Titel
Vauban. De la gloire du roi au service de l'état


Autor(en)
Virol, Michèle
Anzahl Seiten
416 S.
Preis
€ 28,00
Rezensiert für H-Soz-Kult von
David Bitterling, Paris

Die Arbeit der französischen Historikerin Michèle Virol zu Leben und Werk von Sébastien Le Prestre de Vauban steht in einer langen und noch immer fortgeführten Reihe von Publikationen über den bis heute in Frankreich außerordentlich populären Marschall Ludwigs XIV. Genannt seien in diesem Zusammenhang Bernard Pujo („Vauban“ 1991), Emmanuel Le Roy Ladurie („La Dîme Royale“ 1992), Anne Blanchard („Vauban“ 1996) und zuletzt Jean-Marc Daniel („La Dîme Royale“ 2004). Hieraus ergibt sich die Frage nach der Notwendigkeit einer weiteren Untersuchung zu Vauban.

Virols Arbeit ist die um wesentliche Teile ergänzte und überarbeitete Fassung ihrer 1997 fertig gestellten Dissertation zu den „Oisivetés“ Vaubans, einer Sammlung von Schriften und Überlegungen des Marschalls zu Fragen von Wirtschaft, Militär und Politik. Ihre in fünf Hauptteile gegliederte Untersuchung beschäftigt sich mit Leben und Werk Vaubans unter den Aspekten „L’homme de science“ – der Mann der Wissenschaften, „Le poliorcète“ – der Stadt-Eroberer, „“L’administrateur“ – der Verwalter, „L’arithméticien“ – der Arithmetiker und „L’homme d’Etat“ – der Staatsmann. Das Werk enthält außerdem einen umfangreichen Index und sechs Anhänge: eine chronologische Übersicht zu Leben und Werk des Marschalls, die von Vauban verwendeten Maße und Einheiten, eine Übersicht zur Schriftensammlung der „Oisivetés“, Inventarliste der persönlichen Bibliothek Vaubans und zwei Denkschriften Vaubans, eine zum Thema „Frankreichs Feinde“ und eine zur zahlenmäßigen Vermehrung der Menschheit seit der Sintflut.

Die Autorin hatte – wie vor ihr nur Anne Blanchard – Zugang zu den traditionell schwer zugänglichen Rosanbo-Archiven, die einen großen Teil von Vaubans privaten Aufzeichnungen enthalten. Auf dieser Basis gelingt es der Autorin, nicht nur eine profunde biografische Analyse mit einer Reihe von neuen Details über Vauban zu liefern, sondern sie geht ganz wesentlich über die allgemein bekannten und immer wiederholten Aspekte einer Militärkarriere im Ancien Régime hinaus. Insbesondere der Bezug zu den in der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts gängigen wissenschaftlichen und philosophischen Diskurse, die Vauban, wie die Autorin überzeugend zeigt, rezipierte und die für sein Werk maßgeblich waren, wird dabei herausgearbeitet. Virol stellt immer wieder die Frage nach den theoretischen Voraussetzungen von Vaubans militärischer Arbeit und politischen Ideen. Sie belegt anhand von Textverweisen die wissenschaftlichen Impulse, die Vauban von Descartes, Leibniz, Galileo, Newton und anderen, die Zeit prägenden Denkern, erhielt. So wird deutlich, dass sich Vaubans unterschiedliche Aktivitäten eben nicht in der Festungsarchitektur, der Militärtheorie und Militärpraxis erschöpften, sondern einen weitblickenden Staatsmann und Politiker erkennen lassen. Seine schriftlichen Äußerungen, so zeigt Virol, bilden die Quersumme der zu seiner Zeit gängigen philosophischen und ökonomischen Lehrmeinungen und gleichzeitig ihre Anwendung auf die politischen Probleme Frankreichs. Hierbei wird deutlich, dass Vauban nicht nur ausführendes Organ königlicher Beschlüsse war, sondern in wachsender Distanz zum König ganz eigene Konzepte zu Zielsetzung und Organisation von Staat und Politik entwickelte. Vaubans berühmter Festungsgürtel ist nur ein (allerdings wesentlicher) Teil dieses Gedankengebäude.

Besonderes Gewicht legt die Autorin auf den Nachweis, dass Vauban, zweifellos auch durch seinen Beruf als Militäringenieur bedingt, von der in der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts dominierenden kartesianischen Geometrie geprägt war. Diese überträgt Vauban von der Architektur auf den Staat als Ganzes und entwirft zur Sanierung der maroden Staatsfinanzen ein alternatives, geometrisch-mathematisch fundiertes, in seiner inneren Logik schwer widerlegbares Besteuerungssystem. Virol dokumentiert und analysiert genau, von welchen politisch-ökonomischen Voraussetzungen Vauban ausgeht und wie er für diese Steuerreform ein System der Erfassung aller Untertanen entwirft. Insbesondere gelingt es der Autorin zu zeigen, wie diese konstruktiv gemeinte Anregung zu einer argumentativ bestechenden Kritik an der königlichen Macht- und Kriegspolitik geriet. Hieran wird deutlich, dass der überaus loyale Vauban durch den wissenschaftlichen Charakter seiner Traktate den Staat und das Königtum in einen bedrohlichen Gegensatz brachte und damit – wider Willen – die Rolle des Königs in Frage stellte. So erklärt sich auch der Untertitel von Virols Arbeit „De la Gloire du roi au service de l’Etat“.

Insgesamt geht Virols Arbeit weit über alle übrigen in den letzten 15 Jahren zu Marschall Vauban erschienen Forschungsarbeiten hinaus. Statt sich in der uralten Debatte: Vauban – frühliberaler Physiokrat oder Merkantilist? zu verlieren, zeigen die von Virol dargelegten intertextuellen Bezüge einen Vauban, für den solche Schematisierungen zu kurz greifen: Vauban, den wissenschaftlich hoch gebildeten Technokraten, dessen Leben und Werk sich erst durch die von Michèle Virol aufgezeigten Prägungen durch das gelehrte Umfeld seiner Zeit gänzlich erschließen.

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