A. Löw u.a. (Hgg.): Deutsche - Juden - Polen

Cover
Titel
Deutsche - Juden - Polen. Geschichte einer wechselvollen Beziehung im 20. Jahrhundert


Herausgeber
Löw, Andrea; Robusch, Kerstin; Walter, Stefanie
Reihe
Wissenschaftliche Reihe des Fritz Bauer Instituts 9
Erschienen
Frankfurt am Main 2004: Campus Verlag
Anzahl Seiten
276 S.
Preis
€ 29,90
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Stephanie Kowitz, Kompetenznetz Jüdische und Rabbinische Studien, Universität Potsdam

Dieser Sammelband stellt eine Festschrift für Hubert Schneider dar, einen wissenschaftlichen Mitarbeiter an der Fakultät für Geschichtswissenschaften der Ruhr-Universität. Er hat zum Ende der 1980er-Jahre ein Austauschprogramm zwischen der Universität in Bochum und der Jagiellonen-Universität in Krakau initiiert sowie den Verein „Erinnern für die Zukunft“ begründet. Diesen Beitrag zur Beziehungsgeschichte von Polen, Deutschen und Juden möchten drei seiner ehemaligen Studentinnen, Andrea Löw, Kerstin Robusch und Stefanie Walter, mit dem vorliegenden Buch würdigen. Das Ziel ist es, das Spannungsfeld der deutsch-jüdisch-polnischen Geschichte zu umschreiben und die bisherigen Grenzen der polnisch-jüdischen, deutschen-jüdischen oder polnisch-deutschen Betrachtungen zu überschreiten. Dem werden leider nicht alle Beiträge gerecht.

Als eine Art Prolog stellt Zdzisław Noga, der Direktor des Polnisch-Deutschen Zentrums in Krakau, die wechselseitigen Beziehungen von Deutschen, Juden und Polen in Krakau zur Zeit der Ersten Rzeczpospolita dar, d.h. von der Gründung der polnisch-litauischen Union im Jahr 1569 bis zu den Teilungen Polens am Ende des 18. Jahrhunderts. Dabei geht er vor allem auf die ethnischen, religiösen und wirtschaftlichen Beziehungen ein und kommt zu dem Schluss, dass die Juden in Krakau „in einer stärkeren Isolation als in anderen europäischen Ländern“ lebten (S. 30f.). Er erklärt diese Isolation mit der Größe der Gemeinde, die sich zahlreicher Sonderrechte erfreute und in der Lage war, sich in das eigene Milieu zurückzuziehen. Diese Besonderheit bildete laut Noga die Grundlage für die Entwicklung Krakaus „zu einem der wichtigsten Zentren jüdischen Lebens in Europa“ (S. 31). Das Verhältnis von Deutschen und Polen sei dagegen als deutlich enger zu beschreiben. Seit dem 16. Jahrhundert habe es verstärkte familiäre Verbindungen zwischen den Adelsfamilien gegeben, und auch innerhalb des deutschen und polnischen Bürgertums sei es nur zu wenigen Spannungen gekommen. Diese Mischung habe der Stadt Krakau „ein individuelles Kolorit“ verliehen und sich „positiv auf ihre Entwicklung“ ausgewirkt (S. 31).

Eine weitere Lokalstudie legt Andreas Hofmann vom Geisteswissenschaftlichen Zentrum für Geschichte und Kultur Ostmitteleuropas in Leipzig vor. Er untersucht die Geschichte der zentralpolnischen Textilstadt Lodz in der Zeit des Ersten Weltkrieges und stellt die Auswirkungen der deutschen Besatzungspolitik auf die verschiedenen Minderheiten dar. Obwohl die Besatzungsmacht bei ihren Maßnahmen im Prinzip keinen Unterschied zwischen den Nationalitäten der betroffenen Zivilbevölkerung machte, wirkte sich die Härte der Besatzungsherrschaft auf die verschiedenen nationalen Gruppen recht unterschiedlich aus. So trafen zum einen die Verschlechterung der Lebensverhältnisse und die zahlreichen Zwangsmaßnahmen in erster Linie das Industrieproletariat und die städtischen Unterschichten, die sich vor allem aus Juden und Polen zusammensetzten. Zum anderen schlugen bei der Umsetzung der Anordnungen deutsch-völkische, antipolnische und antisemitische Einstellungen von Angehörigen der Besatzungsverwaltung durch. Diese Maßnahmen verstärkten bereits zuvor vorhandene Spannungen zwischen den verschiedenen Nationalitäten in der Stadt. Hofmann kommt zu dem Ergebnis, dass „der Krieg mit seinen nationalistischen Parolen, vor allem aber die Härten der Besatzungspolitik die bereits in der ethnisch-sozialen Struktur der Stadt angelegten Konflikte förderten, die nationale Segregation vertieften und eine spätere Verständigung erschwerten“ (S. 74). Der Erste Weltkrieg bewirkte somit keinen Umbruch von einer multikulturellen Idylle zum Nationalitätenkampf, sondern wirkte lediglich als Katalysator.

Diesem interessanten Beitrag folgt ein Aufsatz von Thomas Rink (Berlin), der die deutsche Minderheitenpolitik in der Weimarer Republik untersucht. Mit dem Entschluss der Reichsregierung, den Eintritt in den Völkerbund anzustreben, wurde im September 1924 der Beginn einer aktiven Minderheitenpolitik eingeleitet. Fortan wurde um den Schutz der deutschen Minderheit in Polen ebenso gerungen wie um die Behandlung der polnischen Minderheit im Deutschen Reich. Während Gustav Stresemann der Überzeugung war, dass man die gleichen Rechte, die man für die Deutschen im Ausland verlange, auch für die Minderheiten in Deutschland gewähren müsse, warnten der preußische Kultusminister und der Oberpräsident Ostpreußens davor, dass eine Gewährung der Kulturautonomie im Osten der Verteidigung Ostpreußens das Rückgrat brechen werde. Die 1928 in Preußen beschlossene Minderheitenverfassung stellte vor diesem Hintergrund einen Kompromiss dar. Sie realisierte das Prinzip des subjektiven Bekenntnisses zur Bestimmung einer Minderheit, gestand dieser jedoch keine umfassende kulturelle Autonomie zu. Rink kommt zu dem Schluss, dass die deutsche Minderheitenpolitik sich von außenpolitischen Zielen habe leiten lassen (S. 93): „Sie diente als Instrument für die deutsche Revisionspolitik: Über die Stärkung der deutschen Minderheit in Polen sollte die angestrebte Revision der Ostgrenzen legitimiert werden.“ Trotz ihrer vermeintlich liberalen Haltung, die gegenüber dem Völkerbund vertreten wurde, war die deutsche Minderheitenpolitik dem vorherrschenden nationalistischen Diskurs verhaftet. Nationalkonservative bis völkische Begrifflichkeiten bestimmten die Auseinandersetzung und trugen in der Zeit der Weimarer Republik nicht zu einer Verbesserung der deutsch-polnischen Beziehungen bei.

Die vier folgenden Aufsätze widmen sich der Zeit des Zweiten Weltkrieges, die ohne Zweifel eine einschneidende Phase in den Beziehungen von Deutschen, Juden und Polen im 20. Jahrhundert darstellt. So untersucht der polnische Historiker Bogdan Musial die Verfolgung und Vernichtung der Juden im Generalgouvernement, Karol Sauerland widmet sich der polnischen Gesellschaft in der deutschen Besatzungszeit aus jüdischer Sicht, und Robert Kuwalek, ein Mitarbeiter der Gedenkstätte Majdanek, zeigt die Situation in dem Durchgangsghetto Izbica im Distrikt Lublin auf.

Die Mitherausgeberin Andrea Löw (Bochum) zeichnet in ihrem Beitrag die Geschichte der jüdischen Bevölkerung in Krakau seit dem deutschen Einmarsch bis zum März 1941 nach. Ihr Augenmerk richtet sich vor allem auf die Auswirkungen der deutschen Besatzungsmaßnahmen für die jüdische Bevölkerung. Anstelle einer detaillierten Beschreibung der nationalsozialistischen Vorschriften oder gängiger Schikanen bietet diese Untersuchung einen interessanten Ansatz, der eine Annäherung an die innerjüdische Perspektive ermöglicht und nicht die Rolle der Täter, sondern die der Opfer in den Blick nimmt. Eine weitere Mitherausgeberin des Sammelbandes, Kerstin Robusch, legt eine biografische Skizze zu Hermann Langbein vor, dem Generalsekretär des 1954 gegründeten Internationalen Auschwitz-Komitees (IAK).

Die beiden Aufsätze der Doktoranden Benedikt Faber und Dirk Pöppmann lassen zumindest Zweifel aufkommen, ob allein die jüdische Herkunft einer historischen Persönlichkeit ihre Behandlung in einem Band zur deutsch-jüdisch-polnischen Beziehungsgeschichte rechtfertigt. So beschäftigt sich Faber unter dem Titel „In der vordersten Front“ mit der Haltung Victor Klemperers zum Kommunismus und untersucht dessen gesellschaftlich-politisches Engagement sowie seine Haltung zum neuen Herrschaftssystem nach 1945. Pöppmann widmet sich der Ermordung des sozialdemokratischen Journalisten Felix Fechenbach, der am 8. August 1933 von den Nationalsozialisten erschossen worden war. Der Bezug dieser Themen zur jüdischen wie zur polnischen Beziehungsgeschichte bleibt unklar.

Den Abschluss des Sammelbandes bilden die „Erinnerungen eines Achtzigjährigen“ – des Bochumer Juden Jerry Freimark. Er schildert Reminiszenzen an seine Kindheit und Jugend in Bochum, beschreibt seine Flucht aus Deutschland und die späte emotionale Wiederannäherung an seine alte Heimat. Diese Annäherung ist vor allem der Initiative Hubert Schneiders zu verdanken, der mit dem Verein „Erinnern für die Zukunft“ Bochumer Juden eingeladen und zu einem Gespräch mit jungen Schülerinnen und Schülern ermuntert hat. Ein Besuch im Jahr 1995 hat Jerry Freimark zu einer anderen Einstellung gegenüber Deutschland und zu einem neuen Selbstverständnis als „Brückenbauer“ verholfen (S. 271).

Insgesamt bieten die Beiträge dieses Sammelbandes einen Einblick in die Vielfalt der Geschichte von Deutschen, Juden und Polen. Sie beleuchten unterschiedliche Aspekte in „einer wechselvollen Beziehung im 20. Jahrhundert“ (so der Untertitel) und lassen erkennen, dass das Feld der deutschen-polnisch-jüdischen Beziehungsgeschichte für junge Historikerinnen und Historiker auch weiterhin Ansatzpunkte für interessante Untersuchungen bietet – zumal das komplizierte Dreiecksverhältnis von Deutschen, Polen und Juden nur in wenigen der hier vorgestellten Aufsätze explizit erörtert und analysiert worden ist.

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