C. W. Schäfer: André Francois-Poncet als Botschafter in Berlin

Titel
André Francois-Poncet als Botschafter in Berlin (1931-1938).


Autor(en)
Schäfer, Claus W.
Reihe
Pariser Historische Studien 64
Erschienen
München 2004: Oldenbourg Verlag
Anzahl Seiten
382 S.
Preis
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Marie-Benedicte Vincent, Vincent Universität Blaise-Pascal zu Clermont-Ferrand Email:

War André François-Poncet (1887-1978) der «falsche Mann zur falschen Zeit am falschen Ort», wie Claus W. Schäfer am Ende seines dem französischen Botschafter in Deutschland zwischen September 1931 und Oktober 1938 gewidmeten Buches behauptet (S. 324)? Dieses strenge Urteil hat wenigstens den Vorteil, die Debatte über diese unumgängliche Figur der deutsch-französichen Beziehungen in der Zwischenkriegszeit – durch seine Souvenirs d’une Ambassade à Berlin (1946) bekannt – wieder aufzugreifen.

Schäfer stützt sich in dieser politischen Teilbiografie auf bisher ungenutzte Depeschen des diplomatischen Archivzentrums zu Nantes, deren Auszüge (auf französisch im Text wiedergegeben) die Art und Weise veranschaulichen, wie André François-Poncet die Entwicklung in Deutschland und die Außenpolitik Frankreichs beeinflusst hat. War er dabei ein „advocat of appeasement“ oder einer der selten Anhänger der Entschlossenheit gegenüber Hitler – Auffassungen, die beide in der bisherigen Literatur vertreten werden? André François-Poncet scheint zwischen beiden Haltungen zu schwanken. Wenn er Frankreich und England zu einer energischen Reaktion auf Hitlers Gewaltstreiche auffordert, verteidigt er doch bis zum Ende das Konzept einer Verständigung mit Deutschland, um den Frieden in Europa zu bewahren.

Um diese Zweideutigkeit verständlich zu machen, bedient sich Schäfer einer kognitiven Methode und analysiert, wie François-Poncet das Deutschland der 1930er-Jahre nach einem vor dem Ersten Weltkrieg entwickelten Denkschema wahrgenommen hat. In dieser Perspektive wird seine Ausbildung auf der Ecole Normale Supérieure zu Paris erwähnt, wo der Germanist 1907/08 über Goethes Wahlverwandschaften arbeitet und unter dem Einfluss Charles Andlers (des bekannten Spezialisten des Pangermanismus) 1911 den Militarismus des Wilhelminischen Deutschlands denunziert. Dabei entwickelt er ein Doppelbild Deutschlands: das eine der Kultur und das andere «qui marche à la remorque de la Prusse et sacrifie aux idoles païennes de la force, de la guerre de l’orgueil de la race et de la volonté de puissance» (Ce que pense la jeunesse allemande, 1913). Aus dieser Dichotomie ergeben sich nach François-Poncet zwei Optionen für Frankreich: entweder die Kooperation oder die Konfrontation mit Deutschland. Der Botschafter wird von einem zum anderen übergehen.

Als er im September 1931 zum Botschafter in Berlin ernannt wird, hat er die Aufgabe, eine Politik der wirtschaftlichen Verständigung mit Deutschland zu vertreten. In den 1920er-Jahren war er als „républicain moderne“ bekannt, der die Staatsautorität nach aussen betonte, wie Hans Manfred Bocks in einer neuen Publikation erklärt.1 François-Poncet wollte seine nach dem Scheitern der Ruhrbesetzung (an der er als Experte für Reparationen teilgenommen hat) entwickelten Vorschläge in die Praxis umsetzen. Vor allem engagierte er sich seit der Weltwirtschaftskonferenz von Genua, 1931, für das Projekt einer deutsch-französischen Wirtschaftskommission, die Deutschland aus der Krise herausholen sollte, so dass es in der Lage sein würde, seine Schulden zu zahlen. Das nationalistische Klima in Deutschland erschwerte aber die Handlungsmöglichkeiten des Kanzlers Brüning erheblich, und das ungelöste Problem der Reparationen verstärkte die deutsch-französische Auseinandersetzungen. Im Sommer 1932 wurde klar, dass dieses Projekt einer gemeinsamen Wirtschaftskommission gescheitert war.

André François-Poncet wandte sich nun einem anderen Terrain zu und plädierte im Herbst 1932 für eine militärische Verständigung zwischen Deutschland und Frankreich, die auf einer kontrollierten Aufrüstung Deutschlands basieren sollte, einer Aufrüstung, die mit dem Sicherheitsbedürfnis Frankreichs vereinbar wäre.

Erstaunlicherweise modifizierte François-Poncet dieses Projekt nach der Machtergreifung Hitlers nicht, trotz seiner Unruhe im Hinblick auf die Zukunft. Erst nach der Wende des Jahres 1935, das die für Deutschland erfolgreiche Volksabstimmung im Saarland und die Wiedereinführung der Wehrpflicht brachte, änderte François-Poncet seine Politik und arbeitete an der Bildung der anti-deutschen Stresa-Front. Als sich aber England und Italien später wieder davon distanzierten, kehrte er im November 1935 zu seiner Verständigungspolitik gegenüber Deutschland zurück. Er zielte auf ein multilaterales System kollektiver Sicherheit in Europa, dem gegenüber Deutschland zu einer klaren Stellungnahme gezwungen wäre. Überzeugt davon, dass die Konfrontation mit Hitler am Ende unausweichlich sei, spielte dabei François-Poncet die Karte der Kooperation, um die moralische Verantwortung des kommenden Krieges Deutschland zuweisen zu können. Ausserdem wollte er auch Zeit für die Aufrüstung Frankreichs gewinnen. Dieses Schema bildet den Schlüssel für seine Deutschlandpolitik bis zur Münchener Konferenz 1938.

Wenn auch die Kohärenz dieser Politik François-Poncets zu betonen ist, muss aber doch ihre Umsetzung in die Praxis stark relativiert werden. Der Botschafter hat nämlich während seiner Amtszeit in Berlin nicht immer Gehör in Paris gefunden. Anfang der 1930er-Jahre verfügte er zwar über persönliche Verbindungen zu den rechtsstehenden Aussenministern. Unter der Volksfront – seit 1936 – gab es aber keine entsprechenden persönlichen Beziehungen mehr. François-Poncet hatte keinen guten Kontakt zu Alexis Leger, dem Generalsekretär des Aussenministeriums seit 1933. Sein einziger Freund am Quai d’Orsay war sein Studienfreund René Massigli.

Übrigens hat François-Poncet nie irgendeinen Einfluss auf Hitler ausgeübt. Wenn der Botschafter hellsichtig erkannte, dass die nationalsozialistische Politik zum Krieg führen musste, war er gegenüber Hitler persönlich viel weniger scharfsinnig. Man sieht es klar in der Erzählung seiner ersten Begegnung mit dem Führer anlässlich eines offiziellen Empfangs des diplomatischen Korps am 9. Februar 1933 (eines der sieben Dokumente im Anhang): François-Poncet vergleicht Hitler mit einem „Mussolini de village“, der leicht manipulierbar scheint. Mit diesem kolossalen Irrtum schließt sich der Botschafter deutschen Konservativen an, die glaubten, Hitler im Kabinett vom 30. Januar 1933 beeinflussen zu können. In den folgenden Jahren nimmt François-Poncet den besonderen Charakter des Nationalsozialismus nicht wahr, wenn er ihn mit dem übersteigerten Nationalismus des Wilhelminischen Deutschlands vergleicht. Hitler wäre eine Art „empereur plébien“ wiederholt er mehrmals. Die schlimme Unterschätzung Hitlers durch einen der besten Deutschlandexperten seiner Zeit bildet einen der interessantesten Aspekte dieses Buches.

Wenn auch das Interesse am Gegenstand des Buches nicht in Frage zu stellen ist, so muss sich die Kritik doch auf dessen Behandlung in der sehr klassischen Form der Biografie beziehen. Trotz der in der Einleitung angekündigten Anwendung einer kognitiven Methode bleibt Schäfer in den Grenzen der sehr traditionellen diplomatischen Geschichte. Die Lektüre erweist sich insoweit als enttäuschend.

Außerdem hätte der Leser gerne mehr über die Arbeitsgewohnheiten von François-Poncet erfahren, über seine Kontakte in Deutschland und sein Netzwerk in Berlin und im Allgemeinen über das Leben der französischen Botschaft. In einem Wort: die Sozialgeschichte hätte die diplomatische Geschichte bereichern können.

Anmerkung:
1 Bock, Hans-Manfred, De la ‘République moderne’ à la Révolution nationale. L’itinéraire intellectuel d’André François-Poncet entre 1913 et 1943, in: Betz, Albrecht; Martens, Stefan (Hgg.), Les intellectuels et l’Occupation. Collaborer, partir, résister, 1940-1944, Paris 2004, S. 106-148.

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