Titel
'Ein guter Mann ist harte Arbeit'. Eine ethnographische Studie zu philippinischen Heiratsmigrantinnen


Autor(en)
Lauser, Andrea
Reihe
Kultur und soziale Praxis
Anzahl Seiten
380 S.
Preis
€ 28,80
Rezensiert für den Rezensionsdienst "Europäische Ethnologie / Kulturanthropologie / Volkskunde" bei H-Soz-Kult von:
Brigitte Bönisch-Brednich, Victoria University, Wellington/Neuseeland

In der vorliegenden Studie stellt Andrea Lauser ihre jahrelange beeindruckende Feldforschungsarbeit auf den Philippinen dar, erweitert um den Aspekt der Heiratsmigration von (hauptsächlich) philippinischen Frauen nach Deutschland. Die Arbeit folgt methodisch der multilokalen Teilnehmenden Beobachtung. Die Autorin legt dabei überzeugend dar, warum gerade die in der Europäischen Ethnologie so gängige Interviewzentriertheit der Feldforschung für die hier untersuchte Fragestellung so gut wie keine Bedeutung haben kann. Insgesamt zählen ihre theoretische Einführung, ihre Ausführungen zur Methode und zur Lebenslaufforschung zum Besten, was ich in dieser Hinsicht seit langem gelesen habe.

Nach einer gründlichen Diskussion globaler und lokaler Probleme in Hinblick auf die Philippinen und einigen notwendigen Ausführungen zum Forschungsstand sowie zum Feldforschungs- und Schreibprozess werden im zweiten Kapitel die Grundlagen für ein historisch fundiertes Verständnis der heutigen philippinischen Migrationsnetzwerke gelegt. Lauser zeigt eindrücklich, dass Migration ein eng an die Kolonial- und Wirtschaftsgeschichte der Philippinen gekoppeltes Phänomen ist, das schon seit Beginn der Kolonisation eine wichtige Rolle spielt. Die Autorin beschreibt die globalen Wanderungsbewegungen der Filipinos zwar als durch die Kolonisation verursacht, belegt aber mit eindrucksvollen Beispielen immer wieder auch, wie dieser Zwang von den MigrantInnen als Handlungsmöglichkeit und persönlicher bzw. familiärer Freiraum genutzt wurde und wird. Die Heiratsmigration von Frauen nach Deutschland ist nur ein Strang in einem großen globalen Netz von Migrationsbewegungen. Während aus der deutschen Perspektive Filipinas oft stereotyp als mail order brides (und damit fast als Ehesklaven) wahrgenommen werden, wird im differenzierenden Licht der ethnografischen Lebenslauf- und Familienforschung eine Vielfalt möglicher Handlungsoptionen sichtbar. Und es wird deutlich, dass die Entscheidung für eine Heiratsmigration meist bewusst und mit klaren Zielsetzungen getroffen wird.

Im dritten und vierten Kapitel erfahren wir viel über die philippinische Einstellung zur Heirat, über familiäre Netzwerke und philippinische Identität, über die große Bedeutung der Vernunft in Paarbeziehungen im Gegensatz zu der generell skeptisch betrachteten Liebesheirat (sollte man bei einer so wichtigen Entscheidung, die die ganze Familie betrifft, wirklich nur Gefühle entscheiden lassen?), aber auch über die Rolle von Religion und überlieferten Traditionen, über das gendering der Geschlechter und vieles mehr.

Im zentralen dritten Kapitel benennt Lauser die wichtigsten Aspekte, die die Filipinas und ihre Migrationsentscheidungen kennzeichnen. Zusammenfassend ist festzuhalten: „Die Heiratsmigration wird als aktiv gestalteter Lebensschritt beschrieben mit selbstbewussten Entscheidungen und Motiven. – Die Heiratsmigrantinnen bewegen sich innerhalb eines sozialen Netzwerkes von Verwandten und Bekannten, die sie ‚nachgeholt‘ (kuha) haben. Entsprechende Verpflichtungsbeziehungen müssen in spannungsreichen Inklusionen und Exklusionen auch über nationale Grenzen hinweg ausgehandelt werden. – Häufig ist die Heiratsmigration ein Schritt nach vorausgegangenen biografischen Brüchen und Krisen, die nicht nur ökonomischer Natur sind. Das Idiom der ökonomischen Verbesserung ist dabei als überzeugende Legitimation immer artikulierbar, auch angesichts persönlicher und emotionaler Unaussprechlichkeiten. – Die Heiratsmigration ist immer mit der Hoffnung auf einen sozialen und ökonomischen Aufstieg für die gesamte Herkunftsfamilie verbunden. – Häufig ist die Heiratsmigration der letzte von gestaffelten Migrationsschritten: Nach Arbeitsmigrationen im regionalen und globalen städtischen Dienstleistungssektor ist mit der Heiratsmigration die Hoffnung verbunden, mehrere sich zunächst ausschließende Ziele zusammenbringen zu können: ein prestigeträchtiger sozialer Aufstieg in den Westen, die Unterstützung der philippinischen Familie, besonders der alternden Eltern und die Gründung einer eigenen Familie. – Heiratsmigration ist keine ausschließlich weibliche Migrationsstrategie. Innerhalb des kuha-Systems folgen zunehmend philippinische Männer den durch philippinische Frauen vorgezeichneten Wegen.“ (S. 32f.)

Im vierten Kapitel fragt die Autorin „nach den kulturellen Konstruktionen von Weiblichkeit, Männlichkeit und Familie“ auf den Philippinen und deutet diese als prozesshaft und dynamisch. Dies gelingt sehr gut, und wir erhalten ein lebendiges Bild davon, wie sehr die einzelnen Personen in ein Netzwerk von Beziehungen eingepasst werden, das sich grundsätzlich von unserem Bild des Menschen als autonom handelndem Individuum unterscheidet.

Das Versprechen einer multi-sited ethnography wird eingehalten; wir verstehen am Ende gut, wo die Migrantinnen herkommen und auch wie die multilokalen, globalen Räume beschaffen sind, in denen sie leben und sich organisieren. Lauser bettet ihren eigenen ethnografischen Text immer wieder in die internationale Diskussion zu Migrations-, Gender- und Methodenfragen ein und versteht es ausgezeichnet, diese verschiedenen Ebenen des Schreibens und Argumentierens zu verbinden.

Der Nachteil dieser ausgeprägten und konsequent angewendeten multi-sitedness ist jedoch, dass die deutsche Seite dieser Migration etwas blass bleibt und über eventuell kritische Themen sehr elegant hinweg geschrieben wird. Beim Lesen entsteht mehr und mehr das Bedürfnis nach einem zusätzlichen Kapitel, das sich noch expliziter mit einer Verortung der Ethnografie in Deutschland beschäftigen sollte. Aber vielleicht ist dieser Wunsch nach einem weiteren Kapitel auch nur Ausdruck davon, wie sehr die Autorin es versteht, das Interesse an ihrem Thema zu wecken und zu erhalten. Ich jedenfalls konnte manchmal das Buch kaum aus der Hand legen, wollte immer weiterlesen, um noch mehr zu erfahren.

Lauser schreibt, so sagt sie, für eine potentiell vielstimmige Leserschaft. Da das Buch aber in deutscher Sprache erscheint, scheint sie sich doch explizit auf eine deutschsprachige Leserschaft zu konzentrieren. So ist es auch nicht verwunderlich, dass sich gerade auf der deutschen Seite des Migrationssprozesses noch Fragen auftun. Wie gehen die Frauen, einmal in Deutschland angekommen, mit dem doch sehr anderen Modell von Familie und männlichem Rollenbild um? Ebenso interessant wäre es, etwas über die Einstellung der Migrantinnen zu körperlicher Nähe und Sexualität zu erfahren, zumal die Ehe aus der philippinischen Perspektive als eine Vernunftentscheidung beschrieben wird. Was wird aus den Kindern, die aus diesen Ehen erwachsen? Denn obwohl die Filipinas sich wohl eindeutig in einem multilokalen Raum bewegen, scheinen die Kinder doch deutschlandbezogen aufzuwachsen, und es stellt sich die Frage nach der Zukunft und einer eventuellen Generationsspezifik der hier beschriebenen globalen Netzwerke.

Im Gegensatz zu den differenziert ausgearbeiteten Charakterisierungen der Heiratsmigratinnen bleiben deren deutschen Ehemänner eher blasse Chiffren. Die angeführten Details machen jedoch deutlich, dass diese größtenteils keineswegs einfache Charaktere sind. Es stellt sich daher die Frage, ob der sehr rücksichtsvolle Umgang mit dieser Seite der Ehen aus einem Gefühl der Fairness gegenüber den InformantIinnen von Seiten der Autorin erwachsen ist.

Ich hätte mir in diesem Zusammenhang auch genauere Angaben zur sozio-ökonomischen Einordnung dieser Ehen gewünscht. Obwohl einige der Männer in gesicherten Positionen arbeiten, stellt sich doch die Frage, ob es sich aus Sicht der deutschen Ethnografin eher um ein deutsches „Loosermilieu“ handelt, in das die Filipinas hier eintreten. Hier wären einige weitere kulturelle Übersetzungshilfen für die deutschen LeserInnen angebracht und hilfreich gewesen, da es sich doch hier um genau die Fragen handelt, die eng mit den gängigen Stereotypen von den mail order brides zusammenhängen.

In der Einleitung beschreibt Andrea Lauser sehr anschaulich die weibliche philippinische community, in der sie in Deutschland geforscht hat, und erwähnt, dass der Film „Pretty Woman“ darin als Traumbild, Phantasiewelt und Diskussionsgrundlage eine wichtige Rolle spielt (S. 52). Mit solchen Hinweisen wird immer wieder subtil angedeutet, dass die erfolgreichen, wohlhabenden „Richard Geres“ in der Welt der Heiratsmigrantinnen mehr als selten sind. Die meisten Partner der in Deutschland lebenden Filipinas haben gescheiterte Ehen hinter sich, leben oft noch mit ihren Müttern zusammen, haben berufliche Schwierigkeiten und stehen dem kulturellen Anderssein ihrer Frauen im besten Falle hilflos gegenüber.

Doch diese weiterführenden Fragen sollen keinesfalls dazu dienen, den sehr positiven Gesamteindruck dieser Arbeit zu schmälern. Die hier besprochene Migrationsstudie ist in vielfacher Hinsicht vorbildhaft, sehr gut geschrieben und auch theoretisch sehr ertragreich. Es ist zu hoffen, dass sie in vielen Seminaren zur Migrationsforschung zur Pflichtlektüre wird.

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Diese Rezension entstand in Kooperation mit dem Rezensionsdienst "Europäische Ethnologie/Kulturanthropologie/Volkskunde" http://www.euroethno.hu-berlin.de/forschung/publikationen/rezensionen/
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