R. Gross: Carl Schmitt und die Juden

Titel
Carl Schmitt und die Juden. Eine deutsche Rechtslehre


Autor(en)
Gross, Raphael
Erschienen
Frankfurt am Main 2000: Suhrkamp Taschenbuch Verlag
Anzahl Seiten
442 S.
Preis
€ 27,80
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Prof. Dr. Wilfried Nippel, Institut für Geschichtswissenschaften, Humboldt-Universität zu Berlin

Carl Schmitt und kein Ende - auch fünfzehn Jahre nach dem Tode des Mannes, der als unfreiwilliger Privatgelehrter von seinem (zum San Casciano Machiavellis stilisierten) Wohnort Plettenberg aus beinahe vier Jahrzehnte lang durch seine privaten Kontakte und Korrespondenzen, seine Bücher, Aufsätze, Zeitschriftenartikel und Interviews so nachhaltig das geistige Leben der Bundesrepublik Deutschland beeinflußt hat 1, reißt die Flut von Publikationen über sein Werk und Leben nicht ab; sie scheint vielmehr durch die Veröffentlichung seiner, erkennbar für die Nachwelt verfaßten Notizen der Jahre 1947-1951 2, von Teilen seiner Briefwechsel sowie die Nachdrucke diverser Schriften neuen Auftrieb bekommen zu haben, so daß nur noch Schmittianer und Schmittologen in der Lage sein dürften, die - internationale - Diskussion über Carl Schmitt in allen Facetten zu überschauen.

Schmitts Rolle als "Kronjurist des Dritten Reiches" ist weiterhin ein wichtiges Thema, auch wenn über die Vorgänge, die zu seiner "Kaltstellung" Ende 1936 führten, inzwischen auf Grund einer früheren Studie von Gross 3 sowie der ausführlichen Darstellung von Andreas Koenen 4 weitgehend Klarheit besteht. Schmitts Gegner Koellreutter, Eckhardt und Höhn haben seine Entbindung von den hochschulpolitischen Funktionen erreicht mit dem Hinweis auf seinen Katholizismus und auf seine "judenfreundliche" Haltung vor 1933, die sein Verhalten nach der "Machtergreifung" als reinen Karrierismus entlarve. 5 Nach Frank-Rutger Hausmanns Analyse des "Kriegseinsatzes der Geisteswissenschaften" 6 ist klar, daß von einer "inneren Emigration" Schmitts in den Jahren bis 1945 nicht die Rede sein kann.

Die Kernfrage zum Antisemitismus Schmitts hat Helmut Quaritsch 1988 formuliert: "Was ... würde es denn für Carl Schmitts zwischen 1910 und 1978 geschriebene 40 Bücher und 200 Abhandlungen und Aufsätze bedeuten, wenn er Antisemit gewesen wäre?" Quaritsch meint: nichts; schließlich könne ja auch Bodins Aufruf zur Hexenverfolgung nichts an seinem geistesgeschichtlichen Rang ändern. Schmitt ist nach Quaritsch "ein situativer Denker. Er hat kein geschlossenes System entwickelt. Thesen und Deutungen reflektieren seine Beobachtungen und Erfahrungen in den deutschen Ausnahmezuständen seit 1914." 7

Raphael Gross hat in seiner Essener Dissertation diese Provokation angenommen. Während in der jüngeren Schmitt-Diskussion dessen spezifische Variante des Katholizismus als grundlegend für sein politisches Denken betont worden ist, will Gross die innere Einheit des Schmittschen Werkes in dessen Antisemitismus sehen, der sich in seinen Reden und Schriften seit 1933 und auch noch nach 1945 in entsprechenden Ausbrüchen in seinem "Glossarium" manifestiert hat; alle - als apologetisch zu verstehenden - Behauptungen, Schmitts Äußerungen seit 1933 seien opportunistischer Natur gewesen, seien damit hinfällig (32f.). Daß sich Schmitt vor 1933 nicht eindeutig antisemitisch profiliert hat, bestreitet auch Gross nicht; er sieht jedoch in den von Schmitt 1913 anonym publizierten "Schattenrissen" mit den Bosheiten gegen den "Nicht-Deutschen" Walter Rathenau einen Beleg dafür, daß "Schmitts Antisemitismus ... tiefe emotionale und kognitive Wurzeln" habe (41); eine hinreichende Quellenbasis für diesen weitreichenden Schluß ist dies gewiß nicht, zumal diese obskure Schrift als solche dem Leser nicht vorgestellt wird 8. Wenn Gross zudem darlegt, Schmitt habe sich in der Weimarer Republik eines camouflierenden Codes bedient, da er es sich in seiner beruflichen Position nicht habe leisten können, sich offen antisemitisch zu äußern (33), muß er sich fragen lassen, ob er nicht seiner eigenen Attacke gegen die Unterstellung einer opportunistischen Haltung Schmitts nach 1933 den Boden entzieht. Daß Schmitt und seine Schüler sich an der Verdrängung jüdischer Gelehrter beteiligten, was den eigenen Karrieren zugutekam, und Schmitt dabei eine weitere Lehrtätigkeit seines früheren Kollegen Erich Kaufmann gerade wegen dessen "Assimilantentums" für völlig untragbar für deutsche Studenten erklärte 9, wird so kommentiert: "zwar können wir bei Schmitt einen durchgehenden Opportunismus feststellen, dieser erklärt aber gerade nicht seine antisemitischen Äußerungen der Jahre 1933 bis 1945" (50).

Gross stellt die entsprechenden Ausfälle Schmitts in seinen zahlreichen (Zeitungs-)Aufsätzen und Broschüren seit 1933 zusammen, die schließlich ihren unappetitlichen Höhepunkt fanden auf der von ihm organisierten Tagung der "Reichsgruppe Hochschullehrer des Nationalsozialistischen Rechtswahrerbundes" über "Das Judentum in der Rechtswissenschaft" am 3. und 4. Oktober 1936 in Berlin. Hier postulierte Schmitt, daß jüdische Autoren als solche zu kennzeichnen seien und nicht als wissenschaftliche Autorität gelten könnten, und kündigte ein, der "Säuberung der Bibliotheken" dienendes, "Verzeichnis jüdischer Autoren" an (das dann bald wieder - wohl wegen der zahlreichen Fehler - eingezogen wurden). Gross distanziert sich von der Deutung Koenens, daß Schmitt hier seinen katholisch geprägten "Antijudaismus" vom Rassen-Antisemitismus habe abgrenzen wollen; ob die Interpretation, Schmitt habe "seine eigene Form eines 'reflektierten' rassischen Antisemitismus entfaltet" (123f.), überzeugender ist, sei dahingestellt. Im Zusammenhang mit der Tagung von 1936 deutet Gross an, daß Schmitts Äußerungen auch vor dem Hintergrund zu sehen sind, daß er sich seiner prekären Stellung im NS-System bereits bewußt war. Ansonsten verzichtet er konsequent darauf, möglicherweise situationsbedingte Akzentuierungen zu erörtern.

Ein Ansatz, den sozusagen braunen Faden auszumachen, der die Äußerungen Schmitts in sämtlichen von ihm gepflegten literarischen Genres und allen Schriften einschließlich derjenigen aus der Weimarer Republik und der Nachkriegszeit, durchzieht, ist als Arbeitshypothese zweifellos legitim. Gross macht deutlich, daß sich im Kontext der berühmten Formeln und Bilder Schmitts - von der "politischen Theologie" über den "Begriff des Politischen", den "Souverän" und den "Ausnahmezustand", den "Leviathan", den "Nomos" bis zum "Katechon" - immer wieder Ausführungen zum Judentum finden. Er verweist auf die Vielzahl von Bezügen, die sich von Schmitts Werk zu den Traditionen des (auch christlich motivierten, in katholischen wie protestantischen Varianten begegnenden) Antisemitismus, Antiliberalismus und Antimodernismus seit dem frühen 19. Jahrhundert herstellen lassen. So stellt er heraus, wie Schmitt in Schriften aus den 1920er Jahren - unter Bezug auf de Maistre und Donoso Cortés - im Zusammenhang mit seiner Rede von Souveränität und Entscheidung wiederholt auf die Figur des Großinquisitors zu sprechen kommt (142ff.; 163f.). Auch wenn Schmitt auf den historischen Hintergrund - die grausame Verfolgung der zwangsgetauften spanischen Juden nach 1480, denen Festhalten an ihrem alten Glauben vorgeworfen wurde - nicht explizit eingeht, so sind doch die Verbindungen zu diversen anderen Aussagen, die sich sowohl grundsätzlich wie auch mit konkret denunziatorischer Absicht (wie zu Kaufmann, siehe oben) besonders gegen assimilierte Juden richten 10, auffällig. Andere Zusammenhänge, so Schmitts - rabulistischer - Rückgriff auf Bodins Souveränitätslehre, 11 werden dagegen nur gestreift.

Gross zeigt auch, wie Schmitts Verständnis des "Nomos" als des "wahren Rechts", dem das bloß formale "Gesetz" nachzuordnen ist - eine Denkfigur, die sich nicht nur in Schriften wie Verfassungslehre (1928) und Über die drei Arten rechtswissenschaftlichen Denkens (1934), sondern auch in dem Artikel zum "Röhm-Putsch", Der Führer schützt das Recht, findet 12 - die Polemik gegen das jüdische Gesetz als das Gesetz eines Volkes ohne Raum und Staat enthält und hierbei an entsprechende Theorien im Protestantismus anknüpft. Schmitts - in der Sache höchst fragwürdigen - Behauptungen zum Nomos-Begriff der griechischen Antike 13 werden zwar erwähnt, aber nicht wirklich diskutiert (82ff.; 377ff. u.ö.). Mit seiner Kritik an der Gleichsetzung von Nomos und Gesetz (lex) argumentiert Schmitt nicht nur, wie Gross (113) suggeriert, gegen den jüdischen Philosophen Philo von Alexandrien, sondern gleichermaßen gegen Cicero. 14 Diese Beispiele mögen genügen, um zu zeigen, daß Gross seine zweifellos bemerkenswerte, wenngleich als solche nicht neue, Erkenntnis, welch wichtige Rolle die Polemik gegen das Judentum im Gesamtwerk Schmitts spielt, verabsolutiert (entsprechend auch die meisten anderen Deutungen schnell in die Nähe von Ignoranz, wenn nicht Apologie rückt). Seine Darstellung trägt zu den einzelnen Themen Zitaten aus den diversen Werken Schmitts zusammen, ohne jemals auch nur eine Schrift zusammenhängend so zu interpretieren, daß die Gewichtung dieses Motivs im Kontext der Argumentation erkennbar würde. Auf diese Weise läßt sich die These, es handle sich um das Thema Schmitts, schwerlich beweisen.

Für die weitere Diskussion wäre zu wünschen, daß gründliche Untersuchungen zu Schmitts Umgang mit seinen Quellen und historischen Materialien 15 sowie zu seinen Begriffsdefinitionen (ohne Rücksicht auf die Begriffsgeschichte) 16 geleistet, ferner eine professionelle Bewertung der juristischen Qualitäten seiner staatsrechtlichen Arbeiten vorgenommen sowie eine wissenschaftliche Biographie auf der Basis des umfangreichen Nachlasses vorgelegt würden. Ein Autor, über den so unendlich viel aus der Sicht diverser Disziplinen geschrieben wird, ist - ob man es mag oder nicht - ein "Klassiker", den es nach den professionellen Regeln der einschlägigen Disziplinen zu analysieren gilt. 17.

Anmerkungen:
1 D. van Laak, Gespräche in der Sicherheit des Schweigens. Carl Schmitt in der politischen Geistesgeschichte der frühen Bundesrepublik, Berlin 1993.
2 Glossarium. Aufzeichnungen der Jahre 1947-1951, hg. v. E. von Medem, Berlin 1991.
3 Politische Polykratie 1936. Die legendenumwobene SD-Akte Carl Schmitts, Tel Aviver Jahrbuch für deutsche Geschichte 23, 1994, 115-143.
4 Der Fall Carl Schmitt. Sein Aufstieg zum "Kronjuristen des Dritten Reiches", Darmstadt 1995, 651ff.
5 Vgl. auch A.-M. von Lösch, Der nackte Geist. Die Juristische Fakultät der Berliner Universität im Umbruch von 1933, Tübingen 1999, 429ff.
6 "Deutsche Geisteswissenschaft" im Zweiten Weltkrieg. Die "Aktion Ritterbusch" (1940-1945), Dresden 1998; Die Aktion Ritterbusch. Auf dem Weg zum Politischen: Carl Schmitt und der Kriegseinsatz der deutschen Geisteswissenschaft, FAZ 13. 3. 1999.
7 Über den Umgang mit Person und Werk Carl Schmitts, in: Quaritsch (Hg.), Complexio Oppositorum. Über Carl Schmitt, Berlin 1988, 13-21, hier 13 und 21.
8 I. Villinger, Carl Schmitts Kulturkritik derModerne. Text, Kommentar und Analyse der "Schattenrisse" des Johannes Negelinus, Berlin 1995; in der Sache geht es um Rathenaus Kunstverständnis; ebd., 191ff.; vgl. auch R. Mehring, Carl Schmitt zur Einführung, Hamburg 1992, 41f.
9 Vgl. auch von Lösch, 201ff.
10 "Gerade der assimilierte Jude ist der wahre Feind"; Glossarium, 18 (25. 9. 1947).
11 Vgl. W. Nippel, Mischverfassungstheorie und Verfassungsrealität in Antike und früher Neuzeit, Stuttgart 1980, 228, A. 23.
12 Zitiert bei Koenen, 610f.; vgl. auch den wichtigen Hinweis ebd., 606f., daß Schmitt sich gerade von der nachträglichen gesetzlichen Rechtfertigung der Morde durch das "Staatsnotwehr-Gesetz" distanzierte.
13 Vgl. Ch. Meier, Zu Carl Schmitts Begriffsbildung - Das Politische und der Nomos, in: Quaritsch (Hg.), Complexio Oppositorum, 537-556, hier 552f.; der Bezug auf die Figur des nomos basileus und auf die sophistische Diskussion über Macht und Recht wäre noch genauer zu erörtern.
14 Nomos - Nahme - Name (1959), in: Carl Schmitt, Staat, Großraum, Nomos. Arbeiten aus den Jahren 1916-1969, hg. v. G. Maschke, Berlin 1995, 573-590, hier 578f.; weiter die Nachbemerkungen in: Verfassungsrechtliche Aufsätze aus den Jahren 1924-1954, Berlin 1958, 427 und 502.
15 Vgl. die Fallstudie von H.-C. Kraus, Soldatenstaat oder Verfassungsstaat? Zur Kontroverse zwischen Carl Schmitt und Fritz Hartung über den preußisch-deutschen Konstitutionalismus (1934/35), Jahrbuch für die Geschichte Mittel- und Ostdeutschlands 45, 1999, 275-310.
16 Ch. Meier, Diskussionsbemerkung, in: Complexio Oppositorum, 605f.
17 Vgl. B. Willms, Carl Schmitt - jüngster Klassiker des politischen Denkens?, in: Complexio Oppositorum, 577-597, hier 595f.; dazu auch R. Mehring, Vom Umgang mit Carl Schmitt, Geschichte und Gesellschaft 19, 1993, 388-407, hier 390f.

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