B. Bannasch u.a. (Hgg.): Verbot der Bilder - Gebot der Erinnerung

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Titel
Verbot der Bilder - Gebot der Erinnerung. Mediale Repräsentationen der Shoah


Herausgeber
Bannasch, Bettina; Hammer, Almuth
Erschienen
Frankfurt am Main 2004: Campus Verlag
Anzahl Seiten
418 S.
Preis
€ 45,00
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Bernd Boll, Freiburg im Breisgau

Lässt sich Auschwitz darstellen? Sind Bilder ein legitimes Medium der Repräsentation? Zu dieser immer wieder diskutierten Problematik veranstalteten die Kulturwissenschaftlerinnen Bettina Bannasch und Almuth Hammer 2002/03 in Gießen mehrere Arbeitstreffen und eine Tagung, deren Ergebnisse nun vorliegen. Rund 20 VertreterInnen verschiedener Disziplinen nähern sich dem Dilemma, wie das Gedächtnis an die Shoah bewahrt werden kann, ohne dass es durch unangemessene visuelle Repräsentation banalisiert wird. Aber ist Undarstellbarkeit wirklich ein Spezifikum der Shoah? Unzureichend im Sinne von Wahrhaftigkeit ist die Rekonstruktion aller historischen Ereignisse; Möglichkeiten und Grenzen bildlicher Repräsentation sind generell zu problematisieren. Die Unfassbarkeit des Massenmordes an den europäischen Juden wirft indes moralische Fragen auf, deren Beantwortung häufig der Theologie anvertraut wird.

Das Bilderverbot für die Shoah wurde ursprünglich religiös begründet, wie der Beitrag von Jens Mattern deutlich macht. Emmanuel Lévinas zufolge können sich Juden nicht im Sinne des Existenzialismus unbeschränkt selbst entwerfen, sondern erhielten durch die Shoah „die äußerste Freiheit“ (S. 37), ihr Judentum definitiv zu akzeptieren. Damit seien sie in einen Zustand der Heiligkeit eingegangen, der das alttestamentarische Verbot, sich von Gott ein Bild zu machen, auf die Juden insgesamt ausweite. Für Michael Tilly dagegen ist das theologische Bilderverbot nicht verbindlich: Es sei vielmehr „Ausdruck reformerischer Partikularinteressen“ im Judentum (S. 356) und habe nur anthropomorphen Gottesvorstellungen gegolten, nicht aber bildlichen Darstellungen generell. Wie Tilly am Beispiel der synagogalen Architektur nachweist, war bewusste Bildlosigkeit „ein Mittel der Integration nach innen und der Definition nach außen“ (S. 352) und konnte nach den Erfordernissen der jeweiligen jüdischen Gruppenidentität in der Diaspora strenger oder lascher gehandhabt werden. Eine Übertragung auf die Darstellung der deutschen Vernichtungspolitik sei aus theologischen Traditionen nicht ableitbar und schon deshalb nicht zulässig, weil die schöpferische Bildproduktion „vielen Opfern der Shoah auch während der unmenschlichen Gefangenschaft Kraft zum Weiterleben zu geben vermochte“ (S. 356).

Wie Andreas Langenohl zeigt, trieb Theodor W. Adorno in seiner „Negativen Dialektik“ das Bilderverbot von säkularen Prämissen ausgehend auf die Spitze, indem er jeden bildhaften Gedanken aus der Kritischen Theorie verbannte. Erinnerung an die Shoah verstand er ausschließlich als intellektuelle Reflexion, die dem Tod der Ermordeten keinen nachträglichen Sinn geben dürfe, sondern „auf die Anerkennung der historischen Sinnlosigkeit der Opfer überwundener Herrschaftsformen“ abzielen müsse (S. 80). Mit seiner Verbannung des konkreten Bildes aus dem Denken konnte sich Adorno auf den späten Sigmund Freud berufen, dem das altjüdische Bilderverbot als Beweis kulturellen Fortschritts galt: als Höherentwicklung der Kultur vom Triebhaften zum Geistigen, weil nun ein Gott zu verehren war, der unsichtbar blieb und von dem nur der Verstand eine Vorstellung gewinnen konnte. Christina Pfestroff weist in ihrem Beitrag über Jean-François Lyotard nach, dass dieser Freuds Bevorzugung des Diskursiven vor dem Gestalthaften nicht folgte, sondern im figuralen Raum eine „Sphäre mit eigenem Recht“ sah (S. 50). Sie spricht geradezu von einem „Bildlichkeitsgebot“ bei Lyotard (S. 45), der allerdings die künstlerische Darstellung der Shoah meinte und überdies nicht im Kunstwerk selbst, sondern im affektiven Zustand des Künstlers bei dessen Verfertigung die eigentliche Repräsentation des Dargestellten zu erkennen glaubte.

Paul Petzel fragt, ob das Bilderverbot eher ein Synonym für die Undarstellbarkeit des Verbrechens oder eine ethische Einstellung sei, die sich auf Respekt vor dessen Opfern gründe – zumal von Seiten der Nachfahren der Täter. Er sieht im Gesichtssinn eine „herrschaftliche Codierung“ (S. 375), die die Opfer abermals zu Opfern degradiere. Um dieser Falle zu entrinnen, plädiert Petzel für eine Präsentationsform von fotografischen Quellen, die den Blick des Betrachters mit thematisiert. Martin Schulz untersucht die Grenzen des Repäsentationspotenzials der Quellengattung Fotografie. Er zeigt, dass sich in jedem Foto verschiedene Blicke kreuzen: die der Täter, der Opfer und der jeweiligen Rezipienten. Jenseits der erforderlichen Quellenkritik bilden die Fotos so einen virtuellen kollektiven Gedächtnisraum, dessen Bilder „stets flexibel inszenierbare und kanonisierbare ikonografische Vorgaben“ darstellen (S. 205). Fotos seien unverzichtbar, weil sie sichtbar machten, was bislang als unsichtbar und damit undarstellbar galt, und somit „Bedingungen der Möglichkeit für das Erinnern selbst“ seien (S. 207). Dass Bilder der Shoah für die Nachfahren der Opfer und der Täter unterschiedliche Bedeutung haben können, macht der Beitrag von Matthias Heyl deutlich. Er fragt, ob sich hinter der Forderung nach einem Bilderverbot nicht eine „besonders elaborierte Form der Abdrängung“ verbergen könne (S. 118), und stellt unter Berufung auf die zahllosen Berichte von Überlebenden das Undarstellbarkeitspostulat in Frage. Ein Verzicht auf Bilder sei allenfalls dann gerechtfertigt, wenn mit der Ausstellung eines Fotos das Opfer entwürdigt und damit ein Teil der Tat fortgesetzt werde.

Wer ein Bilderverbot formuliere, lautet der Einwand von Detlef Hoffmann, ignoriere die Tatsache, dass Menschen „bildproduzierende Wesen“ seien (S. 381). Er weist auf die affektive Dimension von Bildern und deren Bedeutung für die individuelle Konstruktion der Ordnung der Welt hin: Erinnerung ohne bildliche Symbolisierung des Erlebten sei unmöglich. Ursula Stenger betont die wichtige Funktion von Fotos für die pädagogische Praxis: Indem Bilder Macht über unsere Körper haben und Gefühlslagen vermitteln, strukturieren sie Sinn, „eröffnen einen Blick auf Wirklichkeit und führen so wieder zu Wahrnehmungen“ (S. 139). Christoph Münz plädiert schließlich dafür, sich vom Undarstellbarkeitspostulat nicht abschrecken zu lassen, das George Steiner auch für die Sprache geltend macht – und dessen äußerste Konsequenz ein Schweigegebot wäre. Die Unzulänglichkeit der sprachlichen und visuellen Repräsentation möge Unbehagen verursachen, könne aber ein Bilderverbot nicht rechtfertigen.

In ihrem abschließenden Beitrag setzt Almuth Hammer voraus, dass Deutungen der Shoah durch einen religiösen Bezugsrahmen definiert seien. Ihre Argumentation, warum Lévinas’ Analogie zum jüdischen Gründungsereignis am Sinai unzutreffend und ein Bilderverbot deshalb nicht zu rechtfertigen sei, bleibt aber im theologischen Referenzsystem gefangen, verweigert sich der Empirie und verzichtet bedauerlicherweise darauf, wichtige Argumentationslinien zu bündeln, die Hammer in ihrem Projekt selbst mit angelegt hatte. Offenbar wird der Begriff „Bilderverbot“ von den beteiligten Autoren mit unterschiedlicher Reichweite ausgestattet. In seiner starken Variante ist es unzulässig, Bilder auch nur in Gedanken oder verbal zu entwerfen oder sie bei der Erforschung und Darstellung des Verbrechens zu benutzen. Die mittlere Variante besteht auf der Angemessenheit der Repräsentation, der Bildquellen gerecht werden müssten. Und die schwache Variante des Bilderverbots schließlich begnügt sich mit der Forderung nach einer ausreichenden Kontextualisierung und nach dem Verzicht im Einzelfall, um die Opfer durch Zurschaustellung nicht abermals zu entwürdigen.

Nun mag man sich mit gutem Grund entscheiden, Bilder nicht zur Darstellung der Shoah heranzuziehen. Für die Sphäre der Bildproduktion bleibt dann aber immer noch zu erklären, was Juden dazu bewogen haben mag, unter den widrigsten Bedingungen zu fotografieren, um der Nachwelt diese Zeugnisse der erlittenen Verfolgung zu überliefern. Und was die spätere Verwendung von Bildern der Shoah betrifft, besteht weiterhin erheblicher Erklärungsbedarf, warum und wie ungezählte Fotos durch ihre mediale Verbreitung unser Bild von dieser Verfolgung prägen. Gerade die Befürworter eines Bilderverbots lassen meist außer Acht, dass das Wissen um die Einzigartigkeit der Shoah eine Voraussetzung für die Formulierung des Bilderverbots ist, die selbst erst aus zahlreichen – auch bildhaften – Quellen gewonnen werden muss. Wer gegen die dokumentarische Fotografie einwendet, sie sei nicht in der Lage, den Anspruch auf ein „zutreffendes“ oder gar „wahres“ Gesamtbild einzulösen, misst sie am gestalteten Kunstwerk und übersieht, dass die geschichtswissenschaftliche Rekonstruktion eines historischen Ereignisses immer Annäherung bleiben muss: ein Destillat aus zahllosen offiziellen und privaten Text-, Bild- und Tondokumenten. Insgesamt enthält der Band zahlreiche bedenkenswerte Einsichten, deren interdisziplinäre Vernetzung für die Erforschung von visuellen Repräsentationen der Shoah aber weiterhin Desiderat bleibt.

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