N. Hammerstein: Die Deutsche Forschungsgemeinschaft

Titel
Die Deutsche Forschungsgemeinschaft in der Weimarer Republik und im Dritten Reich. Wissenschaftspolitik in Republik und Diktatur


Autor(en)
Hammerstein, Notker
Erschienen
München 1999: C.H. Beck Verlag
Anzahl Seiten
580 S., 52 Abb.
Preis
DM 98,00
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Ingo Haar, Martin-Luther-Universität Halle

In letzter Zeit wenden sich die Historiker vermehrt der Wissenschaftsgeschichte zu. Im Vordergrund steht bislang die Debatte um die Rolle der Politikberatung im "Dritten Reich". Etwas zu kurz gekommen blieb die Frage nach der Steuerung und Finanzierung des Wissenschaftssystems im Nationalsozialismus: Ein Komplex, der keineswegs ausgeblendet werden darf, weil die wissenschaftlichen Experten im Nationalsozialismus teils im Auftrag staatlicher Stellen oder der Industrie forschten. Eine Analyse der Wissenschaftsgeschichte im "Dritten Reich" bliebe ohne eine Geschichte ihrer Förderungsinstrumente ein Desiderat.

Winfried Schulze machte 1995 den Anfang, indem er anläßlich des Jubiläums des "Stifterverbandes für die Deutsche Wissenschaft" einige Grundlinien aufzeigte. Er wies einerseits darauf hin, daß die Machtstellung der Universitätsprofessoren entgegen der Reformversuche in der Weimarer Republik, die Mittelvergabe staatlich zu beaufsichtigen, nicht erschüttert werden konnte. Daraus resultierte die ständische Organisation der Wissenschaften. Andererseits stellte Schulze klar, daß die Industrieförderung in den letzten Kriegsjahren im Gegensatz zu staatlichen Investitionen stark anstieg. Dieses kann entweder als Scheitern der nationalsozialistischen Wissenschaftspolitik gewertet werden, was durch eine Hege und Pflege geistiger Ressourcen durch die Industrie aufgefangen werde sollte, um im Friedensfall das nötig Know-how für den Wiederaufbau parat zu haben. Oder aber die Industrie nahm im Bündnis zwischen Speer und der Reichsgruppe Industrie die Forschungsförderung selbst in die Hand, um nach der Ausrufung des "totalen Krieges" alle Kräfte mobilisieren zu können.

Zwei wichtige Gesichtspunkte sprach Schulze damit an: Forschungsförderung in Deutschland ist auch in der Zeit des Nationalsozialismus erstens als ein Politikfeld zu verstehen, indem Staat, Industrie und Wissenschaft als selbständige Akteure in gegenseitiger Abhängigkeit wirkten. Diese Abhängigkeit beruhte zweitens, wie Gerhard A. Ritter festhielt, auf der Prämisse, daß sowohl die Wettbewerbs- als auch die Kriegsfähigkeit der konkurrierenden Industrienationen in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts in starken Maße davon abhingen, wie weit es der Politik gelingen konnte, die Wissenschaften im Wettlauf um die Erfindung von Substituten für teure Rohstoffimporte und die Verbesserung von Waffentechnologien einzubinden. Im Fall des Nationalsozialismus wäre zu fragen, auf welche Art und Weise die Eliten aus Staat und Partei die Technik- und Naturwissenschaften, aber auch die Geistes- und Sozialwissenschaften ausnutzen konnten, um das Innovationspotential der Wissenschaften für die destruktiven Ziele des Krieges zu nutzen; im Gegenzug wäre abzuklären, welchen Beitrag die Wissenschaftler selbst für die innere Stabilität und äußere Angriffsfähigkeit des "Dritten Reiches" leisteten.

Von einer Geschichte der "Deutschen Forschungsgemeinschaft" (DFG) im "Dritten Reich" steht zu erwarten, daß mindestens eine dieser offenen Fragen beantwortet würde. Notker Hammerstein geht mit seiner Studie aber einen gänzlichen anderen Weg, indem er mehr auf den politischen Wechsel innerhalb der DFG-Führung eingeht und ausführlich die internen Machtkämpfe um den Einfluß auf die Wissenschaftsförderung beschreibt. Damit folgt er der Linie von Thomas Nipperdey, der vor nahezu 20 Jahren bereits die Meinung vertreten hatte, die Forschungsförderung sei ab 1933 zu einer "Beute interner Machtkämpfe" verkommen, wodurch "ihre Effizienz und ihre Relevanz für die Forschung" bereits in der Frühphase des Regimes verlorenging.

Hammerstein sieht weder in der "Verreichlichung" des Wissenschaftssystems durch das 1934 geschaffene Reichsministerium für Erziehung, Wissenschaft und Unterricht noch in der Gleichschaltung der Universitäten und der Kaiser-Wilhelm-Gesellschaft ein spezifisch nationalsozialistisches Wissenschaftskonzept am Wirken. Die zögerliche Haltung der Kaiser-Wilhelm-Gesellschaft, schließlich den Machtwechsel im Präsidium der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) von Friedrich Schmidt-Ott zu Johannes Stark anzuerkennen, nimmt Hammerstein sowohl als Beleg für die politische Resistenz der Gesellschaft als auch für die geringe Akzeptanz der neuen Eliten des Nationalsozialismus in der Wissenschaftspolitik.

Die Annäherung zwischen der Kaiser-Wilhelm-Gesellschaft und den Vertretern des Wissenschaftsministeriums erfolgte nach Hammerstein beispielsweise erst ab 1937 mit der "Neuordnung der DFG", als diese durch die Einrichtung eines Reichsforschungsrates (RFR) in eine Art Verrechnungsstelle für den Vierjahresplan umgewandelt wurde. Der Vierjahresplan sah vor, darauf wies Dietmar Petzina in seiner Monographie über die "Autarkiepolitik" des Deutschen Reiches bereits 1968 hin, die deutsche Wirtschaft binnen vier Jahren für den Krieg einsatzfähig zu machen. Sämtliche wissenschaftliche Institute, das zeigt Hammerstein ausführlich, sollten ihren Beitrag zur Autarkie- und Rüstungspolitik leisten, indem sie durch technologische Innovationen neue Ersatzstoffe zu entwickeln, die Nahrungserträge durch die Züchtung von Kulturpflanzen zu steigern und die Rüstungsanstrengungen der Industrie zu verbessern hatten. Um dieses Ziel zu erreichen, übernahm Rudolf Menzel die Position von Johannes Stark. Menzel leitete fortan in Personalunion das neu geschaffene "Amt W" im Ministerium von Bernhard Rust und den Reichsforschungsrat (RFR).

Die Berufung angesehener Wissenschaftler als Leiter einzelner Fachsparten im RFR garantierte zunächst den hohen Standard der Forschung. Hammerstein zufolge setzte der "Qualitätszerfall" erst zeitlich parallel mit der drohenden Kriegsniederlage ein, was 1942 zur Gründung des zweiten Reichsforschungsrates führte. Aber weder der deutsche Rückstand im Bereich der Hochfrequenztechnik, der zur Niederlage der U-Boot Flotte führte, noch die rapide Verknappung von Rohstoffen wie beispielsweise Gummi, Erdöl und Edelmetallen, konnte durch eine Intensivierung der Forschung behoben werden. Für ihren ineffektiven Einsatz sind nach Hammerstein nicht die Vertreter der Technik- und Naturwissenschaften verantwortlich, sondern das Kompetenzchaos im NS-Staat und die politische Unfähigkeit seiner Eliten. Als Beweis für die Fehlleistung der Wissenschaftspolitik im Nationalsozialismus führt Hammerstein die von der DFG geförderten und von einzelnen Instituten der KWG unterstützen Menschenversuche durch Josef Mengele und Otmar Freiherr von Verschuer an.

Zweifellos bietet Hammersteins Werk eine geeignete Überblicksdarstellung für den gebildeten Laien. Die Grundlinien der Nazifizierung der DFG sind aufgezeigt, die starke Stellung Menzels ist benannt und auch die Versuche, der drohenden Kriegsniederlage ab 1942 durch verstärkte Forschung in der Rüstungstechnologie entgegenzuwirken, finden Beachtung. Der wissenschaftliche Wert der Arbeit erscheint jedoch in einem anderen Licht. Sein methodischer Zugriff auf die Sekundärliteratur und die Originalakten erweist sich als schwere Hypothek für die laufende Forschung, weil eine Reihe von fragwürdigen Werturteilen transportiert werden. Als individuelle Schlußfolgerungen mag man die These gelten lassen können, daß die Kaiser-Wilhelm-Gesellschaft in den Anfangsjahren der Diktatur gegenüber den Verwertungsansprüchen des Regimes resistent blieb. Diese Interpretation erweist sich aber bei näherer Auswertung der Quellen als retrospektive Ehrenrettung der Gesellschaft ohne jeden analytischen Wert. De facto wirkte die Gesellschaft über das Verwaltungspersonal in der zweiten Reihe in ihrem Präsidium und über einzelne Institutsdirektoren am Aufbau der DFG unter Johannes Stark maßgeblich mit.

Den Verbund von außeruniversitären Forschungsgesellschaften und den neuen Eliten in der Wissenschaftsförderung muß Hammerstein übersehen, weil er die Bedeutung des Wissenschaftsministeriums in der Forschungspolitik überschätzt. Die Grundlinien der ab 1936 institutionell verankerten Forschung für die nationalsozialistische Autarkie- und Rüstungspolitik legte Johannes Stark bereits ab 1934 in Kooperationen mit den verschiedensten Planungsstäben des "Dritten Reiches" fest. Hätte Hammerstein den bereits seit 1968 bekannten Forschungsstand zur Autarkie- und Rüstungspolitik zur Kenntnis genommen, wäre er schnell auf das Netzwerk zwischen den Vertretern aus Chemie- und Stahlindustrie, dem Wissenschaftsmanagement im Reichsforschungsrat der DFG und den Forschungseinrichtungen der Kaiser-Wilhelm-Gesellschaft im "Dritten Reich" gestoßen. Daß sich in der Spätphase des "Dritten Reiches" mit dem Aufbau der Reichsgruppen der Industrie, mit der Rationalisierung der Rüstungswirtschaft unter Albert Speer und unter dem Druck des "totalen Krieges" auch die Wissenschaftspolitik veränderte, liegt auf der Hand.

Das Problem der mangelnden analytischen Durchdringung des Forschungsgegenstandes findet sich auch im Bereich der Forschungspolitik von Johannes Stark in dem Bereich der Geistes- und Sozialwissenschaften. Obwohl der Aufbau der "Ostforschung" bereits 1934 eingesetzt hatte und schon ein Jahr später mit reichen Forschungsmitteln der DFG erheblich beschleunigt werden konnte, geht Hammerstein mit keinem Wort auf diese Phase der Professionalisierung und Institutionalisierung der "kämpfenden Wissenschaft" des NS-Regimes auf dem Feld der Siedlungs- und Bevölkerungspolitik ein. Auch für diesen Teilbereich der Forschungspolitik ist davon auszugehen, daß die DFG und der Reichsforschungsrat als Agentur diente, um die Mittel für die eigentlichen Forschungsträger bereitzustellen. Gemeint sind das Reichsinnenministerium und das Auswärtige Amt, die beide seit den zwanziger Jahren im großen Stil Ressortforschung betrieben.

Warum Hammerstein weder den Forschungsstand im Bereich der Technik- und Naturwissenschaften noch den über die Sparten der "kämpfenden" Geistes- und Sozialwissenschaften im Nationalsozialismus zur Kenntnis nimmt, bedarf der Klärung. Die eine Ursache liegt in der kognitiven Disposition begründet, daß Hammerstein der Blick für die Verzahnung von Wissenschaft und Macht fehlt. In seinem Abschnitt über den "Vierjahresplan und Wissenschaften" geht er davon aus, daß die Forscher, die im Rahmen des Vierjahresplans pharmakologische und medizinische Forschungen betrieben und die Optimierung von Waffensystemen erprobten, lediglich Grundlagenforschung betrieben, die für zivile Zwecke zu nutzen waren. Hammerstein streitet somit ab, daß aus den Wissenschaften heraus ein eigenständiger Beitrag zur Wehrtechnik und Kriegswirtschaft kam. Ähnlich argumentiert er in den Geistes- und Sozialwissenschaften. Dort erscheint ihm die Anlehnung an die Sprache der Nationalsozialisten, welche die Antragsteller von "Handwörterbüchern" allein deshalb schon leisten mußten, um ihre Forschungsprojekte gefördert zu bekommen, als Verbeugung vor dem Zeitgeist, aber nicht als Beitrag zur Stabilisierung des Regimes oder konkreter politischer Vorhaben.

Aus der Arbeit von Michael Fahlbusch und Willi Oberkrome über die völkischen Wissenschaften geht hervor, daß gerade das Handwörterbuch des Grenz- und Auslandsdeutschtums keinesfalls als zweckfreie Forschungserträge bezeichnet werden können. Das hier erstellte Wissen war nicht nur für die nationalsozialistische Außenwerbung notwendig, sondern wurde von den Planungsstäben in der Siedlungs- und Bevölkerungspolitik vornehmlich als Lageanalysen benutzt, bevor die Einzelartikel in den Druck kamen und publiziert wurden. Es lag also mitnichten eine bloße Anpassung an den Zeitgeist vor, sondern eine gezielte und reflektierte Zuarbeit auf klar definierten Politikfeldern. Das Modell von Herbert Mehrtens, Wissenschaft als eine gesellschaftlich organisierte produktive Praxis zu verstehen, ist nach wie vor tragfähig. Der Preis, den Hammerstein eingelöst sehen will, um die Ehre großer Wissenschaftler zu retten oder die Herkunft auch im Zivilbereich nach 1945 genutzter Techniken aus der Kriegsentwicklung zu vernebeln, ist viel zu hoch, als daß die bewährten analytischen Grundsätze der Wissenschaftsgeschichte aufgegeben werden sollten. Jedenfalls trifft der Befund von Winfried Schulze nach wie vor zu, daß der "Verbund von Naturwissenschaft, Technik und Wirtschaft" erst noch erschlossen werden muß.

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