Chr. Groh: Kommunale Polizei im Wiederaufbau

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Titel
Kommunale Polizei im Wiederaufbau. Sozialgeschichte der Pforzheimer und Heilbronner Polizei von 1945 bis 1959


Autor(en)
Groh, Christian
Reihe
Quellen und Studien zur Geschichte der Stadt Pforzheim 4
Erschienen
Ubstadt-Weiher 2003: Verlag Regionalkultur
Anzahl Seiten
294 S.
Preis
€ 19,90
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Thomas Roth, Bonn

Natürlich existieren noch Lücken, doch unzweifelhaft verdichtet sich das Bild der westdeutschen "Nachkriegspolizei". Nach den grundlegenden Studien von Stefan Noethen über Rheinland/Westfalen 1945-53 und Klaus Weinhauer, der die Geschichte der Polizei bis Ende der 1960er-Jahre verfolgt1, liegt nun Christian Grohs Arbeit zur "Kommunalen Polizei im Wiederaufbau" vor. Groh, Leiter des Stadtarchivs Pforzheim, rekonstruiert die Geschichte der Pforzheimer Polizei von 1945 bis zu ihrer Verstaatlichung 1959. Er setzt damit die Region Württemberg-Baden auf die polizeigeschichtliche Landkarte und korrigiert die Konzentration der bisherigen Forschung auf die Länder in der (früheren) britischen Besatzungszone. Zum anderen verdichtet er die Thematik auf dem übersichtlichen Terrain einer Mittelstadt. Dadurch lassen sich die verschiedenen Facetten der Polizeientwicklung besser fassen und neue Perspektiven für die häufig auf großstädtische Szenarien fixierte Polizeiforschung gewinnen.

Die örtliche Beschränkung bringt allerdings auch ihre Schwierigkeiten mit sich. Zwar zieht der Autor angesichts der nicht immer ergiebigen Pforzheimer Quellen ergänzende Befunde aus der strukturell vergleichbaren Stadt Heilbronn hinzu. Aber auch so ist nicht zu umgehen, dass manche Überlieferungslücken nur mit Rückgriff auf die Landesebene, zeitgenössische Literatur oder allgemeine Forschungsergebnisse zu schließen sind. Zum anderen liefert eine Stadt wie Pforzheim natürlich nicht die gleichen dramaturgischen Effekte wie die Zentren der Polizeientwicklung: Polizeiskandale, politische Konflikte und spektakuläre Verbrechen. Groh weist mit Recht darauf hin, dass es auch das "Unspektakuläre" in der Polizeiarbeit zu analysieren gelte (S. 237). Diesen Ansatz hätte er allerdings noch stärken können, wenn er ausdrücklichere Vergleiche zwischen "Metropole" und "Provinz" angestellt hätte.

Trotz dieser Einschränkungen gelingt es dem Autor jedoch, ein großes thematisches Spektrum zu entfalten: von organisatorischen Reformen über die Personalpolitik, Ausrüstung und soziale Lage, Ausbildung und Schulung der Polizeibeamtenschaft bis zu ihrem Verhältnis zur Bevölkerung. Besonders herauszustreichen ist, dass Groh dem eigentlichen "Polizieren", der Konkretisierung von Herrschaftsansprüchen und Ordnungsvorstellungen im Alltag, großen Platz einräumt. Im Mittelpunkt steht dabei die Kriminalitätsbekämpfung, die er unter Rückgriff auf Ansätze der historischen Kriminalitätsforschung untersucht.

Im Kern der Arbeit steht natürlich die Frage nach Kontinuität und Wandel. Hier sieht Groh auf organisatorischer Ebene einen deutlichen Bruch mit dem nationalsozialistischen Polizeiapparat. Verantwortlich dafür war nicht nur das Reformkonzept der US-Militärregierung, das eine Kommunalisierung der Polizei und eine Entpolizeilichung von Verwaltungsaufgaben vorsah, sondern auch das Engagement der Kommune. Sie setzte sich noch nach dem baden-württembergischen Polizeigesetz, das 1955 die Grundlage für eine landesweite Verstaatlichung legte, für eine in die Kommunalverwaltung eingebettete, "bürgernahe" Polizei ein. Zwar schloss sich Pforzheim dem Trend zur Verstaatlichung und Rezentralisierung angesichts finanzieller Belastungen 1959 doch an, Groh betont jedoch die Bedeutung der kommunalen Episode für die "Demokratisierung" der Polizei.

Ähnlich bewertet er die personelle "Erneuerung". Zwar geht Groh auch auf die zunehmende Reintegration politisch belasteter Beamter ab Ende der 1940er-Jahre ein, sieht aber eine weitgehend "gelungene Entnazifizierung" (S. 79). Die Frage nach den in der Forschung diskutierten Entlastungs- und Schweigegemeinschaften verneint er. Dies ist nicht unplausibel, nachdem sich solche Netzwerke vor allem im Umfeld zentraler Einrichtungen und großer Behörden entwickelt haben. Allerdings argumentiert Groh nur auf der Grundlage von Unterlagen der Polizeiverwaltung; ein Hinweis auf Entnazifizierungs- und Personalakten, die für eine Untersuchung des "networking" unabdingbar sind, findet sich jedoch nicht.

Plastisch beschreibt Groh die mitunter schwierigen Lebens- und Arbeitsbedingungen der Polizisten, das anfängliche Misstrauen der Bevölkerung gegenüber polizeilichen Regulierungen, die aufgrund mangelhafter Ausrüstung zunächst geringen Durchsetzungschancen der Polizei und das mühsame Hineinfinden in die neu zugeschnittene Polizistenrolle. Anschaulich wird auch die Arbeit der Militärregierung und Polizeiverwaltung am Habitus des Beamten. Zwar gehörten autoritäre und militärische Verhaltens- und Führungsmuster weiterhin zum polizeilichen Alltag, zwar konzentrierte sich die Ausbildung auf fachliche Fragen zu Lasten der "Sozialkompetenz" (S. 89), dennoch verschob sich das Anforderungsprofil zugunsten des "zivilen", "höflichen" und "zuvorkommenden" Polizeibeamten, des "Bürgers in Uniform" oder "Diener des Volkes" (S. 239f.). Die Stimmung der Bevölkerung wurde zu einem wichtigen Orientierungspunkt der Polizeiverantwortlichen und erfuhr im Dienstalltag wie bei öffentlichen Aufklärungs- und Werbeveranstaltungen starke Beachtung. Mit dieser Hinwendung zum "Publikum" knüpfte man einerseits an die Polizeipolitik der Weimarer Zeit an, nahm andererseits aber auch Elemente der späteren Diskussionen um die "Bürgerpolizei" vorweg.

Der Blick auf die Polizeiarbeit nimmt bei der Kriminalitätsentwicklung der 1940er und 1950er-Jahre seinen Ausgang. Das grundsätzliche "Problem" historischer Kriminalitätsforschung, dass Kriminalstatistiken nicht als "objektive" Marker für abweichendes Verhalten gelesen werden können, sondern auch auf die Ressourcen der Polizei, Anzeigeneigung, Verfolgungskampagnen und öffentliche Themenkonjunkturen verweisen, bewältigt Groh durch eine differenzierende Interpretation der Zahlen. Er malt das Bild einer Nachkriegskrise, in der "Normzerfall" und Versorgungsengpässe, eine besondere Gelegenheitsstruktur und der Autoritätsverlust der staatlichen Akteure zu einer weit verbreiteten Schwarzmarkt- und Eigentumskriminalität führten.2 Mit der Währungsreform 1948 und der gesellschaftlichen Stabilisierung habe sich das Kriminalitätsbild jedoch wieder "normalisiert", und durch Verschiebung in der Anzeigebereitschaft und der polizeilichen Aufmerksamkeit gewannen andere Straftaten wie Sittlichkeitsdelikte wieder an "statistischem Gewicht".

In einem zweiten Schritt problematisiert Groh den polizeilichen Blick auf "gefährliche Orte", Milieus und Gruppen. Seine Befunde, die sich weitgehend auf polizeiliche Unterlagen, nur ausnahmsweise aber auf Justizakten stützen, sind hier unterschiedlich dicht. Er kann jedoch zeigen, wie weit die polizeiliche Arbeit von selektiven Wahrnehmungen und vorgängigen Urteilen geprägt war. Deutlich werden die besonderen "Verwahrlosungs"-Ängste und Verhaltensanforderungen gegenüber Jugendlichen und bei Frauen, wo sich die "Bekämpfung" von Geschlechtskrankheiten mit der Durchsetzung einer geschlechtsspezifischen Moral verband. Die Allgegenwart abweichenden Verhaltens in den ersten Nachkriegsjahren konnte überlieferte soziale Grenzziehungen offenbar nicht relativieren; vielmehr arbeitete die Polizei – im Austausch mit der Bevölkerung – bald wieder an der Unterscheidung von "ordentlichen Menschen" und "Ordnungsstörern" (S. 236), kriminellen und konformen Kreisen. Besonders deutlich kann Groh dies an den Ressentiments und besonderen Verdachtsstrukturen gegenüber "Displaced Persons" oder farbigen Besatzungssoldaten zeigen. Alltägliche Erfahrungen mit Raubdelikten oder Vergewaltigungen und soziale Konflikte (etwa um Wohnraum) wurden hier in generalisierende Feindbilder überführt. Dagegen kontrastiert das weit nachsichtigere und "fürsorgerische" Verhalten der Polizei gegenüber Vertriebenen. Zwar lässt sich gegenüber DP's, Besatzungssoldaten sowie Sinti und Roma ein Fortwirken rassistischer Propaganda vermuten. Insgesamt sieht Groh bei der örtlichen Polizei aber kein gezieltes Anknüpfen an nationalsozialistische Auffassungen, sondern eine Kontinuität traditioneller Vorurteile und Vorstellungen von "Ordnung" und "Sittlichkeit" (S. 238).3

Trotz der angesprochenen Hypotheken streicht Groh, wie schon der Titel der Arbeit signalisiert, die positiven Entwicklungen heraus. Neben der organisatorischen Reform und der "Entnazifizierung" wird das wieder gewonnene Vertrauen der Bevölkerung in die Polizei auf der Habenseite verbucht. Die noch bestehenden "undemokratischen" und "diskriminierenden" Haltungen in der Pforzheimer Polizei hätten dagegen kaum Realisierungschancen gehabt (S. 266ff.). Dies lag nicht nur an der Kontrolle durch die US-Militärregierung und den neu gezogenen gesetzlichen Grenzen, sondern auch an dem sich wandelnden gesellschaftlichen Klima und dem "ruhigen Pflaster" der Stadt. Grohs Fazit ist begründet, verweist aber auf die perspektivische Vorentscheidung der Studie. Von den "Metropolen" und dem Blickwinkel betroffener "Minderheiten" aus lässt sich die Geschichte polizeilichen Handelns in den 50er Jahren sicher stärker als Geschichte von Konflikt und Ausgrenzung schreiben.

Anmerkungen:
1 Noethen, Stefan, Alte Kameraden und neue Kollegen. Polizei in Nordrhein-Westfalen 1945-1953, Essen 2002; Weinhauer, Klaus, Schutzpolizei in der Bundesrepublik. Zwischen Bürgerkrieg und Innerer Sicherheit. Die turbulenten sechziger Jahre, Paderborn 2003.
2 Dass sich dieses "Kriminalitätsbild" bereits vor 1945 herauszubilden begann, hat die Forschung bisher zu wenig thematisiert. Vgl. jetzt aber das Projekt von Malte Zierenberg zum Berliner Schwarzmarkt der 1940er-Jahre (http://www.uni-koeln.de/phil-fak/histsem/Forschung/Drittmittelprojekte/schwarzmarkt_zierenberg.htm).
3 Zu ähnlichen Ergebnissen kommt Linck, Stephan, Der Ordnung verpflichtet. Deutsche Polizei 1933-1949. Der Fall Flensburg, Paderborn 2000.

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