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Titel
In God we Trust. Religion und Politik in den USA


Autor(en)
Prätorius, Rainer
Reihe
Beck'sche Reihe 1542
Erschienen
München 2003: C.H. Beck Verlag
Anzahl Seiten
206 S.
Preis
€ 12,90
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Manfred Berg, Zentrum für USA-Studien, Stiftung Leucorea, Universität Halle-Wittenberg

Seit dem Ende des Kalten Krieges und insbesondere seit den Terroranschlägen des 11. September 2001 ist der Eindruck einer sich beständig verbreiternden kulturellen Kluft zwischen den USA und Europa, vor allem auch Deutschland, immer stärker ausgeprägt. Dabei wird bevorzugt darauf verwiesen, dass der Schlüssel zum Verständnis dieser Entfremdung in der sehr unterschiedlichen Bedeutung der Religion im öffentlichen und privaten Leben der Gesellschaften beiderseits des Atlantik liege. Fünfundneunzig Prozent aller Amerikaner bekennen sich in Umfragen zum Glauben an Gott und über achtzig Prozent sind der Überzeugung, dass religiöse Werte das Handeln des Einzelnen auch im Alltag leiten sollten – weit mehr als in den westeuropäischen Gesellschaften, die expressiver und prinzipienfester Religiosität zunehmend mit Misstrauen begegnen, wie der derzeitige deutsche „Kopftuchstreit“ belegt. Während in Deutschland religiöse Eidesformeln aus der Mode gekommen sind, lassen US-Politiker kaum eine Gelegenheit aus, den Segen des Allmächtigen auf „sein Land“ herab zu beschwören. Erst kürzlich verabschiedete der Kongress fast einstimmig ein Gesetz, das für die Pledge of Allegiance, das patriotische Loyalitätsmantra, ausdrücklich die Formel „one nation under god“ vorschreibt. Die Allgegenwart religiöser Symbole und Rhetorik in der amerikanischen Politik, besonders im Diskurs der gegenwärtigen Administration, schürt bei vielen Europäern die Furcht, dass die amerikanische Weltpolitik von religiösem Missionsbewusstsein, gar Fanatismus, getrieben sein könnte.

Angesichts der zunehmenden transatlantischen Irritationen ist es deshalb sehr zu begrüßen, dass Rainer Prätorius, ein ausgewiesener Kenner der amerikanischen Religionsgeschichte und Soziologie, nunmehr eine kompetente, präzise und informative Einführung für deutsche Leser vorgelegt hat. Nach einem souveränen Überblick über die geistesgeschichtlichen und verfassungsrechtlichen Grundlagen und wichtigsten institutionellen Entwicklungen der amerikanischen Religion beschreibt Prätorius zum einen die traditionell vorherrschenden protestantischen Glaubensrichtungen und Kirchen, den so genannten „mainline protestantism“, die evangelikalen Strömungen, aber auch die zahlreichen und immer wichtiger werdenden nichtprotestantischen und nichtchristlichen Religionsgemeinschaften. Neben Mormonen, Katholiken und Juden nimmt er dabei besonders die Muslime in den Blick. In God We Trust ist freilich kein Handbuch der „labyrinthischen Vielfalt“ (S. 75) der in Amerika praktizierten Religionen, sondern eine problemorientierte Analyse ihrer gesellschaftlichen Werte und politischen Strategien.

Am Ausgangspunkt von Prätorius’ Betrachtungen steht das vermeintliche Paradox, dass die US-Gesellschaft zwar einerseits als Inbegriff der Moderne gilt, andererseits aber die Säkularisierung, verstanden als allgemeiner Bedeutungsverlust der Religion, hier vergleichsweise gering ausgeprägt ist. Allerdings wird dieser Befund durch zwei weitere Schlüsselfaktoren wesentlich modifiziert. Erstens durch die traditionell strikte institutionelle Trennung von Staat und Religion, festgeschrieben im ersten Verfassungszusatz, und zweitens durch den religiösen Pluralismus. Zum besseren Verständnis führt Prätorius eine nützliche, wenngleich sprachlich nicht sehr gelungene Unterscheidung ein zwischen der „organisierten Glaubenspraxis in einer spezifischen konfessionellen Gemeinschaft“, er nennt dies Religion 1, und einer „allgemeinen religiösen Grundhaltung“ als Basis einer stabilen und moralischen Sozialordnung, bezeichnet als Religion 2 (S. 14-15). Während Religion 2 weithin als Grundlage der amerikanischen Nation akzeptiert ist, unnachahmlich ausgedrückt in Präsident Eisenhowers legendärem Diktum: „Everyone should have a religion. I don’t care what it is!”, fällt Religion 1 unter die Sicherungen der Trennung von Staat und Religion, welche die Dominanz einer bestimmten religiösen Gemeinschaft oder Glaubensrichtung verhindern soll.

Prätorius’ hauptsächliches Anliegen besteht darin, dem deutschen Leser die ungebrochene Integrationskraft und das Funktionieren des religiösen Pluralismus in den USA zu verdeutlichen. Der Pluralismus funktioniert, weil zum einen die religiösen Gemeinschaften stark auf ihre Unabhängigkeit bedacht sind und an einer zu starken Verflechtung mit dem Staat gar kein Interesse haben, und zum anderen, weil jeder Versuch, spezifische religiöse Vorstellungen, etwa des protestantischen Fundamentalismus, verbindlich durchzusetzen, sofort eine Koalition von Gegenkräften auf den Plan ruft. Diese Vorstellung von den sich gegenseitig ausbalancierenden Ideen und Interessen als Grundlage einer freiheitlichen Gesellschaft, klassisch formuliert von James Madison im 10. Federalist-Artikel, entspricht bis heute dem Selbstverständnis der amerikanischen Gesellschaft auch im religiösen Leben.

Obwohl Prätorius dem amerikanischen Pluralismusmodell viel Sympathie entgegenbringt und offenkundig dem in Deutschland grassierenden Alarmismus entgegenwirken will, der zwischen George W. Bush und Osama bin Laden keine Unterschiede mehr erkennen will, setzt er ebenso deutlich kritische Akzente gegenüber dem von den Amerikanern gepflegten „harmonischen Idealbild“ eines konfliktfreien Zusammenlebens der Religionen (S. 27). Zu den unübersehbaren Schattenseiten gehört die Tendenz zur Ausgrenzung von Menschen, die von Religion, auch von Religion 2, grundsätzlich unbehelligt bleiben möchten. Kaum ein amerikanischer Politiker kann oder will sich noch das offene Bekenntnis zu den säkularen Traditionen leisten, um nicht in Geruch des Atheismus zu geraten. Und natürlich besteht permanent die Gefahr der absichtlichen Verquickung zwischen Religion 1 und Religion 2, vor allem durch die religiöse Rechte, die Amerika verbindlich als „christliche Nation“ definieren will.

Selbst wenn die allgegenwärtige rhetorische Einheit von Nation und Gott ganz unschuldig als Ausdruck religiöser Devotion gemeint ist, in der Außenwahrnehmung erscheint sie häufig als ein durchaus gewöhnlicher „Gott und Vaterland“-Chauvinismus und als „bigotte Heuchelei“ (S. 173). Auch Prätorius beklagt die mangelnde interkulturelle Sensibilität der amerikanischen Auserwählungsdiskurse und verschweigt nicht, dass missionarische religiöse Programmatik Einzug in einzelne Bereiche der Innen- und Außenpolitik gehalten hat (S. 169ff.). Aber er betont ebenso überzeugend die Grenzen der politischen Instrumentalisierung von Religion, die durch die libertär-säkularen Gegenkräfte in der Gesellschaft, die Rechtsprechung und durch die Vielfalt des religiösen Lebens selbst gesetzt werden. Im Zeitalter der Individualisierung, der Beliebigkeit und Austauschbarkeit der Bekenntnisse und Angebote, so seine vorsichtige Prognose, könnte es dem religiös-politischen Aktivismus zukünftig an organisatorischer Stärke gebrechen. Mit dem gerade beginnenden Präsidentschaftswahlkampf allerdings zeichnet sich wohl erst einmal eine Phase ab, in der Religion bewusst als Medium der politischen Polarisierung benutzt wird.

In God We Trust ist eine gut geschriebene, intellektuell anregende und allgemein verständliche Lektüre. Zu bemängeln ist allenfalls, dass die vergleichende Perspektive, die gerade für das breitere Lesepublikum von besonderem Interesse sein dürfte, zumeist nur den Subtext der Argumentation bildet. So hätte bei der Ausgangsfrage nach dem religionsgeschichtlichen „Sonderweg“ Amerikas (S. 11-12) das europäische Modell der engen Verbindung von Staat und organisierter Religion etwas stärker akzentuiert werden können. Gerade weil die Amerikaner nie gegen eine reaktionäre Allianz von „Thron und Altar“ rebellieren mussten, kam die Religion, selbst bei Liberalen und Linken, nie so stark als systemstabilisierende Ideologie in Verruf, wie dies in Europa der Fall war. Und wenn die Anziehungskraft des christlichen Fundamentalismus mit seinem Angebot unumstößlicher Wahrheiten und klarer Verhaltensnormen, die eine Abschottung von den Irritationen und Zumutungen der Moderne ermöglichen, erklärt wird, wirft dies doch die Frage auf, ob die christlichen Kirchen in Deutschland mit ihrem Bemühen, sich gegenüber der Welt zu öffnen, nicht der Säkularisierung ungewollt Vorschub geleistet haben. Ein paar Seiten mehr zum deutsch-amerikanischen Vergleich hätten den Informationswert des Buches sicher noch erhöht. Gleichwohl, Rainer Prätorius hat mit seiner Darstellung einen wichtigen Beitrag zu einem besseren und weniger klischeehaften Verständnis einer der tragenden Säulen der amerikanischen Kultur geleistet.

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