W. Neugebauer: Die Hohenzollern, Bd. 2

Titel
Die Hohenzollern. Bd. 2: Dynastie im säkularen Wandel. Von 1740 bis in das 20. Jahrhundert


Autor(en)
Neugebauer, Wolfgang
Reihe
Urban Taschenbücher 574
Erschienen
Stuttgart 2003: Kohlhammer Verlag
Anzahl Seiten
232 S.
Preis
€ 16,00
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Wolfgang E.J. Weber, Institut für Europäische Kulturgeschichte, Universität Augsburg

Sowohl das Ausmaß des Einflusses, den das ursprünglich schwäbische Geschlecht der Hohenzollern auf die deutsche und europäische Geschichte ausübte, als auch die Bewertung dieses Einflusses sind bekanntermaßen bis heute äußerst umstritten. Dies gilt zumal für die Phase der Neueren und Neuesten Geschichte, welcher der vorliegende zweite Band der stets übersichtlich gegliederten und stilistisch fast durchweg gelungenen Gesamtdarstellung des Würzburger Frühneuzeitordinarius und derzeit besten deutschen Kenners der brandenburg-preußischen Geschichte gewidmet ist. Der bequem handzuhabende Überblick darf mithin auf gesteigerte Aufmerksamkeit setzen, muss aber auch besonders kritische Leser gewärtigen.

Die explizite Konzeption der Darstellung hat sich gegenüber derjenigen des 1996 erschienenen ersten Bandes nur wenig verändert. Dargelegt werden soll „die Geschichte einer Dynastie […], nicht primär die Geschichte eines Staates“. Kraft ihres höheren historischen Gewichts trete „jetzt“ jedoch „die preußische Königsdynastie entschiedener in den Vordergrund“, und angesichts des Wiederaufschwungs der Dynastien „zumal in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts“, den man „lange“ übersehen habe, seien auch die „Praktiken und Techniken der sozialen Integration und Führung“, darunter der Hof, die diesen Wiederaufschwung mit bedingten, angemessen zu berücksichtigen (Vorwort S. 7f.). Das erste Kapitel ist freilich konventionell „Preußen unter Friedrich II.“ überschrieben und kombiniert eher indivualbiografische und staatsgeschichtliche, insbesondere außenpolitische Elemente, statt einer systematisch dynastischen Perspektive zu folgen. Die üblicherweise in diesem Rahmen als relevant angesehenen Fragen der Prinzenerziehung, Herrscherberatung, des Umgangs mit den übrigen Dynastieangehörigen – vor allem deren Abschichtung von den politischen Geschäften -, der Heiratsstrategien usw. fehlen dennoch nicht, sondern werden in das enorm breite und dichte Darstellungsspektrum integriert. Der Bruch Friedrichs mit der letztlich religiös bedingten Aggressionsverzichtspolitik seines Vaters, die im ersten Band im Originalzitat dargelegt wird, hätte sich allerdings unzweifelhaft kritischer kommentieren lassen. Verdeutlichungsbedürftig erscheinen auch die Ausführungen, in denen zur Begründung der neuen, herkömmliche Rechtsvorstellungen relativierenden Außenpolitik auf die Rezeption der Idee der Staatsräson verwiesen wird (S. 40f.). Staats-Raison als Status-Räson, als Konzept zur Erkenntnis, Kalkulation und praktischen Verwirklichung größtmöglichen eigenen Vorteils in Gestalt v.a. von Machtsicherung und Machtvergrößerung, bezog sich in dieser Epoche noch keineswegs eindeutig oder ausschließlich auf den ‚öffentlichen‘ Staat und kann deshalb nicht mit modernen Vorstellungen wie z.B. dem Gemeinwohl identifiziert werden, wie die borussianische Historiografie bis Theodor Schieder zu unterstellen geneigt war; vielmehr war ihre primäre Bezugseinheit eben die Dynastie, so dass besser von Dynastieräson zu sprechen wäre. Auf Schlachtengemälde wird richtigerweise verzichtet. Die These, Friedrich II. sei ein notorischer Reichsfeind gewesen, wird unter Verweis auf seine reichstreuen Phasen und die vorherrschend nüchterne Pragmatik seines Handelns überzeugend zurückgewiesen (S. 45f.). Zur Widerlegung der Meinung, dass das Reich „am preußisch-österreichischen Dualismus zerbrochen sei“ (S. 46) wäre noch auf die spätere Rekonfiguration des Reiches im Zeichen der Kooperation beider Flügelmächte sowie die Intervention Napoleons von außen zu verweisen gewesen. Definitive Verwerfung erfahren der Mythos friderizianischer Toleranz (S. 48f.) oder die angebliche aufgeklärte Modellqualität friderizianischer Monarchie (S. 53).

Auch das zweite Kapitel erhält seinen Titel – „Die Jahrzehnte der Revolution“ – und seine wesentliche Perspektive nicht aus einem im engeren Sinne dynastiehistorischen Bezug. Sein Aufbau, die thematische Spannweite und Organisation sowie der überwiegend nüchtern-deskriptive, vielfach historiografie- und ideologiekritische, fast durchweg hoch verdichtete Argumentationsduktus folgen dem Beispiel des Vorgängers. Erfrischend klar benannt sind die Probleme der entscheidenden Dynastierepräsentanten, in der Konfrontation mit dem revolutionären Frankreich. Des Weiteren werden vorrevolutionäre, d.h. herkömmlich monarchisch-dynastische Wahrnehmungen, Einschätzungen und deshalb Fehlentscheidungen zu überwinden (S. 64), sowie der epochale Vorgang des allmählichen Schrumpfens der monarchischen Prärogative dank Einkreisung des Königs durch seine höchsten Berater und Helfer und Formalisierung bzw. Institutionalisierung der Abläufe (S. 68, 71ff., 78ff.) dargestellt. Eine konsequentere dynastiegeschichtliche Perspektive hätte möglicherweise eine eingehendere Erörterung der innerdynastischen und öffentlich-repräsentativen bzw. Untertanenfügsamkeit erzeugenden Rolle Königin Luises nahe gelegt, wie überhaupt der jetzt, im Zeichen der Umbrüche, noch wichtiger werdende Komplex der dynastischen Inszenierung und Propaganda, nun vor allem auf der Ebene der Publizistik, stärkere Berücksichtigung verdient hätte. Das im Vergleich zu den übrigen Kapiteln deutlich zu kurz geratene und chronologisch nicht ganz passende dritte Kapitel - „Die relative Einheit der Hohenzollern im 18. Jahrhundert“ – liefert zwar einen erheblichen Teil der bis dahin vermissten kultur- und sozialhistorischen Dynastieaspekte nach, so vor allem die Bedeutung des Hausvertrags von 1695/1707 für die genealogisch-historische Legitimitätsbeschaffung (S. 83). Nichtsdestoweniger hätte der Leser gerne Näheres z.B. zu den jetzt gewählten Formen der familiären Kommunikation, Leitnamenvergabe, Organisation der Prinzenerziehung, den Schwierigkeiten der Eintrichterung dynastischer Loyalität und Opferbereitschaft bei den weiblichen Mitgliedern u.ä. erfahren.

Kapitel IV kehrt unter dem Titel „Reform – Neoabsolutismus – Revolution“ zu einer vornehmlich Herrscherbiografie und Staats- bzw. politische Ereignisgeschichte kombinierenden Darstellungsweise zurück. Zu seinen Vorzügen zählen die klare Darstellung der allmählichen, freilich durch persönliche Beziehungen relativierten formalen Entflechtung von Staat und Dynastie z.B. auf der Ebene der Finanzadministration, die treffsicheren Wertungen der Einführung einer Verfassung und der fortschreitenden Bürokratisierung im Hinblick auf den Charakter der Herrschaft und die souveräne Handhabung der verwickelten Ereignisgeschichte dieser Periode. Ausführlicher und im Hinblick auf die Mechanismen und Zwänge der soziokulturellen Reproduktion und der öffentlichen Akzeptanz der Dynastie problematisierender hätte man sich den Abschnitt zum Hof und zur Hofkultur vorstellen können. Ähnliches gilt für die Behandlung der diversen Liebschaften und der morganatischen Ehe Friedrich Wilhelms III. nach dem Tode von Königin Luise: Was zuvor von willfährigen Juristen und Kirchenmännern zunehmend mühsamer als herrscherliches Privileg zu rechtfertigen war, konnte jetzt, in der Durchsetzung bürgerlicher Kultur, kaum noch akzeptabel erscheinen, d.h. es musste die Reputation des Herrschers und der Dynastie schädigen. Als wichtig und mutig angesichts der seit den 1980er-Jahren vorherrschenden Neigung der (west-)deutschen Geschichtswissenschaft, Bismarck zu entmilitarisieren oder gar zu demokratisieren, darf die Aufnahme der Bismarck kritischen Bemerkung des Königs auf S. 129 gewertet werden. Etwas knapp geraten sind die beiden Schlussabschnitte zu den schwäbischen Hohenzollern und – bezeichnenderweise als „Exkurs“ überschrieben – zu den Hohenzollern in Rumänien. Kapitel V „Konstitutionalismus und Reichsgründung“ ist ebenfalls relativ kurz geraten. Was es bietet, ist ein gelungener verfassungs- und politisch-ereignisgeschichtlicher Überblick, der gut u.a. die neuen Strukturprobleme der monarchischen Regierung (S. 146f. ) zum Ausdruck bringt, andererseits aber auch Überflüssiges aufweist (Friedrich Wilhelm IV. starb „40 Minuten nach Mitternacht“, S. 147), gelegentlich nostalgisch anmutend formuliert („ein zu Ende gehendes Zeitalter ritterlicher [...] Staatenbeziehungen“, S. 160) und wie das anschließende Kapitel wenig bis gar nichts von der seit spätestens den 1830er-Jahren laufenden, massiven borussianischen Kulturoffensive erkennen lässt, die, getragen von protestantisch-preußischen Historikern und Publizisten, einerseits der außerpreußischen Bevölkerung Brandenburg-Preußen als nationale Vormacht und die Hohenzollern als nationale Dynastie schmackhaft machen sollte und damit auch ziemlich erfolgreich war, andererseits ebenso erfolgreich zur Hervorbringung einer in vielen Hinsichten bedenklichen politischen Kultur beitrug.

Kapitel V macht bereits mit seiner Titelformulierung „Die Hohenzollern im Kaiserreich“ deutlich, dass von einer Herrschaft der Dynastie ‚über die Verhältnisse‘ wie einstmals keine Rede mehr sein, vielmehr jetzt lediglich ‚in den Verhältnissen‘ regiert werden konnte. Seine Darlegungen sind zudem plausibel stark an der Frage ausgerichtet, wie sich die einzelnen Herrscher und die Dynastie insgesamt in den neuen Verhältnissen einrichteten. Die Konfrontation ‚guter‘ altpreußischer Wahrnehmungen, Werte und Verhaltensformen mit ‚dekadenten‘ oder radikalisierten nationalistisch-bürgerlichen wirkt freilich etwas plakativ. Hingegen zählt die Darstellung der Herausbildung eines neuen Hofes und dessen Einbindung in die kaiserlich-dynastische Kulturpolitik zu den Höhepunkten des Bandes. Wilhelm II. wird als schwacher Herrscher geschildert, der keine kontinuierliche Regierungsarbeit leistete, noch dynastischen Perspektiven verhaftet war und zumal in der Öffentlichkeit viele Fehler machte. Entsprechend werden ihm zwar Inkonsequenz und Fehler im Hinblick auf die Entfesselung des Ersten Weltkrieges angelastet, als dessen eigentliche Verursacher aber „die Flut des aggressiven Imperialismus und Nationalismus“ sowie die Militärelite (S. 184f.) namhaft gemacht. Im Laufe der Kriegsereignisse sei dann „das Monarchenprestige“ „verblaßt [...], überstrahlt vom Führercharisma eines Hindenburg und Ludendorff“ (S. 185). Am Ende wurde – auch angesichts nach wie vor relativ glänzenden Hoflebens, während die Bevölkerung zumindest seit 1916 zu hungern begann, ohne dass dieser Zusammenhang hergestellt würde – „aus der Frage einer individuellen Abdankung [...] diejenige nach Monarchie oder Republik per se“ (S. 188). Das Schlusskapitel „Exil – Restauration – Resignation“ spannt den Darstellungsbogen der „wenig erbaulichen Geschichte des Hauses Hohenzollern“ zumal „um und nach 1930“ im knappen Ausblick bis zur Gegenwart. Mit dem Schlusssatz – „nur noch selten, ab und zu, fällt in unpolitischen Meldungen ein matter Schein öffentlichen Interesses auf ein Fürstenhaus, das in einem knappen Jahrtausend eingegriffen hat in die Geschichte“ (S. 197) – ließe sich freilich die Frage verknüpfen, warum dem wesentlichen Rivale, dem Haus Habsburg, nicht ganz das gleiche Schicksal beschieden ist.

Mit dem vorliegenden Band wird eine Überblicksdarstellung zur Geschichte der Hohenzollern abgeschlossen, welche die Möglichkeiten der modernen Politik-, Sozial- und Biografiegeschichte voll ausschöpft und dabei weder auf kritische Bezüge verzichtet noch Abstriche an Lesbarkeit zulässt. Das von ihm vermittelte Geschichtsbild fügt sich in die von der neueren Forschung erarbeiteten Grundzüge und Detailbefunde ein. Eine kulturgeschichtlich perspektivierte, systematische Dynastiegeschichte, die freilich nur auf begrenzteres Interesse stoßen würde, erschließt sich dem Leser allerdings nur sekundär und letztlich unvollständig.