S. Lorenz, B. Scholkmann (Hg.): Die Alemannen und das Christentum

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Titel
Die Alemannen und das Christentum. Zeugnisse eines kulturellen Umbruchs


Herausgeber
Lorenz, Sönke; Scholkmann, Barbara
Reihe
Schriften zur südwestdeutschen Landeskunde 48
Erschienen
Leinfelden-Echterdingen 2003: DRW-Verlag
Anzahl Seiten
176 S.
Preis
€ 55,50
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Michael Brauer, Institut für Geschichtswissenschaften, Humboldt-Universität zu Berlin

Der legendäre Bericht, den Gregor von Tours an zentraler Stelle seiner „Zehn Bücher Geschichten“ von der Bekehrung Chlodwigs in der Schlacht gegen die Alamannen bei Zülpich, von seinem Sieg und seiner anschließenden Taufe gibt, wird gemeinhin, allerdings längst nicht mehr unumstritten auf 496/97 datiert. 1500 Jahre später wurde das Ereignis auf mehreren Colloquien sowie in der Baden-Württembergischen Landesausstellung „Die Alamannen“ von 1997 aufgearbeitet.1 Im vergangenen Jahr ist schließlich der Sammelband der Tagung „Die Alemannen und das Christentum“ aus dem Umfeld der Ausstellung erschienen – verzögert durch die lange Suche nach Druckkostenzuschüssen.

Das späte Erscheinen und die Komplexität des Themas wecken hohe Erwartungen, ist doch der Übergang der Alamannen zum Christentum nicht mit spektakulären Ereignissen wie bei den Franken verbunden, sondern muss aus archäologischen und schriftlichen Indizien mühsam konstruiert werden. Das Ärgerliche am Tagungsband sei zuerst benannt: Die acht Beiträge sind ohne erkennbare Ordnung abgedruckt, ein Zusammenhang wird auch im lapidaren Vorwort der Herausgeber nicht hergestellt. Das Fehlen von Registern erschwert ein eigenständiges Durchdringen des Stoffes zusätzlich. Um dennoch die einzelnen Vorträge im Zusammenhang besprechen zu können, wird hier der längste und übergreifendste Artikel (Sönke Lorenz, Die Alemannen auf dem Weg zum Christentum, S. 65-113) als Gerüst benutzt, in das die übrigen Beiträge abweichend von ihrer Stellung im Tagungsband eingefügt werden.

Sönke Lorenz beginnt mit allgemeinen Überlegungen zu Mission und Christianisierung, um dann einen Überblick der Entwicklung von der Spätantike bis in die Karolingerzeit zu geben. Die Besiedlung durch die Alamannen in der Völkerwanderungszeit (4. bis Mitte 5. Jahrhundert), so Michael Hoeper in seinem Beitrag „Alemannische Besiedlungsgeschichte nach archäologischen Quellen“, erfolgte immer im Bereich römischer Kulturlandschaft, allerdings teilweise ohne Bezug zur römischen Infrastruktur. Die Siedlungsgeschichte der Merowingerzeit muss weitgehend offen bleiben, da man Reihengräberfelder als Indikatoren für Siedlungen hinzuziehen muss. Hoeper kann aber für den Breisgau ab der zweiten Hälfte des 7. Jahrhunderts Bevölkerungszunahme und Landesausbau beobachten.

Wie es um „Spätantikes Christentum und das Kontinuitätsproblem nach archäologischen Quellen“ bestellt ist, fragt Carola Jäggi, wobei sie sich auf spätantike Kirchen in römischen Städten/Kastellen der Nordschweiz (Kaiseraugst, Zurzach, Solothurn) konzentriert. Dabei stellt sie bei Gemeinde und Gebäude meist Kontinuität fest, wogegen sich die Funktion der Kirchen aus politischen Gründen häufig gewandelt hat.

Demgegenüber ist für die Alamannen im heutigen Baden-Württemberg von einem Neubeginn der Mission auszugehen, deren Träger Sönke Lorenz zu bestimmen versucht. Dabei stellt er die gängigen Vorstellungen von Missionierung in Frage: So seien die Bischöfe im 6. Jahrhundert noch nicht in der Lage gewesen, große Missionen zu übernehmen, und auch den bekannten Missionaren Columban, Gallus und Pirmin käme nur ein bedingter Anteil an der Ausbreitung des Christentums zu, da sie ohne Auftrag ihren Zellen keine Dauer verleihen konnten. Ebenso wenig seien Klostergründungen ausschlaggebend gewesen, da sie erst im Laufe des 8. Jahrhunderts aufkamen, als das Christentum bei den Alamannen schon verankert war. Wie das Christentum in Alemannien aber im 6. und 7. Jahrhundert Fuß fasste, ist eine Frage, die von Archäologie, Kunstgeschichte und Geschichtswissenschaft mit verschiedenen Indizienketten beantwortet wird. Barbara Scholkmann stellt die These auf, dass Kirchbauten die sichersten Indikatoren der Christianisierung seien (Frühmittelalterliche Kirchen im alemannischen Raum: Verbreitung, Bauformen und Funktion). Ihr zufolge beginnt der Kirchbau schon im 6. Jahrhundert, was unter Archäologen nicht unbestritten bleiben wird, da sie Gräberfelder als Beleg für eine Kirche ansieht, auch wenn sich von dieser keine Überreste erhalten haben. Der Kirchbau setze sich bis zum Ende des 8. Jahrhunderts so kontinuierlich und flächendeckend fort, „daß wir von einem weitgehend christlich gewordenen Alemannien ausgehen können“ (S. 135). Damit bestätigt sie Lorenz’ These, dass keine festen Missionszentren oder Missionswege auszumachen sind. Vielmehr seien die „Familien einer Oberschicht“ (ebd.) als Initiatoren anzusehen.

Dass Christianisierung nicht nur über den Kirchbau verlief, legt der Befund der Goldblattkreuze nahe (Matthias Knaut, Die Goldblattkreuze als Zeichen der Christianisierung). Dieser einfache Totenschmuck aus legiertem Blech, der von der Mitte des 6. Jahrhunderts bis zum Anfang des 8. Jahrhunderts vorkommt, kann als langobardische Erfindung gelten, die sich im Kerngebiet der Alamannen ausgebreitet hat. Goldblattkreuze wurden nur in Orts- und Reihengräberfeldern, jedoch nie in Kirchengräbern gefunden. Knaut schließt hieraus mit dem Archäologen Horst W. Böhme, dass es bei den Alamannen „zu einer Art Konkurrenzkampf zweier ‚rivalisierender‘ Glaubensausrichtungen“ gekommen sei: einer fränkischen mit Kirchenbestattung und einer nach Süden orientierten mit Goldblattkreuzen, die sich dem fränkischen Einfluss nicht beugen wollte, aber letztlich unterlag.2 Lorenz wendet gegen diesen Dualismus aus historischer Sicht zu Recht ein, dass gerade zu dieser Zeit eine große Unabhängigkeit des alemannischen Adels bestand, der eigene Kirchen gründete, allerdings mit fränkischen Patrozinien. Ein „komplementäres Phänomen“ stellten die Goldblattkreuze dennoch dar (S. 93).

Mit dem so genannten Eigenkirchenwesen ist der klassische Erklärungsansatz von Historikern und Archäologen für die Ausbreitung des Christentums im Frühmittelalter benannt, den Lorenz, Scholkmann, aber auch Böhme teilen. Dagegen formuliert Wilfried Hartmann (Die Eigenkirche: Grundelement der Kirchenstruktur bei den Alemannen?) die These, „daß die adelige Eigenkirche sich möglicherweise erst im Verlauf des 8. und 9. Jahrhunderts ausgebildet hat, […] als mit der Durchsetzung der Zehntpflicht und dem Beginn des Pfarrzwangs der Besitz von Kirchen für den Adel, aber auch für Klöster und Bischöfe, wirtschaftlich attraktiver geworden war“ (S. 11). Über die rechtliche Stellung der Landkirchen in spätmerowingischer Zeit seien kaum Aussagen möglich. Weiterführen könne vielleicht der Befund, dass in den (fränkischen und bayerischen) Nachbargebieten eher bischöfliche und königliche als adlige Kirchen vorherrschten. – Ein fruchtbarer Beitrag, dessen Thesen aber noch einer intensiveren Überprüfung bedürfen, denn die methodische Grundannahme, dass man von der Übertragung von Eigenkirchen an geistliche Institutionen auf ihre Verbreitung schließen kann, ist nicht zwingend. Eigenkirchen könnten sehr wohl lange vor ihrer Tradierung gegründet worden sein.

Die Besitzumschichtung zugunsten von Kirchen und Klöstern im 8. und 9. Jahrhundert bestätigt auch Thomas Zotz (Die Entwicklung der Grundherrschaft bei den Alamannen), der außerdem die Verbreitung der fränkischen zweigeteilten Grundherrschaftsform in Alemannien schon im frühen 8. Jahrhundert feststellt.

„Christentum und pagane Religiosität in Pactus und Lex Alamannorum“ behandelt Ruth Schmidt-Wiegand und gleicht damit in Ansätzen einen Mangel des Sammelbandes aus. Denn nur vor dem Hintergrund der Frage nach dem Heidentum der Alamannen vor der Mission kann die Frage nach ihrem Verhältnis zum Christentum systematisch gestellt werden.3 Schwere Vergehen sind Schmidt-Wiegand zufolge bei Christen wie Heiden immer mit Unheiligkeit konnotiert, was sie an den Beispielen Mord, Zauber und Magie und Grabfrevel darlegt. Wie aber kann man dabei Christliches und Heidnisches unterscheiden? Als Indikatoren für das Erkennen paganer Religiosität führt sie Hochbußen, volkssprachige Wörter und rechtsrituelle Handlungen und Gebärden an – ein Vorgehen, das im Einzelfall interessante Einsichten vermitteln kann, zusammen genommen aber zu stark der Vorstellung „heidnischer Überreste“ verhaftet ist und in der Begriffswahl („tiefere Schichten“, „relikthaft“, S. 114, „Reste“, S. 115, „urtümliche Verehrung von Pflanzen und Elementen“, S. 117) an die überholte Grimmsche Mythologie erinnert. In der Gesamtauswertung ist aber auch Schmidt-Wiegand vorsichtiger und geht von einer interpretatio Christiana aus, in der sich Christliches und Heidnisches längst verbunden haben.
Die verstreuten Ansätze des Christentums unter den Alamannen erfuhren eine deutliche Verdichtung durch das Zusammenwirken des Bistums Konstanz mit den Klöstern St. Gallen und Reichenau, die eine Zeitlang in Personalunion verbunden waren. Mit dem Aufstieg der Karolinger, so Lorenz’ Ausblick, wurde auch der alemannische Raum mit seinen christlichen Institutionen in das fränkische Reich eingegliedert.

Der Sammelband hinterlässt insgesamt einen zwiespältigen Gesamteindruck. In dem hier hergestellten Argumentationszusammenhang zeigen sich Chancen und Grenzen der interdisziplinären Zusammenarbeit, die bei diesem Thema unumgänglich ist, aber auch immer mit der Gefahr von Zirkelschlüssen und mit dem Rekurrieren auf veraltete Forschungsstände der Nachbardisziplinen behaftet ist. Allgemein anerkannte Ergebnisse sind zurzeit nicht abzusehen, denn wenn neben Bischöfen, Missionaren und Klöstern jetzt auch noch adlige Kirchherren als Missionsträger ausfallen sollen, bleibt die Ausbreitung des Christentums unter den Alamannen weiter im Dunkeln. Konstruktiv weiterführen könnte man die Forschungen, indem man Landesgeschichte stärker als exemplarische Zuspitzung und Erforschung von allgemeinen Problemen, in diesem Fall der Geschichte von Mission und Christianisierung, versteht und auf diese Weise auch die allgemeine Geschichte bereichert.

Anmerkungen:
1 Rouche, Michel (Hg.), Clovis: Histoire et mémoire, 2 Bde., Paris 1997; Geuenich, Dieter (Hg.), Die Franken und die Alemannen bis zur „Schlacht bei Zülpich“ (496/97), Berlin 1998; Berschin, Walter; Dieter, Geuenich; Steuer, Heiko, (Hgg.), Mission und Christianisierung am Hoch- und Oberrhein (6.-8. Jahrhundert), Stuttgart 2000; Landesdenkmalamt Baden-Württemberg (Hg.), Die Alamannen: Begleitband zur Ausstellung „Die Alamannen“, Stuttgart 1997.
2 Böhme, Horst W., Neue archäologische Aspekte zur Christianisierung Süddeutschlands während der jüngeren Merowingerzeit, in: Mission und Christianisierung am Hoch- und Oberrhein (wie Anm. 1), S. 75-109, Zitat S. 101.
3 Vorsichtig argumentierend aus archäologischer Sicht: Quast, Dieter, Opferplätze und heidnische Götter: Vorchristlicher Kult, in: Die Alamannen (wie Anm. 1), S. 433-440.

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