L. Eriksonas: National Heroes and National Identities

Cover
Titel
National Heroes and National Identities. Scotland, Norway and Lithuania


Autor(en)
Eriksonas, Linas
Reihe
Europe plurielle - Multiple Europes 26
Erschienen
Anzahl Seiten
320 S.
Preis
€ 39,90
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Árpád von Klimo, Zentrum für Zeithistorische Forschung Potsdam

Ein Buch, das Entwicklungen vom späten Mittelalter bis zum Anfang des 20. Jahrhunderts in Regionen Europas behandelt, die nicht zu den bevorzugten der Geschichtsschreibung in Deutschland gehören, stellt den Rezensenten vor eine schwierige Aufgabe. Es wird kaum einen zweiten Historiker neben dem Autor selbst geben, der über eine vergleichbare nordeuropäische West-Ost-Achse geforscht hat. Um so mehr muss man den Autoren des Werks loben, der es schafft, seine komplexe Materie auf knapp 300 Seiten verständlich darzustellen. Noch dazu ist die Gliederung des Bandes ein kleines Kunstwerk, denn sie repräsentiert bereits einen Teil der Ergebnisse der Untersuchung. Eriksonas, seines Zeichens litauischer Historiker, der in Cardiff lehrt und seine Ausbildung (wie viele litauische Adlige im 17. Jahrhundert!) an der Prager Karls-Universität begann, spürt dem Zusammenhang zwischen Heldenerzählungen und nationalen Souveränitätskonzepten nach.

Die Auswahl der drei Länder, die für einen Außenstehenden auf den ersten Blick befremdlich wirken könnte, stellt sich bald als äußerst gewinnbringende und ergiebige Forschungsstrategie heraus. Es gelingt Eriksonas, mit Schottland, Norwegen und Litauen nicht nur drei vergleichbare, je eigenständige Typen nationaler Heldenkonstruktionen und deren jeweilige Bedeutung vorzustellen, sondern zugleich tiefe Einblicke in geistesgeschichtliche Zusammenhänge zwischen drei im äußersten Norden Europas liegenden Nationalbewegungen aufzudecken.

Was ist das Thema der Arbeit? Eriksonas untersucht Ideen des „Heroischen“ (the concept of the Heroic) im Bezug auf Vorstellungen von Staat und nationaler Identität. Während die bisherige Nationalismusforschung, egal ob Konstruktivisten oder Essentialisten, es bei der Feststellung der evidenten Tatsache belässt, dass Heldengestalten jeweils „models of virtuous conduct“ repräsentieren und zur Nachfolge beim nationalen Kampf animieren sollen (A. Smith, zit. auf S. 15f.), geht diese Studie weiter. Ihr Ausgangspunkt sind die humanistischen Diskussionen über die Traditionen der heldischen Tugenden der klassischen Antike Ende des 16. Jahrhunderts. Bei den neostoischen Denkern des modernen Staates, wie Justus Lipsius, Hugo Grotius oder Samuel Pufendorf, fungierten die Tugenden des Helden als Elemente einer politischen Moral, auf der die modernen Staatswesen aufzubauen seien. In dieser Zeit, als es um die Rolle Schottlands in der Britischen Union ging, wurde der mittelalterliche schottische Held William Wallace neu entdeckt und bewertet. Entsprechende Ideen verbreiteten sich über die Netzwerke calvinistischer Schulen und Universitäten zwischen Danzig, Aberdeen, lutherischen Zentren Schwedens und Dänemarks und schließlich – abgewandelt in Form der Lehre vom heroischen Martyrium – auch in der katholischen Welt. Die nationalen, auf mittelalterliche Legenden zurückgehenden Heldentraditionen entstanden und veränderten sich demnach im Spannungsfeld von politischer Entwicklung, Religion und Rhetorik.

Die Untersuchung setzt ein mit Schottland, dessen Krone seit 1603 in Personalunion mit der englischen vereint war. Diese Krone, die keine eigenständige politische Macht mehr verkörperte, wurde zum zentralen Referenzpunkt der historischen Tradition nationaler schottischer Souveränität. Bis zur Wiederherstellung des 1707 mit dem englischen vereinigten schottischen Parlament im Jahre 1999 spielte der Heldenmythos um Wallace eine wichtige Rolle bei der Konstruktion einer schottischen nationalen Identität, da er an die eigenständige schottische Staatlichkeit seit dem Mittelalter erinnerte.

Norwegen blickte dagegen auf eine spätere und auch kürzer dauernde mittelalterliche Staatlichkeit zurück. Das Land wurde faktisch von 1387 bis 1815 von Kopenhagen aus regiert, die norwegische Krone blieb nur theoretisch intakt, auch als sie danach für fast ein Jahrhundert mit der schwedischen Krone vereint war. Aber wie im schottischen Fall bildete die königliche Tradition – wach gehalten in Form von mittelalterlichen Heldenkulten – den wichtigsten Ansatzpunkt für die Schaffung einer nationalen politischen Einheit.

Litauen unterscheidet sich deutlich von den beiden anderen Fällen. Es war nie eigenständiges Königreich, sondern als Großherzogtum Teil der Union mit Polen. Der litauische herrschende Adel, die Magnaten, entwickelte aufgrund des Fehlens eines christlichen Königreichs den Mythos einer römisch-imperialen Herkunft des Großherzogtums. Auch daher hatten es demokratische Vorstellungen nationaler Souveränität, wie sie in Großbritannien und Skandinavien seit dem 19. Jahrhundert populär wurden, dort schwerer.

In allen drei Ländern dienten Heldentraditionen, um in den langen Zeiten der Union mit größeren Staaten Ansprüche auf Souveränität aufrechtzuerhalten. In diesen doppelten Peripherien: am Rande Europas und als kleinere, schwächere Bestandteile innerhalb monarchischer Unionen, führten unterschiedliche Kirchenregimente (calvinistische Church of Scotland, Norwegen als Teil der dänischen lutherischen Kirche, das spät christianisierte Litauen unter dem katholischen Primas von Polen) dazu, dass sich früher (Schottland) oder erst viel später (Litauen) humanistische Heldentraditionen in Verbindung mit Ideen staatlicher Souveränität entwickeln konnten. Auf lange Sicht konnten diese Unterschiede die Entstehung eines zivilen nationalen Bewusstseins fördern (Schottland: civitas popularis), verlangsamen (Norwegen: regnum) oder behindern (Litauen: aristokratisches optimatum). Eriksonas’ Studie über drei sehr verschiedene Heldentraditionen zeigt, dass die Nationalismusforschung durch Blicke hinter die Französische Revolution zurück neue Einsichten über langwährende Prozesse der Transformation von in Gedächtnisgemeinschaften bewahrten Ideen gewinnen kann. Allerdings wird bei der Lektüre des Buches nicht ganz klar, wie sich diese Einsichten auf andere Fälle übertragen lassen. Hierzu hätte es einer stärkeren theoretischen Durchdringung des Stoffes, einer von den drei Fällen stärker abstrahierenden Analyse bedurft.

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