Titel
Die Struktur des Hofes unter Friedrich I. Barbarossa nach den deutschen Zeugen seiner Urkunden.


Autor(en)
Plassmann, Alheydis
Reihe
MGH Studien und Texte 20
Erschienen
Anzahl Seiten
367 S.
Preis
€ 40,00
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Christian Hillen, Stiftung Rheinisch-Westfälische Wirtschaftsarchiv zu Köln

Daß historische Grundlagenforschung nicht kostspieliger Selbstzweck ist, sondern durchaus zu weiterführender Forschung animieren kann, zeigt die Arbeit von Alheydis Plassmann, die sich die nunmehr fertiggestellte Edition der Urkunden Friedrich Barbarossas der MGH als Ausgangspunkt für weitergehende Betrachtungen gewählt hat. Diese Dissertation - nicht ganz zufällig bei Rudolf Schieffer entstanden und dann auch in der hauseigenen Reihe der MGH Studien und Texte erschienen - hat die systematische Untersuchung des Hofes des berühmten Stauferkaisers nicht zuletzt auch mit neuartigen statistischen Methoden zum Gegenstand. Erklärtes Ziel von Plassmann ist es dabei, Einblicke in die "Struktur des Hofes und die Zusammenarbeit von König, Adel und Geistlichkeit [zu] gewähren" (2) und "Tendenzen der verfassungsgeschichtlichen Entwicklung genauer nach[zu]spüren" (3).

Plassmann geht also den Besuchern am kaiserlichen Hof nach, die sie anhand der Zeugenlisten der Urkunden Barbarossas namhaft machen kann. Sie fragt nach Häufigkeit und besonders nach dem Ort der Hofvisiten. So berechnet sie die Wegstrecke, die ein Hofbesucher zurücklegen musste, um mit dem Kaiser in Kontakt zu treten. Auf der Basis dieser Kriterien soll ein Bild des Friedrich I. umgebenden Personenkreises entstehen, bei dem sich - nach Regionen gegliedert - die Bedeutung einzelner Personen oder Personengruppen für dessen Herrschaft erkennen läßt.

Mit diesem lobens- und lohnenswerten Unterfangen bewegt sich Plassmann auf dem Parkett der Hofforschung, die in der deutschen Mediävistik in letzter Zeit auch aufgrund der Aktivitäten und Veröffentlichungen der Residenzen-Kommission der Akademie der Wissenschaften in Göttingen und der endlich weiter voranschreitenden Arbeiten des Repertoriums der deutschen Königspfalzen beim Max-Planck-Institut für Geschichte, das in diesen Wochen den ersten vollständigen Band "Thüringen" vorlegen konnte 1, zu Recht einige Aufmerksamkeit beansprucht. Wichtige Erkenntnisse, nicht nur über die personelle und regionale Struktur des Hofes Barbarossas, sondern auch über das Funktionieren mittelalterlicher Herrschaft allgemein, waren also von dieser mit Karten und Grafiken üppig ausgestatteten Arbeit zu erwarten.

Mit einiger Verwunderung muss man jedoch schon in der methodischen Einleitung, die ohnehin schon recht knapp ausgefallen ist, registrieren, daß die "Einordnung der Zeugen in eine bestimmte Region [...] nach den Orten, an denen sie den Hof aufsuchten" [erfolgt] (18). So soll eine Zuweisung der Hofbesucher zu bestimmten Regionen vorgenommen werden, um die Bedeutung der einzelnen Reichsteile für die Herrschaft Friedrichs I. einschätzen zu können. So richtig die Annahme ist, man könne anhand der Untersuchung der regionalen Zeugenverteilung Rückschlüsse auf die Reichsstruktur aus der Sicht Barbarossa ziehen, so wenig überzeugend ist diese Methode der regionalen Zuordnung. Ja, sie stellt die bisherige Methode der Zuweisung nach der Herkunft geradezu auf den Kopf, ohne jedoch einen erkennbaren Nutzen zu erbringen. Im Gegenteil, die regionale Struktur des Reiches wird unnötig verzerrt. Hessische Adelige (jedenfalls nach Plassmann) erscheinen plötzlich im Kapitel über Franken (174). An dieser Stelle ergeben sich übrigens auch Fragen nach der Sinnhaftigkeit der regionalen Einteilung, auf die später noch zurück zu kommen sein wird.

Offensichtlich geht Plassmann von der Annahme aus, daß Zeugen in der Region am meisten am Hof anzutreffen waren, in der sie ihren Stammsitz und ihre Besitzungen hatten. Diese Annahme kann zutreffen - und tut es in der Mehrzahl der Fälle auch - muss es aber nicht. Dies bringt die Autorin schon einige Seiten weiter in arge Bedrängnis, wenn sie nämlich den Bischof von Paderborn der von ihr als Sachsen bezeichneten Region zuweist, obwohl er nach ihren eigenen Angaben nur zweimal am Hof nachzuweisen ist und zwar einmal in Sachsen und einmal im Rheinland (29). Noch schwieriger ist der Fall des Herzogs Wladislaws von Böhmen. Er ist einmal in Altenburg (Thüringen), einmal in Bamberg (Franken), einmal in Regensburg (Bayern) und einmal in Italien in der Umgebung Friedrichs I. belegt (66). Da eine Zuordnung nach dem von ihr selbst verkündeten Prinzip also offensichtlich unmöglich war, verzichtet Plassmann von selbst darauf und kehrt zu dem Herkunftsprinzip zurück. Den Leser klärt sie allerdings nicht über die Gründe für das Abweichen von der eignen Methode auf, das sie im folgenden nicht nur für alle Zeugen aus Böhmen, sondern auch für die aus Oberlothringen praktiziert. Methodische Stringenz wird demnach nicht einmal annähernd praktiziert.

Nicht weniger problematisch als die - jedenfalls teilweise - angewandte Methode der regionalen Zuordnung ist die von Alheydis Plassmann vorgeschlagene regionale Einteilung des Reiches. Sie ist - so ihre eigene Aussage - an den "gewachsenen Einheiten des Reiches" (18) orientiert. Dies erinnert schon fast die althergebrachten Stammesterritorien, so es diese jemals gegeben hat. Damit vergibt Plassmann die grosse Chance eine eigene, nur auf Friedrich I. abgestimmte, regionale Gliederung zu entwerfen, die ein Ergebnis einer solchen Untersuchung hätte sein können. Gleichsam aus der Vogelperspektive hätte man die Struktur des Reiches, die Bedeutung der Regionen für die Herrschaft des Kaisers und damit auch die regionale Struktur des Hofes darstellen können. Bestimmte zeitliche Schnitte, hätten eventuelle Verschiebungen im Machtgefüge beispielsweise nach dem Sturz Heinrichs des Löwen (oder schon vorher?) sichtbar machen können. Plassmanns Entscheidung für das vorgegebene regionale Muster kann daher an dieser Stelle nicht zu neuen Erkenntnissen führen. Souverän wird übrigens der grundlegende Aufsatz von Peter Moraw über Franken als königsnahe Landschaft ignoriert, der mit seinen Begriffsbildungen Analyseinstrumente für die Untersuchung des Verhältnisses einer Region zum Herrscher an die Hand gegeben hätte 2. Überhaupt vermisst man in einer Arbeit, die sich mit mittelalterlicher Herrschaft und ihrem Funktionieren beschäftigen will, Peter Moraws Gedanken und Ausführungen schmerzlich.

Daß der Sturz Heinrich des Löwen im Übrigen mit der Aufteilung des Herzogtums Sachen einherging, handelt Plassmann mit der Bemerkung ab, die "Verhältnisse in Sachsen [hätten sich] grundlegend geändert" (40). Anstatt die neue Ausrichtung des regionalen Adels auf die neuen (oder alten) Machtzentren hin genau zu untersuchen, wird dem Leser lediglich mitgeteilt, daß sich die neue Situation besonders auf die "Ebene der Grafen und Freien" ausgewirkt habe (ebd.). Als Ergebnis der Untersuchung dieser Region zu erfahren, daß die "dominante Stellung des Herzogs innerhalb des sächsischen Adels, die Heinrich der Löwe aufgebaut hatte", seinen Sturz nicht überlebte (49), kann bei so wenig analytischem Zugriff auf das Quellenmaterial, der die gesamte Arbeit kennzeichnet, dann auch nicht mehr überraschen. Ähnliches gilt für die Betrachtung des Salzburger Suffraganbistums Gurk. Da Plassmann dessen Sonderstellung als Eigenbistum 3 nicht einmal registriert, kann sie die möglichen Auswirkungen auf das Besuchsverhalten des Gurker Bischofs, die daraus resultieren könnten, auch nicht untersuchen.

Offensichtlich sind hier wesentliche Probleme bei der Behandlung des Themas gar nicht erkannt worden. Dazu gehört auch, daß die einzelnen Zeugen nur unzureichend im Zusammenhang ihrer Familie betrachtet werden. Bei Geistlichen geht Plassmann davon aus, daß die Familienzugehörigkeit keine Auswirkungen auf ihr Besuchsverhalten hatte (223), ohne dies überhaupt eingehender analysiert zu haben. Der Aspekt der Dauer der Hofbesuche wird ebenfalls nur ungenügend bedacht bzw. gar nicht erst behandelt. Denn auch aus der Aufenthaltsdauer eines Magnaten bei Hof kann man Rückschlüsse über dessen Verhältnis zum König ziehen, wenn man sie in Verbindung zu den anderen Ergebnissen setzt. Mangelndes Problembewusstsein gilt aber nicht nur bei der Berücksichtigung des genauen historischen Zusammenhangs und der Anwendung geeigneter Methoden, sondern auch für die Begrifflichkeiten, derer sich Plassmann bedient. Welche Bedeutung curia/Hof haben kann, daß dies von "Hofgesellschaft" über "täglicher Hof" (also den Leuten, die den König praktisch täglich umgaben) bis zu "Reichstag" reichen kann, hätte zumindest diskutiert werden müssen. Ebensowenig findet man Erläuterungen zur Entstehung "des Reichsfürstenstandes".

Daß all diese Mängel, im Konzeptionellen wie in Einzelheiten, nicht ohne Auswirkungen auf das Ergebnis der Untersuchung bleiben können, wird dann auch im Schlusskapitel der Arbeit deutlich, daß denkbar oberflächlich ausgefallen ist. "Die Grundstruktur des Hofes verschob sich während der Regierung Barbarossas - eine Entwicklung, die den Verfassungswandel in Deutschland widerspiegelt" (227), ist keine Erkenntnis, die den Aufwand einer solchen Zeugenuntersuchung gelohnt hätte, zumal auch der angeführte Verfassungswandel nur in wenigen Sätzen skizziert und nicht näher ausgeführt wird. Überhaupt bleibt diese Arbeit im Ganzen betrachtet zu sehr an der Oberfläche: Die Untersuchung der einzelnen Personen erfolgt ohne die notwendige Tiefenschärfe. Zudem ist sie an manchen Stellen in Einzelheiten schlichtweg falsch, wie das Beispiel der Grafen von Gleichen zeigt, deren Familiensitz in der Gegend von Fritzlar verortet wird (284). Eine genauere Analyse des Besuchsverhaltens kann daher nicht erfolgen, die Ergebnisse bleiben dementsprechend unkonturiert und allgemein, die mangelnde Literaturübersicht verhindert eine genaue Einordnung sowohl in die komplexen historischen Zusammenhänge als auch in die Forschungsdiskussion.

Man wird sich also erneut mit den durch die MGH zugänglich gemachten Zeugenlisten der Barbarossa-Urkunden auseinandersetzen müssen, denn die Analyse der Hofstruktur Friedrichs I. bleibt weiterhin ein Desiderat der Forschung.

Anmerkungen:
1 Die Deutschen Königspfalzen, Band 2: Thüringen, bearb v. Gockel, M., Göttingen 2000.
2 Moraw, P., Franken als königsnahe Landschaft im späten Mittelalter, in: Bll. f. dt. LG 112 (1976), S. 123-138.
3 Vgl. Seidenschnur, W., Die Salzburger Eigenbistümer in ihrer reichs-, kirchen-, und landesrechtlichen Stellung, in: ZRG KA 40 (1919), S. 177-287.

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