HIS (Hg.): Verbrechen der Wehrmacht DVD-ROM

Cover
Titel
Verbrechen der Wehrmacht. Dimensionen des Vernichtungskrieges 1941 - 1944


Herausgeber
Hamburger Institut für Sozialforschung
Erschienen
Anzahl Seiten
DVD-ROM für Windows ab 98
Preis
€ 48,00
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Dierk Spreen, Institut Soziologie, Universität Paderborn

1999 bescheinigte eine vom Leiter des Hamburger Instituts für Sozialforschung Jan Philipp Reemtsma einberufene Expertenkommission der von eben diesem Institut ausgerichteten „Wehrmachtsausstellung“ sachliche Fehler und eine stellenweise pauschale Argumentation. Sie empfahl eine gründliche Überarbeitung oder sogar Neukonzeption der Wanderausstellung. Den Machern der Ausstellung ist von Anfang an bekannt gewesen, dass die Beteiligung der Wehrmacht an Verbrechen des NS-Regimes in der deutschen Öffentlichkeit ein Reizthema darstellt und so verwundert es auch noch im Nachhinein, dass der Versuch, diese Beteiligung durch eine Ausstellung endlich zu thematisieren und den Mythos der ‚reinen Wehrmacht‘ zu dekonstruieren, handwerkliche Fehler aufwies. 2001 wurde die neue Ausstellung „Verbrechen der Wehrmacht. Dimensionen des Vernichtungskrieges 1941-1944“ in Berlin eröffnet, wobei die Ratschläge der Kommission beherzigt wurden. Das Hamburger Institut für Sozialforschung hat nun eine diese zweite Ausstellung gut zusammenfassende und darstellende DVD-ROM herausgegeben. Diese DVD ist sowohl für die vertiefende Nacharbeitung der Ausstellung als auch für einen schnellen Überblick konzipiert.

Mit dem ‚Kriegsgerichtsbarkeitserlass‘ vom 13. Mai 1941 und dem ‚Kommissarbefehl‘ vom 6. Juni 1941 wurden die Weichen für die deutschen Kriegsverbrechen im Krieg gegen die Sowjetunion (SU) gestellt. Die SU sollte nicht nur erobert und besiegt, sondern das „System des ‚jüdischen Bolschewismus‘“ restlos beseitigt werden. Der Bolschewismus galt dieser ideologischen Kriegführung als „Feind schlechthin“. Schon vor dem Krieg legte Hitler fest, dass im Falle eines Krieges im Osten das internationale Kriegsvölkerrecht nicht maßgeblich sei. Damit verabschiedete sich das Deutsche Reich von den vertraglichen Bindungen der Haager Landkriegsordnung (1907) und des Genfer Abkommens (1929). Auch an völkergewohnheitsrechtliche Regelungen, die die Kriegführung betrafen, gedachte die Reichsregierung sich beim Krieg gegen die SU nicht zu halten. Nach dem Angriff auf die SU am 22. Juni 1941 erhielten die Einsatzgruppen der Sicherheitspolizei und des SD unter Zustimmung des OKH auch im militärischen Bereich Exekutivrechte gegenüber der Zivilbevölkerung. Es ist klar, dass das Wirken politisch-ideologischer Exekutivorgane in besetzten und militärisch verwalteten Gebieten eine Radikalisierung der Gewalt gegen Zivilisten oder Kriegsgefangene zur Folge hatte. Mit diesen Regelungen waren die unmittelbaren Voraussetzungen für einen „beispiellosen Rassen- und Vernichtungskrieg“ geschaffen worden.

Die Ausstellung weist nachdrücklich darauf hin, dass diese Voraussetzungen die Wehrmacht „flächendeckend und systematisch“ in den ideologisch geforderten Vernichtungskrieg und die damit verbundenen Verbrechen einband. So waren Wehrmachtsstellen für die Erfassung, Kennzeichnung und Ghettoisierung der jüdischen Bevölkerung verantwortlich, solange das Gebiet unter militärischer Verwaltung stand. Sie leitete administrative und organisatorische Unterstützung von Erschießungen, die von Einsatzgruppen der Sicherheitspolizei, Verbänden des SD und der höheren SS- und Polizeiführer durchgeführt wurden. Darüber hinaus waren Wehrmachtsangehörige aber auch direkt an Exekutionen beteiligt. Das Massensterben von 3,3 Millionen sowjetischen Kriegsgefangenen hatte die Wehrmacht allein zu verantworten. Sie war nicht nur an der Deportation ziviler sowjetischer Arbeitskräfte ins Reich beteiligt, sondern im Zuge der Versorgungsprobleme ab Ende 1941 kam es auch zu verschärften völkerrechtswidrigen Plünderungen und Requirierungen durch die Wehrmacht, die ganze Hungergebiete erzeugten und insbesondere in Weißrussland einen verstärkten Zulauf zur Partisanenbewegung zur Folge hatten. Auf diese wiederum reagierte die Wehrmacht nicht nur in Russland, sondern auch in Serbien und Griechenland mit Terror gegen die Zivilbevölkerung.

Dennoch zeigt sich, dass Wehrmachtsangehörige der Macht des politisch-ideologischen Befehls nicht völlig ausgeliefert waren. Der Befehl, so die Argumentation der Ausstellung, ist im Wesentlichen als Auftrag zu verstehen, dessen Ausführung dem Befehlsempfänger obliegt. Der Befehl ist ein „Auftrag, der zum Handeln ermächtigt“. Dabei zeigen sich aber ganz unterschiedliche Reaktionsweisen auf ein und denselben Befehl. Demonstriert wird dies am Beispiel der Geschichte des I. Bataillon des 691. Infanterieregiments. Die drei Kompanieführer dieses Bataillons erhielten den Befehl, die gesamte jüdische Bevölkerung in den jeweiligen Quartiersorten zu erschießen. Dabei traten verschieden Weisen, mit dem Befehl umzugehen, auf: Der Befehl wurde nicht ausgeführt und diese Weigerung mit dem Argument, eine Gefährdung der Sicherheit der Truppe durch die jüdische Bevölkerung sei nicht erkennbar, auch gegen Drängen des Vorgesetzten verteidigt. Oder der Befehl wurde ohne zu Zögern umgesetzt, oder es wurde nachgefragt und dem Befehl aus Angst vor den Folgen einer Befehlsverweigerung dann doch gefolgt. Die Ausstellung argumentiert, dass letztlich jeder Einzelne entscheide, wie er sich in bestimmten Situationen verhält. Die „Freiheit des Handelns ist eine Herausforderung, manchmal ist sie auch eine Zumutung.“ Gestützt wird diese Argumentation durch die Hinweise auf die vom Deutschen Reich vor der Machtübernahme Hitlers und zum Teil – im Falle der Haager Landkriegsordnung – auch vor dem Versailler Vertrag eingegangenen Verpflichtungen. Außerdem bestimmte das Militärstrafgesetzbuch, dass ein Soldat bestraft werden konnte, wenn ihm bekannt war, dass der Befehl eines Vorgesetzten ein bürgerliches oder militärisches Verbrechen bezweckte.

Die Ausstellung argumentiert also auf zwei Ebenen: Zum einen ist Befehl nicht Befehl; die Verantwortung des Handelns wird dem Einzelnen nicht abgenommen. Zum anderen brechen die erteilten verbrecherischen Befehle vom Deutschen Reich akzeptiertes und daher bindendes Völkerrecht. Dies ließ selbst vor dem Hintergrund der systematischen Einbindung der Wehrmacht in Kriegsverbrechen seitens der politischen Führung und des OKW noch Handlungsspielräume für den einzelnen Soldaten oder Offizier offen. Aber wieso wurde der offenkundig ideologisch motivierten und vor dem Hintergrund international geltender Normen sichtbar verbrecherischen Vernichtungsabsicht der politischen Führung seitens maßgeblicher Wehrmachtsorgane unwidersprochen immer wieder gefolgt?

Wie alle Themengebiete ist auch die Rubrik „Krieg und Recht“ auf der Ausstellungs-DVD gut dokumentiert. Erklärende Textteile oder Videosequenzen werden durch Originaldokumente, ihre Abschriften und durch Abbildungen unterstützt, so dass man sich ein gutes Bild machen kann. Aber gerade beim Thema „Krieg und Recht“, das ja für die Bewertung des Handelns von Wehrmachtssoldaten von zentraler Bedeutung ist, wünscht man sich Hinweise auf die Völkerrechtsdiskussion in der Zwischenkriegszeit. Denn im Versailler Vertrag wurde erstmals das Thema der Kriegsschuld behandelt und Krieg als Mittel der Politik geächtet. Das ist natürlich problematisch, denn die Kriegsschuldfrage und die Ächtung des Krieges sind damit nicht in einem konsensuell gebilligten internationalen Vertrag durchgesetzt worden. Das Deutsche Reich hat ihn auch nur unter Protest akzeptiert. In der Zwischenkriegszeit entfaltet sich in Deutschland – man denke an die Argumentation des Staats- und Völkerrechtlers Carl Schmitt – ein Diskurs, der diese Fragen aufgreift. Dass es Schmitts Absicht war, die „Diskriminierung des Krieges“ wieder aufzuheben, steht dabei außer Frage. Aber durch diesen Diskurs entstand eine ‚Mentalität‘ oder ein ‚kultureller Kontext‘, welche die weit verbreitete Ablehnung des Versailler Vertrags mit einer Entrechtlichung des ‚totalen Krieges‘ verband. Diese Debatte und die von ihr gestützten oder hervorgebrachten Einstellungen gehören zu den Bedingungen des Vernichtungskrieges hinzu. Sicherlich sind diese Voraussetzungen schwer zu erfassen, weil sie sich auf die Einstellungen, Mentalitäten und Meinungen nicht nur von Soldaten, insbesondere Offizieren, beziehen. Leicht könnten sie auch als zumindest partielle Entschuldung verstanden werden, weil die Problematik des Versailler Vertrages in einer solchen Darstellung nicht ausgespart werden könnte (Stichwort: „Walser-Dabatte“). Aber eine gute Dokumentation dieses Diskurses würde letztlich niemanden von der Verantwortung für sein Handeln entlasten; sie würde nur die doch etwas pathetischen und unhistorischen Formulierungen der Ausstellung zur Handlungsfreiheit kontextualisieren und damit ihrem (virtuellen) Besucher erleichtern, auch die Verantwortlichen in der Wehrmacht im Sinne Max Webers „zu verstehen“, ohne dass man für sie Verständnis aufbringen müsste. Ansonsten könnte moralischer Rigorismus oder begriffsloses „Nicht-Verstehen-Können“ gefördert werden. Es darf bezweifelt werden, ob das letztlich einer Aufarbeitung der Geschichte der Wehrmachtsverbrechen hilfreich wäre.

In der neuen Ausstellung (und folglich auch auf der DVD) wird weiterhin der öffentliche Streit um die erste Fassung der Ausstellung, die den Titel „Vernichtungskrieg. Verbrechen der Wehrmacht 1941 bis 1944“ trug, dokumentiert. Damit wird auch die Selbstreferentialität der Erinnerungs- und Gedächtnisdiskurse in der Bundesrepublik deutlich gemacht. Dies ist sehr wünschenswert, denn zukünftig wird das kollektive Gedächtnis zunehmend auf lebensgeschichtlich verankerte Erinnerungen an die Zeit zwischen 1933-45 verzichten müssen. Damit werden Fragen nach Beschaffenheit und Pflege dieses Gedächtnisses noch mehr an Bedeutung gewinnen.

Was die DVD-ROM selbst angeht, handelt es sich um ein professionell und gut gemachtes Produkt. Von einem virtuellen Foyer aus, kann man verschiedene Bereiche anwählen: Im Bereich „Einblicke“ vermittelt eine Dia-Show zur Ausstellung einen Eindruck von dem Ausstellungsgeschehen. Eine Animation zeigt Bilder von Tatorten, wie sie heute aussehen und ein 360°-Rundgang vermittelt dem User fast das Gefühl, die Ausstellung selbst zu besuchen. Der Bereich „Führungen“ ermöglicht als Videopräsentation den schnellen Rundgang durch die Ausstellung. Je nach Interesse lässt diese Führung sich thematisch vertiefen. Der Bereich „Themen & Inhalte“ orientiert sich an der Führung, die damit nicht nur als Video, sondern auch als Text dokumentiert ist. Zusätzlich wird eine Vielzahl von schriftlichen und bildlichen Dokumenten angeboten, die die Problematik einsichtig machen. Textdokumente werden oftmals als Faksimile und als Abschrift zugänglich gemacht und können in beiden Formen ausgedruckt oder als PDF-Datei gespeichert werden. Darüber hinaus wird ein Archiv mit Suchfunktion angeboten. Hier findet sich auch eine gute schematische Darstellung der Struktur der Wehrmacht und eine fundierte Auswahlbibliografie. Sehr praktisch ist die im Hilfebereich angebotene Sitemap, die jederzeit eine übersichtliche und einfache Navigation erlaubt. Denkbar wäre es gewesen, die ganze Ausstellung gewissermaßen auch im Cyberspace auszurichten und somit einen individuellen virtuellen Rundgang zu ermöglichen. Eine solche Möglichkeit fehlt leider auf der DVD.

Hervorzuheben ist die didaktische Qualität dieser DVD. Sie ist übersichtlich ohne zu vereinfachen und zeigt eine Vielzahl von Dokumenten. Unter anderem weil sie ihren Benutzern auch eine Notiz-Funktion anbietet, fordert sie dazu auf, die Geschichte aktiv zu erschließen.

Redaktion
Veröffentlicht am
Autor(en)
Beiträger
Redaktionell betreut durch
Klassifikation
Epoche(n)
Region(en)
Weitere Informationen
Sprache der Publikation
rda_languageOfExpression_redig