D. Büchel u.a. (Hgg.): Modell Rom?

Cover
Titel
Modell Rom?. Der Kirchenstaat und Italien in der Frühen Neuzeit


Herausgeber
Büchel, Daniel; Reinhard, Volker
Erschienen
Köln 2003: Böhlau Verlag
Anzahl Seiten
320 S.
Preis
€ 29,90
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Julia Zunckel, Genua

Bekanntlich ist es nicht zuletzt den bahnbrechenden Studien von Historikern wie Paolo Prodi und Wolfgang Reinhard zuzuschreiben, dass die noch aus den Kultur- und Säkularisierungskämpfen des 19. Jahrhunderts herrührende ideologische Blockierung der Papsttumsforschung weitestgehend aufgebrochen werden konnte. Mittlerweile haben die auf die späten 1970er-Jahre datierenden Neuansätze „Schule“ gemacht, so dass sich die um den geistlich/weltlichen Doppelcharakter päpstlicher Herrschaft rankenden Problemfelder seitens einer allmählich (zusammen-)wachsendenden Forschergemeinde eines recht regen Interesses erfreuen.

Auch das bei der Untersuchung der päpstlichen Herrschaftsstrukturen schon frühzeitig zum Einsatz gelangte Instrumentarium der Verflechtungs- bzw. Networkansätze hat sich unterdessen auf breiter Front durchgesetzt. Jedoch zeigt gerade die aktuelle Diskussion um die Patronageforschung, wie erstaunlich oberflächlich und selektiv-verzerrend die Ergebnisse der sozialgeschichtlich orientierten Papsttumsforschung bisweilen präsentiert und rezipiert werden. Zweifellos steht die von den Romspezialisten eingenommene Nischenposition unter den Frühneuzeithistorikern auch mit dem seit dem Dreißigjährigen Krieg zu konstatierenden rapiden internationalen Bedeutungsverlust des Papsttums sowie mit der zunehmenden Rückständigkeit des Kirchenstaats im europäischen Vergleich in Zusammenhang. Allein schon deshalb scheint es geboten, dass die Romforschung das Erkenntnispotential des eigenen Untersuchungsfeldes immer wieder selbstkritisch reflektiert, in Hinblick auf seine wissenschaftliche Relevanz befragt und zukunftsweisende Perspektiven entwickelt.

Im September 2001 stellte sich eine fachübergreifend angelegte, vornehmlich aus jüngeren Nachwuchswissenschaftlern des deutschsprachigen Raums zusammengesetzte Tagung auf Geheiß des Fribourger Lehrstuhlinhabers und ausgewiesenen Italienspezialisten Volker Reinhardt sowie seines Assistenten Daniel Büchel dieser Aufgabe. Unbestreitbar ist die Kollektivleistung aller Teilnehmer, die sich mit der von den Organisatoren vorgegebenen Leitfrage nach dem Modellcharakter und der ungebrochenen Ausstrahlungskraft des römischen Hofes grosso modo im Zeitraum zwischen Tridentinum und Dreißigjährigem Krieg äußerst kontrovers und kritisch auseinander setzten. Um so begrüßenswerter ist es, dass Büchel und Reinhardt - wie bereits bei dem 2001 erschienen Tagungsband „Die Kreise der Nepoten“ - auch bei der inzwischen vorliegenden Publikation „Modell Rom?“ eine Zusammenfassung des sich an die vier Themensektionen jeweils anschließenden Diskussionsgangs mitliefern. Ob sich die allzu akribische Beibehaltung der gesamten Tagungsdramaturgie allerdings für den Leser als vorteilhaft erweist, muss insbesondere in Hinblick auf die heterogene Zusammensetzung der ersten beiden Sektionen bezweifelt werden. Auch sind sämtliche Sektionsüberschriften wegen ihrer kaum zu überbietenden begrifflichen Unschärfe keinesfalls dazu geeignet, dem Leser die Orientierung oder den Einstieg in das Thema zu erleichtern.

Einen systematischen und umfassenden Überblick über die aktuelle Romforschung sollte man von diesem Tagungsband also keinesfalls erwarten. Anders, als ein flüchtiger Blick auf das Inhaltsverzeichnis suggeriert, handelt es sich aber auch nicht um ein bloßes Kompendium vermeintlich unverbunden nebeneinander stehender Einzelbeiträge. Und so entspricht es dem Konzept der in erster Linie um wissenschaftliche Impulsgabe bemühten Herausgeber wohl am ehesten, wenn man diese Gemeinschaftsproduktion als ein buntes Kaleidoskop von teilweise recht unterschiedlichen Zugangsweisen, Deutungshorizonten und Interpretationsschienen zur vielschichtigen Rom-Thematik bezeichnet.

Im Fokus der überwiegenden Anzahl der Einzelbeiträge stehen vor allem die sozio-politischen Dynamiken der sich um die päpstliche Wahlmonarchie aufbauenden römischen Gesellschaft. Mit gleich vier ausgezeichneten, da äußerst anregenden Untersuchungen ist die Kunstgeschichte im Tagungsband vertreten. Die Beiträge von Arne Karsten, Samuel Vitale, Philipp Zitzelsperger und Petra Thomas beschäftigen sich auf unterschiedlichen Ebenen und an verschiedenen Objekten (Familienkapellen, Deckenfresken, Porträtbüsten, Ehrenstatuen, Antikensammlungen) mit der gesellschaftlichen Funktion von Kunst. Im weitesten Sinne dem Sektor der Kunst- bzw. Kulturpatronage zuzurechnen ist auch die Untersuchung von Tobias Leuker, dessen anspruchsvolle philologische Studie die gesellschaftlichen Ambitionen so bedeutender italienischer Humanisten wie Giannantonio Campano an den Renaissancehöfen von Florenz und Rom zum Gegenstand hat. Zum Vergleich unterschiedlich strukturierter Höfe und ihres Verhältnisses zueinander regen die Beiträge von Daniel Büchel (Rom/Neapel) und von Tobias Mörschel (Turin) an, während im Aufsatz Ulrich Köchlis am Beispiel der postpontifikalen Krise der Papstfamilie Barberini das Verhältnis von „großer Politik“ und Familienstrategien angerissen wird. Mittels eines konzisen Überblicks zu den Patronatskonflikten zwischen Papsttum und spanischer Krone thematisiert der Amerika-Spezialist Mariano Delgado - als Einziger der im Tagungsband vertretenen Autoren - den Spannungsbogen zwischen Machtpolitik und Theologie. Aus fundamental unterschiedlichen Perspektiven nähern sich die letzten beiden Beiträge des Bandes dem päpstlichen Nepotismus. Birgit Emich betont den positiven Anteil des Nepotismus bei der Expansion der päpstlichen Staatsgewalt, indem sie die machtpolitischen Vorgänge um die 1598 erfolgte Integration Ferraras in den Kirchenstaat analysiert. Gänzlich unerklärlich ist es allerdings, weshalb der in deutscher Sprache absolut unverständliche Beitrag Marzio Bernasconis zu einem so zentralen Thema wie den Nepotismusdiskursen des späteren 17. Jahrhunderts nicht ins Italienische übertragen wurde, während sich der informative Aufsatz von Irene Fosi, die am Beispiel der in Rom ansässigen Florentiner Geschäftselite die Vorgehensweisen der italienischen Familiengeschichtsforschung erläutert, sehr wohl in ihrer Muttersprache abgedruckt findet.

Das auf 30 Seiten zusammengefasste Fachgespräch spiegelt die Entwicklungslinien der jüngsten Rom- und Papsttumsforschung wider. Anders ausgedrückt: Statt eines die Leitfrage nach dem Modellcharakter Roms eindeutig beantwortenden Fazits liefert die wissenschaftliche Diskussion erwartungsgemäß eher eine Tendenz- oder Richtungsbeschreibung der Romforschung. Die zahlreichen Detailstudien der letzten Jahre, die sich aus unterschiedlichen Perspektiven mit dem Wettbewerb um politischen Einfluss und Sozialprestige am Hof, mit den Auswirkungen des Nepotismus auf den päpstlichen Regierungsapparat sowie mit den Machtmechanismen und der Zusammensetzung der Kurie beschäftigen, sind nicht nur in Hinblick auf die Frage nach dem Modernisierungspotential des Kirchenstaates oder aber zwecks eines tieferen Verständnisses der Determinanten und Handlungsspielräume päpstlicher Politik und Diplomatie sowohl im italienischen als auch im europäischen Kontext von Wert. Darüber hinaus liefern gerade die sich mit dem vermeintlichen Sonderfall Rom beschäftigenden Studien einen wichtigen Beitrag für eine Annäherung an die politische Kultur europäischer Eliten, eben weil sich die Komplexität des römischen Systems mit seinen äußerst mobilen Machtverhältnissen, den vielschichtigen Interessenlagen und Entscheidungsprozessen nur dann adäquat erfassen lässt, wenn es gelingt, die für das damalige Politikverständnis maßgeblichen Handlungszusammenhänge aufzudecken.

Dass sich das päpstliche Herrschafts-, Informations- und Diplomatiezentrum für die Verfolgung derartiger Fragestellungen nicht zuletzt auch wegen der exzellenten Quellenlage in den römischen und italienischen Archiven anbietet, betonen Daniel Büchel und Arne Karsten in ihrem den Tagungsband abschließenden Schlussplädoyer für die Romforschung. Dabei versäumen sie es nicht, die Unverzichtbarkeit interdisziplinärer Forschungsansätze herauszustreichen. Sie tun dies nicht nur in Hinblick auf die Zusammenführung sozialhistorischer und kunstgeschichtlicher Fragestellungen, die die jüngste Romforschung außerordentlich befruchtet haben. Eine der dringlichsten Aufgaben der nächsten Jahre wird vor allem darin bestehen, die in letzter Zeit fast gänzlich aus der sozialgeschichtlich ausgerichteten Papsttumsforschung ausgeklammerten religionsgeschichtlich-theologischen Aspekte in das Forschungsprogramm zu integrieren. Auch in dieser Hinsicht wirft der Tagungsband ein bezeichnendes Schlaglicht auf die Licht- und Schattenseiten einer Forschungsrichtung, die ihr Erkenntnispotential längst noch nicht ausgeschöpft hat.

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