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Titel
Bild und Bildung. Fotografische Wissenschafts- und Technikberichterstattung in populären Illustrierten der Weimarer Republik (1919-1932)


Autor(en)
Deilmann, Astrid
Erschienen
Osnabrück 2004: Der Andere Verlag
Anzahl Seiten
552 S., 147 Abb. auf 91 Bildtfn.
Preis
€ 73,90
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Felix Axster, Hamburg

Astrid Deilmann verzahnt in ihrer Dissertation mehrere 'Erfolgsgeschichten' der Weimarer Republik: zum einen die Etablierung der Illustrierten als Massenmedium (die Auflagen einzelner Illustrierter waren mehrere Hunderttausend, bisweilen sogar Millionen stark), zum anderen der Aufstieg der Fotografie zu einem wesentlichen Bestandteil der visuellen Kultur. Die jeweiligen 'Karriereverläufe' bedingen sich hier gegenseitig: Gerade der massenhafte Einsatz fotografischer Bilder verhalf der Illustrierten zu ihrer Popularität. Die Fotografie wiederum verdankte ihre endgültige Etablierung innerhalb der Presse nicht zuletzt den Illustrierten. Doch neben diesen medialen Karrieren, die immer auch und zu allererst auf die Karriere der die Medien etablierenden Diskurse verweisen 1, zeichnet sich mit Blick auf den thematischen Fokus von Deilmanns Analyse noch eine weitere Erfolgsgeschichte ab: die Narration eines durch Wissenschaft und Technik bedingten Fortschrittes, in der eine technomorphe Gegenwart immer schon auf die Zukunft als utopischer Fluchtlinie verwies.

Gegenstand von Deilmanns Arbeit ist der Technik-Kult in der Weimarer Republik und seine massenmediale Inszenierung. Dabei geht es ihr nicht nur darum, die Prozesse der Vermittlung und Popularisierung von insbesondere naturwissenschaftlichem Wissen im Medium der Illustrierten bzw. der Fotografie nachzuzeichnen; vielmehr steht die Frage nach der Funktion und den Effekten dieser diskursiven Praxis im Vordergrund. Diesbezüglich verweist Deilmann eingangs auf die zeitgenössischen "Bedeutungszuschreibungen von Wissenschaft und Technik" (S. 15), auf den kollektiven Symbolgehalt von Forschung und Erfindungen. Angesprochen ist somit der Alltag insbesondere in den Großstädten, der durch die Erfahrung einer umfassenden Technisierung (Elektrifizierung, Verkehr, Kommunikation) geprägt war. Angesprochen ist aber auch und vor allem die symbolische Aufladung technischen und naturwissenschaftlichen Wissens in einer Gesellschaft, die infolge von Kriegsniederlage, Systemwechsel und Wirtschaftskrise "zutiefst verunsichert" (S. 335) war. Der Glaube an einen beständigen Fortschritt, in dem die Geschichts- und Entwicklungsmodelle des 19. Jahrhunderts nachhallten, der sich aber auch aus der zunehmenden Verflechtung von Wissenschaft, Technik und Lebenswelten speiste, erweist sich folglich - so Deilmanns These - als eine der wenigen Narrationen, die Konsens und Verbindlichkeit zu stiften im Stande war.

Anhand der drei auflagenstärksten Illustrierten verfolgt Deilmann die fotografische Wissenschafts- und Technikberichterstattung in der Weimarer Republik. Gemeinsam war diesen Zeitungen die zentrale Rolle sowohl der Themen Wissenschaft und Technik als auch der Fotografie als Medium der Veranschaulichung. Unterschiede hingegen bestanden vor allem in der ideologischen Ausrichtung der jeweiligen Organe: Lassen sich die Kölnische Illustrierte Zeitung und die Berliner Illustrirte Zeitung eher einem bürgerlichen Spektrum zuordnen, so war die Arbeiter-Illustrierte Zeitung ein dem Sozialismus verpflichtetes Projekt. Diese politische Differenz macht einen Großteil der Spannung von Deilmanns Arbeit aus. Denn die journalistische Inszenierung von Wissenschaft und Technik in Illustrierten erscheint wie ein Brennglas, unter dem nationalistische Diskurse, weltanschauliche Antagonismen und unterschiedliche Moderne-Konzepte sichtbar werden.

In vier thematischen Blöcken zeichnet Deilmann die populären, um Fortschritt zentrierten Zeitungsdiskurse nach. Dabei kommen lesenswerte Anekdoten über die Frühgeschichte technischer Innovationen (Flugzeug, Auto, Rundfunk, Telefon) ebenso zur Sprache wie die anthropologischen Implikationen des Maschinenzeitalters (Stichwort: Menschmaschine). Als roter Faden fungieren vor allem zwei Erzählungen, die in der Fetischisierung von Wissenschaft und Technik als Fortschrittsgaranten ihren gemeinsamen Bezugspunkt haben: zum einen der in den bürgerlichen Zeitungen geführte Diskurs, in dem deutsche Forschungsinnovationen "die Stärke und den legitimen Führungsanspruch Deutschlands" (S. 395) unterstreichen sollten; zum anderen die Fixierung auf die Industrialisierung in der Sowjetunion seitens der Arbeiter-Illustrierte Zeitung, wodurch der "Glaube an die sozialistische Idee und die Revolution" (ebd.) genährt werden sollte.

Insbesondere zwei Beispiele veranschaulichen die jeweiligen diskursiven Strategien: Galt das Fliegen in den 1920er- Jahren als "das Signum der Moderne" (S. 372) schlechthin, und liest sich die Berichterstattung über Flugzeugbau, Atlantiküberquerungen und unbegrenzte Mobilität wie eine "Dauerinszenierung des Fortschritts" (S. 185), so verweist die Geschichte des Zeppelins zusätzlich auf "ein Stückchen deutscher Identitätsfindung der unmittelbaren Nachkriegszeit" (S. 176). Der deutsche Zeppelin-Mythos beginnt mit einer Katastrophe: Im August 1908 verbrannte ein Luftschiff des Grafen Zeppelin bei der Landung in Echterdingen. Eine im gesamten Deutschen Reich durchgeführte Spendenaktion ermöglichte jedoch den raschen Ausbau der Zeppelin-Technologie. Das von nun an als ‚Wunder von Echterdingen' apostrophierte Ereignis kursierte auch in den bürgerlichen Illustrierten der Weimarer Republik. Trotz Reparationszahlungen und lediglich eingeschränkter Möglichkeiten in der Flugzeugproduktion als Folge der Kriegsniederlage hatte sich Deutschland abermals als weltweit führender Spezialist in Sachen Zeppelinbau etabliert. Der Rekurs auf den Mythos Echterdingen sollte nun den Wiederaufstieg Deutschlands als Global Player versinnbildlichen und das ungebrochene innovative Potenzial deutscher Forschung und Technik demonstrieren.

Ein ebenso populäres Thema in Weimarer Illustrierten war das unter dem Stichwort Taylorismus bekannt gewordene Modernisierungsprojekt einer wissenschaftlichen Rationalisierung industrieller Produktionsabläufe. Von Bedeutung ist in diesem Zusammenhang vor allem, dass Frederik Winslow Taylors 1911 erschienenes Buch Principles of Scientific Management auch in der noch jungen Sowjetunion rezipiert wurde und die darin vorgeschlagenen Methoden zur Steigerung der Produktivkraft im Rahmen der Bestrebungen zur flächendeckenden Industrialisierung des sozialistischen Staates Anwendung fanden. Die Arbeiter-Illustrierte Zeitung kommentierte in einer Ausgabe von 1930: "Wozu die zaristische Industrie Jahrzehnte brauchte, das erreicht die proletarische Diktatur - dank ihrer besonderen Ordnung und der aktiven Beteiligung von Millionen Arbeitern am industriellen Aufbau - in einem einzigen Jahre." (S. 245) In einer anderen Ausgabe wurde die Rationalisierung in kapitalistischen Staaten kritisiert: "Die Arbeitskraft des Menschen wird durch Maschinen ersetzt. Der Arbeitslose kann verhungern." (ebd.) Dieser Logik zufolge erwies sich allein der Sozialismus als sozialverträgliches Modell der Modernisierung. Entsprechend wurde auch die Figur des Arbeiters - im Gegensatz zur Figur des Ingenieurs oder des Wissenschaftlers in den bürgerlichen Illustrierten - zur Ikone des Maschinenzeitalters stilisiert.

Unabhängig von der jeweiligen ideologischen Ausrichtung haben die Weimarer Illustrierten der Fotografie als Medium der Visualisierung naturwissenschaftlichen Wissens eine prominente Rolle zugesprochen. Der spezifische symbolische Mehrwert der Fotografie bestand zum einen darin, dass sie Fortschritt und Innovation gewissermaßen selbst verkörperte; zum anderen konnte die Fotografie als vermeintlich wahrheitsgetreue Abbildungstechnik Eindrücke jenseits des individuell Erfahrbaren vermitteln. In diesem Sinne verschaffte die Fotografie Wissenschaft und Technik nicht nur eine massenmediale Präsenz; vielmehr vermochte sie es zusätzlich, den scheinbar gesetzmäßigen Zusammenhang von Wissenschaft, Technik und Fortschritt als evident erscheinen zu lassen. Folglich ist die Weimarer Technophilie, die gleichermaßen als "Sozialutopie des Fortschritts" (S. 123) wie als Kult um die Zukunft (S. 351) Gestalt annahm, ein in hohem Maße durch die Fotografie geprägtes visuelles Phänomen. Die an der Schnittstelle von Massenkultur, Unterhaltung und Konsumismus angesiedelten Illustrierten erweisen sich in diesem Zusammenhang als eine permanente "Weltausstellung im Kleinen" (S. 334), wobei das Projekt einer ‚Emanzipation durch Bildung' vor allem mittels des Einsatzes von Fotografien umgesetzt wurde.

Das anhaltend schwierige Verhältnis zwischen Fotografie und Geschichtswissenschaft markiert denn auch vermutlich einen Ausgangspunkt von Deilmanns Arbeit. In der Einleitung kritisiert sie "das Verschließen gegenüber einer Quellenart, die häufig als illustrierendes Beiwerk missverstanden wird, statt ihrer Komplexität und historischen Bedeutsamkeit angemessen zu begegnen" (S. 25). Dementsprechend stecke die "historische Bildforschung, in Sonderheit die historische Auseinandersetzung mit der Fotografie, noch in den Kinderschuhen" (S. 31). 2 Deilmann hingegen plädiert dafür, endlich die "Fotografie als Teil einer Dialogform zu betrachten, aus der historische Erkenntnisse gewonnen werden können, nicht etwa als Reproduktion, wohl aber als Produkt, vielleicht als Symptom ihrer Zeit" (S. 14). In dieser Hinsicht ist Astrid Deilmanns Arbeit kaum hoch genug einzuschätzen. An manchen Stellen allerdings hätte man sich eine Vertiefung des Zusammenhangs von Medientheorie und inhaltlichem Fokus statt der aufgrund ihrer thematischen Fülle bisweilen kursorisch wirkenden Analysen gewünscht.

Anmerkungen:
1 Vgl. Kümmel, Albert u.a., Vorwort der Herausgeber, in: Dies. (Hgg.), Einführung in die Geschichte der Medien, Paderborn 2004, S. 7-9.
2 Als einzige Einführung existiert in Deutschland Jäger, Jens, Photographie: Bilder der Neuzeit. Einführung in die historische Bildforschung, Tübingen 2000.