U. Langkau-Alex: Deutsche Volksfront

Langkau-Alex, Ursula (Hrsg.): Deutsche Volksfront 1932-1939. Zwischen Berlin, Paris, Prag und Moskau. Band 1: Vorgeschichte und Gründung des Ausschusses zur Vorbereitung einer deutschen Volksfront. Berlin 2004 : Akademie Verlag, ISBN 3-05-004031-9 358 S. € 39,80

: Deutsche Volksfront 1932-1939. Zwischen Berlin, Paris, Prag und Moskau. Band 2: Geschichte des Ausschusses zur Vorbereitung einer deutschen Volksfront. Berlin 2004 : Akademie Verlag, ISBN 3-05-004032-7 590 S. € 59,80

: Deutsche Volksfront 1932-1939. Zwischen Berlin, Paris, Prag und Moskau. Band 3: Dokumente zur Geschichte des Ausschusses zur Vorbereitung einer deutschen Volksfront, Chronik und Verzeichnisse. Berlin 2005 : Akademie Verlag, ISBN 3-05-004033-5 544 S. € 59,80

Rezensiert für H-Soz-Kult von
Gerhard Paul, Institut für Geschichte und ihre Didaktik, Universität Flensburg

Mehr als 30 Jahre und damit fast ein ganzes Berufsleben hat sich Ursula Langkau-Alex den letztlich vergeblichen Bemühungen um die Bildung einer deutschen Volksfront gegen den Nationalsozialismus sowohl vor 1933 in der Endphase der Weimarer Republik als auch nach 1933 im Exil gewidmet. In mehr als 20 Aufsätzen und unzähligen Vorträgen hat die am Internationalen Institut für Sozialgeschichte in Amsterdam arbeitende Wissenschaftlerin die Fachöffentlichkeit immer wieder auf dieses viele Jahre in der Zeitgeschichts- und Exilforschung der Bundesrepublik - weniger der DDR - vernachlässigte Thema aufmerksam gemacht und sich über diese Beschäftigung zu einer der besten Kennerinnen des deutschsprachigen politischen Exils im Allgemeinen und zur gewiss kompetentesten Historikerin auf dem Gebiet der Forschungen zur Bildung einer Deutschen Volksfront im Besonderen entwickelt. Erste Ergebnisse dieser Beschäftigung erschienen bereits 1977 unter dem Titel „Vorgeschichte und Gründung des Ausschusses zur Vorbereitung einer deutschen Volksfront“ im Frankfurter Syndikat Verlag. In den kommenden Jahren erfolgten dann wiederholte Ankündigungen eines zweiten Bandes, ohne dass es hierzu allerdings kam. Seit 2005 liegt auf 1.500 Seiten das nunmehr auf drei Bände angewachsene, im Berliner Akademie Verlag erschienene Gesamtwerk „Deutsche Volksfront 1932-1939“ vor: eine mustergültige Mikrostudie vor allem zum deutschen politischen Exil in Frankreich, die für viele Jahre den Charakter eines Standardwerkes haben und zahlreiche weitere Studien anregen dürfte.

Band 1 schildert die Vorgeschichte und Gründung des Ausschusses zur Gründung einer deutschen Volksfront. Hierbei handelt es sich um die bearbeitete Neuauflage des 1977 erschienenen Buches, die sich aber in manchen Aussagen und Wertungen von dem damaligen Buch unterscheidet. Notwendig wurde dies durch manche neue Quelle, die nach der Öffnung der Archive in der ehemaligen DDR und in Osteuropa der Forschung zugänglich wurden. Dieser erste Band rekonstruiert zunächst die vergeblichen Bemühungen der Arbeiterparteien sowie liberaler und bürgerlich-republikanischer Kreise der späten Weimarer Republik um einen gemeinsamen Kandidaten für die 1932 anstehende Reichspräsidentenwahl. Durch diesen sollte sowohl ein weiterer Vormarsch der NSDAP als auch eines deutsch-nationalen Präsidenten Hindenburg verhindert werden. Langkau-Alex macht deutlich, dass sich bereits vor 1933 diverse Netzwerke heraus gebildet hatten, die nach 1933 bedeutsam bleiben sollten. Schon damals spielte der Schriftsteller Heinrich Mann eine zentrale Rolle in den Bemühungen, Hitler Paroli zu bieten: eine Rolle, die nach 1933 noch an Bedeutung gewinnen sollte und in der zeit- und literaturgeschichtlichen Forschung lange Zeit unterschätzt wurde. Mit der Machteinsetzung Hitlers wurde für zahlreiche Persönlichkeiten und Gruppierungen das Nachbarland Frankreich und hier besonders die französische Metropole Paris zum wichtigsten Aktionszentrum, zumal hier mit der Front Populaire unter Léon Blum 1936/37 ein positives politisches Klima existierte, gar eine Volksfronteuphorie herrschte, die auch weite Teile des deutschen politischen Exils erfasste. Minutiös rekonstruiert Langkau-Alex dieses Klima, die Asylpolitik in West- und Mitteleuropa, den Mikrokosmos der exilierten Parteien und Kleinstorganisationen in Paris, das wechselseitige Misstrauen der Akteure, die großen materiellen Probleme sowie die politischen Rahmenbedingungen, in die die Versuche zur Bildung einer deutschen Volksfront eingebettet waren: angefangen vom Saarkampf 1934/35 und der Saarabstimmung 1935, in der es erstmals auf deutschem Territorium 1934 zu einer letztlich erfolglosen Aktionsgemeinschaft von Kommunisten und Sozialdemokraten gegen eine drohende Rückgliederung nach Hitlerdeutschland gekommen war, die beginnenden Stalinschen „Säuberungen“, den Weltkongress der Komintern 1935 bis hin zum Beginn des Spanischen Bürgerkrieges im Sommer 1936. In diesem komplizierten Geflecht von Aufbruchstimmung und Enttäuschung konstituierte sich schließlich im Februar 1936 im vornehmen Hotel Lutetia am Boulevard Raspail der Ausschuss zur Vorbereitung einer deutschen Volksfront. Interessant sind die Verweise und die deutlicher als in dem Band von 1977 herausgearbeiteten Einschätzungen, dass die Initiative zu den Gesprächen nicht wie allgemein vermutet von der KPD, sondern von Sozialdemokraten aus der von ihrem Exilvorstand abgefallenen Sozialdemokratischen Partei des Saarlandes unter ihrem engagierten Vorsitzenden Max Braun ausgingen, dass die Einigungsversuche der Emigrantengruppen stark von der Verarbeitung der Niederlage der saarländischen „Volksfront“ inspiriert waren und dass der Annäherungsprozess zwischen Sozialdemokraten und Kommunisten 1935/36 relativ unabhängig von den Exilzentralen von SPD und KPD in Prag und Moskau erfolgte.

Band 2 rekonstruiert die vielfältigen, gerade einmal zwei Jahre währenden Bemühungen um einen politischen Konsens der z.T. widerstrebenden Organisationen und Personen im „Ausschuss zur Vorbereitung einer deutschen Volksfront“. Deutlich wird, dass es neben der prinzipiellen Gegnerschaft zum Nationalsozialismus keinen programmatischen Konsens gab, wie Hitler in Deutschland zu Fall gebracht werden und wie ein hitlerfreies Deutschland aussehen sollte. Langkau-Alex rekonstruiert hier nüchtern und illusionslos die Konkurrenz der verschiedenen Programmentwürfe, die taktischen Winkelspiele der beteiligten Exilfunktionäre, die Fortexistenz verdeckter und niemals aufgearbeiteter Konflikte aus der Weimarer Zeit, die Führungsansprüche vor allem der Kommunisten um Walter Ulbricht, das wachsende Misstrauen infolge der Moskauer Schauprozesse und des Verhaltens der Kommunisten im Spanischen Bürgerkrieg gegenüber den Kommunisten, die schließlich im Februar 1938 zum Scheitern aller Volksfrontbemühungen führten. Deutlich wird, dass die Einigungsbestrebungen des deutschen Exils nicht nur aufgrund der politischen Rahmenbedingungen, der negativen politischen Großwetterlage, sondern auch infolge des ausgesprochenen Organisationsegoismus der Beteiligten scheiterten, die sich noch in der Extremsituation des Exils wie in den Wahlkämpfen der ausgehenden Weimarer Republik verhielten. Kritisch geht die Verfasserin nicht nur mit dem Verhalten der Kommunisten, sondern ebenso mit dem der Sozialistischen Arbeiter-Internationale (SAI) ins Gericht, der sie bescheinigt, aufgrund eines ausgeprägten Antibolschewismus und stark ausgeprägter nationaler Grundhaltungen die nach dem VII. Weltkongress der Komintern für einen Moment offene Chance zur Kooperation verpasst zu haben.

Neben den programmatischen Initiativen entfaltet der zweite Band aber auch erstmals das selbst einer breiten Fachöffentlichkeit kaum bekannte Geflecht von diversen von der Deutschen Volksfront inspirierten bzw. mit ihr kooperierenden Initiativen, angefangen von Hilfskomitees für Verfolgte in Hitlerdeutschland und für in Frankreich lebende Emigranten, über große Konferenzen, den Arbeitsausschuss zur Bildung einer Volksfront im Saarland und den Koordinationsausschuss deutscher Gewerkschafter bis hin zu den publizistischen Aktivitäten von Blättern wie den Deutschen Informationen als der letzten Bastion der Volksfront.

Aufschlussreich und noch immer kaum bekannt sind die dem Scheitern der Volksfront nachfolgenden Wiederbelebungsversuche des Volksfrontausschusses sowie diverser Alternativgründungen, in denen die Brüder Heinrich und Thomas Mann eine nicht unerhebliche Rolle spielten, die aber angesichts des Hitler-Stalin-Pakts und des beginnenden Krieges ebenfalls zum Scheitern verurteilt waren. Dass dieser zweite Band ganz wesentliche Erkenntnisse zur Rolle und zum Verhalten so bedeutsamer Akteure wie Willi Münzenberg, Paul Hertz, Rudolf Breitscheid und Heinrich Mann enthält, sei nur am Rande erwähnt. Sowohl in diesem zweiten Band wie in den vorangegangen Passagen zur Geschichte des Vorbereitungsausschusses wird deutlich, dass dieser zu keinem Zeitpunkt ein Organisations-, sondern immer ein Personenbündnis war, das wesentlich von den beteiligten Persönlichkeiten bestimmt war. Neben der Geschichte der an den Volksfrontaktivitäten beteiligten Organisationen und Personen rekonstruiert und analysiert Langkau-Alex immer auch die programmatischen Äußerungen des Volksfrontausschusses wie etwa den Aufruf „Bildet die deutsche Volksfont! Frieden, Freiheit und Brot“ vom Dezember 1936, in dem die Volksfrontaktivitäten des deutschen Exils den höchst möglichen Konsens in Fragen der Menschen- und Bürgerrechte sowie der demokratischen Grundfreiheiten erreichte. Aufschlussreich sind schließlich die Passagen über die ausländischen Medienreaktionen auf die deutschen Volksfrontbemühungen. Kritisch bleibt lediglich anzumerken, dass man sich mitunter mehr Informationen über die Auswirkungen der Pariser Volksfrontbestrebungen „ins Reich“ gewünscht hätte. Die Ausführungen hierzu bleiben mitunter schemenhaft. Ähnliches gilt für die Observierung des Vorbereitungsausschusses durch die NS-Behörden. In beiden Punkten ist weiterer Forschungsbedarf angemeldet.

Band 3 schließlich enthält wichtige Dokumente zur Vorgeschichte und Geschichte des Volksfrontausschusses aller daran beteiligten Organisationen. Hierzu gehören Aufrufe, Manifeste, Entwürfe, Programme, Denkschriften sowie die zeitgenössischen Resümees dreier Akteure der Volksfrontbemühungen: von Leopold Schwarzschild, Rudolf Breitscheid und Willi Münzenberg. Ein Drittel dieser Dokumente wurde bereits in dem 1977 erschienenen ersten Band publiziert; zwei Drittel der oft an verstreuten Orten aufbewahrten Quellen sind nun erstmals dem Fachpublikum zugänglich. Sie sind sorgfältig quellenkritisch ediert und enthalten nicht nur Fundort, sondern auch Hinweise auf Vorlagen und Textvarianten sowie zur Publikationsgeschichte. Vieles wird durch Fußnoten zudem sachkundig erläutert. Nicht zuletzt zu erwähnen sind eine detaillierte Chronik der wichtigsten Daten, die dem mit diesem Spezialgebiet der Zeitgeschichte weniger kundigen Leser die Orientierung erleichtert, sowie ein umfangreiches Register, das alle Bände nach Personen, Organisationen, Institutionen und zeitgenössischen Medien erschließen hilft. In einer den Registern nachgestellten zehnseitigen „Nachbetrachtung“ resümiert die Verfasserin ihre drei Jahrzehnte währenden Forschungen.

Nicht nur in seiner Materialfülle und in seiner präzisen historisierenden Urteilsbildung, sondern auch in seinem methodischen Ansatz bildet das dreibändige Werk einen wissenschaftlichen Höhepunkt der deutschsprachigen Forschungen zur Geschichte des Exils zwischen 1933 und 1945. Von ihrem methodischen Ansatz ist Langkau-Alex Geschichte der Deutschen Volksfront keine reine Organisationsgeschichte, sondern ebenso eine Ideen-, eine Sozial-, streckenweise sogar eine Mentalitätsgeschichte des politischen Exils. Deutlich wird der Umriss einer längst überfälligen integralen zeitgeschichtlichen Exilforschung, die alle diese Dimensionen erfasst und sich nicht nur auf einen Aspekt kapriziert. Damit hat die Amsterdamer Historikerin zugleich Maßstäbe für die künftige Exilforschung gesetzt. Mit ihrem Lebenswerk hat Langkau-Alex zugleich das viele Jahre im Schatten des literarischen Exils stehende politische Exil wieder zum Thema gemacht. Ihre Untersuchung dürfte etliche Annahmen der Exilforschung relativieren und neuere Studien inspirieren.

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