U. Peters: Wer die Hoffnung verliert, hat alles verloren

Cover
Titel
Wer die Hoffnung verliert, hat alles verloren. Kommunistischer Widerstand in Buchenwald


Autor(en)
Peters, Ulrich
Reihe
Hochschulschriften 47
Erschienen
Anzahl Seiten
531 S.
Preis
€ 34,00
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Annette Leo, Zentrum für Antisemitismusforschung, Technische Universität Berlin

Warum noch ein Buch über den kommunistischen Widerstand im Konzentrationslager Buchenwald? Ist darüber nicht schon genug gesagt und geschrieben worden? In der DDR hatte der Umgang mit dem Thema schon lange eine quasi mythische Qualität erlangt. Der Tod des Kommunisten Ernst Thälmann und des Sozialdemokraten Rudolf Breitscheid in Buchenwald, Bruno Apitz’ Roman „Nackt unter Wölfen“, der von der Rettung eines jüdischen Kindes durch das Internationale Lagerkomitee erzählt, und schließlich die Selbstbefreiung des Lagers im April 1945 waren Teil der Gründungslegende der DDR, die die Verbindung zwischen der Vergangenheit und der Gegenwart herstellte, in der das Vermächtnis der Kämpfer erfüllt sein sollte. Das verbindende Glied war „die Partei“, die während der NS-Zeit den Widerstand geleitet hatte und vor allem daraus ihren absoluten Führungsanspruch im DDR-Staat ableitete.

In der realen Geschichte des KZ Buchenwald stellten die deutschen politischen Häftlinge und unter ihnen die Kommunisten spätestens seit Ausbruch des Krieges eine Minderheit dar, die sich mit der Ankunft von immer neuen Häftlingsgruppen aus dem besetzten Europa ständig relativ verkleinerte. Es handelte sich allerdings um eine bedeutsame, sehr gut organisierte Minderheit, der es gelang, Schlüsselpositionen in der von der SS geschaffenen so genannten Selbstverwaltung zu besetzen und damit das Überleben der eigenen Gruppe sichern und die Situation vieler anderer Häftlinge erleichtern konnte.

Erst nach dem Paradigmenwechsel 1990 richtete sich die Aufmerksamkeit von Forschung, Medien und Gedenkstättenarbeit auf die in der antifaschistischen Erzählung bisher ungenannten oder wenig beachteten Häftlingsgruppen: auf Juden, Sinti und Roma, auf Homosexuelle, polnische Katholiken und ukrainische Zwangsarbeiter, auf kriminelle Vorbeugehäftlinge und so genannte Asoziale. Aber auch die kommunistischen Häftlinge und ihre Rolle in Buchenwald blieben in der geschichtspolitisch veränderten Situation Gegenstand von Forschung und Debatte. Lutz Niethammer versuchte als erster in seinem Buch „Der gesäuberte Antifaschismus“ den Heldenmythos zu dekonstruieren. 1 Anhand des Protokolls einer Untersuchung der SED-Führung über das Verhalten von Funktionshäftlingen im KZ Buchenwald stellte er das Dilemma dar, in das diejenigen gerieten, die solche Funktionen übernahmen. Der Preis für die Möglichkeit, Einfluss auf das Geschehen nehmen, Kameraden zu helfen und Widerstand organisieren zu können war häufig die Verstrickung in die Verbrechen der SS. Das Buch löste seinerzeit eine heftige Kontroverse aus. Während die Bild-Zeitung titelte: „So halfen Kommunisten den Nazis beim Morden“, kam aus den kommunistisch dominierten Organisationen der überlebenden Häftlinge, aus dem Umfeld der PDS und von ehemaligen DDR-Historikern der Vorwurf, das Andenken an den Widerstand werde beschmutzt und die Antifaschisten gezielt diffamiert. Auch Ulrich Peters, Jahrgang 1969, grenzt sich in der Einleitung deutlich gegen Lutz Niethammers Thesen ab. Nach seiner Meinung habe dieser „den Stoff“ geliefert, mit Hilfe dessen der Streit um die Geschichte des Buchenwalder Widerstands „in tendenziöser, verleumderischer Art fortgesetzt werden konnte“ (S. 19). Zugleich grenzt Peters sich aber auch nach der anderen Seite ab, wenn er ankündigt, er wolle nicht die „Parteigeschichtsschreibung der SED“ fortsetzen. Stattdessen wolle er auf „neuer Forschungsebene“ die „Menschen sichtbar machen, die sich hinter den antifaschistischen Helden verbargen“ (S. 35).

Um es gleich vorwegzunehmen: Diesem selbst gesetzten Anspruch wird die Untersuchung kaum gerecht. Zwar hat Peters für seine Arbeit eine Fülle von Erinnerungsberichten überlebender Häftlinge herangezogen, sie werden in ihrer Eigenschaft als Quellen jedoch nicht ernst genommen. Es ist schließlich ein Unterschied, ob ein überlebender Buchenwald-Häftling unmittelbar nach der Befreiung einen Erinnerungsbericht verfasst hat, der unverändert jahrzehntelang im Archiv lag, oder ob der Berichtende etwa in der DDR eine wichtige SED-Funktion inne hatte und in den 1960er oder 1970er-Jahren seine Geschichte niederschrieb, die in pädagogisch-propagandistischer Absicht redigiert und veröffentlicht wurde. Die Interviews, die der Autor selbst mit einzelnen Zeitzeugen nach dem Paradigmenwechsel in den 1990er-Jahren führte, haben wiederum eine ganz andere Qualität und Aussagekraft. Gegen die Verwendung all dieser sehr verschiedenen Quellen für die Darstellung der Geschichte des kommunistischen Widerstands wäre eigentlich nichts einzuwenden. Das Problem ist, dass sie kaum auf ihre Entstehungszeit, auf die Umstände, unter denen sie abgefasst wurden, die Wirkungsabsicht und die daraus folgende sehr unterschiedliche Aussagekraft befragt werden. Sie dienen einfach nur als Belege für die weitgehend bruchlos erzählte Geschichte des kommunistischen Widerstands in Buchenwald. Sachliche Widersprüche zwischen einzelnen Aussagen werden manchmal in den Fußnoten abgehandelt, die Quellen selbst aber stehen nicht auf dem Prüfstand.

Auch die von Peters geäußerte Absicht, die Menschen in den Mittelpunkt zu rücken und nicht die „Parteigeschichtsschreibung der SED“ fortzusetzen, wird nur an wenigen Stellen eingelöst. Die Darstellung des Widerstands wird vor allem an Organisationsstrukturen, an der Verteilung von Funktionen und an Beschlüssen festgemacht, die auch in der Geschichtsschreibung der SED vorherrschten, als ließe sich das Verhalten von Menschen, die unter extremen Bedingungen zusammengepfercht und gequält wurden und die auf vielfältige Weise versuchten, sich anzupassen und sich gleichzeitig als Gruppe wie als Individuen zu behaupten, mit einem solchen verengten Blick fassen. Die handelnden Menschen treten eigentlich nur in wenigen Passagen hinter der Organisationsgeschichte hervor, so etwa im (allerdings im schönen Funktionärsdeutsch benannten) Unterkapitel: „Subjektive Voraussetzungen des Widerstands“. Sonst jedoch kommen die kommunistischen Häftlinge nur in einzelnen Zitaten aus ihren Erinnerungen in den jeweiligen Sachzusammenhängen zu Wort, ohne dass der Leser etwas über ihre Persönlichkeit oder ihr Leben vor und nach der KZ-Haft erfährt.

Dass Peters nicht in erster Linie eine Geschichte erzählen will, sondern eine Polemik verfasst hat, um die in den 1990er-Jahren geäußerten Vorwürfe gegenüber den Buchenwalder Kommunisten zu entkräften, wird vor allem im dritten und vierten Kapitel deutlich, wo es um (hier wiederum eine unglückliche Formulierung) „Die Schuld des Widerstands“ und um „Die KPD und die Juden“ geht. 2 Hier werden Themen behandelt, die in der SED-Geschichtsschreibung weitgehend ausgespart waren: Die Selbstjustiz unter den Häftlingen, der Kampf zwischen „Rot und Grün“, um die Macht in der Häftlingsselbstverwaltung, Ressentiments und Gleichgültigkeit von Seiten kommunistischer Häftlinge gegenüber ihren jüdischen Leidensgefährten. Peters leugnet nicht, dass z.B. Spitzel der SS im Auftrag der Widerstandsorganisation getötet wurden, er leugnet auch nicht, dass es Fälle von „Opfertausch“ gegeben habe, bei dem Funktionshäftlinge in der Abteilung „Arbeitstatistik“ Namen von Transportlisten strichen und andere Namen an die Stelle setzten. Die Darstellung dieses sehr problematischen Kapitels der Geschichte von Buchenwald leidet vor allem darunter, dass der Autor unentwegt versucht, moralisch zu rechtfertigen statt zu beschreiben und zu erklären. Nach seiner Version handelten die Funktionshäftlinge stets im Interesse der „ganzen Lagerbelegschaft“. Sie hätten immer nur die „aktiven Widerstandskämpfer“ und die „solidarisch Handelnden“ gerettet und an ihrer Stelle die „Handlanger der SS“ in die gefährlichen Kommandos oder tödlichen Transporte geschickt (S. 223). Dass die Realität viel widersprüchlicher war, dass in diese Geschehnisse häufig ganz unbeteiligte „unschuldige“ Mithäftlinge hineingezogen wurden, ignorierte er. Es hat den Anschein, als ob Peters auch nicht das kleinste Stückchen Ambivalenz, von der all diese Handlungen und Entscheidungen notwendigerweise hochgradig geprägt waren, dulden möchte, um das einfache Weltbild, die klare Unterscheidung zwischen Gut und Böse nicht in Frage stellen zu müssen.

Das ist umso bedauerlicher, als dieser Band immerhin die bisher ausführlichste und umfangreichste Beschreibung des Handelns kommunistischer Funktionshäftlinge in Buchenwald ist, dass viele Details in dieser Zusammenstellung so noch nicht zu lesen waren. Ein deutlicherer Abstand zur Funktionärs-Logik von KPD und SED hätte der Darstellung gut getan. Stattdessen schlägt sich der Verfasser in einer Fußnote beispielsweise ernsthaft mit der Frage herum, ob die SPD tatsächlich, wie von kommunistischer Seite immer behauptet, „die Hauptschuld“ an der Machtergreifung „des Faschismus“ trage, um nach etwa zwanzig Zeilen zu dem Schluss zu kommen, der Schuldvorwurf, sei „eher moralisch, aber nicht analytisch gerechtfertigt“. Von der „Sozialfaschismusthese“, die die Kommunisten derart auf die Feindschaft gegenüber den Sozialdemokraten fixierte, dass sie die nationalsozialistische Gefahr unterschätzten, scheint Peters noch nichts gehört zu haben (S. 458).

Insgesamt wird in diesem Buch der seltsame Versuch unternommen, auf der Grundlage eines neuen Wissensstandes an den alten Mythen weiter zu stricken. Vom ersten bis zum letzten Satz ist Peters Text von einer Verteidigungshaltung geprägt, die nicht zuletzt deshalb fragwürdig ist, weil sie den Kern der geschichtspolitischen Auseinandersetzung der 1990er-Jahre verfehlt. Es ging Lutz Niethammer und seinen Mitautoren in dem Buch „Der gesäuberte Antifaschismus“ keineswegs um eine moralische Verdammung der kommunistischen Funktionshäftlinge, die selbst unter mörderischen Bedingungen versuchten Handlungsspielräume zu gewinnen – mit all den damit verbundenen Widersprüchen. Wenn überhaupt etwas moralisch verdammt wurde, dann war es die spätere Umdeutung und Instrumentalisierung der Vergangenheit in der DDR, das Bild von den fehlerlosen Helden, das der Legitimation der SED-Herrschaft dienen sollte. Dass Ulrich Peters die Behandlung des Buchenwalder Widerstands in der Geschichtspolitik der DDR und ihre machtpolitische Komponente völlig ignoriert, macht aus seiner Darstellung einen in sich geschlossenen Zirkel der Argumentation und Rechtfertigung.

Anmerkungen:
1 Niethammer, Lutz (Hg.), Der gesäuberte Antifaschismus. Die SED und die roten Kapos von Buchenwald, Berlin 1994.
2 Vgl. zu der Kontroverse: Zimmer, Hasko, Der Buchenwald-Konflikt. Zum Streit um Geschichte und Erinnerung im Kontext der deutschen Vereinigung, Münster 1999.

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