W. Paravicini u.a. (Hg.): Höfe und Residenzen

Cover
Titel
Höfe und Residenzen im spätmittelalterlichen Reich.


Autor(en)
Paravicini, Werner; Hirschbiegel, Jan; Wettlaufer, Jörg
Reihe
Residenzenforschung 15/1
Erschienen
Ostfildern 2003: Jan Thorbecke Verlag
Anzahl Seiten
1636 S. in 2 Teilbden.
Preis
€ 160,00
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Christian Hillen, Stiftung Rheinisch-Westfälisches Wirtschaftsarchiv zu Köln

Berlin, Bonn und wieder Berlin. Dieser Dreisprung beschreibt in wenigen Worten die wechselvolle Geschichte der deutschen Hauptstadt im vergangenen Jahrhundert. Vierzig Jahre davon war Deutschland sogar mit zwei Hauptstädten ausgestattet. Die Hauptstadtfrage war also noch bis in die jüngste Geschichte unseres Landes eine aktuelle, während sie bei unseren westlichen Nachbarn schon seit Jahrhunderten gelöst zu sein scheint. Vielleicht ist es daher kein Zufall, dass sich ausgerechnet deutsche Forschungsprojekte schon seit einiger Zeit mit der Frage beschäftigen, was einen Ort zu einem Hauptort und letztlich zu einer Hauptstadt im modernen Sinne macht. So hat die Residenzenkommission der Akademie der Wissenschaften zu Göttingen nun ein umfassendes und schwergewichtiges zweibändiges Handbuch zu Residenzenforschung vorgelegt.

Das Residenzenhandbuch will aber nicht alles und kann nicht alles. Gleich zu Beginn überrascht Herausgeber Werner Paravicini den Leser mit einer Aufzählung, was es nicht leisten kann und nicht leisten will. Dass aber offensichtlich trotzdem einiges an Material zusammengekommen ist, belegen die beiden voluminöse Bände, ein – laut eigenem Bekunden – „Hilfsmittel“, wie es „bislang weder in Deutschland […] noch anderswo in und für Europa“ existiert (S. IX).

Damit sind die beiden Pole fixiert, zwischen denen dieses Nachschlagewerke inhaltlich und methodisch angesiedelt ist: Man will möglichst umfassend sein, um den Namen Handbuch zu rechtfertigen, gleichzeitig ist man nicht perfektionistisch. Schon allein dafür, dass Paravicini es wagt, offen zuzugeben, dass „Perfektion oder auch nur die Annäherung an die Vollkommenheit nicht zu erreichen“ waren, gebührt ihm Respekt, besonders vor dem Hintergrund der deutschen Tradition der Gründlichkeit, die schon so manches Vorhaben zum Jahrhundertwerk hat werden lassen. Nützlichkeit und schnelle Verfügbarkeit standen bei diesem Projekt neben einer angemessenen wissenschaftlichen Gründlichkeit ganz oben auf der Prioritätenliste. So konnte dieses Handbuch in nur drei Jahren zu einem überaus überzeugenden Abschluss gebracht werden.

Mit dem Gedanken im Hinterkopf, dass auch Geschichtswissenschaft nicht immer auf absolute Perfektion bedacht sein kann oder gar muss, verbietet es sich von selbst, verschiedene Details zu kritisieren. Selbstverständlich sind die Artikel von unterschiedlicher Qualität – bei 200 Autoren ist dies nicht verwunderlich. So sind beispielsweise manche Autoren auf einem neueren Stand der Literatur als andere. Insgesamt waren aber Kenner ihres Faches am Werk, die den ihnen zugewiesenen Artikel nach einem vorgegebenen Schema bearbeitet haben. Dies sicherte die notwendige Homogenität der einzelnen Beiträge. Zahlreiche Literaturangaben weisen den Weg zu einer eingehenderen Beschäftigung mit einer Residenz oder einer Dynastie.

Nimmt man die Konzeption dieses Residenzenhandbuchs in den Blick, so fällt schon im Titel auf, dass penibel darauf geachtet wurde, stets den Zweiklang zwischen Orten und Personen zu wahren. Rein äußerlich weist schon die Zweiteilung in einen Band „Dynastien und Höfe“ und „Residenzen“ darauf hin. Damit wird der Einsicht der letzten Jahrzehnte Rechnung getragen, dass „im strengsten Sinne […] Residenz aber immer nur dort [ist], wo der Herrscher sich aufhält“ (S. XI), dass Personen und ihre Verflechtungen in das Zentrum des Erkenntnisinteresses gehören. Somit ist die Erforschung der Personen, der Höfe, ein unabdingbares Pendant zur Erforschung der Orte geworden, an und von denen Herrschaft ausgeübt wurde.1

Ausgangspunkt für die Auswahl der zu behandelnden Dynastien und Höfe des ersten Bandes ist die Zeit um 1500, von der aus nach vorne bis ins 17. und zurück bis ins 13. Jahrhundert geblickt wird. Die Wormser Reichsmatrikel von 1521 bildet in der Regel die Grundlage für die Erwähnung im Handbuch. Aus welchen Gründen ein Fürst und seine Dynastie nicht behandelt werden, wird leider nicht näher erwähnt. Weitere Ausnahmen werden mit den Königen und den entsprechenden königlichen Höfen gemacht, so dass sich beispielsweise auch die Staufer in diesem Nachschlagewerk verewigt finden. Dies erscheint angesichts der Bedeutung dieses und anderer Geschlechter, wie z.B. dem der Ludowinger, durchaus gerechtfertigt. Das Residenzenlexikon wildert aber nicht im Territorium des Repertoriums der deutschen Königspfalzen. Folgerichtig bleiben die königlichen Hauptorte, die sich nicht zu späteren Zeiten zu einer landesfürstlichen Residenz entwickelten, unerwähnt. Dies hätte den Rahmen des Vorhabens, ganz abgesehen von dem straffen Zeitplan, sicherlich gesprengt. Trotzdem hätte eine etwas griffigere Beschreibung, was unter Residenz zu verstehen ist bzw. eben nicht zu verstehen ist, geholfen. Vielleicht hätte die Einleitung von Gerhard Fouquet, die einen konzisen Überblick über die Entwicklung deutscher Hauptorte und Residenzen im europäischen Vergleich, sowie ein wenig Begriffsgeschichte bietet, in diesem Punkt etwas ausführlicher ausfallen können.

Damit wäre aber schon fast der einzige Mangel dieses ebenso umfangreichen wie nützlichen Nachschlagewerks erwähnt. Sicher – vieles hätte man sich noch wünschen können: Bilder oder Lagepläne zum Beispiel. Beides konnte aber mit Hinweis auf die Kosten leider nicht realisiert werden. Sie hätten den ohnehin schon stolzen Ladenpreis von 160 Euro noch weiter nach oben getrieben.

Mit seinen mehr als 570 Artikeln, davon über 350 allein zu den Residenzorten, wird das Residenzenhandbuch als Referenzwerk für alle, die sich mit diesem Themengebiet befassen, ein unverzichtbares Hilfsmittel sein – Paravicini hat nicht zu viel versprochen.

Anmerkung:
1 Zum Begriff Residenz vgl. Hirsch, Volker, Nochmals: Was war eine Residenz im späten Mittelalter?, Mitteilungen der Residenzen-Kommission 13.1 (2003), S. 16-22.

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