: Die Politik der Ehre. Die Rehabilitierung der Berufssoldaten in der frühen Bundesrepublik. Göttingen 2004 : Wallstein Verlag, ISBN 3-89244-658-X 633 S. € 48,00

: Wehrmacht Generals, West German Society, and the Debate on Rearmament, 1949-1959. . Westport 2003 : Praeger Publishers, ISBN 0-275-97968-7 316 S. € 76,00

Rezensiert für H-Soz-Kult von
Klaus Naumann, Hamburger Institut für Sozialforschung

Die Frage, wie es möglich war, mit dem alten Militärpersonal neue Streitkräfte unter völlig gewandelten Rahmenbedingungen (Demokratie, Bündnis, Atomwaffen) aufzubauen, gehört noch immer zu den produktiven Rätseln der Zeitgeschichtsschreibung. Inzwischen kann die Forschung auf eine ganze Reihe von Einzelstudien1 und die vierbändige Gesamtdarstellung des Militärgeschichtlichen Forschungsamtes über die „Anfänge westdeutscher Sicherheitspolitik“ (München 1983ff.) zurückgreifen, aber zwei neue Arbeiten zeigen, dass es noch eine Menge zu erfahren gibt. Insbesondere die Rekonstruktion der Binnenkommunikationen der alten Militärelite, ihrer Hintergrundtätigkeit in dem sich bald abzeichnenden Kalten Krieg und der beginnenden Wiederbewaffnungsdebatte sowie ihrer späten „Rückkehr in die Bürgerlichkeit“ (Ulrich Herbert) ist in mehrfacher Hinsicht aufschlussreich. Denn in diesem widersprüchlichen Prozess von Integration und Arrangement ging es nicht nur um eine der ehemals prominentesten Funktionseliten des NS-Regimes; mit den Berufssoldaten im allgemeinen und der Generalität insbesondere stand eine Schlüsselgruppe zur Debatte, in der sich NS-Affinität und bürgerlicher Werthorizont geradezu paradigmatisch verbunden hatten.

Die beiden aus Dissertationen hervorgegangenen Studien von Searle und Manig bearbeiten die Frühphase des Integrationsprozesses. Die Themenstellungen ergänzen sich produktiv bei geringen Überschneidungen. Während Searle die Geschichte einer strategischen Kerngruppe der Generalität nachzeichnet, die in der Wiederbewaffnungsdebatte, im und um das Amt Blank, in Soldatenverbänden, in der Öffentlichkeit und anlässlich der (wenigen) Generalsprozesse tätig war, richtet Manig den Blick auf das Binnenleben der Verbände, ihr interessenpolitisches Beziehungsgeflecht untereinander, mit den Landesregierungen und der Bundesregierung sowie insbesondere mit dem Amt Blank. Besteht der Vorzug von Searles Arbeit darin, den Blick über das Gründungsdatum der Bundeswehr hinaus zu lenken, so dass die Konturen des Wandels in den späten 1950er-Jahre sichtbar werden, gleicht Manig den engeren zeitlichen Zuschnitt auf die Kernjahre 1947 bis 1953 mit einer umfassenden Mikroanalyse der soldatischen Interessenpolitik aus. Und was endgültig dazu anhält, beide Studien nebeneinander zu lesen, ist die Tatsache, dass beide Autoren sich in ihren Thesen und Ergebnissen widersprechen. Während für Searle, salopp gesagt, das Glas halbvoll ist, ist es für Manig halbleer.

Searle lenkt das Augenmerk auf Indikatoren eines „inneren“ Wandels bei den Generalen und auf Veränderungen des öffentlichen General- und Wehrmachtbildes. Manig hingegen betont die Ambivalenz zwischen Aufgeschlossenheit und „Ungebrochenheit“, das Schwanken zwischen Staatsskepsis und Staatsverlangen, zwischen verletztem Standesstolz („Ehre“) und Mitwirkungsbereitschaft. Sein Interesse richtet sich auf die Offenheit des in den frühen 1950er-Jahren noch unabgeschlossenen Integrationsprozesses.

Searle belegt die widersprüchlichen Wirkungen der Niederlage, Kriegsgefangenschaft und Strafverfolgung, die die Spannungen im höheren Offizierkorps zunächst zudeckten, um aber in den Auseinandersetzungen mit der Nachkriegsrealität, in den Positionskämpfen um künftige Wiederverwendungen und Einflussnahmen nur umso heftiger wieder aufzubrechen. Dabei konzentriert er sich auf eine kleine Kerngruppe von ca. 30 Ex-Generalen, ohne dabei in den Fehler der Bundeswehr-Hagiografie zu fallen, die Rolle von Heusinger und Speidel unangemessen zu erhöhen. Im Gegenteil: Anhand der Nachlassmaterialien kann Searle zeigen, wie stark die Planungsphase im Amt Blank von einem Netzwerk unterschiedlicher Akteure und Akteursgruppen geprägt und begleitet wurde. Mochte man im Amt Blank Kritikern entgegenhalten, dass der Anteil von Generalstäblern im Hause nicht so hoch sei, wie von düpierten Truppenoffizieren gern unterstellt wurde, dominierte in diesem Geflecht verbundener Gruppierungen allemal der Typ des reichswehrs- und wehrmachtgeprägten Generalstabsoffiziers. In diesem Sinne wurde versucht, Einfluss auf die Personalpolitik zu nehmen. Das ansonsten reklamierte Soldatenethos vertrug sich bei den Gründervätern mit Diffamierungskampagnen, Anschwärzungen bei den Alliierten und dem Lancieren von Gerüchten über missliebige „Außenseiter“.

Zu einem recht optimistischen Bild soldatischer Loyalität gegenüber dem neuen Staat kommt Searle hingegen in der Bewertung des parlamentarischen Personalgutachterausschusses, den viele „trotz ihres Unbehagens“ unterstützt hätten. (Hier kann Manig zeigen, wie stark selbst die Auswahl der Ausschussmitglieder von einem Arrangement zwischen dem frühen „CDU-Staat“ und dem Verband Deutscher Soldaten mitbestimmt war.) Die wechselvolle Frühgeschichte der Soldatenverbände wird von Searle zwar als „Schlachtfeld“ der ehemaligen Generale um Wiederbewaffnung und NS-Vergangenheit bezeichnet, gewinnt angesichts des „guten“ Endes aber freundliche Züge, wobei der Einfluss der wenigen unkonventionellen Generale wie Graf Schwerin oder Geyr von Schweppenburg meines Erachtens überschätzt wird, zumal solche Stimmen unter tätiger Mithilfe des Speidel-Kreises frühzeitig marginalisiert wurden.

Gegenüber skeptischeren Befunden kann Searle überzeugend argumentieren, dass in der Generalität eine machtrealistische Haltung an Boden gewann, die indessen von zahllosen Partialkonflikten begleitet wurde. Ex-Generale hatten öffentlich wie intern bemerkenswerten Anteil an der Wiederbewaffnungsdebatte, und sie standen nicht durchweg auf der reaktionären Seite, sondern bemühten sich in namhaften Einzelfällen, den militärischen Neubeginn abzusichern – wenn auch die wenigsten bereit waren, dafür die unsichtbaren Grenzen der Gruppenloyalität zu überschreiten. Andererseits war es gerade diese realistische „mittlere Linie“ selbst stilisierten Expertentums, die zeitgenössische Beobachter mit zwiespältigen Gefühlen wahrnahmen, da sie dahinter blanken Opportunismus witterten. Ob man insgesamt so weit gehen sollte wie Searle, der die Konsolidierung der Gesellschaft und die Demokratisierung der Streitkräfte „niemals ernsthaft“ von ehemaligen Generalen „bedroht“ sehen will (S. 282), scheint mit Blick auf die Frühphase bis 1953 (und auf Manigs Erträge) eine zu allgemeine These; zur Wahl stand zumindest die Alternative zwischen einer mehr autoritär verfassten oder einer sich liberalisierenden Demokratie.

Dagegen bürgerte sich in der damaligen Öffentlichkeit – wohl nicht ganz ohne Einfluss der DDR-Propaganda – die Unterscheidung zwischen den „guten“ und den „Nazi-Generalen“ ein. Searle sieht darin nicht zu Unrecht eine frühe Erschütterung der Legendenbildung von einer „sauberen“ Wehrmacht. So berechtigt dieser Einwand gegen die These eines allumfassenden Reinigungsmythos auch ist, sollten zwei Tatsachen nicht aus dem Auge verloren werden, die Searle selbst erwähnt, aber nicht in die Schlussfolgerung einbezieht. Zum einen gab es die populäre, auf die Niederlage von Stalingrad, den 20. Juli und letztlich auf gezielte NS-Propaganda zurückgehende Formel „Generale sind Verräter“, zum anderen bezogen sich die strafrechtlich verfolgten Delikte der Generalsprozesse fast ausschließlich auf Endphasenverbrechen an deutschen Soldaten, nicht auf Kriegsverbrechen an Zivilisten in den besetzten Ostgebieten.2 Beide Beobachtungen erfordern es, die Binnenstruktur der Legendenbildung um die Wehrmacht auszudifferenzieren, in der eben einige etwas weniger „sauber“ waren als die anderen. Affekte gegen die „Verheizer“ in Stäben und Generalität vertrugen sich durchaus mit selbstgerechten Kollektivurteilen über „die“ Wehrmacht.

Die methodische Stärke von Manigs extrem ergiebiger Arbeit besteht demgegenüber darin, die Haltungen relevanter Gruppen der ehemaligen Berufssoldaten, insbesondere der höheren Offiziere, aus dem verbände- und interessenpolitischen Agieren um Pensionen, Ehrenerklärungen, Wiederverwendungen, Ab- und Ausgrenzungen zu rekonstruieren. Dabei weist seine Arbeit über die schon vorliegenden Studien von Diehl und Lockenour3 hinaus, weil er die organisierte Interessenpolitik und -ideologie nicht per se als Integrationshebel qualifiziert, sondern weitergehend danach fragt, welche Bedeutung informellen Politiken und symbolischen Tauschhandlungen zukam. Damit geraten nicht allein die Integrationskosten viel stärker in den Blick; deutlich wird auch, wie weit (wenn nicht skrupellos) die Landes- und Bundesregierungen bereit waren, dem „Soldatennationalismus“ entgegenzukommen, um bürgerliche Mehrheiten abzusichern, rechtslastiges Potenzial aufzufangen und das erwünschte Fachpersonal für die anstehende Wiederbewaffnung möglichst umfassend abzuschöpfen. Anschaulich wird dadurch, dass die spätere Ultrastabilität des „CDU-Staates“ und der westdeutschen Demokratie anfangs auf einem schwankenden Boden stand.

Die Erfolgsgeschichte des Projekts Demokratiegründung verdankte sich zunächst stärker der Interventionsbereitschaft der Alliierten Hohen Kommissare – nicht zuletzt gegenüber der Regierung Adenauer – als den „inneren“ Wandlungen der konservativen Alteliten. Daher steht weniger eine „Verwandlungspolitik“ (Rusinek) im Zentrum von Manigs Aufmerksamkeit als vielmehr ein Amalgam aus wechselseitiger Anpassung und Machtrealismus, unterlegt mit Ressentiments und Staatsverdrossenheit. Manig versteht es, diesen Integrationsprozess als eine extrem konjunkturanfällige und symbolpolitisch hoch aufgeladene Abfolge von Nachfrage- und Angebotspolitiken zu entschlüsseln. Druck wurde mit Gegendruck, Junktim mit Gegenjunktim verbunden, und zeitweise schien es offen, wer wen und wie weit über den Tisch ziehen konnte. Dabei stand die „Ehre“ zunächst ebenso als Verhandlungsmasse zur Disposition wie das Bekenntnis zum 20. Juli, die Beteiligung an den Personalauswahlverfahren für die „neue Wehrmacht“, die offensive Abgrenzung von der Waffen-SS (HIAG) oder die trennscharfe Unterscheidung zwischen NS-Tätern und „Kriegsverurteilten“, „Kriminellen“ und „Soldaten“. Die Genese der Legende von der „sauberen“ Wehrmacht deutet Manig als Diskursstrategie einer ins Volksparteiliche gewendeten Politik der „Mitte“, die hier und dort mit scharfen Rändern versehen wurde (bzw. auf Verlangen der Alliierten versehen werden musste). Diese politischen Tauschgeschäfte fanden innerhalb und zwischen den Verbänden, zwischen ihnen und dem „Staat“ sowie zwischen der Bundesregierung und den Alliierten statt. Es ist nachgerade spannend zu verfolgen, wie die Millimeterarbeit nach der Korea-Krise 1950 an Intensität gewann und sich im „Soldatensommer“ 1951 zum offenen Affront der neu gegründeten Veteranenverbände steigerte, so dass die Bonner Planer und Politiker ihre Konzessionsbereitschaft ins Prinzipienlose steigern zu müssen glaubten (etwas weniger 20. Juli für etwas mehr Waffen-SS), bis sie von den Alliierten zurückgepfiffen wurden. Erst mit dem bürgerlichen Konsolidierungssieg in der Bundestagswahl 1953 fasste die Politik Tritt und schwenkte auf eine selbstbewusstere Angebotsstrategie ein, die die ehemaligen Berufssoldaten versuchte ruhigzustellen, einzubinden und für die gemeinsame Sache des Wehrbeitrags zu aktivieren.

Aber war es nur (oder doch vorwiegend) Druck von außen, der den Weg zum Integrationserfolg pflasterte? Manig bleibt die Antwort nicht schuldig, und was er aus den Binnenkommunikationen der soldatischen Akteure herausliest, gehört zum Aufschlussreichsten, was über die Wehrmachtoffiziere in der frühen Bundesrepublik bisher geschrieben worden ist. Auch das ehemalige Offizierkorps, greifbar in seinen umtriebigen Wort- und Verhandlungsführern, hatte seine posttotalitäre Melancholie. Man formulierte Forderungen, Vorbedingungen und Junktims, verstand es, die eigenen Standesinteressen zu Fragen der „nationalen Ehre“ aufzublasen, wollte aber um keinen Preis die Marginalisierung riskieren. Es war, wie Manig wohl zutreffend konstatiert, eine gebrochene Grundhaltung, der die letzte Konsequenz fehlte. Letztlich war das Verlangen nach bürgerlicher Respektabilität und Beteiligung doch drängender als die Stimme der nationalistischen und antipolitischen Ressentiments. Wie es im Innern der Akteure aussah, hat ein berufener Zeuge, Generalinspekteur Ulrich de Maizière, später einmal vorsichtig angedeutet: "Von der Ratio her haben alle unsere Generale die Gegebenheiten der pluralistischen Gesellschaft erfasst, aber bei manchen ist das nicht so sehr in die Fasern ihres Herzens eingedrungen, dass plötzlich nicht mal was anderes hochkommen könnte."4

Anmerkungen:
1 Vgl. Höfner, Karlheinz, Die Aufrüstung Westdeutschlands. Willensbildung, Entscheidungsprozesse und Spielräume westdeutscher Politik 1945 bis 1950, München 1990; Buchholz, Frank, Strategische und militärpolitische Diskussionen in der Gründungsphase der Bundeswehr 1949-1960, Frankfurt am Main 1990; Large, David Clay, Germans to the Front. West German Rearmament in the Adenauer Era, Chapel Hill 1996.
2 Vgl. auch Searle, Alaric, Revising the „Myth“ of a „Clean Wehrmacht“: Generals’ Trials, Public Opinion, and the Dynamics of Vergangenheitsbewältigung in West Germany, 1948–1960, in: Bulletin des German Historical Institute London 25 (2003), Heft 2, S. 17-48.
3 Diehl, James M., The Thanks of the Fatherland. German Veterans after the Second World War, Chapel Hill 1993; Lockenour, Jay, Soldiers as Citizens. Former Wehrmacht Officers in the Federal Republic of Germany, 1945–1955, Lincoln, NE 2001; zu letzterem vgl. die kritische Rezension von Bartov, Omer, in: German Politics and Society 21 (2003), Heft 2, S. 112-116.
4 Zit. nach "Uns versteht keiner so richtig". Spiegel-Report über die Generale der Bundeswehr, in: Der Spiegel Nr. 25/1970, S. 33-52, hier S. 50.

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