Schweden und das nationalsozialistische Deutschland

Ekman, Stig; Åmark, Klas (Hrsg.): Sweden's relations with Nazism, Nazi Germany and the Holocaust. . Stockholm 2003 : Almqvist & Wiksell, ISBN 91-22-02013-6 371 S. € 37,61

: Schweden und das nationalsozialistische Deutschland. Eine annotierte Bibliographie der deutschsprachigen Forschungslitteraur. Stockholm 2003 : Almqvist & Wiksell, ISBN 91-22-02012-8 210 S. € 30,22

Rezensiert für H-Soz-Kult von
Andreas Åkerlund, Berlin

„Sweden’s relations with Nazism, Nazi Germany and the Holocaust“ (SWENAZ) heißt ein mit etwa 20 Millionen Kronen (etwa 1,8 Millionen Euro) ausgestattetes Forschungsprojekt, das 2001 von der schwedischen Regierung ins Leben gerufen wurde. Die beiden vorliegenden Bücher sind im Rahmen dieses auf vier Jahre angelegten Projekts entstanden.1

Das Buch „Sweden’s relations with Nazism, Nazi Germany and the Holocaust. A Survey of Research“ geht auf eine im Januar 2001 abgehaltene Planungskonferenz zurück und ist vorrangig als Bestandsaufnahme der bisherigen, vor allem schwedischen Forschung zum Thema zu sehen. Den Verfassern geht es aber auch darum Forschunglücken aufzuzeigen und Desiderata für die weitere Forschung zu erarbeiten.

Stig Ekman, Vorsitzender der Planungsgruppe des Projekts, kontrastiert in seiner Einleitung die schwedische Aufarbeitung der Zeit 1933-1945 mit dem politischen Kontext der Nachkriegszeit. Seine grobe Einteilung der schwedischen Forschung in ein „realpolitisches“ und ein „moralistisches“ Paradigma – der Unterschied liegt in der Beurteilung der schwedischen Politik NS-Deutschland gegenüber – trägt viel zu dem Verständnis der übrigen Artikel bei und hilft dem Leser bei der Einordnung der im Band besprochenen Publikationen. Gunnar Åselius (Verteidigungshochschule Stockholm) behandelt in ”Sweden and Nazi-Germany” vor allem die Geschichte der politischen Beziehungen zwischen Schweden und dem nationalsozialistischen Deutschland. Åselius hebt insbesondere die Bedeutung der Langzeitperspektive bei der Untersuchung der politischen Beziehungen hervor und beginnt daher seinen Überblick im Jahr nach der Gründung des Deutschen Reiches 1871.

Die ökonomischen Beziehungen der beiden Länder zu einander werden von Martin Fritz und Birgit Karlsson (Universität Göteborg) erörtert. Sie betonen die Abhängigkeit Schwedens von Deutschland hinsichtlich der Versorgung der Bevölkerung mit Lebensmitteln und der Industrie mit Kohle und setzen somit den schwedischen Export von Kugellagern und Eisen an das nationalsozialistische Deutschland in einen größeren ökonomischen Rahmen. ”Sweden and Nazism” von Jonas Hansson (Universität Lund) ist in vielerlei Hinsicht der interessanteste Artikel des gesamten Bandes. Hansson gelingt es, mehrere Themen – beispielsweise den Nationalsozialismus in Schweden, die kulturellen Kontakte zwischen Schweden und Deutschland, die schwedische Opposition gegen und die gleichzeitige Annäherung an den NS-Staat – zu einer kompakten und sehr lesenswerten Darstellung der verschiedenen Haltungen in Schweden, sowohl zu dem einheimischen Nationalsozialismus wie auch zu dem „neuen Deutschland“, zusammenzuführen.

”Sweden and the Holocaust from an international Perspective” von Harald Runblom (Universität Uppsala) fokussiert die schwedische Migrationspolitik, schwedische Hilfsaktionen und vor allem die Stellung des Holocaust in der schwedischen Geschichtswissenschaft nach dem Krieg. Die Tatsache, dass Runblom eine „internationale Perspektive“ wählt und also zum größten Teil auf nicht-schwedische Literatur zurückgreift, ist bezeichnend dafür wie wenig Beachtung dieses Thema in der schwedischen Geschichtswissenschaft bisher gefunden hat. Klas Åmark (Universität Stockholm) geht in seinem Beitrag ”Democracies in the struggle against dictatorships” einen Schritt über die bloße Präsentation der existierenden Forschung hinaus. Åmark weist auf die Notwendigkeit hin über die bilateralen Beziehungen zwischen Schweden und Deutschland hinaus die schwedische Politik während der 1930er und 1940er-Jahre stärker im gesamteuropäischen Kontext zu verorten.

Angesichts der Komplexität des Themas haben die Artikelverfasser eine bewundernswerte Arbeit geleistet. Als Zusammenfassung der schon existierenden, vor allem schwedischen, Forschung ist das Buch nur zu empfehlen. In der Kritik dessen, was bisher geleistet ist und in den Vorschlägen für weitere Untersuchungen zeigen sich die Verfasser auch weitgehend einig. Einerseits befürwortet man eine Ausdehnung des Untersuchungszeitraums auf die Vor- und Nachkriegszeit sowie eine stärkere Verortung der schwedisch-deutschen Beziehungen im gesamteuropäischen Kontext. Andererseits wird die Notwendigkeit einer ergänzenden Grundlagenforschung in vielen Bereichen betont. Vor allem seien deutsche Archive in der schwedischen Wissenschaft zu wenig genutzt worden, was nicht zuletzt auf die mangelnden Deutschkenntnisse unter schwedischen Wissenschaftlern zurückzuführen sei.

Leider weist das Buch auch einige Mängel auf, die weniger mit dem Inhalt als mit der Form zu tun haben und die Benutzung einschränkt. So beinhalten die Literaturangaben und die Fußnoten viele Schreibfehler und falsch geschriebene Buchtitel. Gravierender aber ist das Fehlen eines Stichwortverzeichnisses, wodurch die Suche nach Literatur zu historischen Personen oder Ereignissen zu einem mühsamen Unterfangen wird. Zwar befindet sich am Ende des Bandes eine von Sten Vedi (Universität Lund) zusammengestellte Bibliografie, die aber nicht primär alphabetisch, sondern in neunzehn, zum Teil recht schwer nachvollziehbare, thematische Schwerpunkte unterteilt ist.

Die Bibliografie „Schweden und das nationalsozialistische Deutschland“ von Patrick Vonderau (Humboldt Universität Berlin) ist als Ergänzung des von Ekman und Åmark herausgegebenen Bandes zu betrachten. Ziel war es eine möglichst umfassende Übersicht über die deutschsprachige Forschungsliteratur zum Thema „Schwedens Beziehungen zum Nationalsozialismus, NS-Deutschland und dem Holocaust“ zu erstellen, um somit die in der deutschen Geschichtswissenschaft vorherrschenden Arbeitsschwerpunkte aufzuführen. Mit aufgenommen wurden nicht nur wissenschaftliche Publikationen, sondern auch Memoiren und „graue Literatur“. Wer einen Überblick über die deutschsprachige Forschung zu Schweden für den zentralen Zeitraum 1933-1945 sucht, ist bei Vonderau bestens bedient, auch wenn fast die Hälfte der von ihm aufgeführten Publikationen unannotiert geblieben ist. Schade ist aber, dass er die Untersuchung von Birgitta Almgren über die schwedische Germanistik zur Zeit des Dritten Reiches nicht berücksichtigen konnte.2 Schuld hieran scheint aber die lange Zeit zwischen der Fertigstellung der Publikation und deren Drucklegung gewesen zu sein.

Die alphabetische Aufstellung der Einträge in dieser Bibliografie ist weitaus benutzerfreundlicher als die undurchsichtige thematische Aufstellung der Bibliografie in dem von Ekman und Åmark herausgegebenen Band. Dennoch ist die zeitliche Abgrenzung des Themas etwas fließend. Zwar versucht Vonderau der von Åselius befürworteten zeitlichen Ausweitung Rechnung zu tragen, allerdings mit der Folge, dass sich das Buch zum Teil wie eine sehr unvollständige Bibliografie der Literatur zu den deutsch-schwedischen Beziehungen des 20. Jahrhunderts liest. Auch die sprachliche Eingrenzung wird von Vonderau nicht eingehalten, da einige wenige sowohl englisch- wie auch schwedischsprachige Publikationen ihren Weg ins Buch gefunden haben. Darüber hinaus stellt sich die Frage, nach welchen Kriterien die Bücher für den annotierten Teil ausgewählt wurden. Zwar sei, so Vonderau, die vollständige Annotation aus Zeitgründen nicht möglich gewesen, dennoch fragt man sich, warum viele Publikationen, deren Titel einen offensichtlichen Bezug zu der Zeit 1933 bis 1945 aufweisen, unbehandelt geblieben sind, während viele andere, die Schweden und die Beziehungen Schweden-Deutschland in der Vor- und Nachkriegszeit behandeln, ausführlich annotiert wurden. Eine engere Eingrenzung des Zeitraums und eine Beschränkung auf die deutschsprachige Forschungsliteratur zu dem im Titel des Buches angegebenen Thema wäre meines Erachtens vorzuziehen gewesen.

Ingesamt stellt Vonderaus Bibliografie nicht zuletzt aufgrund seiner Schlussfolgerungen aus den von ihm zusammengetragenen Publikationen ein nützliches, wenn auch nicht optimales, Hilfsmittel dar. So stellt er fest, dass Schweden, im Vergleich zu anderen kleinen Ländern wie Dänemark, Holland oder der Schweiz in der deutschen Erforschung der NS-Zeit wenig Beachtung gefunden hat. Nicht nur sei die Zahl der Publikationen zum Thema Schweden und Nationalsozialismus in deutscher Sprache relativ gering, auch bezögen sich die Arbeiten kaum auf einander. „Anders formuliert, bündelt sich das Interesse am nordeuropäischen Nachbar [sic!] nicht in der systematischen Aufarbeitung eines abgesteckten Sachgebietes, sondern äußert sich in Miszellen zu spezialisierten Einzelthemen.“ (Vonderau, S 14) Nach dem Lesen der Bibliografie ist dieser Einschätzung Vonderaus nur zuzustimmen. Die zersplitterte Forschungssituation sei darauf zurückzuführen, dass ein Großteil der Publikationen – laut Vonderau schätzungsweise etwa siebzig Prozent – auf einen relativ kleinen Kreis von Personen zurückgeht. Hierbei handelt es sich weniger um deutsche Allgemeinhistoriker, sondern vor allem um Forscher aus der schwedischen Germanistik beziehungsweise der deutschen Skandinavistik.

Die Stärke der hier besprochenen Publikationen liegt daher in der systematischen Darstellung der bisherigen Forschung, das Aufzeigen von Forschungslücken sowie das Abstecken zukünftiger Forschungsgebiete. Als Übersicht über ein in Deutschland selten behandeltes Thema sind beide Bücher daher zu empfehlen.

Anmerkungen:
1 Für eine Übersicht der laufenden Teilprojekte siehe die Website des schwedischen Wissenschaftsrates: http://www.vr.se/humsam/index.asp?id=385&dok_id=16161616 (Stand: 29.08.2004) sowie die Website des Projekts: http://www.historia.su.se/swenaz.
2 Almgren, Birgitta, Illusion und Wirklichkeit. Individuelle und kollektive Denkmuster in nationalsozialistischer Kulturpolitik und Germanistik in Schweden 1928–1945 (Södertörn Academic Studies 7), Stockholm 2001.

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