A. Klein: Zum Verhältnis von Ausstellung und Wirklichkeit

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Titel
EXPOSITUM. Zum Verhältnis von Ausstellung und Wirklichkeit


Autor(en)
Klein, Alexander
Reihe
Kultur- und Museumsmanagement
Anzahl Seiten
217 S.
Preis
€ 24,00
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Silke Bellanger, Freiburg

Am Ende des Buches „Expositum. Zum Verhältnis von Ausstellung und Wirklichkeit“ befindet sich ein bebilderter Anhang, der wie eine zwischen Buchseiten gepackte kleine Ausstellung der Objekte wirkt, die Alexander Klein zur Reflexion dienten. Den 15 Bildern sind Begleittexte beigefügt, die die Aufmerksamkeit auf die vielfältige bis ambivalente Verweisungsqualität von Ausstellungsobjekten lenken. „Ceci n’est pas une sandale.“ (S. 180) lautet die Bildunterschrift eines Fotos einer hoch geschnürten Sandale, die etwas ramponiert wirkt. Eine Überschrift, die sowohl auf das Bild wie auf den Begleittext bezogen ist, spezifiziert das Objekt als „Römische Sandale, Römisch Germanisches Zentralmuseum, Mainz“. Im Begleittext beschreibt Klein, dass diese Sandale zunächst ein alltäglicher Gegenstand war, dann Abfall wurde, sich mit dem Auftritt in der Ausstellung in eine kostbare Rarität verwandelte und damit die „klassische“ Biografie eines musealen Gegenstandes durchlief. Zugleich hält er fest, dass einzelne Dinge wie diese Sandale zum Symbol historisch-gesellschaftlicher Zusammenhänge oder - in Anlehnung an Heidegger - gar zu einer Verkörperung des Dinges, des Schuhs an sich, werden können.

Diesem verzwickten Verhältnis von Sprache, Bild und materiellem Gegenstand, das mit dem Verweis auf René Magrittes berühmtes Kunstwerk nahe gelegt wird, geht Klein in seinem Buch jedoch nur am Rande nach.

Der Sozialhistoriker und Ausstellungsmacher unternimmt in seiner Abhandlung vielmehr den Versuch, Typologien von materiellen Dingen und musealen Handlungsweisen wie Sammeln, Ausstellen und Zeigen zu bestimmen. Das Buch erscheint in der Reihe „Kultur- und Museumsmanagement“ des transcript-Verlages, die sowohl praxisorientierte Handbücher als auch museologische Arbeiten umfasst. Kleins Arbeit positioniert sich erklärtermaßen zwischen diesen Ausrichtungen. Er möchte sein Buch als eine Verbindung von Theorie und Praxis verstanden wissen. Sein zentrales Anliegen ist es, „die musealen Fundamentalakte des Sammelns und Ausstellens aus elementaren Wurzeln menschlichen Handelns abzuleiten“ (S. 11). Aus dieser Bestimmung wünscht er sich, Potential zur erneuten Identifikation und Legitimation des Ausstellungs- und Museumswesens gewinnen zu können. Dieses Anliegen begründet er mit den Diagnosen der gesellschaftlichen Gegenwart und des Zustands des Ausstellungs- und Museumswesen: Zum einen verzeichnet er eine „Allgegenwart von Ausgestelltem“, die es notwendig macht, die Differenz bzw. das Verhältnis von Wirklichkeit, Realität und Ausstellung erneut zu beleuchten. Zum anderen sieht er das Ausstellungs- und Museumswesen mit Orientierungsproblemen konfrontiert, die sowohl durch diesen Prozess der Musealisierung als auch durch eine sich vermischende Bildungs- und Freizeitlandschaft bedingt sind. Angesichts dessen scheint ihm eine Rückbesinnung auf die fundamentalen Aspekte des Ausstellens und Sammelns sinnvoll.

Damit knüpft Klein an Diskussionen über die Musealisierung der Welt an, wendet sich aber gegen poststrukturalistische, konstruktivistische Stimmen dieser Debatten, die die zunehmende Historisierung von Gesellschaft und Kultur kritisierten. Vielmehr sucht er, das Ausstellungswesens auf der Grundlage von historischen und anthropologischen Argumenten zu begründen. Dabei bezieht er sich auf vertraute museumsbezogene Fachliteratur, ohne historische, philosophische und anthropologische Arbeiten heranzuziehen, die über die in Museumszusammenhängen Bekannten von z.B. Walter Benjamin und Martin Heidegger, hinausgehen. Gegenstand seiner Betrachtung sind „wissenschaftliche Museen“, worunter er historische und naturwissenschaftlich-technische Museen subsumiert, die er gegenüber künstlerisch-ästhetischen Museen abgrenzt.

Das Buch gliedert sich in folgende Kapitel: Im ersten entwirft Klein eine Typologie materieller Dinge, es folgt eine Bestimmung von Zeigen und Sammeln, ein Kapitel zu den Fundamentalkategorien des Exponats – Echtheit und Interaktivität – und eines zu den Charakteristika des Ausstellens. Einleitend legt Klein seinen Überlegungen folgende Definition von Realität und Wirklichkeit zu Grunde, deren Unterscheidung durch ein wahrnehmendes Subjekt markiert ist: Realität fasst er als eine unzugängliche, subjektunabhängige materielle Basis der Wirklichkeit, die zugleich die Voraussetzung dafür ist, dass Wirklichkeit in der Erfahrung des wahrnehmenden Subjektes entstehen kann. Durch eine subjektiv erfahrene und kulturell geprägte Brechung vermittelt, wird Realität zur Wirklichkeit. Mehr noch als das wahrnehmende Subjekt – dessen wirklichkeitskonstituierende Dimension wird angeführt, jedoch nicht weiter behandelt - sind die materiellen Dinge die entscheidende Instanz für die Art und Weise, wie Wirklichkeit in Ausstellungen aktualisiert wird.

Dabei unterscheidet Klein vorrangig zwei Typen von materiellen Dingen: das Zeug und den Gegenstand. Das Zeug geht ohne Bedeutung, ohne begriffliche Erfassung und Distanz zum Subjekt im alltäglichen Handeln auf. Das Zeug wird jedoch zum Gegenstand, wenn der selbstverständliche Umgang mit dem Zeug unterbrochen wird, sei es durch die Reflexionen des Subjektes, oder dadurch, dass das Zeug auffällig wird, indem es z.B. kaputt geht und damit den Handlungsvollzug stört. In Anlehnung an Baudrillard argumentiert Klein in der Folge mit einem Gegenstand, der durch den Prozess der Musealisierung entstanden ist: dem Alten Objekt. Wie bei allen Gegenständen, bedingen auch beim Alten Objekt Form, Inhalt und Materialität welche Verweisungszusammenhänge mit dem Objekt eröffnet werden. Und wie bei allen anderen Gegenständen erschließen sich diese Verweisungszusammenhänge nur der subjektiven Wahrnehmung. Doch bei dem Alten Objekt tritt die Besonderheit hinzu, dass es auf einen vergangenen Entstehungs- und Nutzungszusammenhang verweist, der für die subjektive Erfahrung partiell unverfügbar bleibt. Diese Eigenschaft der Unverfügbarkeit bedingt, dass MuseumsbesucherInnen sich ihm nie gänzlich nähern können. Dadurch ermöglichen Alte Objekte, eine verstehende Reflexion, die laut Klein immer Distanz voraussetzt. Auf diese Beschaffenheit des Alten Objektes und auf die Formen von Beziehungen, die zwischen wahrnehmenden BesucherInnen und ausgestellten Objekten möglich werden, rekurriert Klein fortlaufend. Anhand dieser Konstellation betrachtet er andere Exponattypen und mit ihrer Hilfe fächert er abschließend die Wirklichkeit von Ausstellungen dreifach auf: „ [D]ie Wirklichkeit, die sie kraft ihrer erscheinenden Materialität selbst ist, die Wirklichkeit, die sie kraft ihrer Bedeutung ist, und die Referenzwirklichkeit auf die verweist. Das Alte Objekt ist ein Punkt, wo sich diese drei Ebenen besonders nahe kommen.“(S. 165) Damit stellen Ausstellungen nach Klein keine gewesenen Zustände wieder her, sondern schaffen Wirklichkeiten in besonderer Art und aus eigenem Recht.

Der definitorisch gestalteten Abhandlung dieser Kapitel folgt ein historischer Abriss zu Sammeln und Ausstellen, der der Trennung dieser beiden Aspekte des Ausstellungs- und Museumswesens nachgeht und dabei der aktuellen historischen Differenzierung der Geschichte des Museums- und Ausstellungswesens folgt. Der Teil bleibt gegenüber dem Vorhergegangenen eher unverbunden stehen. Denn Klein legt nicht weiter dar, wie seine geleistete Typologisierung von Dingen und musealen Handlungsweisen eine andere Perspektive auf das historische und zeitgenössische Ausstellungswesen möglich macht.

Damit ist eines der Probleme von Kleins Buch angesprochen. Das Anliegen, das Buch zwischen Theorie und Praxis anzusiedeln führt zu Unklarheit, wie auf der Grundlage seiner Überlegungen, die in vielerlei Hinsicht anregend sind, theoretisch und praktisch weiter zu verfahren ist. Für eine analytische Annäherung an das historische und soziale Phänomen Ausstellungs- und Museumswesen gehen die theoretischen Ausführungen zu wenig den jeweiligen Problemstellungen nach, die mit den verschiedenen theoretischen Ansatzpunkten verbunden sind. Insbesondere das mehrfach angesprochene Verhältnis zwischen materiellem Ding, Zeichen, Bild und Handeln, hätte eine Thematisierung verdient, die über die Konstatierung hinausgeht, dass in Ausstellungen Objekte in Verbindung mit den jeweiligen räumlichen, dinglichen, sprachlichen, subjektiven und handelnden Einbindungen, unterschiedliche Verweisungszusammenhänge eröffnen.

Zwar benennt Klein eingangs das Interesse, zu überdenken, ob zeichentheoretische Überlegungen ohne weiteres auf materielle Dinge angewandt werden können. In der Folge bezieht er sich aber ohne weitere Problematisierung auf museologische Ansätze, die in einer zeichentheoretischen Tradition stehen. Da aktuelle Debatten über Dinge und Ausstellungen genau um diese Problemlage kreisen, wäre es mehr als interessant gewesen, diese eingangs geäußerte Skepsis im Verlauf des Buches thematisiert zu sehen. Die an einer musealen Praxis bestehender Einrichtungen orientierten Passagen behalten demgegenüber weitestgehend einen illustrativen Charakter, der erst in dem bebilderten Anhang aufgebrochen wird. Erst hier kommt Alexander Klein seinem abschließend formulierten Appell nach, man solle sich im aktuellen Ausstellungs- und Museumswesen der Eigenschaften der Dinge erneut zuwenden, sie ernst nehmen und sich ihnen mittels einer, die gegenständliche Eigenständigkeit der Dinge respektierenden Betrachtung annähern. Die Möglichkeit früher in solch eine, zwischen den Buchseiten eröffnete Ausstellung treten und dort länger verweilen zu können, wäre wünschenswert gewesen.

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