Zoologische Gaerten in Deutschland

: Der Löwe brüllt nebenan. Die Gründung Zoologischer Gärten im deutschsprachigen Raum, 1833-1869. Köln 1998 : Böhlau Verlag, ISBN 3-412-00798-6 292 S. € 39,90

: Carl Hagenbeck (1844-1913). Tierhandel und Schaustellung im Deutschen Kaiserreich. Frankfurt am Main 1998 : Peter Lang/Frankfurt am Main, ISBN 3-631-33474-5 326 S., 40 Abb., broschiert € 57,00

Rezensiert für H-Soz-Kult von
Alexander C.T. Geppert M.A., E.U.I. Europäisches Hochschulinstitut

"Echt und natürlich": Zoologische Gärten in Deutschland, 1830-1914

Ein Besuch im Hagenbeckschen Tierpark in Hamburg-Stellingen hinterläßt ein seltsames Gefühl. Was bei der Eröffnung 1907 sowohl als herausragende Innovation Carl Hagenbecks gefeiert wie als zoologischer Irrweg verdammt wurde, die kontextsensitive und den Gesamteindruck betonende Zurschaustellung wilder Tiere in großen, hintereinander gestaffelten und gitterfreien Panoramen, wirkt auch heute noch durchaus eindrucksvoll; allein der Tierbestand scheint im Vergleich zu anderen zoologischen Gärten klein und das große Gelände ungleichmäßig genutzt. Obschon sichtlich um eine zeitgemäße Darbietung einer Vielzahl der unterschiedlichsten Tierarten und eine behutsame Modernisierung der technischen Anlagen bemüht, kann der Ort sein Alter nicht verleugnen und wirkt wie ein Denkmal seiner selbst. Daher scheint denn auch sein eigentümlicher Reiz zu rühren, dem offenbar selbst die Hamburger Stadtverwaltung erlegen sein muß, als sie sich 1997 entschloß, fortan die gesamte, sich noch immer in rein privater Trägerschaft befindende Anlage unter Denkmalschutz zu stellen.

Die Eröffnung dieses Hagenbeckschen "Tierparadieses" mit dem dort zum ersten Mal konsequent realisierten Darstellungsmodus stellte einen radikalen Einschnitt in der Geschichte der zoologischen Gärten dar, deren Beginn im allgemeinen mit der 1794 erfolgten Gründung bzw. dem sechs Jahre später vollzogenen Ausbau der Menagerie im Pariser Jardin des Plantes angesetzt wird; wichtige Standards setzten zudem die 1828 im Regent's Park eröffneten Londoner Zoological Gardens. Diese Thematik für den deutschsprachigen Kontext aufgegriffen und einen ersten großen Schritt in Richtung einer hierzulande bislang nicht existierenden Sozial- und Kulturgeschichte der zoologischen Gärten im 19. Jahrhundert unternommen zu haben, stellt das große Verdienst der beiden vorliegenden Bände desselben Autorenpaares dar. Und, um zumindest soviel vorwegzunehmen, wenngleich vor allem die erste, sehr breit angelegte Arbeit nicht auf alle Fragen gänzlich zufriedenstellende Antworten zu liefern vermag, geschieht dies doch auf eine ebenso umfassende wie insgesamt durchaus eindrucksvolle Weise.1

Dem selbstverliehenen kulturgeschichtlichen Etikett zum Trotz ist "Der Löwe brüllt nebenan" in erster Hinsicht eine institutionen- und sozialhistorische Darstellung der flächendeckenden Realisierung der sogenannten, hier als "universal, ebenso traditionsreich wie modern" geschilderten "Zoo-Idee" (1). In insgesamt nicht weniger als 17 Kapiteln werden die Gründungsprozesse elf unterschiedlicher zoologischer Gärten in zehn Städten des deutschsprachigen Raums (Berlin, Frankfurt am Main, Köln, Dresden, Hamburg, Hannover, Wien, Breslau, Karlsruhe, München) sowie drei jeweils gescheiterte Projekte (Bonn, Frankfurt am Main, Stuttgart) auf archivalischer Quellengrundlage nahezu minutiös rekonstruiert, breit in die Vereinsbewegung des 19. Jahrhunderts eingeordnet und letztlich als Ausdruck bürgerlicher Kulturwerte gedeutet. Dabei von einer gemeinsamen Typologie auszugehen, falle schwer, so Annelore Rieke-Müller und Lothar Dittrich, zu unterschiedlich seien jeweils die Rolle einzelner Gründerfiguren, speziell gegründeter Vereine und Bürgerkomitees, lokaler Honoratioren und Interessenlagen wie Ausmaß an aktiver Beteiligung von seiten der unterschiedlichen Stadtverwaltungen gewesen. Immerhin lassen sich ab 1844, zwischen 1858 und 1865 und dann erneut seit Mitte der 1870er Jahre gewisse Gründungswellen identifizieren. Berlin stellt dabei zugleich Ausgangs- wie Endpunkt des hier gewählten, 25 Jahre umfassenden Untersuchungszeitraumes dar, der somit nur die beiden ersten der genannten drei Wellen umschließt: 1844 nach langwierigen Vorbereitungen und Londoner Vorbild eröffnet, erwies sich der dortige zoologische Garten jedoch als wenig attraktiv und wurde 1896 zur Erhöhung seiner Popularität beim Publikum wie einer gewissen, für die Hauptstadt als dringend notwendig erachteten Repräsentativität derartig weitreichend umgestaltet, daß der Umbau eher einer regelrechten Neugründung gleichkam. Zoogründungen waren dabei ein ausschließlich städtisches, auf Residenz- und Handelsstädte beschränktes Phänomen, wobei die häufige Orientierung an Pariser und Londoner, aber auch nationalen Vorbildern nicht zu übersehen war.

Immer wieder wird die Öffnungs- und Eintrittspreispolitik als Indikator für die generelle Haltung gegenüber der Öffentlichkeit und einem breiten Publikum diskutiert. Das Spannungsfeld wird dabei durch Fragen nach Vorbildfunktionen, Austausch und Konkurrenz der Zoos untereinander und das vermeintliche Gegensatzpaar von Unterhaltung und Wissenschaft abgesteckt. Letztere stand jedoch in der absoluten Mehrzahl der Fälle nicht im Vordergrund. Weder entstand ein einziger zoologischer Garten in direkter Anbindung an eine Universität noch begriffen sie sich selbst als Ausdruck einer bestimmten Spezialisierung innerhalb der zeitgenössischen Zoologie, standen sie doch ganz im Gegenteil häufig sogar in regelrechtem Gegensatz zu dieser. Eindeutiger hingegen scheint das Verhältnis von Zoos und "geographischem Exotismus" (Gilbert Chinard) bestimmbar zu sein. Inspiriert durch die Londoner Great Exhibition und offenbar einhergehend mit einer entsprechenden Welle der Berichterstattung über exotische Tiere und im Ausland bereits existierender zoologischer Gärten, kam exotistische Architektur in der zweiten Hälfte der 1850er Jahre, etwa mit dem 1855/56 errichteten "Ägyptischen Tempel" des Kölner Zoos, auf und löste allmählich, verstärkt dann seit den 1870er Jahren, den bislang die Zooarchitektur dominierenden, funktionalistischeren und weniger aufwendigen "style rustique" ab.

Sobald der oftmals mit großen Schwierigkeiten verbundene Gründungsprozeß des jeweiligen zoologischen Gartens beschrieben ist, richtet sich der Blick der beiden Autoren zumeist von der noch jungen Institution umgehend auf den nächstfolgenden "Fall" - insofern ist der Untertitel des Bandes durchaus wörtlich zu verstehen. Nur mittels einer zusätzlichen Fallstudie wäre hier wohl eine größere Tiefenschärfe zu erzielen gewesen, dafür finden sich jedoch Exkurse und Kapitel zur Rolle der Akklimatisierung fremdländischer Tierarten, zu Methoden und Möglichkeiten von Tierbeschaffung und -haltung sowie zur gärtnerischen Anlage und Architektur. Als problematisch erweist sich die wenig übersichtliche Gliederung nach durcheinandergehenden chronologischen, thematischen und geographischen Kriterien. Den drei stärker interpretativ orientierten und zum Teil etwas kursorisch gehaltenen Kapiteln am Schluß des Bandes gelingt es denn auch nur bedingt, die zahlreichen aufgeworfenen Themenstränge zu bündeln.

Mit der 1865 erfolgten Hannoveraner Zoogründung sehen die Autoren die Phase der richtungsweisenden und erfolgreich abgeschlossenen Planungen als beendet; die darauffolgende Periode sei lediglich eine "Phase der Epigonen" gewesen, in der man sich an den in Deutschland bereits existierenden Vorbildern orientiert habe, ohne konzeptionell neue Wege zu beschreiten (170). Die im übrigen nirgends näher ausgeführte "Zoo-Idee" sei inhaltlich "verflacht" und zusehends jeglichen Sinngehaltes verlustig gegangen. Ein Ausblick auf die Zoogründungen im letzten Drittel des 19. Jahrhunderts beschließt den Band. Bürgerliche Einzelpersönlichkeiten wie Hagenbeck hätten sich der Idee und des guten Rufes der Einrichtung "Zoologischer Garten" bemächtigt, nolens volens seiner Spektakularisierung und Kommerzialisierung Vorschub geleistet und schließlich einen Veränderungsprozeß in Gang gesetzt, dem sich auch die arrivierten Zoos nicht hätten entziehen können. Ein Personen- und Sachregister, welches den Gebrauchswert des Bandes gerade angesichts der Vielzahl der angebotenen Informationen enorm gesteigert hätten, oder gar Karten, die die Übersicht über Beschaffenheit der jeweiligen Gelände wie ihre Lage im Verhältnis zur umgebenden Stadt hätten erleichtern können, sucht man leider vergebens.

Aufgrund des engeren und anders gelagerten Fokus schließt die zweite Arbeit desselben Autorenpaars nicht nahtlos an. Obwohl "Carl Hagenbeck (1844-1913): Tierhandel und Schaustellung im Deutschen Kaiserreich" ungeachtet des Titels explizit nicht als Biographie konzipiert ist, schildern Dittrich und Rieke-Müller hier den sich über mehr als ein halbes Jahrhundert erstreckenden Aufstieg des Hamburger Tierhändlers, Unternehmers und Impresarios Hagenbeck, dessen Firma sich bereits seit den 1870er Jahren für mehrere Jahrzehnte als unumstrittener Marktführer auf dem Gebiet des Tierhandels zu etablieren vermochte und der aus dieser Position heraus eine Vielzahl weiterer Aktivitäten entfaltete, nicht zuletzt den Handel mit Menschen aus Übersee zu Schaustellungszwecken. Wie kein anderes Handlungshaus sei eine Tierhandlung schlicht gezwungen, entschuldigte sich Hagenbeck in seiner 1908 erschienenen Autobiographie "Von Tieren und Menschen" für seinen rasanten unternehmerischen Aufstieg wie für den stetig gewachsenen Aktionsradius, in einem umfangreichen Masse "praktische Geographie" zu betreiben: "Ihr Arbeitsfeld ist die ganze Erde".2

In zwei großen, jeweils von einem der beiden Autoren verfaßten Teilen wird der Prozeß detailliert geschildert, in dessen Verlauf sich der Name Hagenbeck zum weltweit bekannten Markenzeichen und Metonym für Tierhandel entwickelte. Carl Hagenbecks eigener Darstellung zufolge setzte der unternehmerische Take-off bereits 1848 ein, als sein Vater eher beiläufig in der Elbmündung gefangene Seehunde in St. Pauli ausstellte, damit einen unerwarteten Publikumserfolg errang und sich kurze Zeit später im Handel mit Wildtieren zu engagieren begann. Nachdem man den ersten Tierimporteur 1864 direkt unter Vertrag ge- und Hagenbeck die Firma von seinem Vater übernommen hatte, gewann die Handelsmenagerie Hagenbeck die Bedeutung eines Tierhandelsunternehmens, das den bislang führenden Unternehmen von Jamrach und Rice in London ernsthaft Konkurrenz machen konnte. Parallel zu den steigenden Tierimporten und -verkäufen erfolgte eine konsequente Ausdehnung des ohnehin breitgefächerten Aktionsfeldes. Mit dem Bezug eines neuen Geländes in St. Pauli im Frühjahr 1874 eröffnete sich Hagenbeck erstmals die Möglichkeit, die lebende Importware einer staunenden Öffentlichkeit für einen längeren Zeitraum präsentieren zu können, ohne damit jedoch zugleich die Verkaufsmöglichkeiten vor Ort einschränken zu müssen.

Insbesondere die Organisation der zwischenzeitlich berühmt-berüchtigt gewordenen Hagenbeckschen Völkerschauen wird hier lediglich als zufälliges Nebenprodukt der Tierhandelsaktivitäten geschildert; diese hätten sich Mitte der 1870er Jahre gleichsam "so ergeben", als entsprechende Tierimporte zunächst von indigenen Lappländern, dann von Nubiern aus dem ägyptischen Sudan begleitet worden seien. Selbst wenn Hagenbecks retrospektive Behauptung, diese "als erster in die zivilisierte Welt" eingeführt zu haben, nachweislich nicht zutrifft, kann die Organisation europaweiter Tourneen einzelner, aus verschiedenen Ethnien immer wieder neu zusammengestellter Gruppen und somit die Distribution dieser von ihm als "anthropologisch-zoologisch" etikettierten Schaustellungen in der Tat direkt auf derartige Aktivitäten zurückgeführt werden.3 Hagenbeck selbst zeigte sich stets bestrebt, seine Ausstellungen "unverfälschter Naturmenschen" zusammen mit von ihm patentierten Panoramen in die großen zoologischen Gärten einzugliedern, um diese zu "beleben" und so ein größtmögliches Ausmaß an darstellerischem Realismus zu erzielen. Einem Beinahe-Zusammenbruch der Firma 1879 aufgrund reduzierter Einkäufe von seiten der deutschen zoologischen Gärten entging man durch eine konsequente Orientierung auf den nordamerikanischen Markt und der dort bereits lange vor der World's Columbian Exposition in Chicago 1893 einsetzenden Welle von Zooneugründungen. Freilich stellten Zoos neben Wandermenagerien, Zirkussen und Privattierhaltungen ohnehin nur einen von gleich mehreren Absatzmärkten seines frühzeitig diversifizierten Unternehmens dar.

Allemal ist auffällig, wie frühzeitig und konsequent Hagenbeck ein Prinzip horizontaler Expansion verfolgte: von Tierankäufen und Direktimporten über deren Zwischenlagerung und öffentliche Ausstellung, die Organisation durch die Metropolen reisender Völkerschauen bis hin zur Gründung eines eigenen Zirkus mit einer speziellen Form der von ihm propagierten "zahmen" Dressur und schließlich dem Stellinger Tierpark befand sich nach und nach eine nahezu vollständige "Produktpalette" in Hagenbecks Hand. Dies erwies sich gerade dann von enormem Vorteil, als sich 1909 die größten deutschen zoologischen Gärten zu einem mehrjährigen Boykott seiner Tierhandlung entschlossen. Selbst wenn deren Beweggründe genauso unausgesprochen blieben wie sich die beiden Autoren in ihrer jeweiligen Deutung uneinig sind, scheint doch eine wesentliche Ursache in der öffentlich ausgetragenen Debatte um den wissenschaftlichen Stellenwert von Hagenbecks neu eröffnetem und in der Öffentlichkeit außerordentlich positiv aufgenommenem Tierpark gelegen zu haben, mit welchem er den etablierten zoologischen Gärten in Deutschland Konkurrenz zu machen gedachte - und welche sich durch seine neuen Inszenierungsweisen denn auch prompt provoziert fühlten.

Auf manchen Gebieten, so die beiden Autoren, müsse Hagenbeck indes mangelhafte Marktinformation, Defizite an praktisch-züchterischem Wissen sowie eine wissenschaftlich unzureichende Fundierung seiner Arbeit vorgehalten werden, was nicht nur zu vermeidbaren halterischen Mißerfolgen geführt, sondern ebenfalls zeitgenössische Ressentiments von professioneller Seite gezeitigt habe. Selbst Hagenbecks großes selbstdarstellerisches Talent habe dies nicht zu überdecken vermocht. Daß er in Wilhelm II. einen ebenso wohlgesonnenen wie ahnungslosen Gönner gefunden hatte, der sich anläßlich eines Besuch des Stellinger Tierparks erkundigte, ob die ausgestellten Displays auch "echt und natürlich" seien, bereitete seinem Status als professioneller Außenseiter zwar kein Ende, machte ihn jedoch endgültig zur gefeierten Berühmtheit. Als Tierhändler zusehends ins zweite Glied rückend, konzentrierte sich Hagenbeck zunehmend auf die schaustellerischen Aspekte seines Gewerbes. Selbst wenn ein entsprechendes Zooprojekt für die Berliner Jungfernheide aus auch hier nicht vollständig geklärten Gründen trotz Unterstützung von höchster Stelle scheiterte, wirkten vor allem Hagenbecks zooarchitektonische und gestalterische Innovationen weiter, so etwa die anläßlich der Berliner Gewerbeausstellung 1896 zum ersten Mal realisierte und anschließend fest in Hamburg installierte Idee eines "Eismeer-Panoramas" sowie der Bau gewaltiger Kunstfelsen, die gitterfreie Gehege und Stallungen in sich vereinten. Die so geschaffene Illusion von "Schein und Wahrheit zugleich" beruhte auf einer radikalen Perspektivverlagerung auf den Betrachter.4 Hagenbecks Panoramen erwiesen sich auch insofern als wegweisend, als in der Folge etwa in den zoologischen Gärten von Wuppertal-Elberfeld, in der Villa Borghese in Rom sowie dem in der Nachfolge der großen Pariser Exposition Coloniale Internationale 1931 entstandenen Parc Zoologique in Vincennes auf derselben Konzeption basierende Felsplateaus geschaffen wurden, die dort im übrigen heute noch zu besichtigen sind.

Gerade weil dieses gründlich recherchierte Buch eindeutig zum Besten gehört, was bislang über Hagenbeck geschrieben wurde, es der drohenden hagiographischen Gefahr mit Leichtigkeit entkommt und sich mit Ausnahme einiger Längen von vermutlich rein zoologischem Interesse zumeist auch durchaus spannend (und ungleich flüssiger als der erste Band) liest, muß die unzulängliche Organisation des Materials um so stärker bedauert werden.5 Eine ebenso unklare wie unübersichtliche Gliederung, fehlende Quellennachweise in der ersten Hälfte, Wiederholungen und Unstimmigkeiten zwischen beiden Teilen sowie wiederkehrende Druck- und Anschlußfehler deuten weniger auf eine verbesserungsfähige Abstimmung zwischen den Autoren als ein unzureichendes Lektorat hin.

Drei weitere Punkte lassen sich schließlich übergreifend anführen. Erstens scheint der imperiale Kontext von nationalen Zoogründungen und internationalem Tierhandel in beiden Arbeiten, stärker noch in der zweiten, unterbewertet. Während das Zusammengehen von Zoogründungphasen und Exotismuswellen richtig herausgearbeitet wird, lehnen die beiden Autoren ein paralleles Argument für den Fall Hagenbeck rundheraus ab.6 Hagenbecks exotisches Geschäft hing jedoch in gleich mehrfacher Weise ("Angebot" in den Kolonien, Nachfrage im Heimatland sowie Möglichkeit der Reimporte) von imperialistischen Aktivitäten in Übersee ab. Hagenbeck selbst sah dies ganz deutlich. Erst mit dem Aufschwung der deutschen überseeischen Beziehungen habe sich die Abhängigkeit vom Londoner Tiermarkt aufbrechen lassen, schrieb er beispielsweise in der bereits erwähnten Autobiographie 7, und ganz zweifellos stellte es seinem Selbstverständnis nach einen absoluten Karrierehöhepunkt dar, als er 1906 vom Kolonialministerium den Auftrag erhielt, insgesamt über 2000 Dromedare für die seit zwei Jahren in den Hererokrieg verwickelte Kolonialtruppe in Deutsch-Südwestafrika zu liefern. Ohne ein entsprechendes Ausmaß europäischer, wenngleich nicht zwingend deutscher, kultureller Hegemonie wären die Hagenbeckschen Beutezüge schlechterdings undenkbar gewesen.

Zweitens wird der Gegenstand in beiden Fällen allen gegenteiligen Beteuerungen zum Trotz kaum im Sinne einer Kultur- und Repräsentationsgeschichte von Natur begriffen. Totalität der Behandlung ist selbstredend unmöglich, doch wird man mit dem hier gewählten Ansatz zweifellos weder dem Objektcharakter der Tiere noch dem Subjektcharakter der Schaustellungsbesucher gerecht werden können. Hagenbecks zentrale Innovationen wie etwa das Panorama basierten auf einer radikalen Verlagerung der Perspektive auf den Besucher hin - nur in dessen Augen konnten die verschiedenen, hintereinander geschalteten und an sich separierten Elemente des sogenannten "Tierparadieses" zu einem einheitlichen Ganzen verschmelzen. Ähnliches gilt für eine Teilnehmerperspektive sowohl aus Sicht der Ausstellenden wie der Ausgestellten, die mitunter ihre Rollen durchaus bewußt dem Publikumsgeschmack anzupassen vermochten und sich so beinahe selbst zu professionalisieren wußten (163). Völlig zu Recht betont Rieke-Müller, daß eine aufwendige Rezeptionsanalyse noch immer ein dringendes Forschungsdesiderat darstellt. Schließlich wird das Europa und die Vereinigten Staaten überziehende Netzwerk von zoologischen Gärten respektive der unterschiedlichsten umherziehenden Showtruppen nur angedeutet, dessen Fäden jedoch stets in St. Pauli und später in Stellingen zusammenliefen. Leicht ließe sich hier eine stärker gesamteuropäische Perspektive einnehmen oder gerade im Falle Hagenbecks und seiner Aktivitäten in den Vereinigten Staaten die Frage nach dem Stellenwert interkontinentalen Austauschs und interkulturellen Transfers aufwerfen. Beiden Arbeiten ist sehr zugute zu halten, viele dieser weiterführenden Möglichkeiten zumindest angedeutet zu haben.

Drittens könnte eine eindeutigere und konsequenter vorgenommene Theoretisierung der Begrifflichkeiten und Analyseinstrumente dazu beitragen, binäre und analytisch schal gewordene Dichotomien von Hoch- vs. Popularkultur, Präsentation vs. Rezeption, Wissenschaft vs. Unterhaltung praktisch endlich so überflüssig werden zu lassen, wie es in theoretischer Hinsicht schon vor geraumer Zeit als sinnvoll erkannt wurde. Ein solcher Ansatz würde derartige Partikulargeschichten nicht nur insgesamt anschlußfähiger machen und sie somit besser in die Geschichte kongruenter, aber auch konkurrierender visualisierender Institutionen (Museum, Sammlung, Ausstellung, Messe, aber auch: Olympische Spiele, Theater) integrieren lassen, sondern ebenfalls zu einer direkten Realisierung derjenigen kulturalistischen Wende führen, deren immer wieder geforderte Umsetzung in der hier vorliegenden Sozialgeschichte von Kultur allenfalls behauptet, aber nicht vollzogen wird.

Wie dem auch sei: Jedwede, an dieser Stelle vielleicht sogar überzogen scharfe Kritik an manchen organisatorisch-analytischen Schwächen der beiden Bände vermag nicht darüber hinwegzutäuschen, daß hier zum ersten Mal auf einem bisher vernachlässigten Gebiet zwei empirisch gesättigte und gründlich recherchierte Arbeiten vorliegen, welche dieses Feld zur Gänze aufbereiten und zuguterletzt selbst neue, weiterreichende Fragen anderer Art aufwerfen - ganz so, wie es bei guten Büchern der Fall sein sollte. Aller offenkundig großen Verdienste der beiden Bände zum Trotz muß der Stand der Zoogeschichtsschreibung in Deutschland als nachgerade beschämend bezeichnet werden. Daß sich dieser im internationalen Vergleich nur unwesentlich besser gestaltet, vermag denn auch kaum zu beruhigen, obgleich sich hier längst Ansätze für ein Einbinden in die Kultur- und Repräsentationsgeschichte von Natur abzeichnen, deren Berechtigung zu überdenken sich auch im deutschen Wissenschaftskontext als überaus fruchtbar erweisen könnte.8

Anmerkungen

1 Als die beiden zoohistorischen Standardwerke gelten Wilfred Blunt: Ark in the Park: The Zoo in the Nineteenth Century. London 1976 sowie die Beiträge in R.J. Hoage und William A. Deiss (Hg.): New World, New Animals: From Menagerie to Zoological Park in the Nineteenth Century. Baltimore 1996. Siehe zudem die in vielerlei Hinsicht vorbildliche Arbeit von Andreas Daum: Wissenschaftspopularisierung im 19. Jahrhundert: Bürgerliche Kultur, naturwissenschaftliche Bildung und die deutsche Öffentlichkeit 1848-1914. München 1998, der die hier interessierende Thematik mehrfach zumindest streift.

2 Carl Hagenbeck: Von Tieren und Menschen: Erlebnisse und Erfahrungen. Berlin 1908/Neuauflage Leipzig 1967, 105. Von Hagenbecks bis 1967 immer wieder neu aufgelegter, fast 500 Seiten umfassender und Wilhelm II. gewidmeter Autobiographie wurden bis Ende des Jahres 1909 bereits weit über 100.000 Exemplare verkauft. Allein ein vergleichendes "close reading" dieses faszinierenden Verkaufsschlagers zusammen mit den zahlreichen der im Umfeld der Firma Hagenbeck entstandenen Memoiren wäre eine weitere Arbeit wert. Für eine parallele Fragestellung vgl. Alexander C.T. Geppert: Divine Sex, Happy Marriage, Regenerated Nation: Marie Stopes' Marital Manual "Married Love" and the Making of a Best-Seller, 1918-1955, in: Journal of the History of Sexuality 8.3 (January 1998), 389-433.

3 Von Tieren und Menschen, 44.

4 Ebd., 210.

5 Vgl. allerdings Nigel T. Rothfels: Bring 'em Back Alive: Carl Hagenbeck and Exotic Animal and People Trades in Germany, 1848-1914. Ph.D. Harvard University 1994. Harvard-Dissertationen sind selbst über internationale Fernleihe grundsätzlich nicht zu beschaffen; eine Veröffentlichung ist meines Wissens jedoch in Vorbereitung. Siehe jetzt auch den opulent bebilderten Band von Matthias Gretzschel und Ortwin Pelc (Hg.): Hagenbeck: Tiere, Menschen, Illusionen. Hamburg 1998, der die Geschichte des Tierparks zudem bis 1998 fortzuschreiben sucht.

6 Vgl. etwa 121: "Betont aber werden muß, daß das Wachstum der Hagenbeckschen Tierhandelsfirma zu einem Unternehmen von Weltbedeutung und mit weltweiten Handelsbeziehungen nicht direkt durch die Entwicklung des Deutschen Reiches zu einer Kolonialmacht bedingt gewesen ist." Für einen Versuch, den Londoner Regent's Park Zoo innerhalb der britischen "imperial culture" zu verorten, siehe die exzellente Analyse bei Robert W. Jones: "The Sight of Creatures Strange to our Clime:" London Zoo and the Consumption of the Exotic, in: Journal of Victorian Culture 2.1 (Spring 1997), 1-26.

7 Von Tieren und Menschen, 23.

8 Darauf deutet zumindest der Umstand hin, daß die auf einer "Urban Jungles: Zoological Parks in the United States" überschriebenen Sektion der diesjährigen Jahrestagung der American Historical Association in Washington D.C. diskutierten Fragen sich mit den hier angesprochenen grundsätzlich als weitgehend identisch erwiesen.

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