T. Bein: Liebe und Erotik /A. de la Croix: Liebeskunst und Lebenslust

: Liebe und Erotik. . Graz 2003 : Akademische Druck- und Verlagsanstalt, ISBN 3-201-01806-6 165 S., Abb. € 49,00

: Liebeskunst und Lebenslust. Sinnlichkeit im Mittelalter. Ostfildern 2003 : Jan Thorbecke Verlag, ISBN 3-7995-0112-6 176 S., Abb. € 22,90

Rezensiert für H-Soz-Kult von
Doris Bulach, Historisches Institut, Lehrstuhl für Osteuropäische Geschichte, Ernst-Moritz-Arndt-Universität Greifswald

„Sex sells“. Diese Devise der Unterhaltungsindustrie scheint auch auf die Veröffentlichungen zum Thema Mittelalter überzugreifen. So kommt man derzeit in keinem Museumsshop oder modernen Antiquariat an den reich bebilderten Werken zum mittelalterlichen Liebesleben wie „Liebesfreuden im Mittelalter“ 1 oder der „Kunst der Liebe im Mittelalter“ 2 vorbei - Werke, bei denen die beigefügten Texte vor den Bildern eher in den Hintergrund rücken. Zu diesem Themenkreis gesellen sich nun zwei weitere, ganz unterschiedlich konzipierte Bände. Während Thomas Bein, Professor für Ältere Deutsche Literatur und Sprache in Aachen, in „Liebe und Erotik im Mittelalter“ ausgesuchten Buchmalereien gleichberechtigt erläuternde Texte zur Seite stellt, ist der Band von Arnaud de la Croix ausgewählten Bereichen zum Thema „Liebeskunst und Lebenslust. Sinnlichkeit im Mittelalter“ gewidmet. Dem Buch sind 14 kleinformatige schwarz-weiße Abbildungen und in der Mitte des Bandes 21 farbige Abbildungen meist aus dem Spätmittelalter und der frühen Neuzeit beigegeben. Diese aus zahlreichen anderen Publikationen bekannten Abbildungen stehen allerdings meist ohne direkten Zusammenhang zum Text, sind schmückendes Beiwerk.

Nicht nur bei der Konzeption, auch im äußeren Erscheinungsbild sind beide Bände völlig konträr. Der Band von Bein ist in der Reihe „Lebensbilder des Mittelalters“ erschienen, die sich „kulturhistorisch interessanten“ Themen widmet, die „ausgehend und illustriert von Meisterwerken der Buchmalerei eine möglichst umfassende Behandlung“ erfahren sollen. Durch die ansprechende und hochwertige Aufmachung lässt der Band jedes bibliophile Herz höher schlagen, wohingegen der Verlag bei de la Croix eher das Gegenteil beabsichtigt zu haben scheint: Schmückt den äußeren Umschlag zumindest noch ein Detail von Cranachs Eva, so ist der Einband darunter tief schwarz gehalten und das Inhaltsverzeichnis, die Abbildungen und die einzelnen Kapitelüberschriften werden durch bis zu sechs unmotivierte, fette schwarze Balken, begleitet von einer schwarzen Zierleiste eingerahmt – ein Verfahren, das nicht gerade zum Lesen des Buches einlädt. Schlägt man es dann aber auf, wird man angenehm überrascht. Kein reißerisches Werk ist hier entstanden, sondern fünf Hauptkapitel mit klugen Überlegungen zum Liebesdiskurs und zur Sprache über die Liebe zwischen Antike und Renaissance. De la Croix ist dabei der französischen Form des essayistischen historischen Schreibens verpflichtet, bei der Anmerkungen eine eher geringe Rolle spielen und an das Ende des Bandes verbannt sind.

Einer knappen Einleitung folgt ein erstes kürzeres Kapitel (Vom antiken Eros zur mittelalterlichen Erotik), in dem ausgehend von Platons „Gastmahl“ und Ovids „Liebeskunst“ antike Vorbilder für die mittelalterlichen Liebesvorstellungen offeriert werden. In „Fin’amor“ folgen Ausführungen und zahlreiche Beispiele zur Troubadourlyrik des 12./13. Jahrhunderts, in denen de la Croix weitgehend Jacques Chailley und René Nelli folgt, die die enge Verbindung zwischen liturgischen Texten und denjenigen der provenzalischen Dichtungen konstatieren und den großen Einfluss betont, den die arabische Welt Spaniens, aber auch keltische Ursprünge auf die Minnelieder hatten. Im Kapitel „Dorée d’amour“ zeigt de la Croix anhand gut ausgewählter Beispiele den Wandel des Liebesdiskurses vom „Traktat der Liebe“ von Andreas Capellanus über die wohl ebenfalls keltisch beeinflussten Lais, den Tristan- und den Artusstoff hin zum Rosenroman, dessen Fortsetzer Jean de Meun „das Ende des höfischen Traums“ einläutete (S. 106). Nach diesem Bogen vom antiken Liebesdiskurs hin zum ähnlich gelagerten der Renaissance werden im folgenden Kapitel „Mystischer und weiblicher Eros“ die mit sexuellen Anspielungen gefüllten Texte der mittelalterlichen Mystikerinnen und Mystiker mit den widersprüchlichen Reaktionen der Kirche konfrontiert. Dem „mystischen“ Diskurs der Liebe wird mit zahlreichen Textbeispielen abschließend „Die Sexualität des Volkes“ gegenübergestellt. Ein ganz anderer, unmittelbarer Liebesdiskurs, bei denen die Sprache derb und direkt ist und die Darsteller und Sprecher Bauern, Bürger oder der niedere Klerus sind, wie beispielsweise in den so genannten Fabliaux oder den Carmina Burana, deren Autoren meist unbekannt sind.

Thomas Bein nähert sich in seinem gut DIN A4 großen Band den Phänomenen Liebe, Erotik und Sexualität von einer anderen Seite, indem er diese Begriffe zuerst einmal genauer umgrenzt und ihre Entstehungs- und Bedeutungsgeschichte beleuchtet. In einem zweiten Schritt stellt er dann typologisch ganz unterschiedlichen Quellen vor, mit deren Hilfe er sich dem Thema nähern will. Dichtung, theologische und medizinische Texte werden von Bein gekonnt eingeführt und auch fachunkundigen Lesern und Leserinnen verständlich nahe gebracht. Das gleiche gilt auch für das anschließende Kapitel, in dem verschiedene mittelalterliche Handschriften näher beleuchtet werden.
Den Hauptteil des Bandes nehmen jedoch, dem Konzept der Reihe folgend, 45 Abbildungen mittelalterlicher Buchmalereien ein, wobei zwölf Themenbereichen jeweils ein bis sieben Abbildungen zugeordnet werden, darunter beispielsweise „Liebe, Verliebtheit, Zärtlichkeit“ (fünf Abbildungen), „Nacktheit“ (sieben) oder „gelebte Lust“ (eine Textabbildung). Den großformatigen Abbildungen – teils Handschriften, teils Bilder – auf der rechten Buchseite stehen Erläuterungen zum Inhalt, zum Bildprogramm und zu den dargestellten Gefühlen, ebenso wie genaue Quellenangaben, Editionsnachweise und Literaturangaben auf der linken Seite gegenüber. Die Texte sind aber nicht nur reine Erläuterungen des in den Reproduktionen Dargestellten, sondern ziehen gekonnt Parallelen von der Vergangenheit zur Gegenwart, regen zum genauen Hinsehen an, bringen dazu, Neues zu entdecken, verführen zum langen Verweilen.
Unter den ausgewählten Reproduktionen in hervorragender drucktechnischer Qualität findet sich naturgemäß neben den hinreichend bekannten Abbildungen aus der Manessischen Liederhandschrift (insgesamt neun Reproduktionen) auch weniger Bekanntes: Reproduktionen von Text- und Bildseiten aus „Tristan und Isolde“, „Der arme Heinrich“, „Parzival“, dem Eneasroman, dem Rosenroman, der „Chirurgica“ des Abu’l Qasim Halaf sind neben bisher unediertem Material aus verschiedenen medizinischen Texten, Psaltern oder Volksbibeln zu betrachten.

Beiden Bänden ist gemeinsam, dass sie auf unterschiedlicher Quellengrundlage versuchen, sich behutsam dem zu nähern, was Liebe im Mittelalter war und letztlich auch heute immer noch ist: ein Phänomen, dass sich schwerlich in Worte – vielleicht eher noch in Bilder – fassen ließ und lässt. Dies geschieht sowohl bei de la Croix als auch bei Bein in einer Weise, die beide Bände nicht nur für ein breiteres Publikum nützlich macht, sondern die auch für Wissenschaftler und Wissenschaftlerinnen ungemein anregend und weiterführend ist.

Anmerkungen:
1 Bartz, Gabriele; Karnein, Alfred; Lange, Claudio, Liebesfreuden im Mittelalter. Kultur der Erotik und Sexualität in Bildern und Dokumenten, München 2001.
2 Camille, Michael, Die Kunst der Liebe im Mittelalter, Köln 2000.

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