D. Luscombe u.a. (Hgg.): New Cambridge Medieval History IV.1

Cover
Titel
The New Cambridge Medieval History IV. c.1024 - C.1198, Part I + II


Herausgeber
Luscombe, David; Riley-Smith, Jonathan
Reihe
The New Cambridge Medieval History
Erschienen
Anzahl Seiten
2 Bde., XXI, 917 S.; XIX, 959 S.
Preis
zus. £190.00
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Harald Müller, Institut für Geschichtswissenschaften, Humboldt-Universität zu Berlin

In zwei stattlichen Teilbänden mit insgesamt 40 Beiträgen und rund 1900 Seiten nähert sich die Neubearbeitung des renommierten britischen Handbuchs dem 11. und 12. Jahrhundert. Die im Titel angegebenen Jahreszahlen von der Erhebung Konrads II. zum deutschen König bis zum Ende des Pontifikats Papst Cölestins III. sind als Orientierungsmarken zu verstehen; zumindest punktuell wird bis zum IV. Laterankonzil im Jahre 1215 ausgegriffen. Die zeitliche Klammer lässt zunächst eine Ausrichtung auf das salische und staufische Kaisertum bis zum Thronstreit vermuten, doch reicht der Blick dieser beiden Bände über den deutschen und über den imperialen Rahmen weit hinaus. Vorgelegt wird vielmehr eine thematisch und regional aufgefächerte Geschichte der gesamten damals bekannten Welt.

Die Teilbände verfolgen je unterschiedliche Ziele. Der erste ist den Grundbedingungen und allgemeinen Strukturen des damaligen Lebens gewidmet. Er berührt in 18 Aufsätzen die Themenfelder Landwirtschaft und Demografie; Städte und Handel; Herrschaft und Gemeinde; Entwicklung des Rechts; ritterliche Gesellschaft; Krieg und christliche Ordnung; kirchliche Strukturen bis 1073; Kirchenreform bis 1122; religiöse Gemeinschaften; kirchliche Institutionen; Bildung und Wissenschaft; Kirche und Laien; Kreuzzüge bis 1198; die östlichen Kirchen; das muslimische Iberien; die Juden in Europa und im Mittelmeergebiet; schließlich Latein und die Volkssprachen sowie Architektur und bildende Kunst. Im zweiten Teilband werden diese Grundlagen dann im konkreten geografisch-politischen Rahmen vertieft behandelt, im Einzelnen: das Papsttum bis 1122; das Kaisertum der Salier; Nord- und Süditalien im 11. Jahrhundert; Frankreich bis 1108; Spanien im 11. Jahrhundert; England und die Normandie 1042-1137; das byzantinische Kaiserreich 1025-1118; die Kiewer Rus’, Bulgaren und Südslawen bis 1200; Polen, Skandinavien und Ungarn, jeweils im 11. und 12. Jahrhundert; das Papsttum 1122-1198; das Reich 1125-1197; Nord- und Süditalien sowie Spanien, jeweils im 12. Jahrhundert; Frankreich bis zu Philipp II. Augustus; England und die angevinischen Festlandbesitzungen bis 1204; Schottland, Irland und Wales im 12. Jahrhundert; Byzanz bis zur Eroberung Konstantinopels im Jahr 1204, der lateinischen Osten vom Ersten Kreuzzug bis 1205; abschließend mit Abbasiden, Fatimiden und Seldschuken bzw. Zengiden, Ayyubiden und Seldschuken der Blick auf die Völker des südlichen Mittelmeersaumes.

Die einzelnen Beiträge weisen Anmerkungen in unterschiedlicher Dichte auf. Die benutzten Quellen sind in einem Gesamtanhang verzeichnet, während jedem Aufsatz ein separates Literaturverzeichnis am Ende des jeweiligen Bandes beigegeben ist. Eine Farb- und 43 schwarz-weiß Abbildungen im ersten, genealogische Tafeln im zweiten Teilband sowie insgesamt 24 Karten, ein Autoren- und ein Abkürzungsverzeichnis vervollständigen das Informationsangebot. Beide Teile sind jeweils durch einen umfassenden Index erschlossen.

In der Summe bietet Band IV der New Cambridge Medieval History eine Universalgeschichte des 11. und 12. Jahrhunderts, und hier weit mehr als nur die Eckdaten der politischen Geschichte. Vor allem im ersten Teil wird der Leser mit grundlegenden Informationen aus unterschiedlichen Sachgebieten versorgt, die für das Verständnis der Ereignisgeschichte unerlässlich sind. Die ungeheure Dynamik dieser Epoche im Städtewesen, in den Wissenschaften, auf dem Gebiet des Rechts, aber auch die neuen Formen der Frömmigkeit und der Wertewandel in der ritterlichen Kultur werden hier in Einzelschritten herauspräpariert. Dabei bürgen die Namen anerkannter Spezialisten in beeindruckender Zahl für die Qualität der Beiträge; sie kann von einem Rezensenten allein nicht im Detail beurteilt werden. Dennoch fallen in Bezug auf Anlage und Durchführung des Handbuchs einige Dinge ins Auge. Erwartungsgemäß sind die Beiträge von sehr unterschiedlicher Gestalt. Während etwa die Geschichte Polens stark ereignisorientiert beschrieben wird, geizt der Beitrag über die Kreuzzüge strikt mit historischen Einzelheiten. Überblicke, die Strukturen herausarbeiten, kontrastieren mit kleinteiligen Nacherzählungen. Festzustellen ist ferner ein starkes Gewicht der lateinischen Kirchen- und der Papstgeschichte, erstere mit mindestes fünf, letztere mit zwei Beiträgen im engeren Sinne. Damit wird der römischen Kirche, die sich in einer Phase raschen Aufschwungs befand, schon quantitativ die zentrale Rolle im kulturellen und politischen Gefüge der damaligen Welt zugewiesen; dem Frontispiz, das den päpstlichen Thron in Santa Maria in Cosmedin zeigt, dürfte also programmatische Bedeutung beizumessen sein. Demgegenüber stehen die meisten anderen Themen unverbunden nebeneinander. Ein vergleichender Blick etwa auf die Königreiche Europas ist hier nicht intendiert und infolge der Unterschiedlichkeit der Einzelbeiträge auch kaum möglich.

Nicht allen Schwerpunktsetzungen, die die Autoren innerhalb ihrer Themenbereiche vorgenommen haben, wird der Leser uneingeschränkt Beifall zollen. So lässt das Kapitel über Geistesgeschichte und Gelehrsamkeit mit den Universitäten ein genuines Phänomen der Bildungsgeschichte des 12. Jahrhundert unberücksichtigt; Bologna wird allerdings im Rahmen der Rechtsgeschichte durchaus gewürdigt. Die hochmittelalterliche Ostsiedlung erscheint in einem von Anmerkungen unbelasteten und kaum Literatur nennenden Beitrag explizit als „Drang nach Osten“ (Bd. 1 S. 34) mit Vertreibungscharakter, was dem differenzierteren Stand der Forschung kaum entsprechen dürfte.1

Insgesamt wird der Benutzer mit reicher Information versorgt, er muss aber auch zwei weniger geglückte Punkte in Kauf nehmen. Die Beiträge sind zwar durchweg mit Karten versehen, diese sind jedoch häufig mit Einträgen überfrachtet, so dass die Orientierung schwer fällt und eine Nutzung etwa im akademischen Unterricht weitgehend ausgeschlossen ist. Schwerer wiegt die Beobachtung, dass in manchen Kapiteln jüngere Literatur nur unbefriedigend berücksichtigt wurde. Das mag an der Produktionszeit von mehr als 10 Jahren liegen oder an speziellen Problemen, die die Herausgeber eigens benennen (Bd. 1 S. XVII). Dennoch stimmt es nachdenklich, dass in mehreren Beiträgen von den Pseudo-Isidorischen Dekretalen die Rede ist, die nach Jahrhunderten geglückte Identifizierung Pseudo-Isidors durch Klaus Zechiel-Eckes aber in keiner der zugehörigen Literaturlisten auftaucht.2 Bei den Ausführungen über die päpstlichen Legaten vermisst man die Arbeiten von Stefan Weiß und Claudia Zey (Bd. 1 S. 416-419, Bd. 2 S. 24-26), zum Papsttum im 12. Jahrhundert insgesamt den wichtigen Sammelband einer Mainzer Tagung von 1996.3 Die Geschichte des Reichs unter den Staufern kommt ohne die Bücher von Johannes Laudage oder Knut Görich aus.4 Die Historia Compostellana sollte man heute wohl nicht mehr nach der Ausgabe bei Migne zitieren (Bd. 1 S. 379, 404), ebenso wenig Papsturkunden, die in modernen Editionen vorliegen (Bd. 1 S. 408).

Bei den hier genannten Beispielen handelt es sich um willkürliche Stichproben auf einem Gebiet, das dem Rezensenten ansatzweise vertraut ist; andere Leser werden andere Defizite feststellen. Das Durchblättern der Literaturlisten zu den einzelnen Beiträgen führt zu der Erkenntnis, dass Publikationen diesseits des Jahrgangs 2000 nur in Ausnahmefällen berücksichtigt wurden. Bei vielen Beiträgen liegt die Wahrnehmungsschwelle in den späten 1990ern, bei einigen allerdings deutlich früher. Das dadurch bedingte Fehlen auch wichtiger Referenzliteratur in einem Handbuch, dessen Aufgabe es sein muss, einen Überblick auf dem Stand der aktuellen Forschung zu geben, ist problematisch – zumal wenn es dadurch zu Fehlinformationen kommt (etwa Bd. 1 S. 381 zu delegierten Richtern des Papstes).

Es wäre unredlich, ein so stattliches Werk, zu dem 37 Autoren ihre Texte beigesteuert haben, an der Zahl der Versehen zu messen. Der vorliegende vierte Band der New Cambridge Medieval History ist für das 11. und 12. Jahrhundert das umfassendste und zugleich detailreichste Handbuch auf dem Markt – freilich auch das teuerste. Es gibt dem Leser die Möglichkeit, sich durchweg zuverlässig und auf hohem fachlichen Niveau über die Rahmenbedingungen und Grundstrukturen dieser Epoche ebenso zu informieren wie über die Geschichte einzelner Reiche oder Regionen. Das ist eine überaus respektable Leistung, die den Bänden auf lange Zeit Referenzcharakter sichern wird. In gleichem Maße verständliche Überblicksinformation bereitzustellen und den Wünschen der Spezialisten gerecht zu werden, ist ein äußerst schwieriges Unterfangen. Wer das in Rechnung stellt, wird mit großem Nutzen zu den beiden Hochmittelalter-Bänden greifen.

Anmerkungen:
1 Vgl. etwa: Rösener, Werner, Agrarwirtschaft, Agrarverfassung und ländliche Gesellschaft im Mittelalter, München 1992, S. 19, 77f.
2 Zechiel-Eckes, Klaus, Ein Blick in Pseudoisidors Werkstatt. Studien zum Entstehungsprozeß der Falschen Dekretalen, in: Francia 28, 1 (2001), S. 37-90.
3 Weiß, Stefan, Die Urkunden der päpstlichen Legaten von Leo IX. bis Coelestin III. (1049-1198), Köln 1995; Zey, Claudia, Zum päpstlichen Legatenwesen im 12. Jahrhundert, in: Hehl u.a. (siehe unten), S. 243-262; Hehl, Ernst-Dieter; Ringel, Ingrid Heike; Seibert, Hubertus (Hgg.), Das Papsttum in der Welt des 12. Jahrhunderts, Stuttgart 2002 (vgl. dazu die Rezension in H-Soz-u-Kult unter http://hsozkult.geschichte.hu-berlin.de/rezensionen/2003-2-018).
4 Görich, Knut, Die Ehre Friedrich Barbarossas. Kommunikation, Konflikt und politisches Handeln im 12. Jahrhundert, Darmstadt 2001 (vgl. dazu die Rezension in H-Soz-u-Kult unter http://hsozkult.geschichte.hu-berlin.de/rezensionen/MA-2002-003); Laudage, Johannes, Alexander III. und Friedrich Barbarossa, Köln 1997.

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