Titel
Sowjetische Präsenz im kulturellen Leben der SBZ und der frühen DDR. 1945-1953


Autor(en)
Hartmann, Anne; Eggeling, Wolfram
Reihe
Edition Bildung und Wissenschaft 7
Erschienen
Berlin 1998: Akademie Verlag
Anzahl Seiten
XII, 426 S.
Preis
€ 64,80
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Jan C. Behrends, Herder Institut Marburg

Der sowjetische Einfluss auf die ostmitteleuropäischen Nachkriegsgesellschaften endete bekanntlich nicht im Kernbereich des Politischen. Vielmehr war es ein zentrales Anliegen Moskaus, auch die kulturellen Angelegenheiten der anderen staatssozialistischen Diktaturen zu bestimmen. Von den sowjetischen Bemühungen, Einfluss auf das kulturelle Leben in der SBZ und in der frühen DDR zu gewinnen, handelt die vorliegende Studie von Anne Hartmann und Wolfram Eggeling. Einleitend lehnen die Verfasser zum Beschreiben des von ihnen untersuchten Gegenstandes explizit den Begriff "Sowjetisierung" ab und möchten alternativ von "sowjetischer Präsenz" im kulturellen Leben der SBZ/ DDR sprechen (S. 1f). Es ist jedoch fraglich, ob der statische Begriff "Präsenz" die Dynamik des sowjetischen Einflusses auf die "Volksdemokratien" und die DDR zu fassen vermag. Vielmehr ist es notwendig, den Transfer des sowjetischen Gesellschaftssystems als komplexen Prozess mit gegenseitigen Einflussnahmen zu beschreiben.

Zum Inhalt des Buches: Zu Beginn ihrer Darstellung schildern die Verfasser die kulturpolitische Situation in der Sowjetunion nach dem Kriege. Diese Epoche war 1946/47 vom Hunger und in den Jahren 1949-53 von einer erneuten Welle der Repression gekennzeichnet.1 Im folgenden Abschnitt über "Kalten Krieg und literarisches Leben" beschäftigt sich die Studie mit der seit 1947 von der Sowjetunion inszenierten "Weltfriedensbewegung", in der auch Schriftsteller (bspw. Fadeev und Erenburg) eine prominente Rolle spielten. Dieser Bewegung kam die Aufgabe zu, die Bevölkerung des eigenen Blocks und die internationale Öffentlichkeit für eine möglichst bedingungslose Unterstützung der sowjetischen Politik in der beginnenden globalen Systemauseinandersetzung zu gewinnen. Eng an deutschen und russischen Archivquellen arbeitend, zeigen die Autoren, wie die Friedenskampagne einerseits als Instrument der Massenmobilisierung diente, andererseits aber auch das Werk zahlreicher Schriftsteller in der SBZ/ DDR beeinflusste, die seit 1949 in grossem Umfang 'Friedenslyrik' produzierten. Über die Reaktion der Schriftsteller und der Bevölkerung der SBZ/ DDR auf die Friedenskampagne erfahren wir leider nur wenig.2

Interessant ist die Gegenüberstellung der sowjetischen Friedenskampagne mit den synchronen Bemühungen der CIA, mit Hilfe ehemaliger Kommunisten (der sog. "Renegaten" wie Köstler und Borkenau) und anderer antikommunistischer/ antitotalitärer Intellektueller im Westen eine Massenbasis für den Antikommunismus als Integrationsideologie im Kalten Krieg zu etablieren, ein Versuch, der besonders in Frankreich auf scharfen gesellschaftlichen Widerstand durch das prosowjetische intellektuelle Establishment stiess. Die Ablehnung des amerikanisch inspirierten Antikommunismus paarte sich dort auf eigentümliche Weise mit dem französischen Nationalismus. Dies gipfelte in der Aussage eines französischen Journalisten: "'Wer gegen die Sowjetunion aussagt, ist gegen Frankreich'" (S. 84). Leider wird die enge Verbindung des von der SED propagierten Nationalismus mit der Freundschaftsideologie für die DDR von den Autoren nicht herausgearbeitet (Dort lautete eine weitverbreitete Losung: "Jeder deutsche Patriot ist für die DSF").

In Kapitel 4 werden die einzelnen Kampagnen zur Implementierung eines sowjetischen way-of-life (Stachanov/ Hennecke etc.) in der SBZ/ DDR nacherzählt. Von hier wird der Bogen zur DDR-Belletristik geschlagen, wo zu dieser Zeit die ersten Stücke und Romane entstanden, die sich explizit an sowjetischen Vorbildern orientierten. Das anschliessende Kapitel mit dem Titel "Kulturtransfer" widmet sich den Bemühungen der sowjetischen Kulturoffiziere um die Einbeziehung der deutschen "Intelligenz" in ihr Projekt eines prosowjetischen Deutschland. Anhand der Arbeit des Kulturbundes und der Feuilletons in der SBZ/ DDR werden sowjetische Einflüsse auf die Kulturpolitik dargestellt. Kapitel 6 liefert eine Institutionengeschichte der "Gesellschaft für Deutsch-Sowjetische Freundschaft" (DSF) in der frühen DDR, ein Thema, zu dem Hartmann und Eggeling bereits eine Studie vorgelegt haben.3 Der von den Verfassern reklamierte "Wandel des Kulturbegriffs" in der Arbeit der DSF (S. 256ff.) führt allerdings in die Irre: die Aufgabe der DSF war von Beginn an die Verbreitung prosowjetischer Propaganda, man verwendete lediglich das Label "Kultur", um politische Inhalte zu transportieren, oder, anders ausgedrückt: in den staatssozialistischen Gesellschaften der stalinistischen Epoche gingen offizielle (Hoch-)Kultur und Propaganda oftmals eine so enge Symbiose ein, daß man nicht von zwei getrennten Bereichen sprechen kann. Nach 1949 erweiterte sich demnach nicht der Kulturbegriff der DSF, sondern die Zielgruppe der SED/ SMAD Propagandisten: ging es ihnen zunächst ab 1947 darum, die Sympathien der bürgerlichen Bevölkerung in der SBZ zu gewinnen, so war ab Sommer 1949 die Mobilisierung der gesamten Bevölkerung durch die Ideologie der "Freundschaft zur Sowjetunion" intendiert.

Im abschliessenden Kapitel über "Gegenseitige Wahrnehmung" stehen wieder die DDR-Schriftsteller und ihr Verhältnis zur Sowjetunion im Fokus der Untersuchung. Zur Begegnung sowjetischer Autoren mit ihren DDR-Kollegen präsentieren Hartmannn/ Eggeling interessantes Quellenmaterial. Die Abschnitte über die Begegnung deutscher und sowjetischer Autoren sind die originellsten Teile der Studie, zahlreiche Quellen zu diesem wichtigen Thema der Geschichte der SBZ/ DDR werden dargestellt, so etwa zu den Schriftstellertreffen, auf denen sich deutsche und sowjetische Intellektuelle in einem Schüler/ Lehrer Verhältnis begegneten.

An dieser Stelle soll kurz auf einige Defizite der Studie hingewiesen werden: Anstelle des thematisch strukturierten Aufbaus hätte eine chrononologische Behandlung der Thematik zu grösserer Übersichtlichkeit beigetragen. Der gesamten Darstellung mangelt es wiederholt an begrifflicher Schärfe. Es bleibt bspw. unklar, was die Autoren unter "öffentlich/ Öffentlichkeit" im Kontext staatssozialistischer Diktatur verstehen. Außerdem fliessen gelegentlich Begriffe aus der Quellensprache ungebrochen in den Text ein ("Friedensfront", "Antisowjetismus"etc.). Manche der analytischen Kategorien vermögen nicht zu überzeugen, etwa die Trennung zwischen "subjektiven und objektiven Ursachen der sowjetfeindlichen Stimmung" (S. 101ff.). Auch nach der Studie von Hartmann/ Eggeling bleibt eine kritische Arbeit zur Rolle der alsbald verklärten sowjetischen Kulturoffiziere ein Forschungsdesiderat. Das gilt auch fur die Erforschung des Stalinkults und die weitreichende Übernahme des sowjetischen Festtagskalenders in der DDR - beides Phänomene "sowjetischer Präsenz", die von Hartmann/ Eggeling nicht behandelt werden. Das unvermittelte Springen zwischen Parteipolitik, Methoden der Massenmobilisierung und Aussagen über den Literaturbetrieb in der SBZ/ DDR zeigt zwar die Breite des sowjetischen Einflusses auf die DDR-Gesellschaft, eine Beschränkung auf eine dichtere Analyse einzelner Bereiche - wie z.B. des Literaturbetriebs - hätte allerdings eine geschlosseneres Bild ergeben. Eine stärkere Fokussierung hätte es dann auch erlaubt, weitergehende Reflexionen über die für den Stalinismus charakteristische Verbindung von Propaganda und Hochkultur anzustellen. Hier hätte man noch pointierter die besondere Rolle der Schriftsteller im "Kalten Bürgerkrieg" herausarbeiten können.

Abschliessend bleibt festzuhalten, daß die Studie von Anne Hartmann und Wolfram Eggeling einen wichtigen Ausgangspunkt für eine weiterführende Forschung zum Verhältnis von Kultur und Propaganda im Kontext staatssozialistischer Diktaturen zu Beginn des Kalten Krieges bildet. Im Vergleich der DDR mit der Vorbildgesellschaft Sowjetunion und anderen ostmitteleuropäischen Transfergesellschaften sollte die Diskussion über "Sowjetisierung" bzw. sowjetischen Einfluss, der zu einer spezifischen Prägung dieser Gesellschaften geführt hat, fortgesetzt werden.

Anmerkungen:
1 Vgl. jetzt Elena Zubkova: Poslevoennoe Sovetskoe Obshchestva: Politika i Povsednevnost' 1945-53 (Seria Sotsil'naia Istoriia Rossii XX. Veka), Moskau 2000.
2 Dagegen kann Elena Zubkova in ihrer neuen Studie nachweisen, daß die Abteilung Agitation des ZK der KPdSU in der SU Probleme hatte, eine ungewollte gesellschaftliche Dynamik der Friedenskampagne zu kontrollieren, die entgegen der Absichten des Regimes zum Bekenntnis grosser Teile der Bevölkerung zum Pazifismus führte. Vgl. Zubkova, (Anm. 1), S. 127-135.
3 Anne Hartmann/ Wolfram Eggeling: Die Gesellschaft für Deutsch-Sowjetische Freundschaft. Zum Aufbau einer Institution in der SBZ/ DDR zwischen deutschen Politzwängen und sowjetischer Steuerung, Berlin 1992.

Redaktion
Veröffentlicht am
Redaktionell betreut durch
Klassifikation
Epoche(n)
Region(en)
Mehr zum Buch
Inhalte und Rezensionen
Verfügbarkeit
Weitere Informationen
Sprache der Publikation
Sprache der Rezension