A. Hartmann: Von Regensburg nach Hamburg

Titel
Von Regensburg nach Hamburg. Die diplomatischen Beziehungen zwischen dem französischen König und dem Kaiser vom Regensburger Vertrag (13. Oktober 1630) bis zum Hamburger Präliminarfrieden (25. Dezember 1641)


Autor(en)
Hartmann, Anja Victorine
Reihe
Schriftenr. d. Ver. z. Erforsch. d. Neueren Gesch. 27
Erschienen
Münster 1998: Aschendorff Verlag
Anzahl Seiten
529 S.
Preis
€ 92,10
Wolfgang Burgdorf, Historisches Seminar, Ludwig-Maximilians-Universität

Dem befriedenden und - angesichts seines relativen Erfolges und der langen Dauer seines Bestandes - auch in mehrfacher Hinsicht befriedigenden Ereignis vom 24. September 1648, dem Westfälischen Frieden, ging ein langes intensives Vorspiel voraus: Jahrelang wurde verhandelt, bis der sehnsüchtige Wunsch vieler Menschen in Erfüllung ging und der Frieden errungen war. Das ist bekannt. Weniger bekannt war bislang, daß - wie es eigentlich auch natürlich ist - das Präludium wiederum eine Vorgeschichte hatte, die nicht minder lange währte. Über sie kann man sich nun, dank der in Marburg, bei Klaus Malettke entstanden Dissertation von Anja Victorine Hartmann sehr gründlich informieren. Sie - die Vorgeschichte - umfaßte, wie der Untertitel des anzuzeigenden Werkes mitteilt, den Zeitraum vom nicht ratifizierten Regensburger Vertrag zwischen dem Kaiser und dem französischen König vom 13. Oktober 1630 bis zu ihrem Hamburger Präliminarfrieden vom 25. Dezember 1641, der den Rahmen für den folgenden europäischen Friedenskongreß absteckte.

Als Begründung für den zeitlichen Rahmen führt die Verfasserin in ihrer eigenen Einleitung neben dem üblichen Desiderat der Forschung insbesondere die günstige Akten- und Editionslage an. Methodisch beruht die Arbeit hauptsächlich auf einer textimmanenten Analyse der jeweiligen Instruktionen, Anweisungen und Berichte an bzw. von den drei verschiedenen Typen von Unterhändlern, den ständigen Residenten, den außerordentlichen Gesandten und Bevollmächtigten sowie den Vermittlern dritter Mächte, insbesondere der römischen Kurie, Venedigs, Florenz’ und Dänemarks. Sie haben in dem behandelten Zeitraum um den Frieden und - wie sie vorgaben, zugunsten eines besseren Friedens - teilweise auch um die Verlängerung des Krieges gerungen. Es geht um das spannende, interessante „Maskenspiel aus Perzeptionen und Rezeptionen, Legitimationen und Inkriminationen“, welches die diplomatischen Aktionen von allen Seiten begleitete.

Der Aufbau der in 24 Kapitel gegliederten Arbeit ist klassisch chronologisch gehalten, von Verhandlungsort zu Unterhandlungsort, immer wieder Paris und Wien, aber auch Regensburg, Cherasco in Italien, Rom, Köln, Nürnberg und schließlich Hamburg, von Gesandtschaft zu Gesandtschaft, deren Personal aufzuzählen den Rahmen der Rezension erschöpfen würde. Überhaupt ist die Arbeit von einem beeindruckenden Detailreichtum. Man fragt sich unweigerlich, ob man alle diese Details wissen will und kennen muß, aber dafür hat man hier eine der so oft eingeforderten „dichten Darstellungen“ - zumindest, was die Diplomatiegeschichte anbelangt. Zudem finden sich auch erfrischend deutliche Urteile und Stellungnahmen, zum Beispiel (12): „Ferdinand II. war der Kaiser des Restitutionsediktes (1629) und des Prager Friedens (1635)“. Da der Prager Frieden in der Folge nicht, wie in der älteren Forschungsliteratur, als Versuch zur Durchsetzung eines angeblichen „Reichsabsolutismus“, sondern als Versuch einer auf einem Interessenausgleich auch mit den protestantischen Reichsständen gegründeten Befriedung des Reiches, zur Befreiung des Imperiums von fremden Armeen und auswärtiger politischer Manipulation gedeutet wird, wird die Person Ferdinands II. mit diesem kurzen Satz durchaus differenziert gewürdigt. Andere Personen gaben Anlaß zu eindeutigeren Urteilen: Der kaiserliche Gesandte Schwarzenberg war ein „ungeeigneter Diplomat“, der französische Vertreter d’Avaux hingegen ein „geschickter Unterhändler“ (500).

Weitere Urteile der Autorin fordern zur Diskussion auf. Ist die französische Außenpolitik unter dem Kardinalminister Richelieu wirklich als „vorwiegend defensiv“ zu charakterisieren? Waren doch mit der Eroberung von La Rochelle im Oktober 1628 erstmals seit langer Zeit wieder Voraussetzungen für eine aktive französische Außenpolitik gegeben, die nicht vorrangig von Erfordernissen der Innenpolitik bestimmt wurde. Darüber hinaus betont die Verfasserin, der „Erwerb von Passagen und die Einrichtung von Protektionen, die den französischen Truppen als Einfallstore in benachbarte Herrschaftsgebiete“ wie zur Unterbindung der sogenannten „spanischen Straße“ dienen sollten, sei ein kontinuierlicher Faktor der französischen Politik nach 1630 gewesen. Zu allen Zeiten werden die Errichtung von Schutzzonen jenseits der eigenen Grenze, auf fremdem Staatsgebiet, als Verteidigungsmaßnahme deklariert. Die Betroffenen einer solch aktiven Verteidigung sehen dies in der Regel anders. Fraglich scheint auch, ob „die ausführlichen rechtlichen, moralischen und theologischen Erwägungen“, mit denen Richelieu die außenpolitischen Aktivitäten der französischen Krone begleitete oder begleiten ließ, deren Interpretation als „skrupellose machiavellistische Machtpolitik unhaltbar“ werden lassen (11). Vielleicht reicht es ja, wenn man die perhorreszierenden Begriffe „skrupellos“ und „machiavellistisch“ fallen läßt. Offensichtlich gibt es bei der Verfasserin einen leichten Hang zur Frankophilie, zumindest wird auch der französische König, wie im Titel, so im Text, gewöhnlich protokollwidrig vor dem Kaiser genannt.

Auffällig ist, daß neben der Entwicklung auf den Kriegsschauplätzen, jenseits der diplomatischen Aktivitäten, keine weiteren Faktoren oder Prozesse thematisiert wurden, die letztlich doch wesentlich zur Friedensbereitschaft beitrugen: Pestzüge, Hungersnot, Entvölkerung, teilweiser Zusammenbruch der Wirtschaftstätigkeit, des Kreditsystems, die Veränderung der Mentalitäten. Auch die Tatsache, daß der Dreißigjährige Krieg sowie die langjährigen, ihn begleitenden und beendenden Friedensverhandlungen, neben vielen anderen, die entscheidenden frühneuzeitlichen Auseinandersetzungen um die Gestalt der deutschen Reichsverfassung darstellten, wird kaum thematisiert.

Aber es ist ein grundsätzliches Ärgernis, daß die Rezensenten in der Regel meinen, die Verfasserin hätte lieber ein anderes Buch geschrieben. Hier ist dies nicht angebracht, da das, was geboten wird, in seiner gelungenen Art weit befriedigender ist, als wenn auf den verschiedenen angesprochenen Gebieten, die zuletzt im Zuge der jüngsten jahrestäglich bedingten Konjunktur der Forschung teilweise bereits bearbeitet sind, dilettiert worden wäre.

Unter all dem, was man aus der vorliegenden Arbeit lernen kann, erscheint eines besonders heraushebenswert, ein epochaler Einschnitt in der Entwicklung des Völkerrechts und der Geschichte der Diplomatie. Noch im Spätsommer 1635 plädierte der spätere Kaiser Ferdinand III., im Zusammenhang mit einer geplanten Diversion nach Frankreich, für die Beibehaltung des französischen Residenten am kaiserlichen Hof. Zur Begründung führte er an, man habe bislang stets auch in Kriegszeiten die gegenseitigen Residenten am Hofe gehabt, da sie oft die Friedensverhandlungen erleichterten und beschleunigen könnten (237). Doch wie bereits die Diskussion am Ferdinandinischen Hof offenbarte, war dieses Herkommen nicht mehr unangefochten. Bereits wenig später zeigten sich die weniger pragmatischen Gebräuche der neuen Zeit. Mitte November 1635 wurde der Vertreter des kaiserlichen Residenten in Paris wochenlang inhaftiert, worauf Ende März 1636 die Ausweisung des französischen Geschäftsträgers aus Wien erfolgte. Eine Entwicklung des Völkerrechts, die man unter dem Aspekt der Äußerung Ferdinands III. nur bedauern kann.

Bemerkenswert ist auch, daß, obwohl es letztendlich 1648 zwischen dem Kaiser und dem französischen König zu einem Friedensschluß kam, der Krieg zuvor offiziell nie erklärt worden war. Obwohl der kaiserliche Geschäftsträger in Paris Mitte August 1635 konstatierte, der Krieg mit Frankreich sei „allen Ansehen nach für offen und erklärt zu halten“ (235), kam es auch nach dem Einrücken französischer Armeen ins Reich und obwohl kaiserliche Truppen 1636 fast Paris erreicht hätten, nicht zu einer Kriegserklärung. Offenbar reichte der von beiden Seiten betriebene große Legitimationsaufwand angesichts von Häresie und Türkengefahr nicht zur Begründung eines offenen Krieges zwischen den beiden katholischen Vormächten aus. Ob man daraus jedoch folgern kann, in den elf Jahren zwischen den beiden im Titel genannten Eckverträgen, „blieb das Verhältnis zwischen Paris und Wien unbestimmt in der Schwebe zwischen Feindschaft und Freundschaft“, sei dahingestellt.

In Anbetracht des umfänglichen Buches ist die Kürze der Zusammenfassung von fünfeinhalb Seiten etwas überraschend. Drei Aspekte werden hier hervorgehoben. Zunächst verlor in den bilateralen Verhandlungen der Bezug auf Spanien an Bedeutung, während die Orientierung an den Interessen Schwedens zunehmend Bedeutung gewann. Zweitens hing der Verlauf der Unterhandlung ganz „wesentlich von den Fähigkeiten der jeweiligen Unterhändler ab“ und drittens war „die Bewahrung der eigenen Reputation“ der drei in diesem Zeitraum beteiligten Monarchen, also Kaiser Ferdinand II., Ferdinand III. und auf der anderen Seite Ludwig XIII. insbesondere auch gegenüber ihren Verbündeten die „oberste Linie in allen politischen Entscheidungen“.

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