J. King: Budweisers into Czechs and Germans

Cover
Titel
Budweisers into Czechs and Germans. A Local History of Bohemian Politics, 1848-1948


Autor(en)
King, Jeremy
Erschienen
Anzahl Seiten
284 S.
Preis
$39.50
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Tobias Brinkmann, Simon-Dubnow-Institut für jüdische Geschichte und Kultur, Universität Leipzig

Der Name „Budweiser“ wird außerhalb von Mitteleuropa häufig nicht mit den Bewohnern der südböhmischen Stadt, sondern mit einer der größten amerikanischen Biermarken assoziiert. Der 1876 von deutschen Einwanderern gegründete Brau-Gigant Anhäuser-Busch in St. Louis und die kleine Budějovicky Budvar-Brauerei in Česke Budějovice streiten sich seit Jahren in den verschiedenen Exportmärkten um das Recht am Markennamen „Budweiser“. 1 Es entbehrt auf den ersten Blick nicht einer gewissen Ironie, dass die Budějovicky Budvar-Brauerei den „deutschen“ Namen „Budweiser“ bis heute für sich beansprucht. Gegründet wurde die Budějovicky Budvar-Brauerei 1895 ausdrücklich, um dem etablierten, 1795 gegründeten Bürgerlichen Brauhaus in Budweis ein „tschechisches“ Bier entgegenzustellen. Vermarktet wurde das Bier jedoch in der Habsburgermonarchie wie das des örtlichen „deutschen“ Konkurrenten unter dem Namen „Budweiser“ – und mit Erfolg. Jeremy Kings Fallstudie über Budweis/Budějovice zwischen 1848 und 1948 verdeutlicht, dass das „deutsche“ Etikett für das „tschechische“ Bier keine nationalen, sondern vielmehr imperial-lokale Wurzeln hat. Der Konkurrenzkampf der Budweiser Brauereien war ein exemplarischer Schauplatz des um die Jahrhundertwende erheblich an Schärfe gewinnenden Nationalitätenkonflikts im cisleithanischen Teil der Habsburgermonarchie, der aus Budweisern „Tschechen“ und „Deutsche“ machte.

Mit der Studie legt King die sorgfältig überarbeitete Fassung der an der New Yorker Columbia Universität entstandenen Dissertation vor. Der Fokus der in fünf Kapitel chronologisch gegliederten Arbeit liegt auf der Zeit zwischen 1848 und 1918, King stützt sich neben zahlreichen zeitgenössischen Publikationen vor allem auf publizistische Quellen; der Band verfügt über ein detailliertes Literaturverzeichnis.

King distanziert sich in der Einleitung überzeugend von einer verengten „nationalen“ Interpretation der Geschichte des Habsburger Reiches und speziell Böhmens im langen 19. Jahrhundert, die immer noch vorherrscht. 2 Kings zentrale These ist, dass ethnische Gruppen nicht „Vorläufer“ von Nationen, sondern vielmehr „nationale Produkte“ seien, die „in die Vergangenheit projiziert werden“ (S. 8). 3 Das Fallbeispiel Budweis/Budějovice illustriert tatsächlich eindrucksvoll die Gemengelage sich überlappender imperialer, lokaler, religiöser, sozialer und sprachlicher Identifikationsmuster, die erst in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts schrittweise nationalisiert oder marginalisiert wurden. Auf den ersten Blick ungewöhnlich erscheint, dass King für Personen, Orte und Dinge jeweils den tschechisch- und deutschsprachigen Namen nebeneinander nennt, wie in „Budweis/Budějovice“. Diese Doppelnennung war im Untersuchungszeitraum unüblich, allerdings waren jeweils beide Namen gebräuchlich. Eine Wahl für den einen oder anderen Namen in der historischen Darstellung würde, wie King überzeugend begründet, nicht nur eine Gewichtung zugunsten einer nationalen Seite bedeuten, sondern vor allem eine Vernachlässigung der „Habsburger Dimension“ implizieren, die sich im Schrägstrich ausdrücken sollen (S. 12).

Der Titel „Budweisers into Czechs and Germans“ ist von Eugen Webers Klassiker „Peasants into Frenchmen“ (1976) inspiriert. Angestoßen durch die Niederlage gegen Preußen initiierte die Dritte Französische Republik ein großes gesellschaftliches Modernisierungsprojekt, das Hand in Hand mit einem Prozess der nationalen Homogenisierung ging – aus der Landbevölkerung mit vielfältigen kulturellen Traditionen wurden moderne „Franzosen“ gemacht. Für Deutschland haben insbesondere Celia Applegate und Alon Confino die Bezüge zwischen Nationalisierung und regionalen Identitäten aus der Perspektive der Provinz herausgearbeitet. 4

Prozesse der inneren Nationalisierung waren in der Habsburgermonarchie ungleich brisanter. Die lokale Budweiser Perspektive illustriert, dass zwei häufig getrennt untersuchte Entwicklungen, innere Nationalisierung und soziale Stratifizierung, eng miteinander korrelierten. Bis Mitte des 19. Jahrhunderts identifizierten sich die Bewohner von Budweis/Budějovice als Bewohner ihrer Stadt und als Untertanen der Habsburgermonarchie. „Deutsch“ und „tschechisch“ standen in erster Linie für Sprachen und weniger für fest verwurzelte ethnische Identitäten. Viele Bewohner der Stadt waren zweisprachig. „Habsburg“ repräsentierte die ständische Ordnung, deutsch war die offizielle Amtssprache. King zeigt, wie sich schrittweise die Lager der Tschechen und Deutschen herausbildeten und sich die Bedeutung von „tschechisch“ und „deutsch“ wandelte. Beide Gruppen öffneten sich im Zuge des graduellen Aufweichens des Zensuswahlrechts nach unten. Es gelang vor allem den sich organisierenden Tschechen, die untere Mittelschicht, sogar Arbeiter zu integrieren – auf Kosten von liberalen Positionen. Die Ausweitung der Zahl der Wahlberechtigten schwächte die Stellung der Deutschen, die sich in verschiedene politische Gruppierungen aufspalteten: die liberale Partei wurde von den „völkischen“ Nationalisten und Christlich-Sozialen an den Rand gedrückt, dazu kamen die Sozialdemokraten. King argumentiert überzeugend, daß sich die Lokalpolitik nicht auf den Konflikt zwischen Tschechen und Deutschen reduzieren lässt. Es gab Personen und Gruppen, die sich den beiden Gruppen nicht eindeutig zuordnen lassen und von diesen umworben, bekämpft oder ignoriert wurden, darunter die Budweiser Juden, die Angehörigen der Armee und die Feudalaristokratie. Allerdings verlor die vergleichsweise disparate „dritte Nation“ der „Budweiser“ vor 1914 immer stärker an Boden.

Aus der lokalpolitischen und aus der Perspektive der Peripherie gewinnt das politische Auf und Ab zwischen Zentralismus und Föderalismus im cisleithanischen Teil der Doppelmonarchie spezifische Konturen. Die Analyse der Ethnisierungsprozesse zeigt, wie die Erosion der übergreifenden lokalen Budweiser und der Habsburger Identität korrelierten. Dennoch konnte die graduelle Schwächung des Zentrums durch eine zunehmende Akzeptanz multi- bzw. im Falle von Budweis/Budějovice binationaler Strukturen durch die Wiener Regierung partiell kompensiert werden. In langwierigen Verhandlungen wurden die nationalen Machtverhältnisse in komplizierte „Kompromisse“ gegossen. Und auch in Budweis/Budějovice war das Integrationspotential von Kaiser Franz Josef hoch. Die große Mehrheit der Bevölkerung war kaisertreu und achtete den seit 1848 regierenden Monarchen, der die Stadt 1895 besuchte und eine Ansprache auf Deutsch und Tschechisch hielt. In dieser Beziehung blieben Tschechen und Deutsche bis zum Tod Franz Josefs im November des Kriegsjahrs 1916 Budweiser.

Mit dem Wegfall der zunehmend fragilen, aber akzeptierten Klammer des Reiches am Ende des Ersten Weltkriegs wird daher verständlich, dass die Schutzmechanismen einer zivilen Herrschaft zwar eingeübt, aber verwundbar waren. War der Staat bis 1918 ein unparteiischer Schiedsrichter, ergriff er nun für die „Tschechen“, dann mit der „Zerschlagung der Rest-Tschechei“ 1938/39 für die „Deutschen“ und nach der Befreiung 1945 wieder für die „Tschechen“ Partei. Das erklärt trotz der weitgehend demokratischen Verhältnisse in der ČSR während der Zwischenkriegszeit teilweise die erhebliche Radikalisierung der inter-ethnischen Beziehungen zwischen 1918 und 1945/48. Die Studie illustriert an zahlreichen Beispielen die Unschärfe der Definition von „deutsch“ und „tschechisch“ im Untersuchungszeitraum. Die Spielräume verengten sich zwar, aber sie wurden noch 1945/46 genutzt, als Personen von der „deutschen“ zur „tschechischen“ Gruppe wechselten. Mit der Vertreibung der „Deutschen“ wurde „Budweis“ und damit die letzten Reste der imperial-lokalen Identifikationsmuster in den Worten von King „zu Grabe getragen“. Er unterstreicht, dass die Vertreibung dem von Moskau abhängigen kommunistischen Regime eine „tschechische“ Legitimität verlieh.

Ein wichtiger Lackmustest für die Akzeptanz von Differenz und damit für die innere Stabilität des Habsburger Reiches ist die Stellung der Budweiser Juden. Die kleine Gruppe hatte wie auch an vielen anderen Orten des Reiches eine starke imperiale Affinität. Nicht zuletzt deshalb gerieten die Budweiser Juden in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts immer stärker zwischen die Fronten. Führende Vertreter beider Gruppierungen, der „tschechischen“ und der „deutschen“, vertraten offen antisemitische Positionen, in mindestens einem Fall kam es vor 1918 zu gewaltsamen Übergriffen. Die Zerstörung jüdischen Lebens und die Deportation der Juden unter deutscher Besatzung bedeuteten den völligen Zusammenbruch ziviler rechtsstaatlicher Strukturen.

Die hervorragend geschriebene Studie ist für die Habsburg- und Nationalismus-Forschung ebenso wie für das Feld regionaler Identitäten in Mitteleuropa wegweisend. Angesichts der wichtigen These, dass „ethnische Gruppen“ rückwärtsgewandte Projektionen sind, bleibt jedoch unklar, warum King frühe Ethnisierungsprozesse vor der Revolution von 1848/49 nicht thematisiert. Auch die Zeitphase nach 1918 (vor allem 1918–1938), in der sich die Entwicklungen förmlich verdichteten, behandelt King zu knapp und unter Vernachlässigung der lokalen Perspektive zugunsten von übergeordneten politischen Fragen. Vor allem ein kurzes Kapitel zur „Legacy“ von „Budweis“ seit 1948 in tschechischen, österreichischen, deutschen und jüdischen Gedächtnissen wäre eine interessante Ergänzung gewesen. Aber diese Kritik soll eine beeindruckende Leistung nicht schmälern. „Budweisers into Czechs and Germans“ gibt einen wichtigen Impuls zur Erforschung anderer „multikultureller“ Städte und Regionen im Übergang von Imperium zum Nationalstaat in Ostmitteleuropa.

Anmerkungen:
1 BUD vs. BUD, in: The Prague Post, 9. Februar 2000.
2 Ausnahmen sind u.a.: Judson, Pieter M., Exclusive Revolutionaries, Liberal Politics, Social Experience, and National Identity in the Austrian Empire, 1848-1914, Ann Arbor 1996; Reifowitz, Ian, Imagining an Austrian Nation, Joseph Samuel Bloch and the Search for a Supraethnic Austrian Identity 1846–1918, New York 2003.
3 Zum Ansatz siehe: Brubaker, Rogers, Nationalism Reframed, Nationhood and the National Question in the New Europe, New York 1996.
4 Weber, Eugen, Peasants into Frenchmen, The Modernization of Rural France, 1870-1914, Stanford 1976; Confino, Alon, The Nation as a Local Metaphor, Würrttemberg, Imperial Germany, and National Memory 1871–1918, Chapel Hill 1997; Applegate, Celia, A Nation of Provincials, the German Idea of Heimat, Berkeley 1990.

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