Universitätsbesuche ungarischer Studenten im Ausland

: Magyarországi diákok bécsi egyetemeken és főiskolákon 1849-1867 [Studenten aus Ungarn an den Universitäten und Hochschulen Wiens 1849-1867]. . Budapest 2003 : Verlag Eötvös Lóránd Tudományegyetem Levéltára, ISBN 963-463-670-5 502 S.

: A bécsi Pazmaneum magyarrszági hallgatói 1623-1918 (1951) [Studenten aus Ungarn am Pazmaneum in Wien 1623-1918 (1951)]. . Budapest 2003 : Verlag Eötvös Lóránd Tudományegyetem Levéltára, ISBN 963-463-621-7 554 S.

: Magyarországi diákok svájci egyetemeken és akadémiákon 1526-1788 (1798), [Studenten aus Ungarn an den Universitäten und Hochschulen in der Schweiz 1526-1788 (1798)]. . Budapest 2003 : Verlag Eötvös Lóránd Tudományegyetem Levéltára, ISBN 963-463-620-9 121 S.

Rezensiert für H-Soz-Kult von
Katalin Goenczi, Max-Planck-Institut für Europäische Rechtsgeschichte, Frankfurt am Main

Erasmus von Rotterdam ist nicht zufällig der Namensgeber für Austauschprogramme im Rahmen der EU. Die von ihm mitgeprägte „europäische Gelehrtenrepublik“ wird bei der Suche nach einer europäischen Identität als Inbegriff der wissenschaftlichen Verbindungen innerhalb Europas vor der EU verstanden. Deren Grundlage war die so genannte peregrinatio academica, also jene Studienreise bzw. Chavaliertour, die schnell hochpolitisch wurde, da durch sie nicht nur Spezialwissen, so z.B. über neue Wissenschaftszweige und neuartige Methoden, transferiert wurde. Die Studenten nahmen zugleich auch Eindrücke vom Verlauf eines „fremden“ Universitätslebens, eine Erinnerung an den vorgefundenen Bibliotheksbestand, eventuell auch an die anderswo größere Meinungsfreiheit mit. Ergebnis war notwendigerweise, dass sich bei den Studenten die Bereitschaft zum Vergleichen verstärkte, was ihnen eine bewusstere Wahrnehmung der einheimischen Verhältnisse ermöglichte. Durch die Kurzzeitmigration von Studenten konnten sprachlich bzw. historisch unterschiedliche Regionen Europas durch ein Netzwerk von interkulturellen Wissenschaftsverbindungen verbunden werden.

Seit längerem wird von der internationalen Forschung versucht, diese Verbindungen adäquat zu erfassen; so wurden z.B. viele Matrikellisten gedruckt, wissenschaftliche Korrespondenzen ediert, prosopografische Listen erstellt sowie Biografien prominenter Persönlichkeiten zusammengestellt. Fachspezifisch oder geografisch eingegrenzt könnte man daraus mittlerweile umfassende Listen von Studenten erstellen.

In der ungarischen Historiografie wird die Erforschung der auswärtigen wissenschaftlichen Verbindungen ungarischer Studenten seit mehreren Jahrzehnten betrieben: Der Budapester Historiker und Bibliothekar László Szögi bearbeitet seit dem Ende der 1980er-Jahre die peregrinatio academica von Studenten aus dem Königreich Ungarn. Um die Namen, die soziale und geografische Herkunft der ungarischen Studenten, ihre konfessionelle Ausrichtung und die von ihnen präferierten Fächer an den europäischen Universitäten zu ermitteln, waren umfangreiche Archivstudien nötig. Szögis Motivation ergibt sich aus der jüngsten ungarischen Geschichte: Da das Archivmaterial der Budapester Universität während des Aufstandes 1956 verbrannt ist, muss die Forschung auf ausländische Quellen zurückgreifen. Szögi begann seine Arbeit mit einem kleinen Radius. In den Universitätsarchiven auf dem Territorium der Habsburgermonarchie verifizierte er einige bereits vorhandene Namenslisten anhand universitätshistorischer Quellen.1 Im ersten Durchgang wurden die Studienverläufe von 9.000 Studenten in der Habsburgermonarchie von 1789-1850 erfasst und damit 1994 die Reihe „Geschichte der Universitätsbesuche der Studenten aus Ungarn in der Neuzeit“ eröffnet.

Szögi konnte danach, unterstützt von einem Team ungarischer Historiker, weitere Länder einbeziehen. In professioneller grafischer Gestaltung wurde eine umfassende Liste jener Peregrini vorgelegt, die aus dem Königreich Ungarn in die Schweiz, in die Niederlande, in die deutschen und habsburgischen Territorien gingen, so dass inzwischen auf eine große Datenbank zum Auslandsstudium von Ungarn für die Zeit vor 1919 zurückgegriffen werden kann.2 2003 erschien als Pendant der Band zur Habsburgermonarchie, wobei dort die Zeit von 1850-67 erfasst wurde. Angekündigt sind weitere Bände zur Zwischenkriegszeit; auch Listen zu den Studienorten im Baltikum und in Italien seit dem 16. Jahrhundert sollen bald verfügbar sein.

Die „Wiener Studiengänge im Zeitalter des Neoabsolutismus“ haben László Szögi und József Mihály Kiss in Band 7 der Reihe unter die Lupe genommen und dabei neue Erkenntnisse zur problematischen Geschichte der Beziehungen zwischen Österreich und Ungarn geliefert. Stereotypen zur politischen Eskalation der beiden Länder sind schon aus den bildenden Künsten bekannt, die unterdrückten Nationalgefühle lassen sich aber auch aus den Studienzahlen in den Geisteswissenschaften erkennen. Juristen und Theologen, die ansonsten die führende Rolle bei den Universitätsbesuchen im Ausland innehatten, kamen hier nur auf bescheidende 15 Prozent bzw. 11,8 Prozent, was zu einer starken Mehrheit von Studenten aus medizinischen und ingenieurwissenschaftlichen Fächer führte. (Szögi/Kiss, S. 17.) Eine beachtliche Zahl erreichten aber auch die Immatrikulationen an den militärischen Akademien, so an der „K.K. Ingenieur und Genie Akademie“ in Wien und an der „K.K. Artillerie-Akademie“. An der Zahl der Studenten lässt sich auch die Geschichte der Ausgleichsverhandlungen nachvollziehen: 1861, nach den gescheiterten Ausgleichsversuchen durch Franz Joseph, ging die Zahl der Studierenden deutlich zurück, doch nach 1863, als die Ausgleichsverhandlungen – erst hinter den Kulissen – aufgenommen wurden, begann das Interesse an einem Studium in der Hauptstadt der Habsburgermonarchie wieder zuzunehmen.

Mit der neuesten Publikation von Ádám Hegyi sind nunmehr auch für die Schweiz Angaben über die Universitätsbesuche seit der Gründung der ersten Universität in der Schweiz (Basel 1460) zugänglich. Die Schweiz war nach der Reformation nicht nur aus konfessionellen Gründen ein bevorzugter Studienort ungarischer Studenten. Die Multiethnizität des Landes zog vor allem die Prediger aus dem Fürstentum Siebenbürgen an, wo Sachsen, Ungarn und Rumänen zusammenlebten. Hegyi hat in der Einleitung des Bandes einige Wissenschaftler benannt (Johann Jacob Grynaeus, Théodoere de Béze), die für die Peregrinatio academica der Studenten aus dem Königreich Ungarn eine besondere Anziehungskraft besaßen. (Hegyi, S. 13-14.) Aus den Grafiken in diesem Band ist auch ersichtlich, dass von den 753 Immatrikulationen die Mehrzahl der Studienbesuche auf die Zeit der Aufklärung in Ungarn zu datieren ist, also auf die 1780er-Jahre, als die Universitäten Basel, Bern und Zürich mangels einer protestantischen Universität in Ungarn zu bevorzugten Studienorten wurden. Diese Tendenz lässt sich auch anhand der Studienbesuche in Deutschland belegen: Die Studenten besuchten zu 93 Prozent die theologische Fakultät. Die Studienwahl wurde also einerseits von der Gelehrtentradition in Ungarn, andererseits von den Ausreisebedingungen aus den Habsburger Ländern geprägt. Das Theologiestudium war während des Absolutismus für die Protestanten ein berechtigter Grund zur Ausreise, wofür sie Pässe von der Wiener Regierung erwerben konnten. Deshalb wurde das Studium in der Schweiz auch vor allem von Calvinisten aus Debrecen, Sárospatak und aus Siebenbürgen wahrgenommen, hingegen war das Interesse der Lutheraner an der Schweiz sehr gering. (Hegyi, S. 29.) Der Einleitung und Auswertung der Daten folgen bei Hegyi – wie auch in den früheren Bänden der Reihe „Magyarországi diákok egyetemjárása az újkorban“ – Auflistungen aus den Matrikelbüchern, die nach den Universitäten des Landes sortiert sind. Hilfreiche Personen- und Ortsregister sowie eine deutschsprachige Zusammenfassung schließen den Band ab.

Ein ganz anders ausgerichtetes Studium kann man aus dem 8. Band der Peregrinationsreihe, der Arbeit von István Fazekas, erkennen. Im Mittelpunkt dieser Untersuchung stehen die Universitätsbesuche der katholischen Priester. An der katholischen Hochschule in Wien, dem Pazmaneum, das nach dem Stifter Péter Pázmány, dem Esztergomer Erzbischof, benannt wurde, begann der Unterricht im Jahre 1624. Von da an bis 1761 stand diese Bildungsstätte unter der Leitung der Jesuiten. Fazekas stellt in der Einleitung die Geschichte des Pazmaneums und die Ereignisse der ungarischen Geschichte der Neuzeit reflektierend dar und geht auf die sozial- und unterrichtshistorischen Zusammenhänge ein, also auf Studienzeit, Herkunft, Studienabschlüsse und Doktorgrade. Aus Fazekas‘ Studie ist ersichtlich, dass die Hälfte der Priester der Erzdiözese von Esztergom eine gewisse Zeit im Pazmaneum verbrachte; das Theologiestudium in Wien hatte also eine Leitbildfunktion in der ungarischen Priesterausbildung, was mittelbar auch die Allgemeinbildung prägte. Sehr informativ sind die biografischen Daten einzelner kirchlicher Führungskräfte; daher kann man die Prägekraft des Pazmaneums im Spiegel der Bischofskarrieren nachvollziehen. (Fazekas, S. 17ff.)

Der Hauptteil der Publikation besteht aus einer Liste der Pazmaneumstudenten, geordnet nach der zeitlichen Reihenfolge der Immatrikulation von 1624-1918. Die Namen werden durch ein Personen- und Ortsverzeichnis gut erschlossen. Spannend wird es, wenn man das von Fazekas ausgebreitete Material vor dem Hintergrund der Umbruchszeiten ungarischer Geschichte analysiert und die darin enthaltenen Spuren bis über das Jahr 1918 hinaus weiter verfolgt: Während des Rákóczi-Freiheitskampfes (1703-1711) blieben die Studienbesuche im Pazmaneum konstant, auch 1848/49 und die frostigen Jahre des Neoabsolutismus veränderten nichts an der Zahl der Wiener Theologiestudenten aus Ungarn. Erst die Zwischenkriegszeit zeigt dann erstmals eine gewisse Schwankung. Dies könnte man zwar auf die staatliche Souveränität von Ungarn und Österreich zurückführen. Nach dem Studienjahr 1925 stieg aber die Zahl der Immatrikulationen ungarischer Priester in Wien wieder auf die übliche Zahl von 15-25 an. Erst der Anschluss an das nationalsozialistische Deutschland verursachte einen deutlichen Rückgang der Studienbesuche aus Ungarn; die Zahl der katholischen Priester aus Ungarn im Pazmaneum sank auf 7-10. Die bisherige Funktion des Pazmaneums blieb auch während der Jahre der zweiten ungarischen Republik (1945-48) erhalten, wenngleich die Zahl ungarischer Studenten weiter sank. Die kommunistische Wende hat schließlich das Ende in der Wiener Priesterausbilung für Ungarn bewirkt. Doch bevor das Pazmaneum wegen des Fehlens von Studenten und finanziellen Quellen hätte geschlossen werden müssen, wurde es 1953 von der Wiener Erzdiözese übernommen und fungierte weiterhin als ungarisches Priesterseminar für die Wiener Diözese. Nun spielte es bei der Unterstützung der antikommunistischen Gedanken innerhalb der katholischen Kirche und in der Seelsorge der ungarischen Emigranten nach 1956 eine wohl wesentliche Rolle. Seit 2002 fand eine restitutio in integrum statt; das Pazmaneum steht jetzt unter der Aufsicht des Esztergomer Erzdiözese. All diese Aspekte hätten in der Einleitung wie auch in der deutschsprachigen Zusammenfassung verstärkt thematisiert werden können.

Das Ausgangskriterium aller drei besprochenen Untersuchungen stellt das Herkunftsland dar. Es werden also von Szögi und Kiss, Hegyi und Fazekas die Immatrikulationen derjenigen Studenten nachgewiesen, bei deren Herkunft das Staatsgebiet des Königreichs Ungarn – Siebenbürgen inbegriffen – angegeben wird. Aus der Geschichte des Karpatenbeckens ergibt sich, dass Szögis Untersuchung keine rein ungarische Angelegenheit bleibt, sondern für die Bildungs- bzw. Wissenschaftsgeschichte ganz Ostmitteleuropas von Interesse ist. Die bei Szögi leicht zugänglichen Angaben zur Religion, zur sozialen Stellung des Vaters bzw. Vormundes und auch zur ethnischen Zugehörigkeit bedeuten für soziologische Untersuchungen einen aufschlussreichen Ausgangspunkt und können auch ansonsten gut als Grundlage für weitere Forschungen dienen.

Treffend hat sich dazu der Soziologe und Historiker Viktor Karády bei einer Buchpräsentation geäußert: Diese Forschungen von Szögi und seinen Mitarbeitern stellten eine neue Quelle dar, eine Art „Ouvertüre zur Gesellschaftsgeschichte der ungarischen Intelligenz“. Die ungarische Peregrinationsforschung ist aber nicht nur für die ungarische Gesellschafts- und Wissenschaftssoziologie ein Novum. Auch die Verbindungen innerhalb der „europäischen Gelehrenrepublik“ können dank der Recherchen der ungarischen Historiker besser erkannt werden. Neues Licht fällt z.B. durch diese Studie auf die Universitäten in Europa, denn die Präferenz der Studenten aus Ungarn ergibt eine ranking-Liste der Universitäten und Hochschulen. Die Auswertung dieser Bücher kann also die Wissenschaftsgeschichte deutlich unterstützen, jedoch nicht ersetzen. Insbesondere die Fächer, die sich erst im Laufe des 19. Jahrhunderts emanzipierten (Rechtswissenschaft, Nationalökonomie), können ihre Wurzeln nur indirekt über die Analyse von Universitätsbesuchen finden.

Die gedruckten Namenslisten warten aber noch auf den Sprung in das Zeitalter der digitalen Datenverarbeitung, denn eine flexible Recherche oder die Erstellung fachbezogener prosopografischer Verzeichnisse kann erst bei einer elektronisch publizierten Form durchgeführt werden. Erst dann wird es zudem möglich sein, auch die institutionelle Ebene des Wissenstransfers verstärkt über die Bücher zu den ungarischen Universitätsbesuchen zu analysieren, wie zum Beispiel die anhand einzelner Lehrerbiografien bekannte Verbindung zwischen der Göttinger Universität und der protestantischen Hochschule in Sárospatak. Doch auch schon jetzt kann die bisher meist auf die Nationalgeschichte konzentrierte ungarische Historiografie zur Formierung der europäischen Gelehrtenrepublik beitragen.

Anmerkungen:
1 Szögi, László, Magyarországi diákok a Habsburg Birodalom egyetemein. I: 1790-1850 [Studenten aus Ungarn an den Universitäten des Habsburgerreiches. Teil I: 1790-1850], Budapest 1994.
2 Szögi, László, Magyarországi diákok svájci és hollandiai egyetemeken 1789-1919 [Studenten aus Ungarn an Universitäten in der Schweiz und in den Niederlanden 1789-1919], Budapest 2000; Kiss, József Mihály, Magyarországi diákok a Bécsi Egyetemen 1715-1789 [Studenten aus Ungarn an der Universität Wien 1715-1789], Budapest 2000; Szögi, László, Magyarországi diákok németországi egyetemeken és foiskolákon 1789-1919 [Studenten aus Ungarn an deutschen Universitäten und Hochschulen 1789-1919], Budapest 2001.

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