Titel
Il Giudice e l'Eretico. Studi sull'Inquisizione romana


Autor(en)
Tedeschi, John
Reihe
Cultura e Storia 13
Erschienen
Milano 1997: Vita e Pensiero
Anzahl Seiten
458 S.
Preis
60.000 Lire
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Rainer Decker, Paderborn

Lemms Buch erschien zuerst 1993 in den Niederlanden ("De Spaanse Inquisitie. Tussen geschiedenis en mythe"), wo der Verfasser als Schriftsteller und Uebersetzer arbeitet. Das Thema duerfte ueber den Kreis der Fachhistoriker hinaus Interesse finden, denn seit Jahrhunderten assoziiert man damit religioese und geistige Intoleranz, Fanatismus, Folter und neuerdings auch ein totalitaeres Politik-Verstaendnis. Lemms Ziel ist es demgegenueber, "die Inquisition zu 'begreifen', zum Nachdenken ueber sie anzuregen und vor allem, alte Zeugnisse und Dokumente spaeteren Urteilen ueber die Inquisition gegenueberzustellen und abzuwaegen" (S. 8).

In dem 1. Kapitel "Zwischen Geschichte und Legende" wird die Inquisitionskritik des 19. und 20. Jahrhunderts skizziert, die von der "Histoire critique de l'inquisition d'Espagne" des Juan Antonio Llorente (1756-1823) ausging, und auf ihre Vorlaeufer zurueckgefuehrt, die im 16. Jahrhundert, besonders zur Zeit Philipps II. (1555-1598), entstandene Schwarze Legende. Die folgenden 12 Kapitel geben einen chronologisch angelegten Ueberblick ueber die Anfaenge der paepstlichen Inquisition im Mittelalter, die besonderen Verhaeltnisse (hoher Bevoelkerungsanteil von Juden und Moslems) auf der iberischen Halbinsel im Spaetmittelalter, die Einfuehrung der spanischen Inquisition im letzten Viertel des 15. Jahrhunderts als Werkzeug gegen die zwangsgetauften, aber als rueckfaellig eingestuften Juden sowie ueber Leben und Werk des ersten Generalinquisitors Tomas Torquemadas (+ 1498).

Die restlichen 5 Kapitel, die mehr als die Haelfte des Buches ausmachen, zeigen noch staerker als die vorhergehenden das fast ausschliessliche Interesse des Verfassers an geistesgeschichtlichen Fragen. Zum Beispiel besteht das Kapitel "Spanien im 16. Jahrhundert" ueberwiegend aus Ausfuehrungen zu spanischen Geschichtsschreibern, Befuerwortern und Kritikern der Inquisition. Immerhin werden die machtpolitischen und sozialgeschichtlichen Rahmenbedingungen angemessen charakterisiert, wobei die Ehrenrettung Philipps II. starkes Gewicht erhaelt. Die beiden letzten Kapitel geben wiederum einen breiten Ueberblick ueber "Die Spanische Inquisition vor dem Tribunal der Romantik und des Realismus" sowie "Die Arena im 20. Jahrhundert".

Das Bemuehen Lemms, die Inquisition zunaechst einmal von ihrem eigenen Selbstverstaendnis aus zu beurteilen, ohne dabei ihre Intoleranz zu rechtfertigen, ist anerkennenswert. Dieses Anliegen wuerde aber noch erheblich ueberzeugender wirken, wenn der Autor ueber die ideengeschichtlichen Fragen hinaus die Rechtsprinzipien und besonders die Rechtspraxis untersucht haette. Nicht einmal das im allgemeinen Bewusstsein mit der spanischen Inquisition verbundene Phaenomen des Autodafe wird beschrieben, geschweige denn vor dem Hintergrund fruehneuzeitlicher Hinrichtungsrituale und Liturgien eingeordnet. Die mehrfach geaeusserte Behauptung, die Fakten seien seit langem bekannt, stimmt einfach nicht.

Die Erforschung der Inquisition hat in den letzten 20 Jahren enorme Fortschritte gemacht, insbesondere dadurch, dass das Zentralarchiv der Suprema im Nationalarchiv in Madrid erschlossen und seine Datenmassen statistisch ausgewertet wurden. Lemm ignoriert diese hochinteressanten Ergebnisse der neuesten Forschung fast voellig. Die grundlegenden Werke von Gustav Henningsen (The Witches' Advocate. Basque Witchcraft and the Spanish Inquisition 1609-1614, Reno 1980) und William Monter (Frontiers of Heresy. The Spanish Inquisition from the Basque Lands to Sicily, Cambridge 1990) sowie der von Henningsen und John Tedeschi herausgegebene Sammelband "The Inquisition in Early Modern Europe. Studies on Sources and Methods" (Dekalb 1986) werden ueberhaupt nicht, ein anderer (Inquisicion espanola y mentalidad inquisitorial, Barcelona 1984) nur sporadisch herangezogen, wobei im letzten Fall den meisten deutschen Lesern ein Hinweis auf die englische Fassung (The Spanish Inquisition and the Inquisitorial Mind, Boulder 1987) hilfreicher sein duerfte als auf die spanische. Schon dem von ihm viel zu wenig gewuerdigten Werk des Amerikaners Charles Henry Lea am Anfang unseres Jahrhunderts (dt. Geschichte der spanischen Inquisition, Leipzig 1912) haette Lemm die relativ skeptische Einstellung der spanischen und italienischen Inquisition gegenueber dem Hexenglauben entnehmen koennen, die "diese Laender vor dem andernorts herrschenden Wahnsinn bewahrte" (Lea). Dies wurde durch die quantifizierenden Studien von Henningsen, Monter und anderen eindrucksvoll bestaetigt, wonach die Zahl der Hinrichtungen generell, also nicht nur in Hexensachen, weitaus niedriger lag, als man nach den kaum auszurottenden Vorurteilen annehmen muesste. Von den zwischen 1540 und 1700 verhandelten 44.674 Faellen endeten nur 826, d.h. 1,8 %, mit der Hinrichtung (Contreras/Henningsen in: The Inquisition, 1986, S. 113). Kein Wort davon bei Lemm. Dies ist um so bedauerlicher, als dadurch seiner grundsaetzlich zu bejahenden These, die spanische Inquisition sei besser gewesen als ihr Ruf, wesentliche Pro-Argumente fehlen. Wenn Lemm schon selbst keine Archivstudien unternahm, dann haette er wenigstens den aktuellen Forschungsstand seinem breiteren Leserkreis vorstellen muessen.

Von ganz anderem Kaliber ist das Buch des 1931 in Modena geborenen, acht Jahre spaeter in die USA ausgewanderten Historikers John Tedeschi ueber das italienische Gegenstueck zur spanischen Inquisition. Es enthaelt die Quintessenz der bedeutenden Fortschritte, die in den vergangenenen zwei Jahrzehnten zu einem neuen Bild der fruehmodernen Inquisition gefuehrt haben. Im Unterschied zu Lemm bietet Tedeschi nicht nur einen von beeindruckender Belesenheit zeugenden Ueberblick ueber aeltere, neuere und neueste Veroeffentlichungen, sondern auch eine hervorragende Kenntnis der einschlaegigen Archive innerhalb und ausserhalb Italiens. Dagegen blieb ihm in Rom das erst im Januar 1998 offiziell geoeffnete Archiv der Kongregation fuer die Glaubenslehre noch verschlossen. Aber unabhaengig davon wird das Buch fuer jeden Inquisitionsforscher seinen Wert behalten. Er besteht in einer handbuchartigen, faktenreichen, dabei gut lesbaren Einfuehrung in wichtige Aspekte der 1542 gegruendeten "Sacra congregatio Romanae et universalis Inquisitionis seu Sancti Officii".

Der zeitliche Schwerpunkt liegt auf den Jahrzehnten zwischen 1570 und 1630. Von den 11 Kapiteln sind zwar 10 bereits zwischen 1971 und 1988 als Aufsaetze veroeffentlicht worden. Sie wurden aber schon in der englischen Buchausgabe (The Prosecution of Heresy, Binghamton 1991) wesentlich erweitert und fuer die vorliegende Edition noch einmal aktualisiert sowie um ein informatives Vorwort ergaenzt, das die Forschungslage der letzten sechs Jahre resuemiert und auf laufende Projekte hinweist. Die souveraene Quellen- und Literaturkenntnis zeigt sich auch in dem Anmerkungsapparat mit zahlreichen wichtigen Zitaten, der fast so umfangreich wie der Text selbst ist. Hinzu kommen eine Bibliographie von mehr als 60 Seiten sowie ein Index der Personennamen (leider nicht der Orte).

Anhand einer detaillierten Auswertung der weit verstreuten archivalischen und gedruckten Quellen erhaelt der Leser einen anschaulichen Eindruck von Rechtsnormen und -wirklichkeit der roemischen Inquisition. Anhaenger alter Klischeevorstellungen duerften enttaeuscht sein. Die gemaessigte Haltung Roms in der Hexenfrage wird anhand der Hexenprozess-Instruktion von ca. 1622 und ihrer Umsetzung in die Praxis dargelegt. Tedeschi geht sogar so weit, in bestimmten Strafprozessregelungen (unter anderem Verteidiger, auch fuer minderbemittelte Angeklagte, Berufungsmoeglichkeit) eine Vorwegnahme moderner Vorstellungen zu sehen, ohne dass er damit religioese Intoleranz, Folter, Galeeren- und Todesstrafe verteidigt.

Ambivalent bewertet der Verfasser das Verschweigen der Namen der Belastungszeugen gegenueber den Angeklagten, das einerseits die Verteidigungsmoeglichkeit einschraenkte, andererseits dem Schutz der Zeugen vor Repressalien dienen sollte. Mit praezisen Daten zu Zahl und Gegenstand der Verfahren kann Tedeschi (hier zusammen mit William Monter) fuer die Tribunale in Friaul, Venedig und Neapel aufwarten. Dem Index der verbotenen Buecher und seiner begrenzten Wirksamkeit im Italien der Gegenreformation sind die letzten drei Kapitel gewidmet.

Da es sich bei dem Buch nicht um eine Gesamtdarstellung handelt, sondern ein Buendel von Einzelaufsaetzen und -aspekten, fehlt natuerlich die Geschlossenheit eines Werkes aus einem Guss. Nachteiliger als manche Wiederholungen ist der Umstand, dass Tedeschi nur wenig auf die Entstehung und die dramatischen ersten Jahrzehnte der roemischen Inquisition eingeht, wie ueberhaupt die innere Entwicklung kaum ins Blickfeld geraet. Auf Abbildungen wurde ebenso wie in dem Band von Lemm verzichtet, was angesichts der Tatsache, dass sowohl die Selbstdarstellung der Inquisition als auch die "schwarze Legende" nicht zuletzt ueber dieses Medium verbreitet wurde, bedauerlich ist. Trotz dieser kleinen Einwaende ist Tedeschis Werk ein Meilenstein in der Geschichte der Inquisitionsforschung.

Redaktion
Veröffentlicht am
Beiträger
Redaktionell betreut durch
Klassifikation
Region(en)
Mehr zum Buch
Inhalte und Rezensionen
Verfügbarkeit
Weitere Informationen
Sprache der Publikation
Land
Sprache der Rezension