H.-M. Blitz: Aus Liebe zum Vaterland

Titel
Aus Liebe zum Vaterland. Die Deutsche Nation im 18. Jahrhundert


Autor(en)
Blitz, Hans-Martin
Erschienen
Anzahl Seiten
437 S.
Preis
€ 30,00
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Wolfgang Burgdorf, Historisches Seminar, Ludwig-Maximilians-Universität

Der Siebenjährige Krieg habe die größten Auswirkungen auf die deutsche Literatur gehabt, konstatierte Goethe rückblickend 1811. Es sei deutlich geworden, daß es für die Entstehung eines Nationalepos solcher Ereignisse bedürfe, in denen die Völker und ihre Hirten "für einen Mann stehen". Durch die Heroisierung Friedrichs II. hätten die Preußen und mit ihnen das protestantische Deutschland einen Schatz für ihre Literatur gewonnen, den die Gegenseite ermangele, und den sie "durch keine nachherigen Bemühungen hat ersetzen können. An den großen Begriff, den die preußischen Schriftsteller von ihrem König hegen durften, bauten sie sich erst heran, und das um so eifriger, als derjenige, in dessen Namen sie alles taten, ein für allemal nichts von ihnen wissen wollte." Bereits 1788 hatte Johann Wilhelm von Archenholz auf die "Geistesrevolution" hingewiesen, die sich während des "außerordentlichen Krieges" ereignet hatte. Friedrich Karl von Moser bemerkte unmittelbar nach dem Krieg, "die preußischen Publizisten der neusten Generation übertrafen aber alle anderen ebenso", wie das Manöver der preußischen Armee die Kunst der alten Bogenschützen.

Was sich hinter diesen Äußerungen verbirgt - und vieles mehr -, ist nun in der Freiburger Dissertation von Hans-Martin Blitz nachzulesen. Blitz, der bereits vor Jahren durch einen sehr instruktiven Aufsatz auf sich aufmerksam gemacht hat, vermehrt unsere Kenntnisse über die Entstehung des modernen Nationalismus in entscheidender Weise. Er beginnt mit der Aufwertung des Nationsbegriff um 1500, der Tacitus-Rezeption der deutschen Humanisten und des Barocks. In einem zweiten Teil werden die unterschiedlichen Vaterlandskonzeptionen der Frühaufklärung dargestellt und die großen Hermannsdichtungen des 18. Jahrhunderts einer Analyse unterzogen. Im Zentrum des Buches steht die Intensivierung des Vaterlandsdiskurses während des Siebenjährigen Krieges und der Nationalgeistdebatte in der Mitte der 1760er Jahre. Das letzte Kapitel ist der "Konjunktur des 'Deutschen' um 1770" bei Herder, Klopstock und dem Göttinger Hain gewidmet. Blitz läßt seine Darstellung damit genau zu dem Zeitpunkt enden, da jüngst noch der Anfang des Phänomens Nationalismus angesetzt wurde, und zeigt überzeugend, daß die wesentlichen qualitativen Schritte bereits vor 1770 vollzogen waren. Es ist bedauerlich, daß Blitz die umfangreiche Publizistik, die anläßlich des 1785 gegründeten Fürstenbundes entstand, nicht mehr einbezogen hat. Denn der Fürstenbund war für die Deutschen der letzte große Anlaß, ihre politische Verfassung und ihre nationalen Identität zu überdenken, bevor die Französische Revolution das gesamte politische Denken auf eine neue Grundlage stellte.

Die besondere Leistung des Autors besteht darin, daß er der historischen Forschung zwei Quellenbestände neu erschlossen hat: Die Tacitus-Rezeption, insbesondere in der Form der Hermannsdichtungen der Frühen Neuzeit, und das patriotische Liedgut des Siebenjährigen Krieges. Anhand dieser Quellen gelingt es dem Verfasser, die im wesentlichen auf Rudolf Vierhaus zurückgehende Trennung zwischen einem älteren gutmütigen Patriotismus und einem späteren aggressiven Nationalismus nach 1789 als ideologische Verzerrung zu entlarven. Unwiderlegbar demonstriert Blitz, daß die Imagination zunächst des Reiches, dann des Vaterlandes und schliesslich der Nation als unüberwindbare moralische Einheit mittels der Inklusion und Exklusion nach innen und aussen bereits in der Frühen Neuzeit vollzogen war. Und sie war bereits damals verbunden mit radikalen Feindvernichtungsphantasien. Insbesondere die französischen "Erbfeinde" wurden in Umdeutung älterer antirömischer Topoi als moralisch minderwertig dargestellt, die Russen sogar als "Un- und Untermenschen, als Ungeziefer", das vernichtet werden müsse.

Es ist schade, daß man nichts über die Inszenierungen der Hermannsdramen des 18. Jahrhunderts und über die Melodien der Kriegslieder des Siebenjährigen Krieges, über die Umsetzungen nationaler Konzeptionen in Architektur usw. erfährt. Aber es ist ungerecht, von einem Autor immer mehr zu verlangen. Beeindruckend ist aber die souveräne und breite Übersicht des Verfassers über die Forschungsliteratur. Blitz zeigt einleitend, wie im 19. - und lange Zeit auch im 20. - Jahrhundert Germanisten und Historiker aus frühneuzeitlichen Schriften Belege für kulturelles, völkisches, antifranzösisches und heroisches Nationalbewusstsein herauslasen. Der Paradigmawechsel, die Delegitimierung des Nationalismus, erfolgte nicht unmittelbar nach 1945, sondern Ende der 1960er Jahre. "Das 18. Jahrhundert wurde entnationalisiert und zum patriotischen, friedlich-kosmopolitischen, bürgerlich-emanzipatorischen Zeitalter umgedeutet" (S. 9f.).

Mit der Erfindung des Buchdrucks entstand während des Humanismus eine nationalsprachliche Kommunikationsgemeinschaft. Die Reformatoren stilisierten Luther in der Arminiustradition als neuen Befreier Deutschlands. Hier vollzog sich ein fundamentaler Wandel. Bislang hatten die Deutschen ihren Stolz gerade daraus geschöpft, daß sie das Römische Reich weiterführten, in der Folge definierte sich ein Teil der Nation über den Kontrast zu Rom, später zu Frankreich. Dennoch erhielt sich der Bezug auf Rom in der Titulatur des Reiches und seiner Oberhäupter bis 1806. Der auffallend häufige Rekurs protestantischer Schriftsteller im 16. Jahrhundert auf "Teutschland" hatte auch eine kompensatorische Funktion. Es galt, eine neue Legitimation für das eigene Handeln finden, da man nicht mehr bereit war, sich der katholischen Führung des Reiches und seinen katholischen Institutionen zu unterwerfen.

Blitz stellt dar, wie der antike Mythos der Hermannsgeschichte von der beschwingten französischen tragédie amoureuse, vom höfisch-galanten Roman zum bluttriefenden, den "Tod für das Vaterland" und die physische Vernichtung der Feinde verherrlichenden deutschen Nationalepos wurde. Ach, wäre es doch eine tragédie amoureuse geblieben, aber gerade die élégance der Franzosen mußte den Deutschen zur Abgrenzung dienen. Nur Wieland, der später von den Klopstock-Anhängern des Göttinger Hain zur Inkarnation des inneren Vaterlandsfeindes erkoren wurde, spielte nicht so ganz mit. In seiner Hermannsdichtung mußte der Primat des Vaterlandes dem Primat der Liebe weichen.

Ob das Zeitalter zwischen dem Dreißigjährigen Krieg und den Revolutionskriegen als Epoche der "Kabinettskriege" hinreichend charakterisiert ist (S. 147ff.), ist diskussionswürdig. Niemand wird bestreiten, daß der Bayerische Erbfolgekrieg ein Kabinettskrieg war. Aber ob dies auch für den Pfälzischen und Spanischen Erbfolgekrieg zutrifft, in denen französische Truppen das Hochstift Speyer und die Pfalz verwüsteten? Die Bewohner werden dies anders gesehen haben. Auch hinsichtlich des Siebenjährigen Krieges wird man differenzieren müssen. Diesmal trägt die französische Kriegführung in Deutschland Züge des Kabinettskrieges: Deckung und Gefährdung von Magazinen, Bedrohung der feindlichen Verbindungslinien, die eigenen Truppen nach Möglichkeit keiner wirklichen Gefahr aussetzen. Aber gilt dies auch für die Kriegführung Friedrichs II., der gegen eine vielfache Übermacht einen existentiellen Kampf um seine Stellung als souveräner Fürst und eigenständiger Mitspieler im Konzert der europäischen Mächte führte? Mehrfach hat er in diesem Krieg in gewagten Situationen alles auf eine Karte gesetzt und das Schicksal Brandenburg-Preußens damit an das seiner Person, schlimmer noch, an das seiner fortune gebunden. Er hat keinen Kabinettskrieg geführt. Vielleicht ist das Zeitalter der Kabinettskriege ja ein Mythos, wie das Zeitalter des gutmütigen Patriotismus. Aber das ist für die Arbeit von Hans-Martin Blitz nicht entscheidend, entscheidend ist, daß die brandenburg-preußischen Publizisten mit dem Existenzkampf Preußens ein wirkliches Drama erlebten und es nachschrieben. Und indem sie es taten, überwanden sie die Rezeptionshürden des gelehrten Antikendiskurses und übertrugen dessen Topoi, wie den "Tod für das Vaterland" und den Barbarentopoi, in die Gegenwart. Damit hoben sie die patriotische Literatur auf eine neue Stufe. Eine neue Qualität erreichten auch die preußischen Kriegspredigten. Ausgehend von der Vorstellung des Religionskrieges predigten sie den "Tod für das Vaterland" und die physische Vernichtung der Feinde. So etwas gab es auf der katholischen Seite nicht. Es war ein entscheidender Schritt zur Sakralisierung des Vaterlandes. Wichtig ist, daß der übersteigerte Franzosenhaß der preußischen Publizisten eine kompensatorische Funktion hatte. Er sollte vergessen lassen, daß Preußen der klassische Verbündete Frankreichs in Deutschland war und traditionell an dessen Seite gegen Kaiser und Reich kämpfte. Die Vorbilder für diese antifranzösische Publizistik fanden sich unter anderem in der österreichischen nationalappellativen Agitation aus der Zeit des Österreichischen und des Spanischen Erbfolgekrieges.

"Der Vaterlandsdiskurs erbte von den kriegerischen Auseinandersetzungen Preußens und Österreichs die Schwierigkeiten, die von allen Seiten gebrauchte Leerstelle 'Vaterland' übereinstimmend und überzeugend zu besetzen" (S. 196). Blitz zeigt, daß sich Begriffe wie "Vaterland", "Vaterlandsliebe", "Patriotismus", "Nation", "Nationalstolz" oder Nationalgeist auf ganz unterschiedliche Referenzpunkte wie die Heimatstadt, ein Landesfürstentum oder das Reich beziehen konnten. Natürlich war für die Betroffenen die Wirklichkeit des Krieges von der ästhetischen Dramatisierung des Stoffes weit entfernt (S. 224 u. 262).

Wichtig sind die Ausführungen des Autors zur Motivlage der Verfasser. Die war damals nicht anders als heute: "Die Entdeckung eines preußischen wie eines deutschen Vaterlandes als mögliche dichterische Themen werden von massiven Marktüberlegungen begleitet" (S. 209). Es ergab sich die Chance, sich als Dichter von vielbeachteten Zeitereignissen profilieren zu können. Hierbei ging es nicht nur um den Absatz der literarischen Produkte, sondern auch um den Fortgang der persönliche Karriere. Thomas Abbt, der Verfasser der Schrift "Vom Tode für das Vaterland" (1761), hoffte immer auf eine Verbesserung seiner beruflichen Position, Friedrich Karl von Moser, der Autor der Schrift "Von dem deutschen Nationalgeist" (1765), erhielt eine Anstellung im kaiserlichen Dienst.

Blitz Aussage, "eine 'territoriale Wirklichkeit' der deutschen Nation sucht man im 18. Jahrhundert vergeblich" (S. 16), ist in dieser Eindeutigkeit überzogen. Ebenso unzutreffend wie seine mehrfach geäußerte Feststellung, die Imagination eines geeinten und machtvollen deutschen Vaterlandes habe um 1765 den überkommenen Reichspatriotismus abgelöst, ist die Aussage, daß nach der Nationalgeistdebatte 'Reich' und 'Nation' endgültig auseinander getreten seien (S. 338). Hier ist Blitz ein Opfer der Auswahl seiner Quellen geworden. Hätte er auch die Reichspublizistik mit einbezogen, würde er beides bis zum Ende des Reiches gefunden haben. Die Reichsstaatsrechtslehre blieb bis zum Untergang des Reiches die Königsdisziplin der deutschen Universitäten. Das Ziel unzähliger Reichsreformprojekte war genau das geeinte, machtvolle deutsche Vaterland, das insbesondere vom Kaiserhof ab der Nationalgeistdebatte als nationaler, die Freiheit des Bürgertums garantierender Staat propagiert wurde. Hier findet sich der Grund, warum sich das Verlangen nach nationaler Einheit in Deutschland zwischen 1806 und 1871 als Sehnsucht nach einem neuen Reich artikulierte.

Eine besondere Leistung von Hans-Martin Blitz besteht darin, verdeutlicht zu haben, daß es unterschiedliche, ja unvereinbare Konzepte von Vaterland und Nation im Deutschland des 18. Jahrhundert gab, die aber dennoch etwas Gemeinsames hatten, nämlich den zunehmenden Wunsch nach Freiheit und Partizipation. Hierbei ist jedoch höchste Vorsicht angesagt. Man muß immer genau hinschauen, was gemeint ist. An eine revolutionäre Überwindung der bestehenden Verhältnisse dachten die Autoren in der Regel nicht.

Schön an dem angezeigten Buch ist neben dem klaren Aufbau die ungeschnörkelte deutliche Sprache. Störend wirken dagegen die häufigen Wiederholungen von Quellenzitaten, leider hat das Werk auch kein Register. Wenn auch einzelne inhaltliche Aspekte diskussionswürdig bleiben, so hat Hans-Martin Blitz doch einen wichtigen Forschungsbeitrag vorgelegt. Jeder, der wissen will, wie Nationalismus, und insbesondere seine deutsche Ausprägung entstanden ist, sollte dieses Buch lesen.

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