Zuwanderungsland Deutschland Migrationen 1500-2005 / Die Hugenotten

Zuwanderungsland Deutschland Migrationen 1500-2005 / Die Hugenotten

Veranstalter
Deutsches Historisches Museum (12344)
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12344
Ort
Berlin
Land
Deutschland
Vom - Bis
22.10.2005 - 12.02.2006
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Jan Philipp Sternberg, Frank Kallensee

Migrationen 1500-2005 1

Als vor zwei Jahren darüber diskutiert wurde, ob das Einwanderungsland Deutschland ein Migrationsmuseum brauche, wehrte der Schriftsteller Feridun Zaimoglu die Forderung mit den Worten ab: "Migration gehört nicht in eine Nische, sie gehört ins Deutsche Historische Museum."
Dort ist sie jetzt angekommen, zwar (noch) nicht in der nunmehr für Mitte 2006 angekündigten Dauerausstellung, aber immerhin in zwei parallel eröffneten Sonderschauen.

Kuratorin Rosmarie Beier-de Haan möchte den großen Bogen schlagen, nicht "nur" die vermeintlich gut erforschte westdeutsche Gastarbeiter-Migration der 1950er bis 1970er-Jahre in den Blick nehmen, sondern zeigen, dass Deutschland schon lange ein Einwanderungsland war, bevor es eine deutsche Staatsbürgerschaft überhaupt gab. So werden gleich 500 Jahre Migration in acht voll gestellten Räumen im Erdgeschoss des Austellungsbaus vom I.M. Pei präsentiert. Eine Hitparade der Zuwanderung, inklusive Singleauskopplung: Deutschlands und besonders Berlin-Brandenburgs Lieblingsmigranten, die Hugenotten, bekommen eine eigene, gelungenere Schau im Souterrain (siehe unten).

Man beginnt mit den Glaubensflüchtlingen der Frühen Neuzeit, den Niederländern im 16. Jahrhundert, den Böhmen und protestantischen Salzburgern im 17. Jahrhundert. Sie waren (meist) willkommen, angeworben von konfessionell verbundenen Landesherren, die auch bei Integrations-Streitigkeiten vermitteln konnten. Die aus Portugal emigrierten Juden hingegen, in der Ausstellung am Beispiel der (restriktiven) Hansestadt Hamburg und des (liberaleren) dänischen Altona dokumentiert, waren allenfalls geduldet. Vollends unerwünscht war das "fahrende Volk" jeglicher Couleur - eine "Zigeunerwarntafel" aus Nördlingen um 1700, auf der Peitsche und Galgen dargestellt sind, zeigt die Abwehrmaßnahmen drastisch. Dieser Dreiklang der Zuwanderung - Angeworbene, Geduldete und Abgeschobene - soll der Grundton der Ausstellung sein, geht aber im Rauschen der Überfülle unter. Das macht nicht nur den Besuch unerquicklich, sondern ist darüber hinaus für die permanente Migrationsdiskussion tragisch: Eine übersichtlichere Schau hätte einen wichtigen Beitrag zur aktuellen Debatte liefern können.

Um Missverständnissen vorzubeugen: Löblich und längst überfällig ist der Ansatz allemal, den "Normalfall Migration" mit historisch langem Atem zu schildern. Historisch akkurat und gut beraten ist die Bestandsaufnahme zudem, auch mit dem erweiterten Migrationsbegriff, der Wander- und Saisonarbeiter, Flüchtlinge und Durchreisende einbezieht, wird souverän umgegangen.

Doch die Form der Präsentation, die zudem nur wenige fesselnde Exponate vorweisen kann, macht die erhofften diachronen Linien und Vergleichsmöglichkeiten zunichte. Eine weit kleinere, unter den üblichen finanziellen Einschränkungen zustande gekommene Schau im Bezirksmuseum Kreuzberg, die dort Teil der Dauerausstellung werden soll, zeigt einen Weg: Konsequent an Biografien entlang wird die Einwanderungsgeschichte des Bezirks erzählt – von Hugenotten im 18. Jahrhundert über Schlesier in der Gründerzeit, Ost-Flüchtlingen nach 1945 bis zu Türken, Vietnamesen, Bosniern, Schwaben ab den 1960er Jahren erzählt.2

Die Kuratorin des DHM hingegen scheint gerade bei der heiß debattierten Zuwanderung nach 1945 ein gewisses Desinteresse befallen zu haben: Sowohl Flucht und Vertreibung als auch der Zuzug der Gast- und Vertragsarbeiter in West wie Ost werden nurmehr als Pflichtprogramm abgehandelt. Dass Deutschland immer auch Drehscheibe von Migration war, von Transit- und Auswanderungen, wird fast völlig unterschlagen, wenigstens die Massenwanderung der russischen Juden nach Amerika im 19. Jahrhundert erwähnt. Eher unbeholfen wird der aktuelle Stand der Migration durch zwei Exponate inszeniert: Das Werkzeug eines Spargelstechers und eine Chipkarte, mit der Asylbewerber einkaufen müssen. Mit drei Fotos kommt die Schau ganz am Schluss doch noch in die Übersichtlichkeit der drei Thesen von Anwerben, Dulden und Abweisen zurück: Gezeigt werden ein türkischstämmiges Baby mit deutschem Kinderausweis, ein Vietnamese mit frisch erhaltener Arbeitsgenehmigung und ein Afrikaner auf dem Weg zum Abschiebeflug.

Frank Kallensee: Hugenotten

Die Motive dürften den Réfugiés herzlich egal gewesen sein. Die Not war zu arg, um lange darüber zu rätseln, was Friedrich Wilhelm, den die borussische Historiografie allen Realitäten zum Trotz zum Großen Kurfürsten hochgeschrieben hat, 1685 tatsächlich bewog, "sichere und freye retraite (Zuflucht)", "Schutz und protection" sowie "alle Hülffe, Freundschaft, Liebes und Gutes" zu versprechen. Entscheidend blieb einzig, dass er sein Versprechen hielt. Bis heute feiern das Bekenntnispreußen wie Manfred Stolpe als Tat beispielloser Toleranz - und reden damit nur der halben Wahrheit das Wort. Denn weder kann von einem hohenzollerschen Alleingang die Rede sein, noch war Friedrich Wilhelm der erste Fürst, der den protestantischen Hugenotten Exil gewährte: Der Herzog von Braunschweig-Lüneburg-Celle und der Landgraf von Hessen-Kassel waren beim Anwerben dieser französischen Glaubensflüchtlinge schneller. Réfugiés ließen sich aber auch in Württemberg oder Sachsen nieder. Ganz abgesehen von den 40 000, die in England und den bis zu 50 000, die in den Niederlanden neue Heimaten fanden. Es ist nicht das geringste Verdienst der von Sabine Beneke für das Deutsche Historische Museum in Kooperation mit dem Conseil Général des französischen Départements Moselle 3 kuratierten Hugenotten-Ausstellung, dass sie just in Berlin den Berlin-brandenburgischen "Alleinvertretungsanspruch" gesamteuropäisch zurechtgestutzt hat.

Zur offiziellen Rhetorik gehörte damals allenthalben, dass man bedrängten Glaubensbrüdern zu helfen trachte. Dass sie nach den Menschenverlusten des Dreißigjährigen Krieges zur "Peuplierung" noch immer wüsten Landes höchst willkommen waren, wurde weniger laut gesagt. Schließlich kamen sie nicht mit leeren Händen, sondern mit gallischem Know-how: in der Ausstellung bezeugt durch Silberzeug, Seidenstrümpfe nebst Strumpfwirkmaschinen, wandfüllende Gobelins. Die Reaktion der deutschen Potentaten auf "Sonnenkönig" Louis' Widerrufung des Toleranzedikts von Nantes war also keineswegs die reine Nächstenliebe, geschweige denn der pure Uneigennutz. Auch sie dachten ökonomisch genug, um sich mit frankomanen Qualitätsprodukten Vorteile auf dem kontinentalen Markt auszurechnen. Anders als im durch den Augsburger Religionsfrieden seit 1555 befriedeten Heiligen Römischen Reich hatte die Reformation in Frankreich gegen den Willen der Könige Quote gemacht. Mit der Folge, dass der religiöse Zwist in einen politischen umschlug, dessen trauriger Gipfel das Massaker der Bartholomäusnacht 1572 war: François Dubois hat das Grauen 1584 gemalt und schuf damit eines der frühesten Ereignisbilder der Kunstgeschichte. Eine Ikone, die für die Ausstellung aus Lausanne geborgt wurde.

Zwischen 1685 und 1705 verließen mehr als 150 000 Reformierte Frankreich, um der befohlenen Konversion zum Katholizismus zu entgehen. Die Gesellschaften der Aufnahmeländer honorierten diese Geradheit nur bedingt: Fremdenhass ist keine Spezialität unserer Tage. Und der Neid (wegen günstiger Ansiedlungskonditionen, sprich: Steuernachlässen oder - wie für das altmärkische Stendal dokumentiert - Immobilienschenkungen), welcher die Einheimischen um ihre Besitzstände fürchten ließ, kommt einem nicht minder bekannt vor. Letztlich aber erzählt die für DHM-Verhältnisse erfreulich luftig aufgestellte Schau - und das ist ihr einziger Fehler -, was sie nie erzählen wollte: eine Erfolgsgeschichte. Mittels Erfolgsgeschichten. Nämlich jener der Verlegerfamilie Reclam, der Chodowieckis, Ancillons oder der de Maizières. Neben einem Interview mit dem letzten DDR-Ministerpräsidenten Lothar de Maizière haben die Ausstellungsmacher noch in allerletzter Minute einen Zeitungsausriß aufgehängt, der den jüngsten Erfolg dieser Familie dokumentiert: Die Berufung des aus Nordrhein-Westfalen stammenden sächsischen Staatskanzleichef Thomas de Maizière zum Chef des Bundeskanzleramts unter Angela Merkel.

Anmerkungen:
1 Zu beiden Ausstellungen sind in der umfangreiche Kataloge erschienen: „Migrationen 1500-2005“, 384 S., € 22,00; „Die Hugenotten“, 448 S., € 25,00, beide Edition Minerva, Wolfratshausen.
2 „Ein jeder nach seiner Fasson?“ 300 Jahre Zuwanderung nach Friedrichshain-Kreuzberg, Kreuzberg Museum, Adalbertstr. 95a, Berlin.
3 Die Ausstellung wird vom 16. Oktober 2006 bis zum 14. Januar 2007 in Metz gezeigt.

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