Cover
Titel
Wehe, wenn Du anders bist!. Ein politischer Lebensweg für Deutschland


Autor(en)
Grabert, Horst
Erschienen
Anzahl Seiten
255 S.
Preis
€ 19,80
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Detlef Nakath, Potsdam

Sein Leben, das der im Dezember 1927 in Berlin geborene Sohn eines Frontoffiziers im Ersten Weltkrieg und späteren Buchhalters und seiner jüdischen Mutter, in diesem Erinnerungsband beschreibt, verlief wechselhaft, bisweilen dramatisch und ist in manchen Daten eine Widerspiegelung der politische Verhältnisse im Deutschland der 1930er-Jahre bis zur Jahrtausendwende. Horst Grabert resümiert selbst: „Es ist ein bewegtes und interessantes Leben gewesen, schwer, aber auch schön.“ Er kommt mit Blick auf die heutige Situation zu dem kritischen Schluss: „Die ‚Ich-Gesellschaft’ hat die ‚Wir-Gesellschaft’ abgelöst.“

Horst Graberts Lebensstationen waren von den Ereignissen der deutschen Geschichte vor und nach dem zweiten Weltkrieg geprägt. Der „Mischling ersten Grades“ musste trotz guter schulischer Leistungen sein Steglitzer Gymnasium verlassen. Als damals knapp Elfjähriger erinnert er sich an den 10. November 1938, den Tag nach der Pogromnacht, als er auf seinem Schulweg in der Schlossstraße viele Männer in SS-Uniformen sah, die jüdische Geschäfte plünderten. Auf dem Schulhof tauschten und handelten seine Mitschüler mit „erbeuteten Süßigkeiten“. 1939 wurden seine Mutter und er vom Pfarrer der Bekennenden Kirche, Moldaenke, in der Matthäus-Kirche zu Berlin-Steglitz evangelisch getauft. Graberts Erinnerungen an die letzten Jahre der Naziherrschaft in Deutschland und an die schwierige Lage seiner Familie verdeutlichen, dass dies den jungen Mann, der später an der Technischen Universität in Berlin studierte, in erheblichem Umfang prägte.

Auch die unmittelbaren Wochen nach dem Ende des Krieges schildert der Autor aus seiner Erinnerung und widmet dabei vor allem dem Einrücken der Westalliierten in Berlin breiten Raum.

Im März 1946 nahm der nun 18-jährige Grabert ein Studium an der Fakultät für Bauingenieurwesen auf. Ohne Abitur erhielt er die Zulassung durch eine Sonder-Aufnahmeprüfung und wurde vom damaligen Rektor, dem ehemaligen kommunistischen KZ-Häftling Prof. Kucharski, persönlich an der Technischen Universität begrüßt. Sein Studium hat er später als Diplomingenieur für Bauwesen abgeschlossen.

Bereits zuvor – noch im Jahre 1945 – hatte sich die parteipolitische Orientierung Horst Graberts und seines Vaters vollzogen. Diesen Vorgang beschreibt er aus seinen Erinnerungen: „Mein Vater Willy war sich schnell mit mir einig, dass man zur SPD gehen sollte. Die beiden bürgerlichen Parteien kamen für uns nicht in Frage, weil deren Vorgänger 1933 Hitler die Macht übertragen hatten. Zwar sprachen die Nazi immer von einer Machtergreifung, aber das war schlicht eine Lüge, denn der damalige Reichspräsident Hindenburg hatte auf Anraten der rechten Parteien Hitler zum Reichskanzler ernannt. Die CDU kam also nicht in Frage. Die KPD wollten wir nicht, weil sie völlig im Windschatten der sowjetischen Besatzung segelte und gar nicht in der Lage war, eine deutsche Interessenvertretung zu sein.“ Folglich traten Vater und Sohn frühzeitig in die SPD ein.

In seinem späteren politischen Lebensweg als Senatsdirektor in Berlin, als Senator für Bundesangelegenheiten und vor allem 1973/74 als Chef des Bundeskanzleramtes und enger Vertrauter des Kanzlers und SPD-Vorsitzenden Willy Brandt hat er von seiner langjährigen Parteimitgliedschaft profitiert. Grabert hat sich aber auch danach als Botschafter der Bundesrepublik in Österreich, Jugoslawien und Irland stets für die Durchsetzung der maßgeblich von Brandt stark beeinflussten Entspannungspolitik in Europa eingesetzt.

Horst Grabert hat seine Erinnerungen im Wesentlichen „aus dem Gedächtnis niedergeschrieben, das von Urkunden und anderen Unterlagen gestützt war“. Offenbar hat er sich dabei an die für ihn kritischen und bedrohlichen Jahre seiner Kindheit und Jugend bis zum Kriegsende sowie an die 1950er-Jahre detaillierter und genauer erinnert. Bedauerlich ist, dass man über die erste Hälfte der 1970er-Jahre relativ wenig erfährt. Seine wichtigste politische Rolle als Chef des Bundeskanzleramtes wird lediglich auf weniger als zwanzig Seiten behandelt. So erfährt der Leser leider nichts wesentlich Neues über die letzten Monate der Kanzlerschaft Willy Brandts, als diesem immer wieder Amtsmüdigkeit („Der Herr badet gern lau“ – Herbert Wehner) nachgesagt worden ist. Auch die Geschehnisse um Willy Brandts Rücktritt im Gefolge der „Guilleaume-Affäre“ im Mai 1974 bleiben in Graberts Erinnerungen seltsam blass.

Zu seiner kurzen Zeit als Interimsverhandlungsführer in den Gesprächen mit der DDR 1973, als Grabert den erkrankten Egon Bahr vertrat, erwähnt er deutliche Differenzen mit Günter Gaus und eine mangelhafte Zusammenarbeit. Graberts exklusives Urteil: „Ich war mir aber nicht sicher, ob Willy Brandt die Ursache dieses Umstandes richtig erkannte. Es gab keine Krise der Ost-Politik des Bundeskanzlers und auch keine Krise der DDR-Politik. Die kam Schritt für Schritt voran. Aber es gab eine Krise der Personen, die diese Politik durchzuführen hatten, weil nicht alle ausreichend teamfähig waren.“ Ob Graberts persönliche Wahrnehmung aus dieser Zeit zutreffend ist, kann vom Rezensenten trotz Kenntnis zahlreicher Verhandlungsakten aus Ost und West nicht beantwortet werden. Allerdings bezieht sich Grabert in dieser Passage seines Bandes offensichtlich auf das falsche Jahr. Es ging bei seinen Verhandlungen mit DDR-Staatssekretär Michael Kohl im Jahre1973 nicht um den „erfolgreichen Abschluss der Verhandlungen zum Grundvertrag“ mit der DDR, denn dieser war bereits am 21. Dezember 1972 unterzeichnet worden. 1973 redeten die Delegationen aus beiden deutschen Staaten über die Ratifizierung des Grundlagenvertrages sowie um die Einrichtung Ständiger Vertretungen in Bonn und Ost-Berlin, was schließlich im Frühjahr 1974 seinen erfolgreichen Abschluss fand.

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