insofern, als die Autoren fast jede Information als wichtig und mitteilenswert erachten, so dass die Darstellung teilweise zu zerfasern droht. Dabei stellen die zwei vorliegenden voluminösen Bände nur die Hälfte des Publikationsprojektes dar. Es sind noch zwei Nachfolgebände angekündigt. In dem einen sollen biografische Porträts der Spiritusmitglieder zum Abdruck kommen. In dem anderen soll die Verfolgung des Kreises und seiner Mitglieder durch das MfS detailliert nachgezeichnet werden.

Auch wenn die generelle Bedeutung des Spirituskreises gewiss nicht überhöht werden sollte, so bietet die Analyse und Darstellung seiner Zerschlagung durch die Kommunisten doch reichlich Anschauungsstoff dafür, wie sie Universitäten, Wissenschaften und Wissenschaftler auf ihren Kurs brachten oder Einzelpersonen zur Flucht zwangen. Insofern ist der Spirituskreis ein Beispiel dafür, wie die Kommunisten ihre Machtansprüche konkret umsetzten und wie sie dabei, durchaus kalkuliert, einen Feind, den es zuvor gar nicht gab, erst konstruierten, dann praktisch aufbauten und schließlich vernichteten. Das alles hat Hannah Arendt theoretisch schon vor Jahrzehnten beschrieben. Dies ganz konkret an einem historischen Beispiel vorgeführt zu haben und dabei auch, wie nebenbei, auf ein Element der deutschen Universitätsgeschichte, die „Vortragskränzchen“ mit Einfluss, hingewiesen zu haben, ist das Verdienst der Darstellung und Dokumentation. Vielleicht gibt diese Edition auch Anstöße dafür, nach anderen, längst vergessenen „Kreisen“ zu fahnden und ihre Geschichte zu erforschen. Hier scheint noch ein interessanter universitätshistorischer Gegenstand seiner fleißigen Bearbeiter zu harren.

Anmerkung:
1 Vgl. die sechsbändige Festschrift für Günter Mühlpfort (einschl. Schriftenverzeichnis): Donnert, Erich (Hg.), Europa in der frühen Neuzeit, Köln 1997-2002.

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